Warum Multitasking so belastet
Ein durchschnittlicher Bürotag vieler Menschen sieht heute so aus: Der Wecker klingelt früh, noch vor dem ersten Kaffee werden Mails gecheckt, danach reiht sich eine Videokonferenz an die nächste. Parallel wird an Aufgaben gearbeitet, Aufgabenlisten abgearbeitet und auf dringende Rückmeldungen gewartet. Am Ende des Tages bleibt das Gefühl viel gemacht, aber nichts geschafft. Herzlich Willkommen in der modernen Arbeitswelt ein Ort, an dem Multitasking zur Norm geworden ist und ständige Erreichbarkeit als Zeichen von Engagement gilt.
Doch immer mehr Menschen erleben diesen Alltag nicht als produktiv, sondern als ermüdend. Besonders betroffen sind junge Berufstätige, Berufseinsteiger und Mitarbeitende in wissensintensiven Berufen. Der sogenannte „Mental Load“ also die unsichtbare, kognitive Belastung durch parallele Denk- und Planungsprozesse hat sich zu einem zentralen Stressfaktor entwickelt (Hofmann, Gottburgsen & Datzer, 2024, S. 45). Auch scheinbar „kleine Aufgaben“ wie Terminorganisation, E-Mail-Kommunikation oder Aufgabenverteilung summieren sich zu einer Dauerbelastung (Heuse, 2024, S.60).
Die Studien zeigen, viele Beschäftigte leiden unter digitaler Erschöpfung, Konzentrationsproblemen und dem Gefühl, nie wirklich abschalten zu können (Heuse, 2024, S.61). Der Begriff „Zoom Fatigue“ ist zum festen Bestandteil unseres Vokabulars geworden. Der Burnout und die Stresssymptome sind längst keine Randthemen mehr. Gerade bei jungen Erwachsenen fehlen die Abgrenzungen zwischen Arbeit und Freizeit dies ist ein zentraler Auslöser für chronische Erschöpfung (Bauer et al., 2020, S.177)
Theorie:
Das Phänomen der Arbeitsüberlastung in der digitalen Arbeitswelt lässt sich durch mehrere psychologischen Theorien erklären.
1. Transaktionales Stressmodell (Lazarus & Folkman, 1984)
Dieses Modell beschreibt Stress als Ergebnis der subjektiven Bewertung einer Situation. Ist die wahrgenommene Anforderung höher als die eigenen Ressourcen, entsteht Stress (Bauer et al., 2020, S.173). In der modernen Arbeitswelt werden Anforderungen oft nicht durch konkrete Aufgaben definiert, sondern durch ständige Unterbrechungen, digitale Informationsflut und soziale Vergleiche. Der Stress entsteht also weniger durch „zu viel Arbeit“, sondern durch „zu viele Anforderungen gleichzeitig“ (Bogdahn & Löwe, 2020, S.29).
2. Selbstbestimmungstheorie (Deci & Ryan, 2000)
Diese Theorie beschreibt drei psychologische Grundbedürfnisse, die Autonomie, Kompetenz und soziale Eingebundenheit (Bauer et al., 2020, S. 180). In einer durchstrukturieren Arbeitswelt, in der Termine diktiert und Aufgaben ständig kontrolliert werden, sinkt das Gefühl von Selbstbestimmtheit. Zudem fehlt das Feedback oder Kommunikation verläuft nur digital, da geht das Gefühl von sozialer Zugehörigkeit verloren. Beides trägt zur psychischen Ermüdung bei.
3. Informationsverarbeitungstheorie
Laut dieser Theorie ist unser Arbeitsgedächtnis begrenzt. Das Multitasking und ständige Informationswechsel überfordern dieses System, die Konzentration und Leistungsfähigkeit nehmen ab (Arens-Fischer & Dinkelborg, 2020,S. 153). Dieser Zustand wird als „Cognitive Overload“ bezeichnet und ist ein Vorläufer mentaler Erschöpfung (Olson et al., 2025, S. 6).
Methoden und Lösungsansätze:
Forschungsperspektive: Wie wird mentale Belastung gemessen?
Zur Erfassung mentaler Arbeitsbelastung werden in wissenschaftlichen Studien verschiedene standardisierte Instrumente verwendet. Das Oldenburg Burnout Inventory (OLBI) erfasst Erschöpfung und Distanzierung von der Arbeit. Die Studien nutzen zudem Skalen zur digitalen Erschöpfung oder zur Prokrastination und zur Work-Life-Balance (Olson et al., 2025, S. 3).
