By Published On: 6. Mai 2020Categories: Gesundheit, Psychologie
Heute zeige ich Ihnen 12 Prinzipien für die härteste und schönste Aufgabe der Welt: Menschen bei gewünschten Veränderungen zu begleiten. Die 12 folgenden Ansatzpunkte können in Coaching und Beratung oder in der therapeutischen Arbeit angewendet werden. Tatsächlich sind es 12 Prinzipien, die aus neurowissenschaftlicher Sicht befürwortet werden.[1]1. Coaching und Beratung in der Praxis: Ein neurowissenschaftlich fundiertes Integrationsmodell von Gerhard Roth und Alica Ryba, 2019 Los geht’s!

Übersicht

  1. Ziele klären
  2. Ressourcen aktivieren
  3. Das Problem erfahrbar machen
  4. Das Problem umgehen
  5. Symptome oder Probleme beseitigen
  6. Die Perspektive wechseln
  7. Emotionen und Körperempfindungen
  8. Einüben sinnvoller Alternativen
  9. Neues aufbauen & erfahren
  10. Die innere Landkarte umschreiben
  11. Entscheiden und Loslassen
  12. Die Umsetzung unterstützen und bewerten

Eine Metapher

Künstler nutzen verschiedenste Farben, Papiere, Leinwände und Rahmen. Einige schaffen schon mit wenigen Mitteln wahre Meisterwerke. Auch Fotographen schaffen mit Schwarz-Weiss-Bildern echte Kunstwerke. Auch als Beraterinnen, Coachs oder Therapeuten können wir mit wenigen Farbtönen weit kommen. Oft macht es das sogar leichter. Manchmal muss allerdings etwas Farbe ins Spiel kommen. Die Regeln der Kunst zu beherrschen ist dann von Vorteil.

1. Ziele klären

Wenn wir klären in welche Richtung es für einen Ratsuchenden gehen soll, kann die Klarheit dazu führen, dass der er erste kleine Schritte unternimmt. Klarheit und die Fokussierung der Aufmerksamkeit helfen häufig vorhandene Kräfte zu mobilisieren. Dann endet eine Begleitung bevor sie bei anderen begonnen hat. Das bemerkte schon Goethe:
»Sobald der Geist auf ein Ziel gerichtet ist, kommt ihm vieles entgegen.« – Johann Wolfgang von Goethe
Milton Erickson, der die moderne Hypnotherapie und Hypnose maßgeblich prägte, meinte es sei nicht notwendig, dass beide Seiten die Ziele genau kennen. Zumindest einer sollte aber wissen wohin die Reise führt. Ansonsten gilt Mark Twains Grundsatz:
»Nachdem wir das Ziel endgültig aus den Augen verloren hatten, verdoppelten wir unsere Anstrengungen.« – Mark Twain
Im Coaching herrscht Transparenz als Grundsatz. Daher werden die Ziele i.d.R. mit dem Klienten abgestimmt. Dass es nicht nur SMARTe Ziele gibt (und sie zuweilen unsauberes Denken verursachen) hat Anthony Grant wunderbar beschrieben. Vielmehr sollten wir als Berater gezielt Zielformen auswählen können.[2]2. Zielperspektiven in die Coaching-Praxis integrieren – Ein integratives Modell zielorientierten Coachings von Anthony Grant, 2018 Chris Iveson vom BRIEF Institute rät sogar von einer formellen Zielsetzung ab. Vielmehr würde er den Kunden dazu einladen im Detail zu beschreiben wie die bevorzugte Zukunft aussehen könnte. Was könnten erste kleine Anzeichen eines Fortschrittes sein? Was würde man anders tun? Was werden andere vielleicht bemerken? Und wie könnten sie reagieren?[3]3. Brief Coaching – A Solution Focused Approach von Chris Iveson et al. 2012 Beliebte Fragen sind dann die Wunderfrage oder die Frage in welchen Details sich die eigene Bestform zeigen könnte.

