By Published On: 22. Juli 2021Categories: Gesundheit, Psychologie

In Deutschland leiden über 50 % aller Frauen und Männer an Übergewicht und Adipositas (Mensink et al., 2013, S. 788; Schienkiewitz, Mensink, Kuhnert & Lange, 2017, S. 23). Einige dieser Personen fragen sich, wie sie nachhaltig ihr Gewicht reduzieren können. Die meisten Menschen würden jetzt vermutlich antworten: „Ein Kaloriendefizit ist entscheidend für eine Gewichtsreduktion“. Das stimmte, aber bevor es dazu kommen kann, müssen andere Schritte erfüllt werden, wie das sozial-kognitive Prozessmodell gesundheitlichen Handelns („health action process approach“, HAPA) zeigt.

In diesem und einen weiteren Blogbeitrag wird das HAPA-Modell vorgestellt und anhand eines Fallbeispiels illustriert. Im ersten Teil wird erklärt, was unter dem HAPA-Modell zu verstehen ist. Anschließend wird auf die Phase der Absichtsbildung eingegangen. Im zweiten Artikel wird die Phase der Umsetzung erläutert.

Fallbeispiel

Nadine B. (36) hat aktuell einen BMI von 30. Trotz viel Bewegung schafft sie es nicht abzunehmen. Jedoch ist ihr bewusst, dass sie Stress immer wieder mit Essen kompensiert.
Da Nadine B. Folgeerkrankungen vorbeugen möchte, würde sie gerne abnehmen. Von Diäten halte sie jedoch wenig.

Das HAPA-Modell

Das Ziel des HAPA-Modells ist es, gesundheitsfördernde und -schädliche Verhaltensweisen vorherzusagen und zu erklären (Schwarzer, 2004, S. 90). Hierbei ist wichtig, dass nach dem Handlungsphasen-Modell zwischen präintentionalen Motivationsprozessen (Phase der Absichtsbildung) und postintentionalen Handlungsprozessen (Phase der Umsetzung) unterschieden wird (Klotter, 2020, S. 155). Entsprechend Schwarzer (2004) gibt es zwei Grundsätze, denen das Modell folgt (S. 90): (1) ein Schritt folgt dem anderen und (2) Verhaltensänderungen können nur erfolgen, wenn ausreichend Selbstwirksamkeit vorhanden ist. In der Abbildung 1 ist das HAPA-Modell dargestellt. Im nachfolgenden werden die einzelnen Phasen und die Variablen erläutert.

Das sozial-kognitive Prozessmodell des Gesundheitsverhaltens
(Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Schwarzer, 2004, S. 91, 2008, S. 6; Zhang, Zhang, Schwarzer & Bagger, 2019, S. 624)

Präintentionale Phase

Zu Beginn steht immer die Risikowahrnehmung, d. h., das Individuum erkennt das eigene Risiko für eine Erkrankung (Schwarzer, Lippke & Luszczynska, 2011, S. 162). Die Risikowahrnehmung hängt jedoch davon ab, wie die individuelle Einschätzung einer Person gegenüber der eigenen Anfälligkeit gegenüber potenziellen (Folge-)Erkrankungen ist (Schwarzer, 2004, S. 91). Um die Einstellung einer Person zu ändern, gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie z. B. ein Aufklärungsgespräch oder medizinische Tests (Vollmann & Weber, 2011, S. 402). Entsprechend Schwarzer, Lippke und Ziegelmann (2008) reichen diese Informationen jedoch noch nicht zur Bildung einer Handlungsabsicht aus. Es werden lediglich die Voraussetzungen für weiterführende Gedanken über mögliche Konsequenzen und erforderliche Kompetenzen geschaffen (Schwarzer et al., 2008, S. 157–158).

Fortsetzung Fallbeispiel

Nadine B. führte ein Gespräch über Adipositas und dessen Folgen mit ihrem Hausarzt. Hierdurch wurde der Wunsch einer Gewichtsreduktion verstärkt.

Nach der Risikowahrnehmung erfolgt die Handlungsergebniserwartung. Unter Handlungsergebniserwartungen werden Überzeugungen verstanden, die widerspiegeln, ob das Eingreifen in das eigene Handeln tatsächlich zu den gewünschten Ergebnissen führt (Zhang et al., 2019, S. 624). Weiterhin wägt der Mensch die Vor- und Nachteile sowie erforderliche Konsequenzen von der Verhaltensänderung ab (Chiu, Lynch, Chan & Berven, 2011, S. 172). Aus diesen Überlegungen ergeben sich Änderungsmotivationen und es werden aktive Wege aus dem gesundheitsschädlichen Verhalten gesucht (Schwarzer, 2004, S. 92).

Fortsetzung Fallbeispiel

Nadine B. macht sich aktuell Gedanken über die Vor- und Nachteile einer Gewichtsreduktion. Als klaren Vorteil sieht sie, dass sich ihre Leistungsfähigkeit langfristig steigern wird. Dies ist jedoch nur möglich, wenn sich Nadine B. intensiv mit ihrer Ernährung auseinandersetzt, was sie sehr viel Zeit kosten wird.

