By Published On: 6. Januar 2020Categories: Gesundheit, Pädagogik, Wirtschaft

Wenn Individuen Neid empfinden, dann erscheint das Gras auf der andere Seite des Zaunes oft grüner, satter, gepflegter, hochwertiger und gesünder. Unsere eigene Wiese kann nicht mithalten, obwohl wir uns das anders wünschen würden. Mit Neid werden in der Bevölkerung überwiegend unangenehme und geächtete Gefühle und Verhaltensweisen assoziiert.[1]Auch Schimmel sagt: „Neid ist die Qual, wenn wir registrieren, dass andere Menschen Dinge, Güter oder Qualitäten besitzen, die wir selber nicht haben, aber unser eigen nennen möchten“.[2]

Die Emotionspsychologie beschäftigt sich seit den 1990er Jahren intensiver mit dem Gefühl des Neides und kam zu der Erkenntnis, dass Neid keine von uns Menschen angeborene Emotion ist.[3] Vielmehr gehört der Neid zu unseren sekundären Gefühlen, die sich vor allem im Alter von zwei Jahren entwickeln. In dieser Phase werden Kleinkinder sich zum ersten Mal über ihr Selbst bewusst und erkennen sich im Spiegelbild wieder.[4] Folglich können die Kinder erkennen und verstehen welche Eigenschaften oder Gegenstände ihnen selbst zuzuordnen sind und welche einer anderen Person gehören   Die Kinder werden Neid empfinden noch lange bevor sie verstehen was Neid oder neidisch sein bedeutet.[5]

Im Gegensatz zum heutigen Wissenstand gingen Vertreter der Psychoanalyse in den späten 1990er Jahren noch von einer angeborenen Emotion aus. Freud prägte in diesem Zusammenhang den Begriff des „Penisneids“, der Mädchen in der oralen Phase betrifft.[6] Nach Melanie Klein erleben Säuglinge das erste Mal primitiven Neid, wenn sie erkennen, dass die mütterliche Brust nicht Teil ihres Selbst ist. Als Konsequenz versuchen die Säuglinge neidgetrieben die Brust zu malträtieren oder sie gierig zu entleeren.[7] Diese negative Sicht auf das Verhalten von Säuglingen wird in der gegenwärtigen Psychoanalyse nicht mehr aufrecht erhalten.[8] Die heutigen Entwicklungspsychologen kritisieren, dass für jegliche Neidgefühle ein Bewusstsein über das Selbst vorausgesetzt werden muss und folglich Neid keine angeborene Emotion ist, noch von unterbewussten Trieben gesteuert wird. Diese Auffassung wird von Frankel und Sherick geteilt und durch ihre Beobachtungsstudie aus dem Jahr 1977 untermauert. Die Wissenschaftler beobachteten Kinder im Alter von 0-5 Jahren und stellten fest, dass Kinder unter zwei Jahren keinen Neid empfinden, jedoch eine sogenannte „Besitzgier“ zeigen, indem sie den Besitz neiden, jedoch nicht den Besitzer.[9]

Ab einem Alter von zwei Jahren zeigten die Kinder neidischen Verhalten, indem sie auf dem Spielplatz zu ihrer Mutter rennen, wenn diese sich einem anderen Kind zuwendet. Drei- bis Vierjährige fangen an andere Kinder zu beneiden, die aufgrund ihrer weiteren Entwicklung mehr Dinge motorisch bewältigen können als sie selbst. Die Wissenschaftler sind sich einig, dass der frühe Neid Kinder motiviert und daher eine wichtige und nützliche Emotion für die Entwicklung ist.[10] Auch für den freudschen Penisneid gibt es keine wissenschaftlichen Belege. Die heutigen Entwicklungspsychologen zweifeln, dass bereits junge Mädchen auf ein Geschlechtsorgan neidisch sein können, von dem sie nicht einmal wissen wozu es überhaupt da ist. Haubl wird noch deutlicher und sagt, dass die Theorie rund um den Penisneid schlichtweg falsch ist.[11] Einen ähnlichen Ansatz verfolgt der Entwicklungspsychologe Trautner, der nachwies das insbesondere Kleinkinder stolz auf ihr Geschlecht sind und keinesfalls neidisch auf das des anderen blicken.[12]

Im deutschen und englischen Sprachraum wird der Begriff Neid häufig mit Eifersucht gleichgesetzt. Obwohl beide Emotionen intensive unangenehme Gefühle hervorrufen, entsteht Neid jedoch eher durch die Wahrnehmung materieller Unterschiede, während die Eifersucht durch die Verlustangst sozialer Beziehungen gekennzeichnet ist. In einigen Fällen existieren beide Emotionen parallel.[13]

Nachdem die aktuellen Erkenntnisse zur Entstehung von Neid dargelegt wurden, sollen im Folgenden die verschiedenen Facetten des Neides beleuchtet werden.