2. Ressourcen aktivieren

»Therapy doesn’t change people, it enables them to discover their own resources so they can make the changes themselves. – Chris Iveson, et al., Solution Focused Brief Therapy
Das gilt ebenso für Coaching und Beratung. Wenn wir jene Ressourcen und Stärken aufdecken und nutzen, die der Klient ohnehin schon unter Beweis gestellt hat, entsteht »Rückenwind«.
»Wenn ein Mensch Zuversicht schöpft und Zugang zu seinen Kompetenzen erhält, dann kann schon dies allein enorme Veränderungskraft besitzen, insbesondere wenn es darum geht, eigene Fähigkeiten auszubauen. Aufgabe des Beraters kann es daher sein, den Klienten zu inspirieren und sein Potenzial zu wecken.« – Gerhard Roth & Alica Ryba, Coaching, Beratung und Gehirn
Alles was bei der Zielerreichung oder bei der Bewältigung des Alltags hilft kann eine Ressource sein. Potenziale werden aber erst zu Ressourcen, indem sie für die eigenen Ziele genutzt werden.[4]4. Gibt es einen Ressourcenkern? Überlegungen zur Funktionalität von Ressourcen von Antje Ducki & Tanjy Kalytta, 2006 Eine Kollegin die mit »anpacken« oder zuarbeiten könnte, muss das erstmal tun. Finanzielle Spielräume werden vielleicht erst durch eine Umverteilung zielorientiert genutzt. Manchmal müssen auch gemachte Erfahrungen erst auf aktuelle Probleme übertragen werden. Das ist oft wichtig, weil Klienten sich in einer Art »Problemtrance« verfangen, aus der wir raus helfen müssen. Wir können davon ausgehen, dass Klienten sich eines Teils ihrer Ressourcen bewusst sind – sie sind neuronal in expliziten Gedächtnissystemen gespeichert, die leicht zugänglich sind. Auf der anderen Seite gibt es implizit gespeicherte Erfahrungen deren Abruf bewusst-kognitiv nicht gelingt. Viele PsychotherapeutInnen werden letztere für relevanter halten. Die Reaktivierung expliziter Inhalte ist aber leichter. Es gibt drei Wege an explizite, biographisch fassbare Erinnerungen an Erfolge und Stärken anzuknüpfen:[5]5. Neurobiologie der Ressourcenorientierung von Daniel Mentha In: Ressourcen… Ein Hand- und Lesebuch zur psychotherapeutischen Arbeit von Johannes Schaller & Heike Schemmel, 2017
  • Erstens eignen sich dafür diagnostische Verfahren, wie z. B. das Ressourceninterview oder das Berner Ressourceninventar. Letzteres kann dem Kunden schon vor dem ersten Treffen zur Vorbereitung geschickt werden und somit ähnlich wie ein Formula First Session Task helfen aufzudecken was gut funktioniert und bleiben soll. [6]6. Clues: Investigating Solutions in Brief Therapy von Steve de Shazer, 1988
  • Zweitens können wir nach früheren Erfolgen fragen, nach Situationen, in denen Klienten ähnliche Herausforderungen bewältigen konnten – wenn auch nur teilweise. Wie? Was? Wo? und Wer? sind dann nützliche Helfer. Wie haben Sie das gemacht? Was hat geholfen? Was noch? Woher haben Sie die Entschlossenheit genommen eine derart schwere Situation durchzustehen? Wer war eine große Hilfe? Wer noch?
  • Drittens ergeben sich in jedem Gespräch Gelegenheiten, die wir nutzen können, um den Prozess mit Ressourcen anzureichern. Spätestens seit de Shazer gehören Komplimente zum Repertoire lösungsorientierter Methoden. Werden sie geschickt verpackt können wir damit anerkennen und bestärken was für den Kunden bereits funktioniert. Eine Führungskraft, die nach schwierigen Meetings immer wieder dem Team gegenüber Selbstkontrolle beweisen muss, statt den Kopf in den Sand zu stecken können wir bspw. fragen wie sie das schafft: »Ich stelle es mir äußerst schwierig vor derart Selbstkontrolle zu beweisen und die eigenen Emotionen für mich zu behalten. Wie machen Sie das?«
Es geht darum Erinnerungen zu aktivieren und Klienten auf die Suche nach Kompetenzen in ihren Biographien zu schicken. Damit werden Probleme und Ressourcen ausgewogen und ins Gleichgewicht gebracht. Schwieriger ist die Aktivierung von Erinnerungen in impliziten Gedächtnissystemen. Denn eine bewusste (narrative) Erinnerungsfähigkeit ist hier nicht möglich. Zirkuläre Fragen wie danach, was Dritte an einer Klientin schätzen, können nur mit Rückgriff auf implizite Erfahrungen beantwortet werden. Beispiel: »Was denken Sie, schätzt Ihr Chef an der Art und Weise wie Sie mit der Situation umgegangen sind?« Hat der Chef das nicht konkret mitgeteilt muss unser Bauchgefühl (und implizite Gedächtnissysteme) bei dieser Art Frage helfen. Auch können wir zirkuläre Fragen nutzen, um Klienten auf die Suche nach Ressourcen in anderen Lebensbereichen zu schicken. Beispiel: »Wer würde ihnen zutrauen diese schwierige Situation zu meistern? Welche Gründe könnte er/sie dafür sehen?« Daniel Mentha rät zudem zur Arbeit mit Symbolen, Ritualen, Metaphern und Geschichten:
»Implizite Erinnerungen – hier solche von Kompetenzen und Stärken –, können eher zum Schwingen gebracht werden, wenn wir sie durch eine ebenfalls implizite Kommunikation anregen. Hier ist […] Intuition gefragt und ein zurückhaltendes Erspüren der Passung unserer jeweiligen Angebote zu den Erfahrungen unserer KlientInnen. Ein Vergleich könnte sein, wie durch einen Ton in einem resonanzfähigen Körper ein akustisches Mitschwingen angeregt werden kann.« – Daniel Mentha, Zur Neurobiologie der Ressourcenorientierung
Diese Ideen sind natürlich nur ein Bruchteil der Möglichkeiten zur Aufdeckung von Ressourcen. Weitere Modelle, die von sich sagen, dass sie sich konsequent an Ressourcen orientieren sind bspw. das Zürcher Ressourcen Modell oder die lösungsorientierte Methodik.

