By Published On: 2. Oktober 2024Categories: Gesundheit, Psychologie, Wiki

Wie kommt es, dass bestimmte Menschen krank werden, während andere unter den gleichen Bedingungen gesund bleiben? Welche Kräfte bewirken es bei einem Menschen gesund zu bleiben oder gesund zu werden, während dies einem anderen nicht gelingt? Mit dieser Frage beschäftigte sich bereits in den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts der israelische Medizinsoziologe Aaron Antonovsky (1923-1994) und prägte mit seiner Arbeit den Begriff der Salutogenese. Er widmete sich nicht allein der Fragestellung was uns krank macht, sondern interessierte sich vielmehr dafür, wie Gesundheit entsteht und sich erhalten lässt (Lorenz, 2004, S. 24; Esch, 2018, S. 175). Salutogenese (lat. salus: Wohlbefinden, Zufriedenheit; griech. genesis: Entstehung, Herkunft) geht anders als die Risikofaktorenmodelle biomedizinischer Ansätze erweiternd von einem Modell aus, das sich mit situationsspezifischen Bedingungen und intrapsychischen Merkmalen bei der Bewältigung von Anforderungen beschäftigt. Also der Frage, wie Menschen trotz widriger Umstände gesund bleiben können (Reimann & Hammelstein, 2006, S. 13-14). Dabei betrachtete Antonovsky die Salutogenese nicht als Alternative, sondern als Ergänzung zur Pathogenese (Faltermaier, 2017, S. 50). Das Konzept der Salutogenese sieht nicht die Umstände allein, sondern unsere Fähigkeit, diese zu bewältigen, als den Schlüssel zu Gesundheit und Zufriedenheit an (Esch, 2018, S. 176).


Konzept der Salutogenese

Ein zentraler Aspekt von Antonovskys Ausführungen ist das Gefühl der Kohärenz. Dieses Kohärenzgefühl entwickele sich nach Antonovsky durch positive Lebenserfahrungen im Laufe der Kindheit, Jugend und dem frühen Erwachsenenalter und versteht darin eine tiefe Überzeugung und Zuversicht von Menschen, dass ihr Leben verstehbar, sinnvoll und zu bewältigen ist (Faltermaier, 2023a). Er geht von der Annahme aus, dass der Gesundheits- und Krankheitszustand eines Menschen wesentlich von seiner Lebenseinstellung sich selbst und anderen gegenüber beeinflusst wird. Dabei zeigt sich die Lebenseinstellung dynamisch und durch die Person aktiv veränderbar. Antonovsky beschreibt dabei drei Komponenten:

  • Verstehbarkeit

Das Vertrauen in das Gefühl der Verstehbarkeit meint die Fähigkeit des Menschen unterschiedliche Ereignisse, Eindrücke und Herausforderungen als erklärbar und verstehbar einzuschätzen.

  • Handhabbarkeit

Das Vertrauen in das Gefühl der Handhabbarkeit versteht die Überzeugung, dass anstehende Herausforderungen und Anforderungen durch eigene Ressourcen oder durch Ressourcen des sozialen Umfeldes bspw. in Form von Mobilisierung von Helfern und dem Schaffen von Netzwerken bewältigt werden können.

  • Sinnhaftigkeit

Das Vertrauen in das Gefühl von Sinnhaftigkeit beschreibt, inwieweit ein Mensch sein Leben als sinnvoll wahrnimmt. Damit einhergehend ist die Haltung, dass die sich stellenden Probleme und Herausforderungen es wert sind, gemeistert zu werden und somit als lohnende Aufgabe oder Anforderung definiert werden.

Das Vertrauen in das Gefühl der Verstehbarkeit, der Handhabbarkeit und der Sinnhaftigkeit beschreibt zusammenfassend das Gefühl der Kohärenz. Dieses Gefühl unterstützt das Selbstwirksamkeitserleben und trägt damit zur Gesunderhaltung eines Menschen bei (Behme-Matthiessen & Pletsch, 2020, S. 20-21; Reimann & Hammelstein, 2006, S. 15-16).

