By Published On: 29. August 2022Categories: Meine Hochschule und mein Studium, Pädagogik, Psychologie

Die fortschreitende Digitalisierung und Medialisierung in allen Bereichen unserer Lebens- und Arbeitswelt haben zu entscheidenden Veränderungen geführt und gehen weit über einen rein technischen Fortschritt hinaus. Die Covid-19-Pandemie hat den Prozess des breit angelegten kulturellen und gesellschaftlichen Wandels, der sich auf schulisches Lernen und Lehren sowie die Bewältigung und Gestaltung von Lebens- bzw. Arbeitsprozessen von Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen auswirkt, nochmal beschleunigt.

Wie lernen wir am besten?

Angesichts der anhaltenden Covid-19-Pandemie und der damit einhergehenden Einschränkungen des regulären Schulbetriebs gehen Bildungsforscher aktuell der Frage nach, wie Schüler/-innen und Student/-innen eigentlich am besten lernen? Unterschiedliche Teams von Bildungsforschern konnten darstellen, welche bekannten und neuartigen Methoden sich besonders gut zum Lernen eignen. Hierbei kommt die Strategie zum Tragen, die Lernenden einzubeziehen und zur aktiven Auseinandersetzung mit den Lerninhalten anzuregen. Es wird vom aktiven Lernen gesprochen. Diese Form der Wissensvermittlung erleichtert es nicht nur dem Einzelnen, Inhalte besser zu verstehen und sie sich zu merken, sondern sie können ebenfalls soziale Ungleichheiten ausgleichen (Yanner et al., 2021, S. 26-30).

An der University of Washington in Seattle hat ein Forscherteam herausgefunden, dass bei den Schülern, denen viele Gelegenheiten zum aktiven Lernen angeboten werden, die Unterschiede zwischen den Schülern aus sozial mehr oder weniger privilegierten Elternhäusern geringer ausfallen, als in den Klassen, die vorwiegend auf klassisches, passives Lernen setzten. Dabei führen die Forscher die verbesserte Chancengleichheit durch das aktive Lernen nicht nur darauf zurück, dass diese Methode das Verständnis der Lerninhalte besonders gut fördert. Die Lernatmosphäre spielt hier eine entscheidende Rolle, bei den Minderheiten überproportional stark. Sie profitieren von einer Klassenkultur der Integration, Zugehörigkeit und des Respekts sowie bei Gruppenarbeiten von einem Gefühl der gemeinsamen Zielsetzung und Gemeinschaft (Theobald et al., 2020, S. 6476).

Angstfreies Lernen könnte hier ebenfalls eine Rolle spielen. Sowohl aktives als auch passives Lernen kann zu Stresssituationen führen, die den Lernerfolg mindern. Die Form des passiven Lernens kann beispielsweise ein negatives Gefühl hervorrufen, etwas womöglich als Einziger nicht verstanden zu haben. Bei der Form des aktiven Lernens wird dieses Gefühl durch den Austausch mit anderen vermieden. Jedoch kann es hier zu Stress führen, wenn in den Gruppenarbeiten die Ergebnisse vor einem Plenum präsentiert werden sollen und eine Benotung anfällt. Die Bildungsforscher regen an, hier neue Konzepte zu entwickeln, bei dem aktives Lernen so gestaltet wird, dass die Angst der Schüler vor einer negativen Bewertung minimiert und dadurch der Nutzen der Schüler maximiert wird (Yanner et al., 2021, S. 26-30).

Neue Konzepte für die Bildungspraxis

Es sind bereits zahlreiche neue Konzepte entwickelt worden, wie aktives Lernen gestaltet werden kann. Ein wichtiger Fokus liegt dabei auf der körperlichen Aktivität während des Lernens. So hat sich gezeigt, dass Bewegung die Kreativität und Problemlösefähigkeit fördert. Ein weiterer Gesichtspunkt liegt neben strukturierten Tätigkeiten mit einem festen Lernziel auch darin, unstrukturierte Lernzeit einzubauen. Diese weniger strukturierten Aktivitäten geben den Kindern die Chance zu erforschen, neugierig zu sein, Entscheidungen zu treffen, sich Ziele zu setzen, andere zu beobachten und von ihnen zu lernen. Die Lehrkräfte können dabei Anleitung und Feedback geben. Zusammenfassend setzt sich das Konzept aus der Kombination folgender Merkmale zusammen: eine gesteigerte körperliche Aktivität oder Interaktion, tiefere kognitive Verarbeitung, präzise und ausführliche Erklärungen zum verwendeten Material, die genaue Planung von Lernaktivitäten, Fragenstellen, metakognitive Kontrolle und soziale Kollaboration. Insgesamt bietet sich hier eine Chance, den Schüler/-innen mehr Verantwortung für die Gestaltung des eigenen Lernens zu übertragen und somit ihre Autonomie zu fördern (Yanner et al., 2021, S. 26-30).

Die Erkenntnisse aus Studien zum aktiven Lernen können die Bildungspraxis grundlegend verändern. Eine besondere Bedeutung liegt dabei im erweiterten Verständnis, wie Kinder lernen. Die Forscher betonen, dass es nicht den einen Ansatz für aktives Lernen gibt, sondern ein reichhaltiges und sich stetig entwickelndes, dem aktuellen Technikstand angepasstes Portfolio an Methoden und Ideen, unterschiedliche Wege zu einem effektiveren Lernen unterstützen (Yanner et al., 2021, S. 26-30).

