Die Digitalisierung beschreibt den Wandel von analogen zu digitalen Prozessen und verändert grundlegend, wie wir leben, arbeiten und kommunizieren (Heister & Krings, 2025, S. 6-7). Ebenso eröffnet die Digitalisierung neue Chancen für Inklusion, indem sie Barrieren abbaut und den Zugang zu Informationen, Kommunikation und Teilhabe für alle Menschen erleichtert.
Die App Be My Eyes ist ein Paradebeispiel dafür. Sie bringt sehende Freiwillige mit sehbehinderten oder blinden Menschen zusammen – in Echtzeit, mit einem einfachen Videoanruf. Das Ziel: Hilfe im Alltag, die spontan, menschlich und kostenlos ist (Be My Eyes, o. J.).
Eine einfache Idee mit großer Wirkung
Stell dir vor, du möchtest das Verfallsdatum auf einer Milchpackung lesen, aber du kannst es nicht sehen. Oder du stehst an einer Bushaltestelle und bist dir nicht sicher, ob du in den richtigen Bus einsteigst.
Genau hier setzt Be My Eyes an: Eine blinde Person öffnet die App, startet einen Videoanruf und ein*e Freiwillige*r irgendwo auf der Welt hilft ihr, die Situation zu meistern (Be My Eyes, o. J.). Das Prinzip ist ebenso einfach wie genial: Sehen teilen.
So funktioniert Be My Eyes
Alles was du brauchst, ist ein Smartphone mit Kamera und Internet – und schon kann es losgehen (Aktion Mensch, o. J.). Die App ist für iOS und Android kostenlos verfügbar. Wird Unterstützung benötigt, startet der sehbehinderte Mensch einen Live-Videoanruf. Die App sucht automatisch eine*n verfügbaren Helfer*in in der passenden Zeitzone und richtigen Sprache. Innerhalb von Sekunden entsteht eine Verbindung – oft mit völlig Fremden, die einfach helfen möchten.
Die App nutzt dabei die Kamera des Smartphones, über die helfende Person sieht, was die sehbehinderte Person ihm oder ihr zeigt (Be My Eyes, o. J.). Das kann alles Mögliche sein: Die Farbe der Kleidungsstücke, die Bedienung eines Haushaltsgeräts oder die Navigation in einer fremden Umgebung.
Was Be My Eyes besonders macht:
- Kostenfrei und grenzenlos nutzbar: Nutzer*innen können unbegrenzt Hilfeanfragen stellen, ganz ohne Gebühren oder versteckte Kosten.
- Rund um die Uhr erreichbar: Egal, ob früh morgens oder mitten in der Nacht, das Netzwerk aus Freiwilligen und KI-Assistenz steht jederzeit bereit.
- Schutz der Privatsphäre garantiert: Helfer*innen sehen nur das, was über die Kamera gezeigt wird und hören lediglich die Stimme. Persönliche Daten bleiben geschützt.
- Global vernetzt: Die App ist weltweit im Einsatz und in mehr als 150 Ländern aktiv. Hilfe kennt hier keine Grenzen.
- Sofortige Unterstützung bei Bedarf: Sobald Unterstützung nötig ist, wird in Echtzeit eine Verbindung zu einem helfenden Menschen oder zur KI hergestellt.
- Barrierefreiheit im Alltag: Alltägliche Herausforderungen sollen für alle einfacher und zugänglicher gemacht werden (Be My Eyes, o. J.).
Unterstützung auf Augenhöhe
Was Be My Eyes so besonders macht, ist der zwischenmenschliche Aspekt. Die Hilfe erfolgt nicht durch Maschinen, sondern von echten Personen. Die meisten Begegnungen sind kurz und manchmal ergeben sich daraus auch Gespräche (Aktion Mensch, o. J.). Die Community wächst ständig. Mittlerweile gibt es über 8 Millionen Freiwillige, über 800.000 Menschen mit einer Sehbehinderung oder Blindheit, aus mehr als 150 Ländern und mehr als 180 Sprachen – und täglich werden es mehr (Be My Eyes, o. J.).