3. Das Problem erfahrbar machen

Um Veränderungen zu erreichen müssen wir die neuronalen Netzwerke aktivieren, die am Problem beteiligt sind. Neurobiologisch ausgedrückt haben sich starke Beeinträchtigungen tief in die Basalganglien »eingegraben« und sind daher nur schwer veränderbar, so Gerhard Roth und Alica Ryba. Bei minderschweren Defiziten sind sie im limbischen Cortex und damit im bewussten bzw. intuitiven Erleben angesiedelt und entsprechend leichter veränderbar. Im Coaching sprechen wir eher von der Erlebnisaktivierung als der Problemaktivierung. Die verschiedenen Coachingansätze und Therapieschulen bieten ein Repertoire unterschiedlicher Techniken, um Probleme erfahrbar zu machen. Bspw. eigne sich das reale Aufsuchen oder Nachstellen von schwierigen Situationen, durch Videofeedback, realitätsnahe Erinnerungen oder emotionale Berichte, so Roth und Ryba.
Diese drei Ansatzpunkte können grundsätzlich angewendet werden, um eine gemeinsame Ausrichtung der Arbeit vorzunehmen und sich eine Übersicht über Ressourcen und Problemen zu verschaffen.

Ein kleiner Exkurs: Problemfokus oder Lösungsfokus? Grant und O’Connor haben die Wirkung unterschiedlicher Fragen im Coaching untersucht, um zu unterscheiden welche Fragen effektiver sind: lösungsorientierte oder problembezogene Fragen. Paradoxerweise führten problembezogene Fragen nicht zu einem besseren Verständnis der Probleme der Probanden. Lösungsorientierte Fragen hingegen schon. Beide Arten reduzierten negative Emotionen und hatten somit eine entlastende Wirkung. Lösungsorientierte Fragen führten zu positiven Emotionen und somit zum nötigen »Rückenwind« für Veränderungen. Auch hatten sie die Nase vorne hinsichtlich der Steigerung der Selbstwirksamkeit. [7] 7. The differential effects of solution-focused and problem-focused coaching questions: a pilot study with implications for practice von Anthony M. Grant & Sean A. O’Connor, 2010

Die folgenden Prinzipen können ergänzt und kombiniert werden.