 

1 Neid motiviert das eigene Grün zu optimieren

 

Die positive Seite des Neides wurde bereits kurz im Zuge der Entwicklung von Kindern angeschnitten. Jedoch profitieren auch Erwachsene von der Emotion, sofern Neid sie dazu verleitet Handlungen oder Verhaltensweisen auszuüben, um ähnliches zu erreichen oder zu besitzen wie die beneidete Person.[14] Dabei entsteht Motivation immer dann, wenn der eigene Selbstwert durch die Leistung eines Anderen in Frage gestellt wird. Über den Neid versuchen Individuen schließlich die Diskrepanz zu verringern und strengen sich mehr an die eigene Wiese ähnlich zu optimieren. In anderen Fällen spielen Personen die Relevanz herunter, indem sie sich selbst zureden andere Dinge besser zu können.[15]

 

Auch der niederländische Wissenschaftler Van de Ven forschte auf dem Gebiet und kam zu dem Ergebnis, dass es sowohl den gutartigen, als auch den bösartige Neid gibt. Die positive Wirkung ohne Missgunst entfaltet sich jedoch nur, wenn die beneidete Person grundsätzlich gemocht wird und die Bewunderung im Auge des Neiders auch verdient hat. Die Beziehung zu unseren Mitmenschen entscheidet also darüber ob wir Ihnen den sattgrünen Rasen gönnen können oder nicht. Besonders hervorgehoben werden muss auch, dass Neid insbesondere dann motivierend wirkt, wenn die Ziele als erreichbar eingeschätzt werden. Smith und Kim (2006) kritisieren diese Auffassung. Ihnen zu Folge lässt sich bei gutartigen Neid nicht von richtigem Neid sprechen.[16]

 

2 Neid tut weh

 

Haubl (2006) konnte in einer Studie anhand von 2000 Probanden im Alter über 14 Jahre nachweisen, dass sich bei der Mehrheit die Stimmung verschlechtert, sofern die Neid empfinden. 5% der Teilnehmer berichteten zudem von körperlichen Beschwerden Schlafstörungen oder Herzrasen. Die Erfahrungen konnten neurobiologisch untermauert werden, indem bei Neidgefühlen die gleichen Regionen im Gehirn aktiviert werden, wie bei physischem oder psychischem Schmerz.[17] Die Ergebnisse erklären, dass Individuen durch Neid auch im Sinne der Schmerzvermeidung zum Handeln motiviert werden.[18]

 

3 Neid macht feindselig

 

Sofern der Neid zu stark wird, können Feindseligkeit und Hass entstehen. Beispiele dafür lassen sich in fast allen Gebieten menschlichen Erlebens finden. Bereits bei kleinen Kindern kann im Spiel feindseliges Verhalten beobachtet werden, etwa, wenn der Spielkamerad einen größeren Turm mit Bauklötzen baut und dieser aus Neid umgestoßen wird.[19] In der Geschichte entstanden eine Reihe an Gräueltaten wie die Hexenverfolgung oder die Mordpläne gegen den römischen König Cäsar aufgrund von Emotionen des Neides. Wissenschaftler behaupten, dass die Feindseligkeit in der Evolution begründet liegt. Die Erkenntnis, dass eine andere Person über mehr Mittel oder Stärken im Leben verfügt, hat vor vielen Jahren mitunter dazu geführt, dass diese Personen eher überleben als das Selbst. Feindselig verhalten sich Menschen auch, wenn sie ihre positive Sicht auf sich Selbst nicht mehr aufrechterhalten können. Auch dieses Eingeständnis hätte evolutionär zu erheblichen Schwierigkeiten geführt. Folglich versuchen neidische Menschen häufig ihre beneideten Objekte abzuwerten oder sogar Gerüchte über Sie zu verbreiten, um ihnen zu schaden und das eigene positive Selbstwertgefühl wieder aufrecht erhalten zu können.[20]

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Neid sowohl eine konstruktive als auch eine destruktive Seite hat. Neid kann motivieren und Individuen anregen ihre eigenen Ziele und Wünsche im Leben zu erfüllen. Neid kann jedoch auch weh tun und Beziehungen oder gar das eigene Selbst schleichend zerstören.

 

Lässt sich Neid messen?

