By Published On: 21. Oktober 2025Categories: Digitalisierung, Gesundheit, Kommunikation, Pädagogik, Soziales, Technologie

Immer mehr Menschen fühlen sich einsam, egal ob jung oder alt. Welche gesellschaftlichen Ursachen stecken dahinter und wie kann dagegen vorgegangen werden?

In einer Welt, die nie offline ist, scheint Einsamkeit paradox. Junge Menschen sind ständig erreichbar, kommunizieren über die sozialen Medien, sind eingebunden in Studium, Arbeit und Freizeitaktivitäten, und fühlen sich dennoch zunehmend isoliert. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung, verfasst von Luhmann et al., aus dem Jahre 2024, auf der Seite 6, zeigt, dass insbesondere junge Erwachsene zwischen 18 und 35 Jahren überdurchschnittlich häufig von Einsamkeit betroffen sind. In Deutschland berichten laut der aktuellen Untersuchung der Bertelsmann Stiftung 51% von moderater Einsamkeit und 12% von starker Einsamkeit.

Auch die folgende Abbildung unterstreicht dies. Die Personen zwischen 18 bis 29 Jahren haben in dem Laufe der Jahre die höchste Einsamkeitsbelastung. Die Menschen älter als 75 Jahre hingegen die geringste.

Abbildung 1: Prävalenz von erhöhter Einsamkeitsbelastung¹ in Deutschland nach Altersgruppen in den Jahren 2013 bis 2021.

(Quelle: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1480498/umfrage/praevalenz-von-einsamkeitsbelastung-in-deutschland-nach-alter/.)

Diese Entwicklung lässt sich nicht durch einen Mangel an Kontakten erklären. Viele Menschen stehen täglich mit anderen Personen in Verbindung. Dennoch bleibt bei vielen das Gefühl bestehen, nicht wirklich gesehen oder gehört zu werden. Der entscheidende Unterschied liegt in der Qualität der Beziehungen. Soziale Kontakte sind nicht automatisch sozial eingebunden, wenn emotionale Nähe fehlt. Der Soziologe Hartmut Rosa spricht hier von „Resonanz“, dem Moment, in dem zwischenmenschliche Begegnung zu einem echten, bedeutungsvollen Erlebnis wird. Bleibt diese Resonanz aus, entsteht Einsamkeit, auch mitten in einem vollen Alltag (Schulz, 2022, S. 476).

Einsamkeit ist dabei nicht gleichzusetzen mit Alleinsein. Sie beschreibt eine subjektiv empfundene Diskrepanz zwischen gewünschten und tatsächlichen Beziehungen (Buecker & Neuber, 2024, S. 1). Diese kann sowohl emotionaler Natur sein, wie das Fehlen enger Bindungen.  Oder auch sozialer Natur , wenn das Gefühl besteht nicht Teil einer Gruppe oder eines Netzwerks zu sein (Langness & Kleeb, 2025).

Ursachen: zwischen Freiheit und Überforderung

Mehrere gesellschaftliche Entwicklungen verstärken die Tendenz zur Einsamkeit. Einer der zentralen Faktoren ist die fortschreitende Individualisierung. Immer mehr Menschen leben allein, mittlerweile etwa jeder Fünfte in Deutschland (Statistisches Bundesamt, 2024). Dieser Lebensstil steht für Autonomie und Selbstbestimmung, bringt aber auch den Verlust informeller Alltagskontakte mit sich, wie sie früher etwa durch Großfamilien oder dörfliche Strukturen selbstverständlich waren.

Auch ökonomische Ungleichheit spielt eine Rolle. Studien zeigen, dass insbesondere Menschen mit geringem Einkommen oder unsicheren Beschäftigungsverhältnissen häufiger über Einsamkeit berichten (Entringer et al., 2025, DIW-Wochenbericht, S.3). Ihnen fehlen oft die Ressourcen, um sich aktiv an sozialen oder kulturellen Angeboten zu beteiligen. Gleiches gilt für Menschen mit Migrationshintergrund, die nicht nur sprachliche und kulturelle Barrieren überwinden müssen, sondern sich häufig auch institutionell ausgeschlossen fühlen.

Ein weiterer Punkt ist die allgegenwärtige digitale Kommunikation. Sie erlaubt schnelle Verbindungen, aber ersetzt keine körperliche Nähe oder emotionale Tiefe. Likes, Emojis und kurze Nachrichten schaffen zwar Interaktion, aber keine wirkliche Verbundenheit. Gerade bei jungen Menschen, die einen großen Teil ihrer Kommunikation online führen, verstärkt sich so paradoxerweise das Gefühl der Isolation (Wenzel, 2021, DAK-Gesundheit). Digitale Medien bieten mehr Kontakt, aber weniger Nähe. Zudem unterstreichen Studien, dass digitale Kommunikation zwar den Kontakt erleichtert, aber nicht die Qualität echter zwischenmenschlicher Beziehungen ersetzt. Die WHO warnt davor, dass Kommunikation über Bildschirme wichtige nonverbale Signale wie Mimik und Gestik verdrängt, was essenzielle Elemente für emotionale Verbundenheit sind (Dpa, 2025, Apothekenumschau).

