By Published On: 11. Februar 2023Categories: Digitalisierung, Kommunikation, Technologie

Die Psychologie lebt von der Begegnung und Beobachtung von Menschen. High-Tech und Mensch-Maschinen-Interaktionen scheinen hierbei zunächst fehl am Platze. Doch bieten neue Technologien weitreichende Chancen zur Weiterentwicklung der psychologischen Forschung und Therapiemöglichkeiten. Erste massentaugliche Produkte sind bereits auf dem Markt erhältlich.

Aus diesem Grunde lohnt sich ein Blick auf nutzerbasierte Technologien wie Virtual Reality (VR), Bio- und Neurofeedback, sowie künstliche Intelligenz und app-basierte Therapiemaßnahmen.

Bio- und Neurofeedback

Fürs Neurofeedback werden am Kopf des Patienten Sensoren befestigt, die Hirnströme aufnehmen. Quelle: Bild von ulrichw auf Pixabay.

Seit der Gesundheitssektor einen starken Fokus auf Prävention und integratives Symptommanagement legt, werden biopsychosoziale Ansätze in der Psychologie immer bedeutsamer.

Biofeedback misst körpereigene Funktionen wie Puls, Atmung oder Blutdruck. Tragbare Messgeräte melden Frequenzen und Schwankungen, z.B. Atemveränderungen, zurück und machen über Echtzeit-Benachrichtungen physiologisches Stressmanagement aus erster Hand erfahrbar (Smith, Santoro & Susi, 2020). Der Patient lernt Biofeedback-basierte Entspannungsmethoden und Selbstregulierung und nimmt somit aktiv an der Behandlung chronischer Krankheiten wie Angststörungen teil (Austad & Gendron, 2018). 

Neurofeedback als Unterkategorie des Biofeedbacks misst Gehirnwellen und neurologische Aktivierung in Verbindung mit unterschiedlichen psychologischen Prozessen und Verhaltensweisen (Sterman & Wyrwicka, 1967). Studien zeigen neben dem Einsatz zur Rehabilitation auch einen wachsenden Trend zur Anwendung bei gesunden Menschen zur Verbesserung des Arbeitsgedächtnis, der Stimmung oder auch der Schlafqualität (Da Silva & De Souza, 2021). 

Bio- und Neurofeedback machen Auffälligkeiten sichtbar. Dadurch steigert die Erfahrbarkeit dieser die Akzeptanz von Krankheiten und Therapiemöglichkeiten bei Patienten. Doch scheint es weiterhin fraglich, ob über Biofeedback Therapieergebnisse auch ohne den zwischenmenschlichen Kontakt mit Ärzten und Therapeuten erzielt werden können (Cuijpers & Quero, 2019).

Anwendungsbeispiele

Myndlift ist ein Startup, das Neurofeedback für jedermann zugänglich macht. Über Elektkroenzephalographie (EEG) wird die Gehirnaktivität des Nutzers in Echtzeit gemessen. Die Ergebnisse werden über eine Software analysiert und visualisiert. Zusätzlich zur datenbasierten Rückmeldung bietet Myndlift darauf aufbauend therapeutische Hilfe über Videocalls an.

SensaFlow misst Gehirnaktivitäten des präfrontalen Kortex und coacht Nutzer über stimulierende Aufgaben (‚Gehirnjogging‘) und Neurofeedback ihre Gedächtnisleistung, ihren Fokus oder ihre Entscheidungskraft zu stärken.

Virtual Reality (VR)

Virtuelle Realitäten eröffnen neue Perspektiven auf unsere Herausforderungen im Alltag. Quelle: Bild von Pexels auf Pixabay.

Bereits seit der Jahrtausendwende kommen virtuelle Realitäten (VR) in der Psychologie zur Anwendung (Wilson, 2015). Über visuelle Wiedergabegeräte tauchen VR-Nutzer in künstlich erzeugte Welten ein und erleben diese im realistischen 3-D-Format. VR wird u.a. zur Behandlung von Angststörungen, Autismus und post-traumatischen Belastungsstörungen eingesetzt (Tumolo, 2020). Auf spielerische Art und Weise ermöglicht VR einen Perspektivwechsel in der Psychotherapie. In experimentellen Settings erlaubt VR auf diese Weise hohe ökologische Validität bei gleichzeitig hoher Kontrolle (Loomis & Blascovich, 1999; Wilson, 2015).