Neue Dimensionen: Be My AI
Seit Kurzem geht Be My Eyes noch einen Schritt weiter: Mit der Integration von Künstlicher Intelligenz. In Kooperation mit OpenAI entstand der Dienst Be My AI. Hierbei können blinde Nutzer*innen Fotos von Objekten oder Situationen machen und die KI analysiert diese, beschreibt Details und beantwortet Rückfragen (Netzwerk Inklusion mit Medien, o. J.). Die Kombination aus KI und menschlicher Hilfe eröffnet eine neue Dimension an Selbstständigkeit. Nutzer*innen können selbst wählen, ob sie zuerst die KI fragen oder gleich menschliche Hilfe in Anspruch nehmen möchten. So bleibt die Kontrolle immer bei der Person, die Hilfe braucht.
Warum sich mitmachen lohnt?
Für sehende Helfer*innen ist Be My Eyes mehr als nur ein guter Zweck. Es ist eine Möglichkeit, mit minimalem Aufwand wirklich etwas zu bewirken. Ein paar Minuten reichen, um jemandem in einer schwierigen Situation zu helfen – ganz ohne Verpflichtung oder regelmäßige Termine. Die App benachrichtigt nur, wenn man gerade gebraucht wird und man kann jederzeit ablehnen.
Von den Paragrafen zur Praxis
Auch gesetzlich rückt das Thema digitale Barrierefreiheit immer stärker in den Fokus. So verpflichtet das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) mit § 12a alle öffentlichen Stellen dazu, ihre digitalen Angebote barrierefrei zu gestalten (Bundesministerium der Justiz, 2002). Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) verpflichtet ab dem 28. Juni 2025 Unternehmen dazu, bestimmte digitale Produkte und Dienstleistungen barrierefrei zu gestalten. Ziel ist es, Menschen mit Behinderungen sowie älteren Personen eine gleichberechtigte Teilhabe am digitalen Leben zu ermöglichen (Bundesministerium der Justiz, 2021). Die App Be My Eyes zeigt schon heute, wie Barrierefreiheit digital über eine App gelebt werden kann – freiwillig und innovativ.
Fazit: Kleine Hilfe, große Wirkung
Be My Eyes zeigt eindrucksvoll, wie Technologie Menschen im Alltag verbinden und Barrieren überwinden kann. Die App ist nicht nur ein technisches Tool, sondern ein Symbol für Inklusion und Hilfsbereitschaft. Trotz möglicher Risiken wie Datenschutz und Kommunikationsfehlern überwiegt der Nutzen: Die App fördert Inklusion, Selbstständigkeit und gegenseitige Unterstützung – und macht für alle die Welt ein Stück zugänglicher.
Literaturverzeichnis
Aktion Mensch (o. J.). Mit anderen Augen – Die App Be My Eyes. Zugriff am 03.06.2025. Verfügbar unter https://www.aktion-mensch.de/inklusion/bildung/impulse/inklusion-material/weiterfuehrende-infos/be-my-eyes
Be My Eyes (o. J.). Be My Eyes. Zugriff am 03.06.2025. Verfügbar unter https://www.bemyeyes.com/de/
Bundesministerium der Justiz. (2002). Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (Behindertengleichstellungsgesetz – BGG). Zugriff am 03.06.2025. Zugriff unter https://www.gesetze-im-internet.de/bgg/BGG.pdf
Bundesministerium der Justiz. (2021). Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen1 (Barrierefreiheitsstärkungsgesetz – BFSG). Zugriff am 03.06.2025. Zugriff unter https://www.gesetze-im-internet.de/bfsg/BJNR297010021.html#BJNR297010021BJNG000200000
Heister, W. & Krings, M. (2025). Digitalisierung in der Sozial-und Kulturwirtschaft. Wiesbaden: Springer VS
Netzwerk Inklusion mit Medien. (o. J.). Be My AI – Neue KI-Funktion in der Be My Eyes-App. Zugriff am 03.06.2025. Verfügbar unter https://www.inklusive-medienarbeit.de/be-my-ai/
Bildquelle
Titelbild von ShotPot, Titel:frau-augen-bild-gesicht-6338387 . Veröffentlicht am 30.12.2020. Abgerufen am 09.06.2025. Auf pexels unter: https://www.pexels.com/de-de/foto/frau-augen-bild-gesicht-6338387/
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