 

Neid lässt sich insofern schwer messen, da die unangenehme Emotion häufig von Individuen verschwiegen wird. In der empirischen Datenlage existieren mit der Neidskala von Belk (1984)[21] sowie der „York-Neid-Skala“ von Gold (1996)[22] zwei verschiedene Messinstrumente. Im Gegensatz zu Belks Items, schafft es die York-Neid-Skala die Emotion des Neides nahezu frei von sozialer Erwünschtheit oder Eifersucht zu erfassen. Zu diesem Zweck wurden 20 Items herausgearbeitet, die beispielsweise Aussagen wie „Ich ärgere mich, wenn andere Erfolg haben“, bei den Probanden erfragen. Eine weitere Alternative zur Fragebogenerfassung ist die Neidmessung mittels Verteilungsspielen. Hier wird den Testpersonen eine fiktive Ausgangslage vorgelegt, in  dem ihr die Summe von 1000 Euro zugeteilt wird. Im Gedankenexperiment müssen die Probanden dann entscheiden wieviel von dem Geld sie einer anderen Person abgeben würden. Nur, wenn diese die Summe als akzeptabel einstuft und annimmt, dürfen beide Parteien das Geld behalten. Sofern die Summe zu gering eingestuft und abgelehnt wird, ist das Geld für beide Teilnehmer verloren. Ca. 30% der Testpersonen gaben laut Studien weniger als 30% der erhaltenen Summe ab und verloren durch ihre Neidgefühle alles. Der Rest der Probanden sah eine gerechte Teilung von 40-50% der Summe als angemessen an und wurde mit dem Erhalt des Geldes belohnt. [23]

 

Rasenpflege: Wie sich Neid verringern lässt

 

Laut der Botanik wird der eigene Rasen erst durch die richtige Pflege schön, die aus regelmäßigem Mähen, Vertikutieren, Belüften und Düngen besteht.[24] Wenn das Gras hinter dem Zaun grüner ist und Neid sich breit macht, dann kann dies ein Zeichen sein, sich zunächst den eigenen Rasen genau anzuschauen. Exline und Zell (2008) empfehlen Betroffenen ihre eigene Einstellung zu ihren Werten und Zielen im Leben mittels Verfahren der kognitiven Verhaltenstherapie zu überprüfen. Wichtige Kernfragen, um das Gefühl des Neides zu relativieren könnten sein: „Ist es für mich überhaupt von Bedeutung einen sattgrünen Rasen zu haben?“ oder „Garantiert ein Sportwagen oder Designerkleidung wirklich, Liebe und Sicherheit zu finden?“. Eine weitere Möglichkeit ist es die Motivation aus dem unangenehmen Gefühl zu nutzen und die eigenen Fähigkeiten aktiv selbst zu steigern, etwa den Rasen zu düngen oder eine Schulung zur richtigen Rasenpflege zu belegen.[25] Auch die Einübung von Dankbarkeit stellt eine Möglichkeit dar, das nagenden Gefühl des Neides zu reduzieren. Eine Wiese kann auch schön sein, wenn sie nicht sattgrün ist. Sie kann uns einen weichen Platz zum Liegen bieten oder Tieren einen neuen Lebensraum. Vertreter der positiven Psychologie empfehlen in diesem Zusammenhang das Führen sogenannter Dankbarkeitstagebücher, indem Individuen jeden Tag drei Dinge notieren für die sie dankbar sind.[26]

In anderen Fällen kann auch die Einübung von Akzeptanz eine erleichternde Wirkung haben und inneren Frieden wiederherstellen. Denn wie sich unser Rasen entwickelt, können wir nur teilweise selbst beeinflussen. Viele Faktoren hängen auch mit der Bodenbeschaffenheit zusammen auf dem unsere Wiese wächst. Wenn wir uns immer nur mit denen vergleichen, die auf fruchtbareren Boden gesät haben, dann schadet uns das auf Dauer. Wills (1981) empfiehlt sogenannte soziale Abwärtsvergleiche einzuüben, indem der Fokus bewusst von der beneideten Person auf Menschen in schlechteren Lagen gelegt wird. Die sozialen Abwertungen können vor allem durch imaginäre Annäherung abgemildert werden. Zu diesem Zweck können sich Individuen die beneideten Personen in ganz alltäglichen oder verletzlichen Situationen imaginieren, etwa beim Schlafen oder als kleines Kind. [27]

Personen, die häufig selbst beneidet werden, fühlen sich mitunter auch unwohl. Sie profitieren am ehesten, indem sie ihre Erfolge und Stärken nicht übermäßig hinauszuschreien und im Gegensatz auch Fehler einzugestehen. Prophylaktisch haben sich gute soziale Beziehungen als bewährtes Mittel gegen Neid und Missgunst erwiesen.[28]

 

Wie grün ist deine Wiese?