Anwendungsbeispiele

EndeavorRX wurde für Kinder im Alter von 8 bis 12 Jahren mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom (ADHS) entwickelt und schafft eine virtuelle Realität, in der sie sich auf mehrere Aufgaben gleichzeitig konzentrieren müssen. Leistungsfortschritte werden spielerisch belohnt und in Echtzeit von Therapeuten und Eltern mitverfolgt. 

Limbix bietet eine Software an, mit welcher Therapeuten stressige oder traumatisierende Situationen simulieren können, um depressiven Jugendlichen zu helfen, ihre Ängste zu überwinden.

Amelia Virtual Care bietet eine VR-Plattform für Therapeuten. Über visuelle Wiedergabegeräte können verschiedene Situationen in der kognitiven Verhaltenstherapie nachgestellt werden. Sensoren messen die physiologische elektrodermale Reaktion der Patienten zur weiteren Analyse in der integrierten Therapie.

Künstliche Intelligenz und „smarte“ Therapie

Behandlungstipps sind dank Smartphone-Apps in Echtzeit erfahrbar. Quelle: Bild von Firmbee auf Pixabay.

Bereits seit den Neunzigern wissen wir, dass Computertechnologien die Dokumentation und Auswertung kognitiver Lernprozesse stark vereinfachen (Kumar, Helgeson & White, 1994). Online-Therapie eröffnet ganz neue Wege. So werden hybride Behandlungen aus einer Kombination klassischer Psychotherapie, ortsungebundener Live-Sitzungen und Gesundheitsapps möglich (Moshe et al.,2021). Über Online-Systeme können Patienten nutzerfreundlich, täglich Symptomatiken erfassen und übermitteln. Ein intelligenter Algorithmus analysiert diese Daten für den behandelnden Therapeuten sowie den Patienten selbst. So können in Echtzeit Behandlungstipps und auch Warnmeldungen übermittelt werden. Symptomverfolgung wird einfacher und macht es möglich, in Echtzeit zu reagieren und Behandlungen zielführend anzupassen (Luxton, McCann, Bush, Mishkind & Reger, 2011).

Viele Therapeutinnen und Therapeuten boten vor allem mit dem plötzlichen Beginn der Covid-19 Pandemie notgedrungen die klassische Psychotherapie online an. Studien zeigen jedoch, dass weitere Schulungen und Investitionen in die Ausbildung und Vorbereitung der Therapeuten auf Online-Therapie notwendig sind, um die Wirksamkeit zu erhöhen (Benzel & Graneist, 2023; Taknint, Rojas Perez, Mattar & Piwowarczyk, 2022; Lin, Stone, Heckman & Anderson, 2021). Wenngleich Online-Therapie im Großen und Ganzen den Zugang zu Therapiemöglichkeiten erhöht, ist sie außerdem nicht in allen Fällen, beispielsweise in der Traumabehandlung, geeignet (Khatib, Gelkopf, Kapolnik & Hassan-Abbas, 2022). Insgesamt ist mehr Forschung zu psychologischen Online-Diensten erforderlich, um praktische Empfehlungen zu geben (Rathenau, Sousa, Vaz & Geller, 2022).

Anwendungsbeispiele

Applikationen wie Ellipsis, die sich künstlicher Intelligenz zunutze machen, erkennen über Stimm- und Sprachmuster emotionale Probleme. Chatbots wie Woebot und Wysa helfen Patienten, Strategien der kognitiven Verhaltenstherapie zu üben und symptomatische Schwankungen zwischen Behandlungsterminen zu managen. Die digitale Symptomverfolgung von Unternehmen wie Symple stellt einen entscheidenden Schritt zur Optimierung der psychischen Gesundheitsversorgung dar.

Keine Scheu vor dem technologischen Assistenten

Neue Technologien durchdringen unser tägliches Leben und haben ihren Eingang in die Psychologie gefunden. Die beispielhaft geteilten Tech-Lösungen ermöglichen nicht nur eine effiziente Symptombeobachtung und -erkennung. Sie können Nutzer durch Visualisierungen psychologischer Probleme und mentaler Fortschritte zum Handeln motivieren. VR kann dabei helfen, neue Fähigkeiten in einer realistischen Umgebung zu üben. Echtzeit-Datenströme haben das Potenzial, Behandlungspläne zu verbessern. 