In den Studien zeigt sich das die Doppelbelastung enorm ist. Dabei zeigte sich, dass ständige digitale Unterbrechungen, unklare Arbeitsstrukturen und geringe Planbarkeit zentrale Belastungsfaktoren darstellen. Gerade der Umgang mit Stress sollte Berufseinsteigern schnell und effektiv vermittelt werden, damit sie lernen, konstruktiv damit umzugehen (Lefrank & Graef, 2021, S. 78). Besonders junge Erwachsene berichteten über Konzentrationsprobleme, Erschöpfung und reduzierte Motivation (Robert Koch-Institut, 2019, S. 58).
Lösungsansätze aus der Forschung:
Grundlegende Lösungsansätze helfen dabei, nicht direkt in Frust zu verfallen, sondern diesen zu minimieren und besser damit umzugehen. Dabei zeigt sich, dass klare Strukturen unterstützen können, Frust zu verringern, ebenso wie eine Reduktion von Dauerkommunikation.
Eine Erkenntnis ist, dass Menschen mit festen Arbeitsphasen, klaren Prioritäten und Kommunikationspausen deutlich seltener Stresssymptome zeigen (Lefrank & Graef, 2021, S. 78). Die Tools wie Timeboxing oder die Pomodoro-Technik unterstützen bei der Reduktion von „Task Switching“.
Eine weitere Hilfe ist das Digitale Detox ebenfalls medienpause genannt, einfach das Handy weglegen und sich auf das hier und jetzt zu konzentrieren. Lefrank & Graef (2021) belegen in ihrer Achtsamkeitsstudie, dass bewusste digitale Pausen (z. B. 1 Stunde ohne Bildschirm) zu einer spürbaren Entlastung führen. Dies wirkt sowohl präventiv als auch therapiebegleitend bei Stress und Burnout.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Bewegung im Alltag sowie das Bewusstsein für den eigenen Körper. Laut Gerland und Baumann (2024) hilft moderate Bewegung nicht nur zur körperlichen Gesundheit, sondern verbessert auch die kognitive Leistungsfähigkeit und reduziert Stresshormone, besonders bei Menschen, die viel am Bildschirm arbeiten.
Zu guter Letzt ist es hilfreich, wenn Unternehmen eine wertschätzende Führungskultur pflegen und besonderen Wert auf stabile Teamstrukturen legen. Den Studien zeigen, in Teams mit klarer Kommunikation, regelmäßiger Anerkennung und emotionaler Unterstützung berichten Mitarbeitende signifikant weniger über Erschöpfungssymptome. Eine offene Feedback-Kultur reduziert Missverständnisse und stärkt die emotionale Sicherheit im Team (Fricke, Glumann & Kiesewetter, 2024, S. 27).
Zusammenfassung:
Die heutige Arbeitswelt ist geprägt von hoher Komplexität, Digitalisierung, ständiger Erreichbarkeit und steigenden Anforderungen. Was zunächst als Zeichen von Fortschritt gilt, entpuppt sich in der psychologischen Betrachtung zunehmend als Risikofaktor für mentale Überlastung. Besonders betroffen sind junge Erwachsene und Berufseinsteiger, die noch keine Routinen im Umgang mit Stress etabliert haben.
Die Wissenschaftliche Modelle vom Stressmodell nach Lazarus bis zur Informationsverarbeitungstheorien erklären, wie mentale Überforderung entsteht. Die Forschung zeigt, es ist nicht nur die Menge an Arbeit, sondern die Art der Arbeit, die belastet. Das Multitasking, die digitale Kommunikation ohne Unterbrechung, unklare Erwartungen und fehlende Regeneration führen zu einem Dauerstresszustand. Die Studien wie die von Hofmann (2024), Olson et al. (2025) oder Bauer et al. (2020) belegen eindrucksvoll, dass diese Form der Belastung reale Folgen hat, von Konzentrationsproblemen über Schlafstörungen bis hin zu Burnout.
Fazit:
Die „Meetings, Mails, Mental Load“ – dieser Dreiklang steht sinnbildlich für eine neue Art psychischer Erschöpfung. Das Burnout hat heute viele Gesichter, doch die Symptome sind oft ähnlich. Die emotionale Erschöpfung, Rückzug, das Gefühl, ständig überfordert zu sein. Der Arbeitsplatz der Zukunft muss diesen Faktoren aktiv entgegenwirken durch klare Strukturen, bewusste Pausen, psychologische Aufklärung und Führung, die nicht nur Leistung, sondern auch Wohlbefinden in den Mittelpunkt stellt. Wer mental gesund arbeiten möchte, braucht nicht nur Tools, sondern Zeit, Klarheit und Vertrauen in sich selbst, die Führungskraft und das Team.
Ich glaube, dass viele Menschen sich erst dann mit mentaler Gesundheit beschäftigen, wenn sie schon erschöpft sind. In einer Kultur, die Produktivität über alles stellt, fällt es schwer, rechtzeitig auf die eigene psychische Belastung zu hören. Gerade E-Mails, Messenger und ständige Ansprechbarkeit erzeugen einen Druck, der kaum sichtbar ist, aber tiefgreifend wirkt.
