Digitale Barrierefreiheit wird zur Pflicht, und das ist längst überfällig. Ab Mitte 2025 müssen private Unternehmen in Deutschland ihre digitalen Angebote barrierefrei gestalten, das verlangt das neue Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG). Ziel ist, dass alle Menschen, auch mit Behinderungen, Internet-Angebote problemlos nutzen können. Bisher sind viele Webshops nicht barrierefrei. Laut Studie von Aktion Mensch und Google erfüllen zwei Drittel der großen deutschen Online-Shops die Anforderungen nicht. Das BFSG regelt nicht nur Produkte und Dienstleistungen im Online-Handel, sondern auch Hardware, Software und digitale Services. Einheitliche Standards sollen den Zugang erleichtern und gleichzeitig den deutschen Markt stärken. (Vgl. Aktion Mensch 2025)

Barrierefreiheit wird zur Verpflichtung und zur Verantwortung

Das BFSG ist ein eigenständiges Bundesgesetz in Deutschland. Es wurde am 10. Dezember 2022 verabschiedet und ist im Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden. Die gesetzlichen Grundlagen und konkreten Anforderungen finden sich im BFSG selbst sowie in ergänzenden Verordnungen wie der BFSGV. (Vgl. Bundesministerium des Innern 19.02.2025)

Es verpflichtet private Unternehmen ab Mitte 2025, ihre Produkte und Dienstleistungen so zu gestalten, dass sie für Menschen mit Behinderungen problemlos nutzbar sind. Das betrifft nicht nur Websites und Online-Shops, sondern auch Software, Hardware, Apps und digitale Services. Darunter fallen z.B. Telefone, E-Books oder Fahrkartenautomaten. Bisher gab es in Deutschland schon Regelungen zur Barrierefreiheit für öffentliche Einrichtungen, jetzt gilt das erstmals auch umfassend für die Wirtschaft. (Vgl. Bundesministerium des Innern 19.02.2025)

Zwischen Pflicht und Potenzial: Das BFSG als Chance für Wandel

Das BFSG verfolgt das Ziel, digitale Angebote für alle Menschen zugänglich zu machen und so Inklusion im Alltag zu fördern. Gleichzeitig ist es ein Instrument zur Stärkung des Binnenmarkts. Durch einheitliche Vorgaben soll die Verfügbarkeit barrierefreier Produkte und Dienstleistungen verbessert werden. (Bundesministerium des Innern 19.02.2025)

Für Unternehmen bedeutet das BFSG allerdings auch konkrete Anpassungspflichten. Websites, Software, digitale Services müssen barrierefrei gestaltet werden. Besonders kleinere Unternehmen stehen hier vor großen Herausforderungen. Sie müssen nicht nur technisches Know-how aufbauen, sondern auch finanzielle Mittel aufbringen, um gesetzeskonform zu arbeiten.

Deshalb sieht das Gesetz Ausnahmeregelungen für Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten vor. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales erarbeitet zudem Leitlinien, um diesen Unternehmen praxisnahe Orientierung zu geben. (Bundesministerium der Justiz 2025, Abs. 2 § 3)

So steht das BFSG exemplarisch für ein Spannungsfeld, das viele gesellschaftspolitische Vorhaben begleitet. Der Wille zur Veränderung trifft auf strukturelle und ökonomische Realitäten. Dennoch ist der Weg notwendig, auch wenn er mit Aufwand verbunden ist.

Selbst entscheiden statt fremdbestimmt funktionieren

Das BFSG verfolgt nicht nur technische oder wirtschaftliche Ziele – im Zentrum steht ein gesellschaftliches Anliegen: die Stärkung sozialer Teilhabe für Menschen mit Behinderungen. Indem Unternehmen verpflichtet werden, ihre digitalen Angebote barrierefrei zu gestalten, schaffen sie grundlegende Voraussetzungen für mehr Autonomie und ein selbstbestimmtes Leben. (Bundesministerium des Innern 19.02.2025, S. 38; Aktion Mensch 2023)