Abb. 1: Das Modell der Salutogenese nach Antonovsky 

Es überrascht, dass das Konzept der Salutogenese bis heute noch immer angezweifelt wird. Dabei spielt die falsche Vorstellung der Diskreditierung der etablierten Medizin mit ihrem pathogenetischen Schwerpunkt eine wesentliche Rolle. Jedoch war die Salutogenese nie als Alternative zum pathogenetischen Modell gemeint, sondern als Ergänzung. Sie sollte neben der Prävention ein Modell sein, dass zusätzlich auf das schaut, was unsere Gesundheit schützt, Widerstandsressourcen aufbaut oder stärkt und bestehende Belastungen reduziert. Antonovsky dachte das Modell der Salutogenese weniger ideologisch als pragmatisch als Erweiterung unserer Perspektive. Er verstand Gesundheit nicht als Zustand, sondern vielmehr als dynamischen Prozess, der den Menschen als auf einem Kontinuum zwischen Gesundheit und Krankheit pendelnd betrachtet. Aufgrund dieser Sichtweise erfasst die Salutogenese nicht nur Menschen, die als krank bezeichnet werden, sondern auch alle, die ihre Gesundheit erhalten wollen, diese wiederherstellen, fördern und stärken wollen (Esch, 2018, S. 175-176). Im Rahmen des Heilungsprozesses bei Erkrankungen ist es sinnvoll und notwendig neben der Auseinandersetzung mit pathogenetischen Faktoren auch immer die dem Menschen zur Verfügung stehenden Ressourcen zu erfassen und diese aktiv einzubeziehen.

Fazit

Das Modell der Salutogenese gilt als eines der wichtigsten Modelle zur Erklärung von Gesundheit. Basierend auf dem Verständnis von Gesundheit und Krankheit als Kontinuum hat das Modell das Ziel, Bewegungen auf diesem Kontinuum zu erklären. Internationale Studien zeigen, dass sich wesentliche Annahmen des Modells bestätigen lassen (Faltermaier, 2023a). Gleichwohl sind diese nur als Anfang der Salutogenese Forschung zu verstehen, die ergänzt und erweitert werden muss. Kritisch betrachtet wird, dass das Modell soziale Unterschiede bei Gesundheit zu wenig berücksichtigt. Darüber hinaus wird angezweifelt, dass sich, wie Antonovsky postuliert, das Kohärenzgefühl von Menschen nur bis zum 30. Lebensjahr aufbaut und dann nicht mehr verändert. Neuere Studien zeigen, dass sich das Kohärenzgefühl auch in späteren Lebensphasen erheblich wandeln kann. Es wird deutlich, dass Weiterentwicklungen des Modells der Salutogenese notwendig sind. Die Salutogenese als ein für Theorie, Forschung und Praxis wichtiges Konzept hat ein bedeutendes Potenzial für die Bevölkerung und ist eine wertvolle Grundlage für neue Ansätze in der Gesundheitsförderung (Faltermaier, 2023a). Ein Kernaspekt der Salutogenese ist, dass weniger die Fremdbestimmung als die Partizipation, also aktive Beteiligung, Selbstwirksamkeit und eigene Kompetenz im Mittelpunkt der salutogenetischen Perspektive steht. Gesundheit ist in diesem Sinne nur durch unser Mitwirken möglich (Esch, 2018, S. 176-177).


Literaturverzeichnis

Antonovsky, A. (1980). Health, stress, and coping (The Jossey-Bass social and behavioral science series) (1st ed.). San Francisco: Jossey-Bass Publishers.

Behme-Matthiessen, U. & Pletsch, T. (Hrsg.). (2020). Lehrbuch der Multifamilientherapie: Grundlagen, Methoden, Anwendungsfelder (Lehrbuch). Berlin [Heidelberg]: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-61196-8

Esch, T. & Eckart von. (2018). Der Selbstheilungscode: die Neurobiologie von Gesundheit und Zufriedenheit(Goldmann) (1. Auflage, vollständige Taschenbuchausgabe.). München: Goldmann.

Faltermaier, T. (2017). Gesundheitspsychologie (Grundriss der Psychologie) (2., überarbeitete und erweiterte Auflage.). Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer.

Faltermaier, T. (2023a). Salutogenese. Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). https://doi.org/10.17623/BZGA:Q4-I104-3.0

Faltermaier, T. (2023b). Gesundheitspsychologie (Grundriss der Psychologie / herausgegeben von Bernd Leplow und Maria von Salisch) (3., aktualisierte Auflage.). Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer.

Lorenz, R.-F. & Hilarion. (2004). Salutogenese: Grundwissen für Psychologen, Mediziner, Gesundheits- und Pflegewissenschaftler. München Basel: Reinhardt.

Reimann, S. & Hammelstein, P. (2006). Ressourcenorientierte Ansätze. In B. Renneberg & P. Hammelstein, Philipp (Hrsg.), Gesundheitspsychologie. Heidelberg: Springer Medizin Verlag.

Renneberg, B. & Hammelstein, P. (Hrsg.). (2006). Gesundheitspsychologie (Springer-Lehrbuch Bachelor/Master). Heidelberg: Springer Medizin-Verl.

Abbildungen

Titelbild: chenspec (2020), Zugriff am 19.06.2023, verfügbar unter: https: https://pixabay.com/de/photos/die-gesundheit-fitness-4861815

Abb. 1: Antonovsky (1980), S. 184, nach Faltermaier, 2023b, S. 80

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