 

Fußnoten

 

[1] Bucher (2011, S. 41)

[2] Schimmel (1997, S. 57)

[3] LeDoux und Griese (2001); Schmidt-Atzert, Stemmler und Peper (2014)

[4] Rauh (2002, S. 204)

[5] Lewis (2007, S.134-135)

[6] Freud (1969, S. 556)

[7] Klein (2000, S. 288)

[8] Bucher (2011, S. 53)

[9] Frankel und Sherick (1977)

[10] Bucher (2011, S. 54)

[11] Haubl (2001, S. 173)

[12] Trautner (1997, S. 93-94)

[13] Hopfensitz (2005, S. 235)

[14] Bucher (2011, S. 58)

[15] Gräbner (2009)

[16] Smith und Kim (2006, S. 47)

[17] Gräbner (2009)

[18] Tai, Narayanan und McAllister (2012, S. 109)

[19] Bucher (2011, S. 58)

[20] Wert und Salovey (2004, S. 127)

[21] Belk (1984, S. 291)

[22] Gold (1996)

[23] Hopfensitz (2005, S. 246)

[24] Kleingärtnerin.de

[25] Exline und Zell (2008, S. 321)

[26] Bannink (2012, S. 68)

[27] Wills (1981, S. 268)

[28] Exline und Zell (2008, S. 326)

 

Literatur

 

Bannink, F. P. (2012). Praxis der Positiven Psychologie. Göttingen: Hogrefe Verlag.

Belk, R. W. (1984). Three scales to measure constructs related to materialism: Reliability, validity, and relationships to measures of happiness. ACR North American Advances.

Bucher, A. (2011). Geiz, Trägheit, Neid & Co. in Therapie und Seelsorge: Psychologie der 7 Todsünden. Berlin Heidelberg: Springer.

Exline, J. J. & Zell, A. L. (2008). Antidotes to envy: A conceptual framework. Envy: Theory and research, 315-331.

Frankel, S. & Sherick, I. (1977). Observations on the development of normal envy. The Psychoanalytic study of the child, 32(1), 257-281.

Freud, S. (1969). Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse. Und neue Folge, Studienausgabe Band I. Frankfurt am Main: Fischer.

Gold, B. T. (1996). Enviousness and its relationship to maladjustment and psychopathology. Personality and Individual Differences, 21(3), 311-321.

Gräbner, M. (2009). „Neiden tut weh“ und die fiese Schwester Schadenfreude. Verfügbar unter: https://www.heise.de/tp/features/Neiden-tut-weh-und-die-fiese-Schwester-Schadenfreude-3421797.html [Zugriff: 24.11.2019].

Haubl, R. (2001). Neidisch sind immer nur die anderen: über die Unfähigkeit, zufrieden zu sein: CH Beck.

Hopfensitz, A. (2005). Eifersucht: Eine Leidenschaft die Leiden schafft. Uwe Mummert/Sell, Friedrich L., Emotionen, Markt und Moral, Kulturelle Ökonomik, Bd, 7, 233-253.

Klein, M. (2000). Neid und Dankbarkeit. In Dies (Hrsg.), Gesammelte Schriften, Band 3 (S. 281–367). Stuttgart: Frommann-Holzboog.

Kleingärtnerin.de. Verfügbar unter: https://www.kleingaertnerin.de/ratgeber/der-rasen.html [Zugriff: 08.12.2019].

LeDoux, J. E. & Griese, F. (2001). Das Netz der Gefühle: wie Emotionen entstehen: Dt. Taschenbuch-Verlag.

Lewis, M. (2007). Self-conscious emotional development. In J. L. Tracy (Hrsg.), The self-conscious emotions: Theory and research (S. 134–149). New York: Guilford Press.

Rauh, H. (2002). Vorgeburtliche Entwicklung und frühe Kindheit. In R. Oerter & L. Montada (Hrsg.), Entwicklungspsychologie (S. 131–208). Weinheim: Beltz.

Schimmel, S. (1997). The seven deadly sins: Jewish, Christian, and classical reflections on human psychology.

Schmidt-Atzert, L., Stemmler, G. & Peper, M. (2014). Emotionspsychologie: Ein Lehrbuch: Kohlhammer Verlag.

Smith, T. W. & Kim, S. (2006). World opinion. National pride in comparative perspective: 1995/96 and 2003/04. International journal of public opinion research, 18(1), 127-136.

Tai, K., Narayanan, J. & McAllister, D. J. (2012). Envy as pain: Rethinking the nature of envy and its implications for employees and organizations. Academy of Management Review, 37(1), 107-129.

Trautner, H. M. (1997). Lehrbuch der Entwicklungspsychologie: Theorien und Befunde (Bd. 2): Hogrefe Verlag.

Wert, S. R. & Salovey, P. (2004). A social comparison account of gossip. Review of General Psychology, 8(2), 122-137.

Wills, T. A. (1981). Downward comparison principles in social psychology. Psychological bulletin, 90(2), 245.

 

Bildquelle Titelbild:

Bild von Salyasin auf Pixabay (https://pixabay.com/de/photos/tau-morgen-wiese-bokeh-morgentau-1507498/)

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