4. Das Problem umgehen

Nicht jedes Problem muss aktiv bekämpft werden. Es zu vermeiden kann auch eine Lösung sein. Schon die Änderung von Rahmenbedingungen kann dabei helfen Probleme aufzulösen. Gerade bei alten Marotten und Gewohnheiten macht das Sinn. Wer Süßigkeiten aus den eigenen vier Wänden verbannt macht es schlechten Gewohnheiten schwerer. Die Hypnotherapie bietet darüber hinaus Techniken, die den Auslöser des Problems mit neuen Assoziationen verbinden, so dass das Problemerleben nicht aktiviert wird, so Gerhard Roth und Alica Ryba. Probleme zu umgehen ist aber nicht immer ratsam. Kosten und Nutzen müssen genau geprüft werden. Zwar könnten spontane Verbesserungen dadurch erklärt werden (Spontanremission). Änderungen in der Umwelt führen dann nicht länger dazu, dass Probleme ausgelöst werden. Zeigen sich Probleme allerdings weiterhin, sollten andere Ansatzpunkte gewählt werden, um nachhaltigere Erfolge sicherzustellen.

5. Symptome oder Probleme beseitigen

Viele unserer Probleme hatten zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Funktion, die mit der Zeit verloren geht. Denn die Umstände ändern sich. Wer sich immer viel Zeit genommen hatte um Entscheidungen gründlich zu durchdenken, hat nach einem Jobwechsel, in dem Schnelligkeit gefragt ist vielleicht Probleme. Dann gilt es das Gewohnheitsmuster zu durchbrechen. Erickson hat hierfür bspw. ein »Ordeal« genutzt. Ordeal ließe sich mit »Tortur«, »Rosskur«, »Feuerprobe«, »Nagelprobe«, »schwere Prüfung« oder sogar »Gottesprüfung« übersetzen. Es geht um eine Aufgabe, die noch unliebsamer ist als das Symptom, um dadurch dessen Aufrechterhaltung zu erschweren. Als Coach ist die Aufgabe bei der Ordeal-Technik ist leicht zu definieren: Der Coach schlägt ein Ordeal vor, das als schlimmer empfunden wird als das Problem. Vor allem muss es eine Qual hervorrufen, die genauso groß oder größer ist wie die Last, die durch das Problem hervorgerufen wird. Die Strafe muss quasi der Tat angemessen sein. Wenn ein Ordeal nicht unangenehm genug ist, um ein Problem aufzulösen, kann man es unangenehmer gestalten, bis es dem entspricht.[8] 8. Ordeal Therapie: Ungewöhnliche Wege der Verhaltensänderung von Jay Haley, 2014 In einem Fall Ericksons habe er einem Mann mit Schlafproblemen und Tendenz zur Überdosis von Schlafmitteln geraten, dass er nachts, wenn er nicht schlafen könne die Holzfußböden im Erdgeschoss wachsen solle. Es gab offenbar nichts, dass der Mann mehr hasste.
»Wissen Sie, ich wage es überhaupt nicht, an Schlaflosigkeit zu leiden. Ich sehe auf die Uhr und sage mir: Wenn ich in 15 Minuten noch wach bin, muss ich die ganze Nacht den Fußboden bohnern, und das meine ich ernst.« – Jay Haley, Ordeal Therapie – Ungewöhnliche Wege der Verhaltensänderung
Das soll der Mann ein Jahr nach dem Gespräch mit Erickson gesagt haben.