Technologien werden jedoch einen menschlichen Berater nicht ersetzen. Sie sind lediglich Assistent in der integrierten Therapie. Dieser steht jedoch rund um die Uhr zur Verfügung und kann Patienten in der Genesung und beim Selbstmanagement unterstützen und damit die wahrgenommene Selbstwirksamkeit steigern.


 

Literatur

Austad, C. S., & Gendron, M. S. (2018). Biofeedback: Using the power of the mind-body connection, technology, and business in psychotherapies of the future. Professional Psychology: Research and Practice49(4), 264-273.

Benzel, S., & Graneist, A. (2023). ’Bye, click, and gone’ – A qualitative study about the experiences of psychotherapists and adolescent patients on remote treatment   during the COVID-19 pandemic. Psychoanalytic Psychology

Cuijpers, P., & Quero, S. (2019). Wearable devices in the treatment of mental disorders: Motivational gadgets or new opportunities to improve treatments? Clinical Psychology: Science and Practice26(3), 1-3.

Da Silva, J. C., & De Souza, M. L. (2021). Neurofeedback training for cognitive performance improvement in healthy subjects: A systematic review. Psychology & Neuroscience14(3), 262-279.

Kaiser, A., Haller, S., Schmitz, S., & Nitsch, C. (2009). On sex/ gender related similarities and differences in fMRI language research. Brain Research Reviews, 61, 49-59.

Khatib, A., Gelkopf, M., Kapolnik, E., & Hassan-Abbas, N. (2022). The assessment of effectiveness by therapists of online therapy during the COVID-19 pandemic era in Israel. Journal of Psychotherapy Integration32(1), 83-94. 

Kumar, D. D., Helgeson, S. L., & White, A. L. (1994). Computer technology-cognitive psychology interface and science performance assessment. Educational Technology Research and Development42(4), 6-16.

Lin, T., Stone, S. J., Heckman, T. G., & Anderson, T. (2021). Zoom-in to zone-out: Therapists report less therapeutic skill in telepsychology versus face-to-face therapy during the COVID-19 pandemic. Psychotherapy58(4), 449-459. 

Loomis, J. M. & Blascovich, J. J. (1999). Immersive virtual environment technology as     a basic research tool in psychology. Behavior Research Methods, Instruments & Computers, 31(4), 557-564.

Luxton, D. D., McCann, R. A., Bush, N. E., Mishkind, M. C., & Reger, G. M. (2011). mHealth for mental health: Integrating smartphone technology in behavioral healthcare. Professional Psychology: Research and Practice42(6), 505-512. 

Moshe, I., Terhorst, Y., Philippi, P., Domhardt, M., Cuijpers, P., Cristea, I., Pulkki- Råback, L., Baumeister, H., & Sander, L. B. (2021). Digital interventions for the treatment of depression: A meta-analytic review. Psychological Bulletin147(8), 749-786. 

Rathenau, S., Sousa, D., Vaz, A., & Geller, S. (2022). The effect of attitudes toward online therapy and the difficulties perceived in online therapeutic presence. Journal of Psychotherapy Integration32(1), 19-33. 

Smith, E. N., Santoro, E., Susi, M., & Crum, A. J. (2020). Supplemental Material for Integrating Wearables in Stress Management Interventions: Promising Evidence From a Randomized Trial. International Journal of Stress Management27(2), 172-182.

Sterman, M. B., & Wyrwicka, W. (1967). EEG correlates of sleep: Evidence for separate forebrain sub- strates. Brain Research, 6(1), 143-163.

Taknint, J. T., Rojas Perez, O. F., Mattar, S., & Piwowarczyk, L. (2022). Teletherapy trauma treatment in context: Caring for refugee patients during and beyond the COVID-19 pandemic. Practice Innovations

Tumolo, J. (2020). Virtual Reality: A Game-Changer for Mental Health Treatment? The 2020 Elevate by Psych Congress conference. Zugriff am 11.01.2023, Verfügbar unter https://www.hmpgloballearningnetwork.com/site/pcn/article/virtual-reality-game-changer-mental-health-treatment

Wilson, Christopher & Soranzo, Alessandro. (2015). The Use of Virtual Reality in Psychology: A Case Study in Visual Perception. Computational and mathematical methods in medicine, 2015, 1-7.

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