Der coronabedingte Ausfall des Präsenzunterrichts stellt die Schulen vor große Anforderungen. Kurzfristig und praktisch unvorbereitet muss Fernunterricht organisiert werden. Hier müssen Herausforderungen und Chancen bedacht werden. Die zunehmende Digitalisierung in Schulen, die zahlreichen Fortbildungs- und Schulentwicklungsinitiativen der letzten Jahre ermöglichen neue Unterrichtsansätze, Planungsoptionen und Tools für die Lernbegleitung der Schüler/-innen außerhalb des normalen Präsenzunterrichts. Zudem führt die Digitalisierung unserer Lebens-, Berufs- und Arbeitswelt zu einem stetigen Wandel unseres Alltags. Digitale Medien wie Tablets, Smartphones und Whiteboards sind in die Schulen und Hochschulen eingezogen und bieten ein großes Potenzial zur Gestaltung neuer Lehr- und Lernprozesse. Prinzipiell ist ein onlinebasierter Unterricht relativ einfach in Eigeninitiative umsetzbar, wenn Schulen bereits Digitalkonzepte eingeführt und die Lehrkräfte fortgebildet sind. Die Corona-Krise zwingt alle Beteiligten, sich mit neuen Formen des Lehrens und Lernens auseinander zu setzen und zu experimentieren.

Die Vielfalt der dabei zur Verfügung stehenden Tools zeigt ein großes Problem der Digitalisierung auf, da viele Schulen trotz umfassender Konzepte häufig über keine integrierte Lösung für Online-Unterricht, also cloudbasierte Lernmanagementsysteme, verfügen. Zudem müssen engagierte Lehrpersonen häufig selbst neue Konzepte entwickeln, um zumindest eine dezentrale Lösung zu haben. Die Krise erfordert also eine Anpassung an außergewöhnliche Situationen mit den passenden Lösungen. Die Digitalisierung ist als Chance zu sehen, in dem neue Organisations- und Kommunikationsebenen innerhalb einer Schulgemeinschaft entstehen können. Neu eingerichtete Netzwerkstrukturen, bestehend aus Lehrkräften, Schüler/-innen, Eltern, Schulträger und Schulaufsicht, beschleunigen den Informationsaustausch und führen zu einer umfassenderen Mitbestimmung und Teilhabe am schulischen Leben sowie an Schulentwicklungsprozessen.

Fazit

Tiefgreifende Veränderungen erfolgen nicht über Nacht. Bei einem Wandel im Bildungswesen sind zahlreiche Dinge zu berücksichtigen, unter anderem gilt es auch die Gefahren zu bedenken. Es werden beispielsweise personenbezogene Daten benötigt, um individuelle Angebote auf digitalen Plattformen zur Verfügung zu stellen. Dabei muss sichergestellt werden, dass die Datensicherheit und die Autonomie über die zur Verfügung gestellten Daten gewährleistet ist. Weiterhin können sich Machtfragen und Monopolstellungen auftun, wo neue Intermediäre, wie beispielsweise Lernplattformen entstehen, auf die die Gesellschaft Antworten finden muss (Fecher et al., 2016, S.11). Kollaboration, agile Prozesse und innovative Techniken und Wege bestimmen die Zukunft unseres Bildungswesens. Lassen Sie uns gemeinsam mit der Politik, der Wirtschaft, den Lehrenden und Lernenden im Austausch und in der Diskussion bleiben, wie das Lernen der Zukunft gestaltet werden kann.

Literatur

Fecher, B., Schulz, W., Preiß, K. & Schildhauer, T. (2016). Schlüsselressource Wissen: Lernen in einer digitalisierten Welt.  Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft. URL: tps://www.ie.foundation/content/4-publications/hiig-bdi-ief-schluesselressource-wissen.pdf (15.12.2021).

Theobald, E.J., Hill, M.J., Tran, E., Agrawal, S., Arroyo, E.N., Behling, S., Chambwe, N., Cintrón, D.L., Cooper, J.D., Dunster, G., et. al. (2020). Aktives Lernen verringert Leistungslücken für unterrepräsentierte Studenten in den Bereichen Naturwissenschaften, Technologie, Ingenieurwesen und Mathematik. Proc Natl Acad Sci USA. 2020 Mar 24;117(12):6476-6483. doi: 10.1073/pnas.1916903117. Epub, 2020 Mär 9. PMID: 32152114; PMCID: PMC7104254.

Yannier, N., Hudson, S.E., Koedinger, K.R., Hirsh-Pasek, K., Golinkoff, R.M., Munakata, Y., Doebel, S., Schwartz, D.L., Deslauriers, L., McCarty, L. et al. (2021). Aktives Lernen: „Hands-on“ trifft „minds-on“. Wissenschaft. 2021 Okt;374(6563):26-30. doi: 10.1126/science.abj9957. Epub 2021, 30. September. PMID: 34591619.

Bildnachweis

Mossholder, Tim (2018). Love to learn pencil signage on wall near walking man photo. Unsplash. URL: https://unsplash.com/photos/WE_Kv_ZB1l0 (29.07.2022).

Teile diesen Artikel