By Published On: 1. Mai 2025Categories: Gesundheit, Pädagogik, Psychologie

ToM – Theory of Mind, beschreibt die Fähigkeit, sowohl sich selbst als auch anderen ein „Innenleben“ oder mentale Zustände zuzuschreiben. Dies umfasst das Erfassen dieser mentalen Zustände sowie die Nutzung der damit verbundenen Informationen (Premack & Woodruff, 1978). ToM wird auch als „mentalising“ (Morton et al., 1991 zit. nach Baron-Cohen et al. , 2001), „mind-reading“ (Whiten, 1991, zit. nach Baron-Cohen et al., 2001, in und „soziale Intelligenz“ (Baron-Cohen, O’Riordan, Jones, Stone & Plaissted, 1999) bezeichnet.

Entwicklung von ToM

Die ToM ist elementar um eigenes, als auch fremdes Verhalten und Erleben zu erkennen, zu verstehen, zu erklären, vorherzusagen und zu Kommunizieren. Die Theorie of Mind beinhaltet Fertigkeiten, die intuitiv ablaufen und nicht geeignet verbal geäußert werden können, wie beispielsweise das Erkennen des emotionalen Gesichtsausdrucks. Auch die Fähigkeiten, welche sprachnah sind und auf Repräsentationen basieren, wie beispielsweise das Verständnis für falsche Überzeugungen (vgl. Paschke-Müller/ Biscaldi/ Rauh/ Fleischhaker/ Schulz, 2017, S. 8-9) sind abhängig von der ToM Entwicklung. Im Erwachsenenalter hängt die ToM-Fähigkeit in großem Maße von der intellektuellen Leistungsfähigkeit ab (vgl. Kleinmann/ Marciano, & Ault, 2001). Als Vorläufer der ToM kann die gleichzeitig gerichtete Aufmerksamkeit zweier Menschen auf einen Gegenstand („joint attention“) betrachtet werden. Die frühe ToM Entwicklung einer Person beschreibt Baron-Cohen als beobachtendes Verhalten wie von Kinder mit 14 Monaten, welche die Gemütslage des Gegenübers durch den emotionalen Ausdruck und der Verfolgung der Blickrichtungen wahrnehmen (vgl. Baron-Cohen,/Wheelwright & Jollife, 1997). Ende des 2. Lebensjahres macht ein Mensch weitere Fortschritte in der Selbst-Fremd-Differenzierung, erkennbar zum Beispiel an der Nutzung der Personalpronomen wie „mein“, “ dein“. Die bewußte Zuschreibung mentaler Zustände (von sich selbst oder anderen), kann erst ab ca. dem 4. Lebensjahr beobachtet werden (Boucher, 2012). Theorie of Mind macht es möglich, dass Menschen zwischen Realität und Fantasie unterscheiden können und ist Voraussetzung für Einfühlungsvermögen und Empathie (vgl. Sappok/ Zepperitz, 2019, S. 33).

Warum kann die Kenntnis über vorhandene ToM in der Betreuung von Menschen mit schwerer Intelligenzminderung eine Schlüsselrolle spielen?

Betreuende in der Assistenz für Menschen mit schweren oder auch schwersten Beeinträchtigungen in der Intelligenzentwicklung (IQ > 20-34) erleben nicht selten herausfordernde Momente. Oftmals fehlt den Personen eine aktive Sprache. Provokantes Verhalten, den anderen ärgern zu wollen oder Absicht, des negativ bewerteten Verhaltens, wird ihnen häufig unterstellt. Diese Verhaltensweisen können sich verbal (z.B. lautieren, schreien) motorisch (Bewegungsstereotypen, Lauftendenzen, zerreißen von Gegenständen,…) oder in anderer Weise (z.B. Wasser aufdrehen, Lichtschalter drücken,..) zeigen.

Menschen mit Autismus-Spektrum-Störungen haben häufig Schwierigkeiten das innere Vorgehen anderen zu verstehen (Baron-Cohen et al. 1997). Die fehlende, verzögerte, oder unvollständige ToM Entwicklung ist mitunter Ursache dafür. Unter Betrachtung der Entwicklung der Theorie of Mind, kann erklärt werden, das gezeigtes Verhalten nicht die Absicht verfolgt, andere Personen zu provozieren, zu ärgern oder zu beeinflussen, vielmehr dient das Verhalten einem intrinsisch motivierten Drang oder Aktionismus, dem emotionalen Entwicklungsstand entsprechend. Ohne eine (sicher) entwickelte ToM ist es den zu betreuenden Personen nicht möglich, sich in die Gedankenwelt anderer zu versetzen. Ihr Handeln und Agieren richtet sich nach ihren eigenen Bedürfnissen; die ihrer Umwelt sind ihnen kaum bewusst und beeinflussen sie nicht. Diese Sichtweise eröffnet den Betreuenden eine neue Denkweise, warum Verhalten gezeigt wird.

