By Published On: 7. April 2021Categories: Pädagogik, Psychologie

Bilingualität ist eine zunehmend wichtige Fähigkeit in unserer Gesellschaft. Meist sind es Kinder aus zugewanderten Familien, die die Chance haben, von frühester Kindheit an zweisprachig (oder auch mehrsprachig) aufzuwachsen (vgl. Kracke & Noack, 2018, S. 1). Besonders Eltern der Mittelschicht, die selbst eine gute Bildung erhalten haben, sind sich dem hohen Stellenwert der Bilingualität bewusst. In vielen Berufen sind gute Sprachkenntnisse längst Voraussetzung geworden. Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, bevorzugen Eltern bei ihren Kindern eine bilinguale Erziehung (vgl. Kracke & Noack, 2018, S. 2). 

Dieser Blogbeitrag zeigt, warum das Aufwachsen mit zwei Sprachen wichtig und förderlich ist für die familiale Kohäsion und eine reichhaltige häusliche Sprachumwelt sowie die kognitive und schulische Entwicklung. 

Bilinguale Erziehung in der frühen Kindheit

Zunächst sollte der Begriff Bilingualität erläutert werden. Doch die Definitionen gehen sehr weit auseinander. Forscher gehen davon aus, dass man in der frühen Kindheit nicht nur die Fähigkeit zum Erwerb einer Sprache, sondern zum Erwerb von mehreren unterschiedlichen Sprachen hat. Kinder lernen nämlich bei ausreichendem Kontakt zu Muttersprachlern die Lautbildung, die Struktur/Anordnung der Worte, Grammatik und den Wortschatz (vgl. Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina, 2014). Besonders effektiv ist es, wenn Kinder von Anfang an bilingual aufwachsen (vgl. De Houwer et al. 2014), oder wenn sie möglichst früh mit der zweiten oder dritten Sprache in Kontakt kommen, ist es durchaus möglich, bilinguale Sprachkompetenzen zu erwerben. Worin liegt nun der Unterschied zwischen denjenigen, die von Geburt an bilingual erzogen wurden und denjenigen, die erst im späteren Alter eine zweite Sprache lernen? Neurologisch gesehen gibt es Unterschiede mit reifungsbedingten Veränderungen in der Gehirnentwicklung. Ganz nach dem use-it-or-lose-it-Prinzip (Beseitigung bei Nichtgebrauch), werden die synaptischen Verbindungen gestärkt, die benutzt werden. Die anderen synaptischen Verbindungen – auch wenn sie vielleicht für das Erlernen der Zweitsprache wichtig wären – werden abgebaut. Die Gehirnstrukturen, die das Erlernen von Sprache in der frühen Kindheit so leicht machen, stehen ab spätestens der mittleren Kindheit nicht mehr zur Verfügung, wodurch stattdessen andere Hirnareale eingesetzt werden müssen. Dies erklärt, warum es älteren Kindern und Erwachsenen vergleichsweise viel schwerer fällt, eine neue Sprache zu lernen (vgl. Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina, 2014, S. 43).

Die Bedeutung von Bilingualität

Besonders Englisch hat sich immer mehr zur lingua franca, der Handelssprache, etabliert. Es ist die Sprache, die in fast allen europäischen Ländern unterrichtet wird, gefolgt von Deutsch, Französisch oder Spanisch. Weltweit gesehen ist Englisch die am weitesten verbreitete Sprache geworden, entweder als Mutter- oder Zweitsprache. Demnach ist es naheliegend, dass Eltern ihre Kinder so früh wie möglich Englischkenntnisse vermitteln möchten. In einigen Bundesländern hierzulande wird Englisch bereits in der Grundschule unterrichtet, damit Kinder bilingual werden. Aber auch zahlreiche Programme wie Auslandsaufenthalte im Teenageralter sind ein essenzieller Beitrag für die sprachliche Förderung. All diese Beiträge deuten darauf hin, dass Bilingualität wertgeschätzt wird und dass gesellschaftliche Institutionen (in schulischen und außerschulischen Bildungsmaßnahmen) sowie viele Eltern (durch das Bezahlen von Sprachkursen und Nachhilfe) bereit sind, Ressourcen hierfür aufzubringen (vgl. Kracke & Noack, 2018, S. 2–3).