6. Die Perspektive wechseln

Die Perspektive zu wechseln heißt Einsichten in die Hintergründe unseres Verhaltens und Erleben zu erlangen. Siegfried Greif unterscheidet in diesem Sinne zwischen der ergebnisorientierten Selbstreflexion und der Problemreflexion.[9] 9. Coaching und ergebnisorientierte Selbstreflexion: Theorie, Forschung und Praxis des Einzel- und Gruppencoachings von Siegfried Greif, 2008 Bei ersterer steht das Nachdenken über sich selbst und bei letzterer eine Situations- und Problemanalyse inkl. systemischer Einflüsse im Vordergrund. In der Problemreflexion vertieft der Coach bspw. gezielt das Nachdenken oder unterbricht zielloses Grübeln. In der Selbstreflexion hilft der Coach dem Klienten Zusammenhänge zwischen seinem Verhalten und Erleben zu explorieren und fördert Gedankengänge über Zusammenhänge eigenen Handelns mit dem Selbstbild. [10]10. Rating methodischer Erfolgsfaktoren im Coaching von Frank Schmidt et al., 2007 Die bloße »kognitive« Einsicht führt allerdings nicht immer zur nachhaltigen Lösung von persönlichen Problemen, weil es für tiefgreifende Veränderungen eine emotionale Aktivierung und Umstrukturierung braucht. Manchmal reicht der Perspektivwechsel jedoch aus. Man kann sich selbst, eine Situation oder eine andere Person plötzlich anders betrachten. Dadurch ändert sich auch das jeweilige Verhalten.
»Change the viewing, change the doing.« – Mantra der lösungsorientierten Methode
Die Reflexion führt dann zu einer neuen emotionalen Bewertung einer Situation (emotionaler Perspektivwechsel). Andere Taten können dann folgen.

7. Emotionen und Körperempfindungen

Emotionen und auch Körperempfindungen begleiten unsere Erfahrungen. Daher ist es sinnvoll, sie in die Beratung mit einzubeziehen. Siegfried Greif benennt die Aktivierung und Kalibrierung von Affekten als Erfolgsfaktor im Coaching. Sich Emotionen zu vergegenwärtigen und nachzuerleben kann wichtig sein. Auf der anderen Seite ermöglicht eine Selbstberuhigung oft erst einen klaren Blick. Sich abzureagieren zeigt kurzfristig einen positiven Effekt. Doch auch Freud erkannte schon, dass dieser Effekt zeitlich begrenzt war und alleine keine Lösung verspricht. Emotionen begleiten nicht nur Probleme, sondern auch eine Lösungsfindung. Bspw. als Gefühl von Stimmigkeit oder Entschlossenheit, die sich in einer plötzlichen Änderung der Körpersprache zeigen. Im Zürcher Ressourcen Modell wird das Bauchgefühl (genauer: somatische Marker nach Damasio) daher systematisch genutzt, um über die bewusste Bearbeitungsebene hinaus auch Zugang zu vorbewussten Inhalten zu erhalten. Auch wird hier dem Thema Embodiment ein großer Stellenwert zugeschrieben, um bspw. Ziele auf körperlicher Ebene zu verankern. In der Verhaltenstherapie werden Ängste bspw. in kleinen Schritten desensibilisiert. Im Coaching können bei stressbedingten Anlässen Entspannungsverfahren zur Beruhigung und Entspannung dienen. Es gibt also vielfältige Techniken, um Emotionen und Körperempfindungen für die Lösung oder Linderung von Problemen zu nutzen. Dieser Ansatzpunkt sollte gerade dann zur Anwendung kommen, wenn ein Ratsuchender eine starre innere Landkarte zeigt (Prinzip 10) und eine erhöhte Anspannung zu beobachten ist (bspw. durch eine gehemmte Atmung).

8. Einüben sinnvoller Alternativen

Wir können Klienten durch lernpsychologische Methoden beim Einüben besser angepasster Verhaltensweisen unterstützen. Bei leichten Belastungen kann das relativ schnell gehen. Eine Untersuchung von Phillipa Lally am University College London zeigt, dass die Änderung von Gewohnheiten im Schnitt 66 Tage braucht.[11] 11. How are habits formed: Modeling habit formation in the real world von Phillipa Lally, 2010 Bei schweren Defiziten ist das Einüben guter Alternativen langwieriger und mühsamer. Frederick H. Kanfer spricht von mindestens einem viertel bis halbem Jahr, wenn wir auch unter Druck feste Gewohnheiten abrufen wollen.[12]12. Selbstmanagement-Therapie von Kanfer und Kollegen, 2012 Diese Zahlen sollten wahrscheinlich mit Vorsicht betrachtet werden. Auch, weil neue Verhaltensweisen alte Gewohnheiten nur »zuschütten«, ohne sie zu löschen. Genaue Kenntnisse über die Bildung und Unterstützung von Gewohnheiten sind hier hilfreich.