Sally und Anne für ToM

Die Entwicklung der ToM findet mit der Selbst-Fremd-Differenzierung statt, dem Wahrnehmen der eigenen Gedanken und der späteren Unterscheidung von Realität und Fantasie. So kann diese Entwicklungsphase gut bei Kindern im Rollenspiel beobachtete werden, wie z.B. beim Vater-Mutter-Kind-Spiel, wobei Rollen verteilt werden und die Kinder versuchen, die Gedanken des anderen zu erleben. So-tun-als-ob Denken, was glaubst du, passiert wenn,… solche Ansätze ermöglichen Einblicke in den Entwicklungsstand der ToM und eröffnen für Betreuende die Gedankenwelt der Assistenznehmer. Ein international beachteter Test, um die Entwicklung der ToM zu überprüfen, stellt die Bildergeschichte von Sally und Anne dar. Das False-Beliefe-Paradigma von Wimmer und Penner, 1983, modifizierte Baron-Cohen, Lesslie und Frith 1985 (Sappok/ Zepperitz, 2019, S. 31). Die Bildergeschichte lädt die befragte Person ein, sich in Sally (ihre Gedanken) zu versetzen und überprüft damit ihre Fähigkeit der Mentalisierung außerhalb des eigenen „Ich‘s‘“

Abbildung 1: Theory of Mind: Sich selbst und anderen Gedanken/ Gefühle zuschreiben können;
False-Belife-Paradigma von Wimmer & Perner, 1983; Quelle: Sappok, Zepperitz, 2019, S. 31

Fazit

Die Kenntnis über die Theorie of Minds – ToM halte ich für überaus wichtig, besonders in der Betreuung für Menschen mit Beeinträchtigung in der Intelligenzentwicklung. Oftmals wird Betreuten provozierendes Verhalten unterstellt. Durch Aufklärung der geringen, oder nicht vorhandenen Entwicklung der Theorie of Mind, kann ein verständnisvollerer Umgang mit den Assistenznehmern erreicht und Entwicklung von neuen Ideen und Konzepten gelingen. Auch bei Menschen mit mittelgradiger oder leichter IM (IQ 35-69) stellt die Kenntnis der ToM eine bedeutende Ergänzung dar. Oft sind es die „jungen Wilden“, die sprachlich und motorisch weiterentwickelt sind, jedoch emotional überschätzt werden. Gezielte Förderung auf Grundlage der ToM, beispielsweise durch Rollenspiele und Fantasiegeschichten, kann die Entwicklung entscheidend beeinflussen. Die Beachtung der ToM kann dazu beitragen, dass Menschen ihre Persönlichkeit entwickeln, Freundschaften gestalten lernen und Reflektionsfähigkeit entwickeln. Reue und Moral sind wichtige Werte in der Gesellschaft, die ToM beinhaltet.

Literaturverzeichnis

Baron-Cohen, S. (2001). Theory of mind and autism; A review. International Review of Mental Retardation, 23, 1-35

Baron-Cohen, S., Wheelwright, S. & Jollife, T. (1997). Is there a language of the eyes?“ Evidence from normal adults, and adults with autism or Asperger syndrome. Visual Cognition, 4, 311-331

Baron-Cohen, S., O’Riordan, M, Jones, R., Stone, V. & Plaisted, K. (1999). A new test of social sensitivity: detection of faux pas in normal children and children with Asperger syndrome. Journal of Autism and Development Disorders, 29, 407-418

Boucher, J. (2012). Putting Theory of mind in its place: psychological explantations of the socio-emotional-communicative impairments in autistic spectrum disorder. Autism, 16 (3), 226-246

Kleinmann, J., Marciano, P.L. & Ault, R.L. (2001).Advanced Theory of mind in high functioning adults with autism. Journal of Autism and Development Disorders, 31, 29-36.

Paschke-Müller, M., Biscaldi, M., Rauh, R., Fleishaker, C., Schulz, E. (2017). TOMTASS: theory-of-mind-Training bei Autismusspektrumstörungen: Freiburger Therapiemanual für Kinder und Jugendliche, 2. Auflage, Berlin: Springer-Verlag

Permack, D. & Woodruff, G. (1978). „Does The chimpanzee have a theory of mind“? Behavior and Brain Sciences, 4, 515-526.

Sappok, T./ Zepperitz, S. (2019). Das Alter der Gefühle: über die Bedeutung der emotionalen Entwicklung bei geistiger Behinderung, 2. überarbeitete Auflage, Bern: Hofgrefe Verlag

Abbildungsverzeichnis:

Abbildung 1: Sappok, T./ Zepperitz, S. (2019). Das Alter der Gefühle: über die Bedeutung der emotionalen Entwicklung bei geistiger Behinderung, 2. überarbeitete Auflage, Bern: Hofgrefe Verlag

Titelbildquelle

Titelbild: von geralt, Titel: Kopf Labyrinth Gegenüber veröffentlicht am 30. August 2016, abgerufen am 07. 04.2025, auf pixabay, unter:

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