Gleichberechtigte und gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderung (MmB) erfordert die gezielte, systematische Reduktion digitaler und physischer Barrieren. Der eingeschränkte Zugang zu essenziellen und innovativen Dienstleistungen, Produkten und Informationen trägt zu sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten bei. In diesem Zusammenhang ist Barrierefreiheit nicht nur eine technische Anforderung, sondern eine grundlegende Voraussetzung für gesellschaftliche Inklusion. „… Barrierefreiheit ist eine Grundvoraussetzung für die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen, unabhängig von Geschlecht, Alter, Herkunft, Bildungsstand und Gesundheitszustand, damit sie sich sicher, souverän und selbstbestimmt in der digitalen Welt bewegen können…“ 1 Die Gewährleistung der Barrierefreiheit ist ein essenzieller Bestandteil der Inklusions- und Teilhabe- Strategie für MmB. Sie betrifft insbesondere die Umsetzung von im Alltag genutzten Dienstleistungen und Produkten. Neue gesetzliche Vorgaben sollen die Benutzerfreundlichkeit alltäglicher Dienstleistungen und Produkte verbessern, um Barrieren für MmB gezielt abzubauen.
“ Die Barrierefreiheit in der digitalen Welt von heute ist eine Voraussetzung und zugleich ein Beschleuniger für einen modernen Staat mit einer partizipativen Gesellschaft. “2 „Unter Barrierefreiheit versteht man, dass Menschen ohne fremde Hilfe in der Lage sind, sich in ihrer Umwelt zurechtzufinden und zu bewegen und Systeme und Dienste aller Art zu nutzen. Zu diesem Zweck werden Hindernisse abgebaut oder erst gar nicht errichtet, und es werden Hilfsfunktionen und -geräte verwendet…“3
Um die digitale Teilhabe europaweit zu gewährleisten, wurde der europäische Rechtsakt zur Barrierefreiheit verabschiedet. Diese Richtlinie, soll den Binnenmarkt durch die Harmonisierung nationaler Vorschriften stärken soll. Ziel ist es, Hindernisse für den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr abzubauen und die Integration barrierefreier Angebote innerhalb der Europäischen Union zu fördern.4 Gemäß der zugrunde liegenden EU-Richtlinie ist der nationale Gesetzgeber verpflichtet, die Vorgaben in nationales Recht zu überführen. Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG)5 wurde im Juli 2021 verabschiedet und tritt am 28. Juni 2025 in Kraft.
Wie verändert BFSG den Alltag MmB?
Im Bereich von Produkte und Dienstleistungen
Gemäß §1 (1) BFSG sichert das Gesetz die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen, stärkt die gesellschaftliche Teilhabe von MmB und fördert die Harmonisierung des Binnenmarktes.
Im Bereich der Informationstechnik
Die Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) regelt die barrierefreie Gestaltung von Websites, Webanwendungen, mobilen Anwendungen und elektronisch unterstützten Verwaltungsabläufen gemäß dem Behindertengleichstellungsgesetz (BGG). Sie zielt darauf ab, eine umfassend barrierefreie Gestaltung moderner Informations- und Kommunikationstechnik zu gewährleisten (BMAS, 2025). Gemäß §3 Abs.1 BITV 2.0 müssen Angebote, Anwendungen und Dienste der Informationstechnik barrierefrei gestaltet sein. Dies umfasst die Verpflichtung, sicherzustellen, dass diese wahrnehmbar, bedienbar, verständlich sowie robust im Sinne der Barrierefreiheit gestaltet werden.
Die Web Content Accessibility Guidelines 2.1 (WCAG) des World Wide Web Consortiums (W3C) sind ein international anerkanntes Regelwerk zur barrierefreien Gestaltung digitaler Inhalte. Sie bieten mehrstufige Anforderungen für Webdesign und -entwicklung, um den Zugang für MmB zu verbessern.6 Die unterschiedlichen Barrierefreiheitsanforderungen verdeutlichen den Bedarf an gezielter Unterstützung, um digitale Teilhabe für alle zu gewährleisten.