9. Neues aufbauen & erfahren

Man sagt die Einsicht sei der erste Weg zu Besserung. Aber selbst Einsicht und Absicht zusammen liefern oft noch keine Veränderungen. Manchmal bestehen Probleme, weil bestimmte Fähigkeiten noch nicht zufriedenstellend entwickelt sind. Dann geht es um deren systematischen Aufbau. Gerade in neuen Positionen kann das vorkommen. Wer aus der Expertenrolle in die Führungsrolle wechselt muss unter Umständen einige Fähigkeiten dazu lernen. Manchmal heißt es aber auch Erfahrungen nachzuholen. Leid entsteht auch wenn Klienten etwas nie erfahren haben.

10. Die innere Landkarte umschreiben

Die Idee der inneren Landkarte stammt von Milton Erickson. Die Grundidee besteht darin, dass ein Mensch anhand seiner Erfahrungen einen Bezugsrahmen entwickelt, der bestimmt wie sich ein Mensch verhält und wie er Situationen erlebt. Dieser Bezugsrahmen ist wie eine selbst konstruierte Landkarte der Außenwelt. Sie entsteht durch einen Lernprozess. Dazu Roth und Ryba:
»Nach Erickson wird der Bezugsrahmen oder die Innere Landkarte eines Menschen entscheidend durch die Interaktionen mit den primären Bezugspersonen geprägt. Im Laufe des Lebens entsteht so ein komplexes Netzwerk von verschiedenen Assoziationskomplexen, die miteinander in einer Wechselwirkungsbeziehung stehen. Jeder Assoziationskomplex, der auch als Erlebens- und Verhaltensmuster bezeichnet werden kann, bildet eine Erfahrungseinheit, in der verschiedene innere Erfahrungselemente wie Perzeption, Kognition, Emotion, Verhalten, physiologische Reaktionen und kontextbezogene Faktoren synchron miteinander assoziiert sind. Erickson glaubte, dass die Inneren Landkarten eines Menschen so automatisiert sind, dass sie unbewusst werden (neurowissenschaftlich also tief vorbewusst), und dass auch die damit verbundenen Wahrnehmungen sowie Erfahrungen automatisiert ablaufen. Die Landkarten werden im Laufe der Zeit meist nicht mehr hinterfragt oder aktualisiert, da sie selten ins Bewusstsein der Person gelangen. Stattdessen werden sie durch die selektiven Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen dieser Person und die damit verbundenen Ergebnisse noch verstärkt und damit dauerhaft stabilisiert. Unter diesem Blickwinkel betrachtet, ist ein Symptom das Resultat der besten Entscheidung eines Klienten hinsichtlich seiner Optionen, die unbewusst durch die verfügbaren Assoziationen in der jeweiligen Landkarte vorgegeben werden.« – Gerhard Roth & Alica Ryba, Coaching, Beratung und Gehirn: Neurobiologische Grundlagen wirksamer Veränderungskonzepte
Innere Landkarten helfen uns somit bei der Orientierung. Sie bilden aber nicht das wirkliche Terrain ab. Ist eine Landkarte veraltet hilft sie uns vielleicht nicht länger ans Ziel. Dann ist eine Umstrukturierung notwendig. Gerade bei hartnäckigen Mustern.

Nach Erickson ist Trance ein nützlicher Lernzustand, indem der Bezugsrahmen verlassen werden und die innere Landkarte umstrukturiert werden kann.

Dazu werden Unterschiede in das Problemmuster eingeführt, das sich aufgrund der Wechselwirkungsbeziehung neu strukturiert. Neben hypnotherapeutischen Methoden sind hierzu auch andere Interventionsansätze denkbar, so Roth und Ryba.[13]13. Coaching und Beratung in der Praxis Ein neurowissenschaftlich fundiertes Integrationsmodell von Gerhard Roth & Alica Ryba, 2019 Erickson ging davon aus, dass wir Menschen in unserer Lebensgeschichte Erfahrungen gemacht und Fähigkeiten ausgebildet haben, die es uns ermöglichen, Trancephänomene zu entwickeln. Demnach bestehe die Aufgabe des Hypnotherapeuten oder Coach darin, diese Fähigkeiten hervorzubringen. Jeffrey K. Zeig hat mit »The Induction of Hypnosis« eine gelungene Einführung für den Ansatz nach Erickson geschrieben. Die Regeln der Kunst verlangen vermutlich eine Weiterbildung.