Was mir besonders aufgefallen ist, je jünger die Menschen, desto größer die Erwartungen an sich selbst. „Ich darf keine Pause machen, sonst falle ich zurück“, das ist ein Gedanke, den viele mit sich herumtragen, dieser Gedanke ist falsch. Wir brauchen Räume, in denen Pausen nicht als Schwäche, sondern als Notwendigkeit verstanden werden.
Die digitale Transformation der Arbeitswelt ist nicht aufzuhalten, wir haben es in der Hand, wie wir sie gestalten. Die nächsten Jahre sollten im Zeichen einer mentalen Transformation stehen: Wie können Unternehmen, Hochschulen und Institutionen mentale Gesundheit zur Priorität machen?
Konkret braucht es, die Verpflichtende Schulungen zur Stressprävention in Ausbildung und Beruf. Das Mitarbeiter mehr Mitsprache bei Arbeitszeiten und Kommunikationsformen haben. Die Systeme für Erholungszeiten müssen sich erweitern zum Beispiel Mailpausen, Fokuszeiten, Meetingfreie Tage. Es sollte eine stärkere psychologische Begleitung geben durch Coaching, Supervision und HR-Begleitung. Wenn wir psychische Gesundheit so ernst nehmen wie körperliche, können wir eine Arbeitswelt schaffen, die Menschen langfristig stärkt und nicht erschöpft.
Literaturverzeichnis:
Arens-Fischer, W., & Dinkelborg, K. (2020). Stressbewältigung als Ansatz in der Theorie-Praxis-Relation zur Entwicklung von (Extra-)Rollenverhalten am Lernort Betrieb. In M. J. Bauer & T. Seppelfricke (Hrsg.), Stress im Studium: Stressempfinden und Stressbewältigung bei Studierenden (S. 149–168). Utzverlag.
Bauer, C., Schwarz, M., & Urban, D. (2020). Stress im Studium: Stressempfinden und Stressbewältigung junger Erwachsener. Zeitschrift für Hochschulentwicklung, 15(2), 169–205.
Bogdahn, O., & Löwe, A. (2020). Erfolgs- und Stressfaktoren im Fernstudium. In M. J. Bauer & T. Seppelfricke (Hrsg.), Stress im Studium: Stressempfinden und Stressbewältigung bei Studierenden (S. 17–52). Utzverlag.
Deci, E. L., & Ryan, R. M. (2000). Self-determination theory: Basic psychological needs in motivation, development, and wellness. Guilford Press.
Fricke, V., Glumann, N. V., & Kiesewetter, J. (2024). Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die psycho-soziale Situation von Studienanfänger*innen und Studierenden im DACH-Raum: Ein systematischer Literaturreview. In Y. E. Hofmann (Hrsg.), Die psycho-soziale Situation von Studierenden in der (post-)pandemischen Zeit: Stand der Forschung und Impulse aus der Praxis (S. 9–42). Beltz Juventa.
Heuse, S. (2024). Stress und Stress Mindsets bei jungen Erwachsenen am Beispiel Schule und Studium. In Y. E. Hofmann (Hrsg.), Die psycho-soziale Situation von Studierenden in der (post-)pandemischen Zeit: Stand der Forschung und Impulse aus der Praxis (S. 59–70). Beltz Juventa.
Hofmann, Y. E., Gottburgsen, A., & Datzer, D. (2024). Bedingungsfaktoren emotionaler Erschöpfung bei Studierenden in Krisenzeiten. In Y. E. Hofmann (Hrsg.), Die psycho-soziale Situation von Studierenden in der (post-)pandemischen Zeit: Stand der Forschung und Impulse aus der Praxis (S. 43–58). Beltz Juventa.
Lazarus, R. S., & Folkman, S. (1984). Stress, appraisal, and coping. Springer.
Lefrank, W., & Gräf, M. (2021). Einfluss von Achtsamkeit auf Stress und Burnout (FOM-Arbeitspapier, 82). FOM Hochschule.
Olson, T., Klein, A., & Fischer, J. (2025). Stress, student burnout and study engagement: A cross-sectional comparison. BMC Psychology. https://bmcpsychology.biomedcentral.com/articles/10.1186/s40359-025-02602-6
Robert Koch-Institut. (2019). Erkennen – Bewerten – Handeln. Schwerpunktbericht Teil 1 – Erwachsene: Psychische Gesundheit in Deutschland. Robert Koch-Institut.
Titelbild Name: ohne Titel. Veröffentlichungsdatum 26.07.2020 Künstler: Kaboompics.com
Abgerufen am 19.08.2025. Verfügbar unter: https://www.pexels.com/de-de/foto/frau-sitzung-sitzen-mude-4959799/
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