Aktion Mensch (2023) stellet fest, Defizite bei der Nutzung von Webseiten fest:
„… Eine Webseite ist barrierefrei, wenn sich Einschränkungen beim Sehen, Hören, Bewegen oder Verarbeiten von Informationen nicht negativ darauf auswirken, wie wir die Seite nutzen. Bisher gibt es für Menschen mit Behinderung noch zu viele Hürden in der Online-Welt…“7
- Menschen mit einer Sehbehinderung können Texte oder Formularfelder schlecht erkennen, wenn sie sich nur gering vom Hintergrund abheben.
- Gehörlose und schwerhörige Menschen können Videos nicht nutzen, wenn sie keine Untertitel enthalten. Auch bei Audios helfen Transkripte oder eine Verdolmetschung in Gebärdensprache.
- Blinde Menschen können Webseiten nicht richtig nutzen, wenn Bilder, Formulare und Buttons nicht textlich beschrieben sind.
- Menschen mit Lernschwierigkeiten nutzen Einfache oder Leichte Sprache und können so auf Inhalte zugreifen.
Das BFSG stellt einen bedeutenden Schritt zur Förderung digitaler Inklusion dar. Durch die gesetzliche Verpflichtung zur Barrierefreiheit werden digitale Angebote für MmB zugänglicher gestaltet, wodurch ihre gesellschaftliche Teilhabe nachhaltig verbessert wird.
Das BFSG gilt für folgende Dienstleistungen, die für Verbraucher*innen nach dem 28.06.2025 erbracht werden. Bundesministerium des Innern (2025)8 :
- Telekommunikationsdienste
- Elemente von Personenbeförderungsdiensten: Webseiten, Apps, elektronische Tickets und Ticketdienste, Bereitstellung von Verkehrsinformationen, interaktive Selbstbedienungsterminals
- Bankdienstleistungen für Verbraucher
- E-Books und hierfür bestimmte Software
- Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr
Das BFSG gilt für folgende Produkte, die für Verbraucher*innen nach dem 28.06.2025 in den Verkehr gebracht werden. Bundesministerium des Innern (2025)9:
- Hardwaresysteme einschließlich Betriebssysteme
- Selbstbedienungsterminals: Zahlungsterminals, Geldautomaten, Fahrausweisautomaten, Check-in-Automaten, Selbstbedienungsterminals zur Bereitstellung von Informationen
- Verbraucherendgeräte mit interaktivem Leistungsumfang, die für Telekommunikationsdienste oder für den Zugang zu audiovisuellen Mediendiensten verwendet werden
- E-Book-Lesegeräte
Welche Vorteile ergeben sich für Unternehmen durch die Umsetzung des BFSG?
Die Umsetzung des BFSG gewährleistet rechtliche Sicherheit und eröffnet wirtschaftliche und gesellschaftliche Chancen für Unternehmen.
- Die gezielte Ansprache und Integration bislang unberücksichtigter Personengruppen
- Unternehmen, die Barrierefreiheit konsequent umsetzen, positionieren sich als sozial verantwortungsbewusst und technologisch fortschrittlich, wodurch ihre Markenwahrnehmung positiv beeinflusst wird.
- Die rechtskonforme Umsetzung gesetzlicher Vorgaben gewährleistet Rechtssicherheit und minimiert das Risiko von Sanktionen oder Haftungsansprüchen
Fazit
Das BFSG schafft wesentliche Rahmenbedingungen hin zu einer inklusiven digitalen Gesellschaft. Durch die gesetzliche Verpflichtung zur Barrierefreiheit werden essenzielle Dienstleistungen, Produkte und Informationstechniken für MmB zugänglicher gestaltet. Die Förderung gesellschaftlicher Teilhabe geht mit der Stärkung des Binnenmarktes einher, indem einheitliche Standards etabliert werden. Die Umsetzung des BFSG verlangt unternehmerische Anpassungen, schafft jedoch zugleich Raum für technologische Innovation und stärkt gesellschaftliche Verantwortung. Die langfristige Wirkung der neuen Vorgaben wird zeigen, inwieweit sie die digitale Teilhabe effektiv fördern.