Digitale Barrierefreiheit ermöglicht nicht nur den Zugang zu Informationen und Dienstleistungen, sondern erweitert auch Handlungsspielräume im Alltag. Eine gemeinsame Studie von Aktion Mensch und dem SINUS-Institut (2023) zeigt eindrucksvoll, wie digitale Technologien das Leben vieler Menschen mit Behinderungen positiv verändern können. So berichten die Befragten etwa von Vorlese-Apps, mit denen sie Speisekarten eigenständig lesen können, von intelligenten Assistenzsystemen im Smart Home, die den Alltag erleichtern, oder von barrierefreien Lernplattformen, die neue Bildungschancen eröffnen. Selbst Mobilität wird durch Technologien wie autonome Fahrzeuge neu gedacht – ein entscheidender Aspekt für viele Menschen mit körperlichen Einschränkungen. Diese digitalen Hilfsmittel tragen dazu bei, dass Menschen mit Behinderungen nicht mehr auf Unterstützung angewiesen sind, sondern selbst entscheiden, planen und handeln können. So wird digitale Teilhabe zur Grundlage von Inklusion – sie fördert nicht nur soziale Integration, sondern auch ein gestärktes Selbstwertgefühl und mehr Lebensqualität. (Vgl. Aktion Mensch 2023, S. 59-61)

Auch Borgstedt (2020) betont, dass digitale Barrierefreiheit über den bloßen Zugang zu Online-Shops oder Behördenportalen hinausgeht: Sie ermöglicht es Menschen mit Behinderungen, aktiv an Bildung, Kultur, Arbeit und sozialen Netzwerken teilzunehmen. Digitale Angebote können somit einen entscheidenden Beitrag leisten, um gesellschaftliche Barrieren abzubauen und Chancengleichheit zu fördern. (Vgl. Borgstedt 2020)

Barrierefreiheit als Zukunftsinvestition: Inklusion strategisch denken

Während das BFSG kurzfristig mit Anpassungskosten und Umstellungen verbunden ist, eröffnet es langfristig vielfältige wirtschaftlich wie gesellschaftlich Chancen.

Unternehmen, die frühzeitig barrierefreie Standards umsetzen, können sich als Vorreiter in Sachen Inklusion positionieren. Eine barrierefreie Gestaltung digitaler Angebote erschließt nicht nur neue Zielgruppen, sondern verbessert oft auch die Nutzerfreundlichkeit insgesamt. Studien zeigen: Unternehmen profitieren von Imagegewinnen, erweiterten Märkten und niedrigeren Supportkosten. (Vgl. Aktion Mensch 2023, S. 59-61)

Digitale Barrierefreiheit ist damit mehr als nur gesetzliche Verpflichtung. Sie wird zum Innovationsmotor. Wer heute in barrierefreie Technologien investiert, gestaltet die Zukunft aktiv mit. Denn Inklusion ist nicht nur ein Menschenrecht, sondern auch ein entscheidender Wettbewerbsvorteil in einer zunehmend diversen Gesellschaft.

Unternehmen sollten das BFSG daher nicht primär als Belastung betrachten, sondern als Chance, Teil eines gesellschaftlichen Fortschritts zu werden bis hin zu mehr Gleichberechtigung, Teilhabe und Nachhaltigkeit im digitalen Raum.

Literatur

Aktion Mensch (Hg.) (2023): Trendstudie zur digitalen Teilhabe. Online verfügbar unter https://aktion-mensch.stylelabs.cloud/api/public/content/AktionMensch_Studie-Digitale-Teilhabe.pdf?v=16179909, zuletzt geprüft am 22.05.2025.

Borgstedt, S. (2020): Digitale Teilhabe von  Menschen mit Behinderung. Unter Mitarbeit von SINUS. Hg. v. Aktion Mensch. Online verfügbar unter https://aktion-mensch.stylelabs.cloud/api/public/content/AktionMensch_Studie-Digitale-Teilhabe.pdf?v=16179909, zuletzt geprüft am 18.05.2025.

Bundesministerium des Innern (19.02.2025): BFSG. Online verfügbar unter https://www.barrierefreiheit-dienstekonsolidierung.bund.de/Webs/PB/DE/gesetze-und-richtlinien/barrierefreiheitsstaerkungsgesetz/barrierefreiheitsstaerkungsgesetz-node.html, zuletzt geprüft am 18.05.2025. Bundesministerium der Justiz (Hg.) (2025): BFSG. Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen. Online verfügbar unter https://www.gesetze-im-internet.de/bfsg/BJNR297010021.html#BJNR297010021BJNG000300000, zuletzt geprüft am 18.05.2025.

Bildquelle

communication-3253476_1280 von eConnect über Pixabay online verfügbar unter: https://pixabay.com/de/illustrations/kommunikation-symbole-3253476/ Aufruf am 19.06.2025

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