Einfluss auf kognitive Entwicklung und schulische Kompetenzen

Fragen wie „Verwirrt Bilingualität Kinder?“, „Führt dies zu einer doppelten Halbsprachigkeit, bei der sie nachher weder die eine noch die andere Sprache beherrschen?“, „Sind Kinder mit Bilingualität völlig überfordert oder gibt es vielleicht positive Zusammenhänge von Bilingualität und der kognitiven Entwicklung?“ Frühere Studien aus den 1920er-Jahren haben sich mit diesen erwähnten Fragen auseinandergesetzt. So wurde auch festgestellt, dass zehnjährige Kinder, die englisch und französisch bilingual aufgewachsen sind, bei verbalen und non-verbalen IQ-Tests deutlich besser abschnitten als ihre monolingualen Klassenkameraden. Sie schlossen daraus auf vielfältigere mentale Fähigkeiten von bilingualen Kindern. Zudem haben zahlreiche Arbeiten von Ellen Bialystok (2009) gezeigt, dass Bilinguale Vorteile bei exekutiven Funktionen besitzen, wie die Fähigkeit, Instruktionen im Arbeitsgedächtnis zu behalten, ablenkende Reize zu unterdrücken und sich flexibel auf neue Instruktionen einzustellen. Diese exekutiven Funktionen entwickeln Kinder bereits im Alter von drei bis vier Jahren, wodurch ihre Fähigkeiten denen von vier- bis fünfjährigen monolingualen Kindern entsprechen (vgl. Carlson & Meltzoff, 2008, S. 282–298; vgl. Zelazo, et al., 2003, S. 11–27). Stocco et al. haben eine Theorie entwickelt, die neurowissenschaftliche Aspekte von Bilingualität und kognitiver Flexibilität verbindet und die Übertragungsgeschwindigkeit von Informationen im Gehirn berücksichtigt (vgl. Stocco et al., 2014, S. 67–92).

Fazit

Viele (zugewanderte) Eltern halten daran fest, mit ihren Kindern die Muttersprache zu sprechen und diese so weitergeben. Andere streben danach, ihren Kindern vor allem den Zugang zur deutschen Sprache zu ermöglichen, um so ihren Schulerfolg zu fördern. Der Fokus auf der deutschen Sprache wird von den Bildungsinstitutionen recht gut unterstützt. Doch die deutsche Sprache alleine genügt oftmals nicht: Für die Entwicklung der Eltern-Kind-Beziehung, die psychosoziale Adaption sowie die kognitive Entwicklung stellt Bilingualität eine wichtige Ressource dar. Jedoch wird insbesondere bei Familien aus Herkunftsländern, die wirtschaftlich als wenig bedeutend gelten, der Sprache dieser Länder nur eine geringe Bedeutung zugemessen. Hier ist ein Umdenken, sowohl bei Eltern als auch Bildungsinstitutionen notwendig. Konzepte, wie sowohl die Herkunftssprache gepflegt und gefördert als auch gute Deutschkenntnisse vermittelt werden können, stellen eine wichtige Aufgabe für die Entwicklungs- und pädagogische Psychologie dar (Chumak-Horbatsch, 2012; vgl. Kracke & Noack, 2018, S. 11–12).

Literaturverzeichnis

Carlson, S. M. & Meltzoff, A. N. (2008). Bilingual experience and executive functioning in young children. Developmental Science11(2), 282–298. https://doi.org/10.1111/j.1467-7687.2008.00675.x

Chumak-Horbatsch, R. (2012). Chumak-Horbatsch, R: Linguistically Appropriate Practice: A Guide for Working with Young Immigrant Children (2nd edition.). North York: University of Toronto Press.

Houwer, A. D., Bornstein, M. H. & Putnick, D. L. (2014). A bilingual–monolingual comparison of young children’s vocabulary size: Evidence from comprehension and production. Applied Psycholinguistics35(6), 1189–1211. Cambridge University Press. https://doi.org/10.1017/S0142716412000744

Kracke, B. & Noack, P. (2018). Handbuch Entwicklungs- und Erziehungspsychologie (1. Auflage). Berlin: Springer.

Stocco, A., Yamasaki, B., Natalenko, R. & Prat, C. S. (2014). Bilingual brain training: A neurobiological framework of how bilingual experience improves executive function. International Journal of Bilingualism18(1), 67–92. SAGE Publications Ltd. https://doi.org/10.1177/1367006912456617

Westermann, S. & Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina (Hrsg.). (2014). Frühkindliche Sozialisation: biologische, psychologische, linguistische, soziologische und ökonomische Perspektiven ; [Juli 2014, Stellungnahme] (Schriftenreihe zur wissenschaftsbasierten Politikberatung) (1. Auflage). Berlin: Mediabogen.

Zelazo, P. D., Muller, U., Frye, D., Marcovitch, S. & Sutherland, A. (o. J.). THE DEVELOPMENT OF EXECUTIVE FUNCTION IN EARLY CHILDHOOD, 89.

Beitragsbild: https://cdn.pixabay.com/photo/2018/06/18/23/03/europe-3483539__340.jpg

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