Hinzu kommt ein verbreitetes Gefühl permanenter Überforderung. Die heutige Leistungsgesellschaft verlangt Flexibilität, Selbstoptimierung und Mobilität, oft auf Kosten sozialer Beziehungen (Dewerne, 2025, Esquire). Junge Menschen stehen unter Druck, sich beruflich zu etablieren, sich weiterzubilden und gleichzeitig ein „perfektes“ Leben zu präsentieren. Soziale Medien verstärken diesen Druck. Sie suggerieren Nähe, erzeugen aber oft nur oberflächliche Kontakte. Der Vergleich mit scheinbar erfolgreichen Peers kann das Gefühl der Isolation verstärken (Dewerne, 2025, Esquire).

Wenn subjektive Wahrnehmung Realität schafft

Einsamkeit ist nicht allein ein objektiver Mangel an Kontakten, sondern vor allem ein subjektives Empfinden. Man kann von Menschen umgeben sein und sich dennoch isoliert fühlen. Neurowissenschaftliche Studien zeigen, dass einsame Menschen tatsächlich bestimmte Reize anders verarbeiten. Sie interpretieren soziale Signale mit erhöhter Wachsamkeit und erleben mehr negative Emotionen in Kontaktsituationen (Floyd, D. Ray, & K. Boumis, 2025, S. 1-3). Damit wird Einsamkeit zu einer Art Selbstverstärkung. Wer sich einsam fühlt, zieht sich zurück oder erwartet Zurückweisung, was wiederum echte Nähe erschwert.

Diese innere Dynamik zeigt sich auch im Alltag. Einige Menschen, die von außen betrachtet in sozialen Netzwerken eingebunden sind, berichten über ein Gefühl des Nicht-Verstanden-Werdens. Es fehlt nicht an Gesprächen, sondern an Tiefe. Das Erleben von Resonanz und emotionaler Nähe ist selten geworden. So entsteht Einsamkeit, durch das Fehlen von Verbindung.

Die unterschätzten Folgen sozialer Isolation

Einsamkeit ist kein harmloses Gefühl, das von selbst vergeht. Wissenschaftliche Übersichtsarbeiten belegen, dass Einsamkeit mit einem erhöhten Risiko für Depressionen, Angststörungen und kognitive Beeinträchtigungen einhergeht. Auch körperliche Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Leiden, Stoffwechselstörungen und eine erhöhte Mortalität sind dokumentiert (Buecker & Neuber, 2024, S. 1-3)

Eine groß angelegte Studie von Holt-Lunstad aus dem Jahr 2015, mit über zwei Millionen Teilnehmenden ergab, dass soziale Isolation das Sterberisiko um bis zu 32 Prozent erhöht (Bühring, 2022, Deutsches Ärzteblatt).  Besonders alarmierend ist, dass diese Effekte nicht nur ältere Menschen betreffen, sondern auch zunehmen junge Erwachsene (Kilic, 2025, S. 13).

Neben den gesundheitlichen Folgen hat Einsamkeit auch gesellschaftliche Kosten: Sinkende Produktivität, steigende Krankheitszahlen, psychische Belastung, höhere Suizidraten. Sie wirkt wie ein stiller Brand, der sich durch alle Altersgruppen zieht. Meist unbemerkt, aber tiefgreifend.

Wege aus der Einsamkeit

Was lässt sich tun gegen Einsamkeit, wenn die Kalender voll und Begegnungen flüchtig sind? Die Antwort liegt nicht in großen gesellschaftlichen Umwälzungen, sondern oft in kleinen Veränderungen. Eine Studie der BMC Public Health zeigt, dass bereits regelmäßige, analoge Begegnungen, etwa in Vereinen, Nachbarschaftsinitiativen oder offenen Treffpunkten, das Einsamkeitsempfinden deutlich senken können (Morrish et al. BMC Public Health, 2023).

Wichtig ist zudem, die Stigmatisierung von Einsamkeit abzubauen. Wer einsam ist, hat nicht „versagt“, sondern reagiert auf eine Umwelt, die echte Verbindung oft erschwert. Aufklärungskampagnen, offene Gespräche und niedrigschwellige Anlaufstellen können helfen, Einsamkeit frühzeitig zu erkennen und zu durchbrechen.

Schließlich spielt auch die persönliche Lebensgestaltung eine Rolle. Ich bin der Meinung, dass wir als Gesellschaft verlernt haben, Räume für echte Begegnung zu schaffen. Die Digitalisierung hat vieles erleichtert, aber auch entmenschlicht. Wir brauchen wieder Orte, an denen wir uns verletzlich zeigen dürfen, ohne bewertet zu werden. Engagement, wie es etwa in Peer-Projekten oder Jugendzentren gefördert wird, kann ein Weg aus der Einsamkeit sein (Langness & Kleeb, 2025). Doch es braucht mehr als das: eine gesellschaftliche Kultur, die Nähe und Zugehörigkeit wieder wertschätzt.