In dieser Phase des HAPA-Modells wird der Selbstwirksamkeitsüberzeugung die größte Bedeutung zugeschrieben (Schwarzer, 2004, S. 92). Eine hohe Selbstwirksamkeitsüberzeugung zeichnet sich durch den Glauben in die eigenen Fähigkeiten aus (Schwarzer et al., 2011, S. 163). Hierzu zählt ebenso der Umgang mit Hindernissen auf dem Weg der Verhaltensänderung (Zhang et al., 2019, S. 624). Durch eine hohe Selbstwirksamkeit wird außerdem das Setzen von Zielen und die spätere Ausführung erleichtert, was wiederum die Wahrscheinlichkeit für einen Rückfall deutlich minimiert (Schwarzer, 2004, S. 92).

Fortsetzung Fallbeispiel

Nadine B. glaubt daran, dass sie ihr Gewicht reduzieren kann. Des Weiteren ist sie davon überzeugt, dass sie das Stressessen durch geeignete Maßnahmen verhindern kann.

Nachdem die ersten drei Phasen durchlaufen sind, geht es mit der Absichtsbildung bzw. dem Aufstellen von Zielen weiter (Schwarzer et al., 2011, S. 163). An dieser Stelle soll erwähnt werden, dass Studien darlegen, dass Personen, die durchgängig eine geringe Intentions-Verhaltens-Beziehung gezeigt haben, ihre Ziele mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in die Tat umsetzen werden und somit nicht in die Umsetzungsphase gelangen werden (Orbell & Sheeran, 1998; zitiert nach Zhang et al., 2019, S. 624).

Fortsetzung Fallbeispiel

Nadine B. hat für sich drei Ziele definiert, die sie in den kommenden 12 Monaten verfolgen möchte.
1. Gewichtsreduktion um 1,5 kg pro Monate  entspricht einem Zielgewicht von 72 kg und einem BMI von 24
2. Erlernen von Entspannungsmethoden zur Prävention von Stressessen
3. Hilfe durch eine Ernährungsberatung in Anspruch nehmen

In dem Artikel „Abnehmen aus dem Blickwinkel der Psychologie – Teil 2“ wird die Phase der Umsetzung erläutert.

Literatur

Chiu, C.-Y., Lynch, R. T., Chan, F. & Berven, N. L. (2011). The Health Action Process Approach as a motivational model for physical activity self-management for people with multiple sclerosis: a path analysis. Rehabilitation Psychology56(3), 171–181. https://doi.org/10.1037/a0024583

Dieterle, C. & Landgraf, R. (2005). Folgeerkrankungen und Komplikationen der Adipositas. Der Internist47(2), 141–149. https://doi.org/10.1007/s00108-005-1552-0

Klotter, C. (2020). Einführung Ernährungspsychologie (4.). München: Ernst Reinhardt Verlag.

Mensink, G. B. M., Schienkiewitz, A., Haftenberger, M., Lampert, T., Ziese, T. & Scheidt-Nave, C. (2013). Übergewicht und Adipositas in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt56, 786–794. https://doi.org/10.1007/s00103-012-1656-3

Orbell, S. & Sheeran, P. (1998). „Inclined abstainers“: a problem for predicting health-related behaviour. The British journal of social psychology37(2), 151–165. https://doi.org/10.1111/j.2044-8309.1998.tb01162.x

Schienkiewitz, A., Mensink, G. B. M., Kuhnert, R. & Lange, C. (2017). Übergewicht und Adipositas bei Erwachsenen in Deutschland. Journal of Health Monitoring2(2), 21–28. https://doi.org/10.17886/RKI-GBE-2017-025

Schwarzer, R. (2004). Psychologie des Gesundheitsverhaltens: Einführung in die Gesundheitspsychologie (3.). Göttingen: Hogrefe.

Schwarzer, R. (2008). Modeling Health Behavior Change: How to Predict and Modify the Adoption and Maintenance of Health Behaviors. Applied Psychology57(1), 1–29. https://doi.org/10.1111/j.1464-0597.2007.00325.x

Schwarzer, R., Lippke, S. & Luszczynska, A. (2011). Mechanisms of health behavior change in persons with chronic illness or disability: the Health Action Process Approach (HAPA). Rehabilitation Psychology56(3), 161–170. https://doi.org/10.1037/a0024509

Schwarzer, R., Lippke, S. & Ziegelmann, J. P. (2008). Health action process approach: A research agenda at the Freie Universität Berlin to examine and promote health behavior change. Zeitschrift für Gesundheitspsychologie16(3), 157–160. https://doi.org/10.1026/0943-8149.16.3.157

Sonntag, D. & Schneider, S. (2015). Gesundheitsökonomische Folgen der Adipositas. In S. Herpertz, M. de Zwaan & S. Zipfel (Hrsg.), Handbuch Essstörungen und Adipositas (2., S. 379–387). Berlin; Heidelberg: Springer-Verlag. https://doi.org/10.1007/978-3-642-54573-3_48

Vollmann, M. & Weber, H. (2011). Gesundheitspsychologie. In A. Schütz, M. Brand, H. Selg & S. Lautenbacher (Hrsg.), Psychologie: Eine Einführung in ihre Grundlagen und Anwendungsfelder (4., S. 394–410). Stuttgart: Kohlhammer.

Zhang, C.-Q., Zhang, R., Schwarzer, R. & Hagger, M. S. (2019). A meta-analysis of the health action process approach.Health Psychology38(7), 623–637. https://doi.org/10.1037/hea0000728

Beitragsbild

Gerhard G. (2018). Essen/Trinken. Pixabay. Verfügbar unter: https://pixabay.com/de/photos/essen-nahrung-lebensmittel-abnehmen-3236971/

Teile diesen Artikel