By Published On: 4. Februar 2023Categories: Digitalisierung, Technologie, Wirtschaft

Viele Unternehmen wie beispielsweise Spreadshirt oder Nike mit dem Programm Nike By You zeigen eine Abkehr des klassischen Modells der Massenproduktion: Diese Unternehmen bieten ihren Kunden die Möglichkeit, sich individuelle Produkte zu kreieren, die anschießend auch käuflich erworben werden können. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von Mass Customization. In diesem Beitrag soll dargelegt werden, was genau Mass Customization ist und warum dieser Ansatz für Unternehmen interessant und wichtig sein kann.

Das Ende des Massenmarkts

Bereits seit Jahrzehnten wird das Ende des klassischen Massenmarkts thematisiert:

„It is my belief that the ‘mass market‘ is dead – segmentation has now progressed to the era of mass customization.“

(Kotler, 1989, S. 47)

„Das menschliche Bedürfnis nach Abwechslung und Neuheit ist genau so groß, wie der Wunsch zu überleben. Die Massenproduktion hat ihren Reiz verloren, weil immer mehr Menschen die gleichen oder ähnliche Gegenstände besitzen.“

(Fournier, 1994, S. 56)

Der Grund dafür liegt in der Massenfertigung und den Kundenerwartungen: In der Massenfertigung werden Produkte so entwickelt, dass sie idealerweise den Vorstellungen möglichst vieler Nachfrager entspricht. Durch diese „Mittelwertbildung“ kommt es jedoch zu Abweichungen zwischen den Eigenschaften eines Produktes und den Erwartungen der Kunden: Je größer die Abweichungen des Produktes von den eigenen Erwartungen sind, desto schlechter fällt die Bewertung des Produktes aus, so dass Kunden ein Produkt nicht im Kaufentscheidungsprozess berücksichtigen oder wiederkaufen (Piller, et al., 2017, S. 86).  Es kommt hinzu, dass Kunden verstärkt Standardprodukte ablehnen. Schließlich wächst der Wunsch nach Selbstverwirklichung und Unabhängigkeit bei den Konsumenten (Baena, 2016, S. 93-94). 

Definition Mass Customization

Mass Customization setzt genau an dieser Stelle an und versucht, die individuellen Bedürfnisse der Konsumenten zu berücksichtigen. Entsprechend formulierte es Davis, der den Begriff Mass Customization als einer der ersten aufgriff:

„Mass Customization of markets means that the same large number of customers can be reached as in mass markets of the industrial economy, and simultaneously they can be treated individually as in the customized market of pre-industrial economics.“

(Davis, 1987, S. 169)

Mass Customization soll somit die Vorteile der Massenproduktion (Mass Production) mit den Vorteilen der kundenindividuellen Anpassung (Customization) vereinen. Die Produkte werden dabei für einen großen Absatzmarkt produziert, wobei die Konsumenten die Produkte durch Interaktion mit dem Unternehmen an die eigenen Bedürfnisse anpassen können. Die Preise der Produkte ähneln dabei vergleichbaren Standardprodukten (Piller, et al., 2017, S. 87).  Bei der Realisierung lassen sich verschiedene Formen unterscheiden (Werner, 2020, S. 166-168):

  • Soft Customization: Die individuelle Anpassung der Produkte erfolgt außerhalb der Fertigung, z.B. durch individuelle Dienstleistungen oder durch Anpassungen am Point-of-Sale.
  • Hard Customization: Hier erfolgt ein Eingriff in die Fertigung, die Kunden haben direkt Einfluss auf das Produkt, z.B. wenn man sich sein Auto nach dem Baukastenprinzip selbst zusammenstellt.

Kosten der Mass Customization

Die Muss Customization führt bei den Unternehmen, die Hard Customization betreiben, zu höheren Kosten. So sind im Bereich der Produktion höhere Investitionen nötig, da die wechselnden Bearbeitungsschritte durch zusätzliche und flexiblere Maschinen bewältigt werden müssen. Auch werden zur Bedienung der Maschinen oftmals qualifiziertere und somit teurere Mitarbeiter benötigt. Die Komplexität der Produktion steigt durch die vielen möglichen Varianten, was die Produktionsplanung deutlich aufwändiger macht. Zusätzlich steigen auch die Kosten in der Materialhaltung, denn schließlich müssen nun für die verschiedenen Produktvarianten unterschiedliche Materialien vorgehalten werden. Dadurch steigen auch die Aufwände im Bestellwesen. Die Kosten steigen aber auch im Qualitätswesen: Die klassische stichprobenartige Kontrolle der Massenproduktion erweist sich als nicht mehr ausreichend, da hier nun jede neu produzierte Variante genau geprüft werden muss (Piller, et al., 2017, S. 92-93). Entsprechend muss bereits frühzeitig über die absetzbaren Mengen nachgedacht werden, damit sich die Investitionen amortisieren (Heinemann, 2022, S. 326).