Fazit: Nähe statt Termine

Die Zunahme von Einsamkeit unter jungen Erwachsenen ist kein individuelles Versagen, sondern Ausdruck struktureller Probleme. Sie zeigt, dass soziale Bindungen nicht automatisch aus Aktivität oder Vernetzung entstehen. Politik, Bildung und Gesundheitswesen müssen Einsamkeit als gesamtgesellschaftliches Thema ernst nehmen.

Maßnahmen wie soziale Kompetenztrainings oder psychotherapeutische Angebote sind erste Schritte. Langfristig braucht es jedoch ein Umdenken. Weg von der Idealisierung des „Beschäftigt-Seins“ hin zu einer Kultur der echten Verbindung. Denn nur wer sich zugehörig fühlt, kann sich grenzenlos entfalten.

Literaturverzeichnis

Titelbildquelle

Titelbild: Frau sitzt vor Macbook. Veröffentlichungsdatum: 3.02.2017

Künstler: Energepic.com. Abgerufen am 11.09.2025. Verfügbar unter: https://www.pexels.com/de-de/foto/frau-sitzt-vor-macbook-313690/.

Nutzungsbedingungen: https://www.pexels.com/de-de/imprint/.

Lizenzbedingungen:      https://www.pexels.com/de-de/lizenz/.

Literaturquellen

Buecker, S., & Neuber, A. (2024). Einsamkeit als Gesundheitsrisiko: Eine narrative Übersichtsarbeit, Bundesgesundheitsblatt 2024 67: 1095-1102.

Bühring, P. (2022). Einsamkeit und soziale Isolation: Auf der Suche nach Evidenz, Berlin: Deutsches Ärzteblatt. Abgerufen am 10.09.2025, verfügbar unter: https://www.aerzteblatt.de/archiv/einsamkeit-und-soziale-isolation-auf-der-suche-nach-evidenz-289712e3-dd81-4242-829d-c17da70809d8.

Dewerne, Y. (2025). Warum immer mehr Menschen das Gefühl haben, alleine zu sein, München: Burda Hearst Publishing GmbH, Esquire. Abgerufen am: 10.09.2025, verfügbar unter: https://www.esquire.de/news/gesellschaft/einsamkeit-bei-jungen-menschen-studie-auswege.

Dpa. (2025). Handy als Ursache: Jeder vierte Jugendliche ist sozial isoliert, Apothekenumschau. Abgerufen am: 10.09.2025, verfügbar unter: https://www.apotheken-umschau.de/gesund-bleiben/psyche/einsamkeit-who-studie-ursachen-und-was-dagegen-hilft-1356017.html.

Entringer, T.M., Kumrow, L., & Stacherl, B. (2025). Einsamkeit in Deutschland: Die gefährdetste Gruppe sind Menschen mit niedrigem Einkommen, Berlin: DIW Wochenbericht.

Floyd, K., D. Ray, C., & K. Boumis, J. (2025). Cognitive Distortions Associated with Loneliness: An Exploratory Study, Basel: MDPI.

Kilic, S. (2025). Einsamkeit-eine gesellschaftliche Aufgabe? in DNP-Die Neurologie & Psychiatrie. München: Springer Medizin Verlag GmbH.

Langness, A., & Kleeb, N. (2025). Jung, einsam- und engagiert? Wie Einsamkeit das Engagement der jungen Generation prägt. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung.

Luhmann, M., Schäfer, B., & Steinmayr, R. (2024). Einsamkeit junger Menschen 2024 im europäischen Vergleich, Gütersloh: Bertelsmann Stiftung.

Morrish, N., Choudhury, S., & Medina-Lara, A. (2023). What works in interventions targeting loneliness: a systematic review of intervention characteristics, BMC Public Health.

Schulz, P. (2022). Hartmut Rosa: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung. In: Senge, K., Schützeichel, R., Zink, V. (Hrsg.), Schlüsselwerke der Emotionssoziologie. Wiesbaden: Springer VS.

Statista Research Department. (2025). Prävalenz von erhöhter Einsamkeitsbelastung in Deutschland nach Altersgruppen in den Jahren 2013 bis 2021, Hamburg: Statista Research Department. Abgerufen am 10.09.2025, verfügbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1480498/umfrage/praevalenz-von-einsamkeitsbelastung-in-deutschland-nach-alter/.

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Wenzel, K. (2021). Einsamkeit: Das sollten Sie wissen, Hamburg: DAK Gesundheit. Abgerufen am: 10.09.2025, verfügbar unter: https://www.dak.de/dak/gesundheit/psychische-gesundheit/psychische-erkrankungen/einsamkeit_88650.

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