Literaturverzeichnis
- Bitkom Praxisleitfaden .Anforderungen aus dem Barrierefreiheits stärkungsgesetz (BFSG).Yves Heuser, Henrik Hofmeister, Dr. Daniel Kendziur, Johannes Schäufele Corinna Schneiderbauer | SKW Schwarz Nina Gerling | Deutsche Telekom Thorsten Katzmann | IBM Klaus-Peter Wegge | Siemens Stefan Farnetani | mindscreen Jochen Fehling, Klaas Posselt, Markus Erle | axes4 Dr. Denise Bornschein I Materna Information & Communication SE Zugriff am 02.05.25 verfügbar unter https://www.bitkom.org/sites/main/files/2025-01/bitkom-praxisleitfaden-anforderungen-aus-dem-bfsg.pdf ↩︎
- Der Beauftragte der Bundesregierung für Informationstechnik. Barrierefreie IT. Bundesministerium des Innern, 2025. Prof. Dr. Erdmuthe Meyer zu Bexten, Landesbeauftragte für barrierefreie IT und digitale Teilhabe Zugriff am 12.05.25 verfügbar unter https://www.barrierefreiheit-dienstekonsolidierung.bund.de/Webs/PB/DE/startseite/startseite-node.html ↩︎
- Gabler Wirtschaftslexikon. Zugriff am 11.05.25 verfügbar unter https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/barrierefreiheit-125515/version-389661 ↩︎
- European Commission. Europäischer Rechtsakt zur Barrierefreiheit Zugriff am 01.04.24 verfügbar unter https://commission.europa.eu/strategy-and-policy/policies/justice-and-fundamental-rights/disability/union-equality-strategy-rights-persons-disabilities-2021-2030/european-accessibility-act_en?prefLang=de ↩︎
- http://Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/882 des Europäischen Parlaments und des Rates über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen (BFSG). Zugriff am 19.05.25 verfügbar unterhttps://www.bmas.de/DE/Service/Gesetze-und-Gesetzesvorhaben/barrierefreiheitsstaerkungsgesetz.html ↩︎
- http:// Bundesministerium des Innern, 2025. Gesetze und Richtlinien. WCAG Zugriff am 20.05.25 verfügbar unter https://www.barrierefreiheit-dienstekonsolidierung.bund.de/Webs/PB/DE/gesetze-und-richtlinien/wcag/wcag-node.html ↩︎
- Aktion Mensch. Barrierefreie Website. Zugriff am 01.04.25 Verfügbar unter https://www.aktion-mensch.de/inklusion/barrierefreiheit/barrierefreie-website ↩︎
- Bundesministerium des Innern, 2025. Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG). Zugriff am 04.04.25 verfügbar unterhttps://www.barrierefreiheit-dienstekonsolidierung.bund.de/Webs/PB/DE/gesetze-und-richtlinien/barrierefreiheitsstaerkungsgesetz/barrierefreiheitsstaerkungsgesetz-node.html ↩︎
- Bundesministerium des Inneren, 2025.Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG). Zugriff am 05.04.25 verfügbar unter https://www.barrierefreiheit-dienstekonsolidierung.bund.de/Webs/PB/DE/gesetze-und-richtlinien/barrierefreiheitsstaerkungsgesetz/barrierefreiheitsstaerkungsgesetz-node.html ↩︎
Titelbildquelle
Titelbild geralt,user_id:9301, veröffentlicht am 7. September 2021, Zugriff am 01.06.25 verfügbar unter https://pixabay.com/de/illustrations/gesetz-gerechtigkeit-flagge-europa-6598281/
Titel Gesetz, Gerechtigkeit, Flagge.
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