Aber auch mit Blick auf den Kunden fallen zusätzliche Kosten an. So steigen die Informations- und Kommunikationskosten, weil die Kundenwünsche ermittelt werden müssen, z.B. durch Beratungen oder durch Produktkonfiguratoren. Zusätzlich können Anstrengungen nötig sein, um bei dem Kunden Vertrauen aufzubauen – schließlich können diese das Produkt oftmals nicht im Vorfeld begutachten und die Qualität einschätzen. Auch können die vielen Auswahlmöglichkeiten die Kunden überfordern, so dass die Kunden durch den Anpassungsprozess geleitet werden müssen (Piller, et al., 2017, S. 93-95).

Vorteile der Mass Customization

Die höheren Kosten der Mass Customization im Vergleich zur klassischen Massenproduktion können durch verschiedene Effekte aufgefangen werden. Dadurch, dass die Kunden individuelle Produkte erhalten, kann es zu einer Abgrenzung von der Konkurrenz und zur Sicherung von Marktanteilen kommen (Heinemann, 2022, S. 325).

Darüber hinaus kann die Mass Customization zu einer höheren Zahlungsbereitschaft bei den Konsumenten führen. Sie erhalten schließlich ein Produkt, das genau auf ihre spezifischen Bedürfnisse zugeschnitten ist. Auch haben sich die Potenziale moderner Produktions- und Informationstechnologien so verbessert, dass eine Realisierung der Mass Customization zu geringeren Kosten und somit zu geringeren Stückkosten möglich wird (Piller, et al., 2017, S. 93-95).

Zusätzlich ergeben sich Vorteile durch die direkte Interaktion mit den Konsumenten. Diese können, wenn der Prozess der Individualisierung passend gestaltet ist, Freude an der Gestaltung der Produkte entwickeln. Auch kann der Gestaltungsprozess dazu führen, dass die Kunden sich intensiver mit ihren Wünschen und Bedürfnissen auseinandersetzen. Da diese Wünsche und Bedürfnisse spätestens bei der Bestellung auch an das Unternehmen übermittelt werden, kann das Unternehmen viel über die Zielgruppe lernen (Baena, 2016, S. 94). Dies ermöglicht wiederum eine effizientere Marktbearbeitung, bei der Fehlprognosen vermieden und die Kosten für Distributionslager gesenkt werden können. Auch die Kundenbindung kann erhöht werden, da die Kunden Produkte erwerben können, die genau auf ihre Wünsche und Bedürfnisse zugeschnitten sind (Piller, et al., 2017, S. 96-97).

Fazit

Bei den Konsumenten wächst der Wunsch nach Selbstverwirklichung und Unabhängigkeit, was dazu führt, dass sie zunehmend Standardprodukte ablehnen. Einige Experten sagen daher das Ende des Massenmarktes voraus. Mit Mass Customization wurde ein Konzept entwickelt, dass die Vorteile der Massenproduktion (Mass Production) mit den Vorteilen der kundenindividuellen Anpassung der Produkte (Customization) vereinen soll. Auch wenn Mass Customization mit höheren Kosten im Vergleich zur klassischen Massenfertigung verbunden ist, so können sich doch viele Vorteile ergeben, die diese Kosten mindestens ausgleichen können. Hier sind vor allem eine erhöhte Kundenbindung, eine höhere Zahlungsbereitschaft, sowie die Abgrenzung zur Konkurrenz und die Sicherung von Marktanteilen zu nennen.

Literatur

Baena, V. (2016). The Next Revolution in Mass Customization: A insight into the sneaker market. International Journal of Marketing, Communication and New Media, 6(4), 85-104.

Davis, S. M. (1987). Future Perfect. Reading: Basic Books.

Fournier, G. (1994). Informationstechnologien in Wirtschaft und Gesellschaft. Berlin und Heidelberg: Springer.

Heinemann, G. (2022). Der neue Online-Handel – Geschäftsmodelle, Geschäftssysteme und Benchmarks im E-Commerce (13. Aufl.). Wiesbaden: Springer Gabler.

Kotler, P. (1989). Form Mass Marketing to Mass Customization. Planning Review, 17(5), 10-47.

Piller, F., Möslein, K., Ihl, C. & Reichwald, R. (2017). Interaktive Wertschöpfung kompakt: Open Innovation, Individualisierung und neue Formen der Arbeitsteilung. Wiesbaden: Springer Gabler.

Werner, H. (2020). Supply Chain Management – Grundlagen, Strategien, Instrumente und Controlling (7. Aufl.). Wiesbaden: Springer Gabler.

Bildquelle

Carvell, N. (2018). The new Nike iD Direct Studio is the future of customised kicks. Zugriff am 11.11.2022. Verfügbar unter https://www.gq-magazine.co.uk/article/nike-id-london

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