11. Entscheiden und Loslassen

Einige Probleme lassen sich erst lösen, wenn ein Entscheidungsprozess zum Loslassen führt. Die Buddhisten sprechen vom Anhaften. Wir haften oft an Gedanken der Vergangenheit oder Gedanken an die Zukunft, statt mit dem hier und jetzt zu leben. Aber auch in größerem Maßstab halten Klienten möglicherweise an Gedanken und Bildern fest. Ein Selbstständiger will seine Firma nicht aufgeben oder ein Angestellter nicht seinen Job, weil noch viele Gründe für den Status quo sprechen. Die Arbeit mit dem inneren Team wäre hier eine Möglichkeit, mit der eine »Innenklärung« stattfinden kann. Dabei werden verschiedene »innere Stimmen« zur Diskussion aufgefordert, um zu einem gemeinsamen Ergebnis zu kommen.

12. Die Umsetzung unterstützen und bewerten

Wir wissen, dass Ziele setzen und Ziele erreichen zwei verschiedene Dinge sind. Schon Kurt Lewin (1890 – 1947) unterschied zwischen »goal setting« und »goal striving«. Auch wenn ein Kunde über den metaphorischen Rubikon geschritten ist, also Entschlossenheit zeigt, können innere und äußere Hindernisse der Zielverfolgung im Weg stehen. Oder anders ausgedrückt: Es ist keine Frage des strategischen Managements mehr, sondern eine Frage des operativen Managements. Das meinen auch Chris McChesney und Sean Covey, Autoren der 4 Disciplines of Execution. Zur Unterstützung können Aktions- oder Zeitpläne dienen oder das Durchdenken von Realisierungsmöglichkeiten. Manchmal müssen mögliche Hindernisse antizipiert werden, wie bspw. in der WOOP-Methode. Im Sinne der operanten Konditionierung können Belohnungen eingeplant werden, um Verhaltensänderungen zu festigen. Es können auch posthypnotische Suggestionen gefasst werden, so Roth und Ryba, die den Klienten dabei unterstützen, im Problemkontext bestimmte Erlebens- und Verhaltensweisen verfügbar zu haben.[14]14. Coaching und Beratung in der Praxis Ein neurowissenschaftlich fundiertes Integrationsmodell von Gerhard Roth & Alica Ryba, 2019 Für das Stressmanagement-Coaching schlägt Stephen Palmer verschiedene Imaginationsübungen vor, die bei der Bewältigung kritischer Situationen helfen (coping imagery) oder die kritischen Merkmale der Situation erst bewusst machen (step-up imagery).[15]15. How to Deal with Stress von Stephen Palmer und Gary Cooper, 2013 Wie wir bei der Umsetzung unterstützen hängt natürlich vom Kunden ab. Eine Evaluation durchzuführen macht Sinn, um zu kontrollieren, inwiefern Interventionen erfolgreich waren und ggf. andere Maßnahmen zu ergreifen.
Das war meine Sichtweise der von Gerhard Roth und Alica Ryba vorgeschlagenen Prinzipien neurobiologisch wirksamer Veränderung. Die Regeln der Kunst im Coaching sind noch nicht ausgeschrieben. Die beiden Autoren liefern mit ihren Werken allerdings einen gelungenen Integrationsversuch. Und natürlich ist es nicht notwendig (und möglich) alle Prinzipien miteinander zu verbinden. Sollten Sie dennoch etwas mehr Farbe in Ihre Arbeit bringen würde ich mich über ein Feedback freuen.
Bildnachweis: Photo by russn_fckr on Unsplash  

References

References
1 1. Coaching und Beratung in der Praxis: Ein neurowissenschaftlich fundiertes Integrationsmodell von Gerhard Roth und Alica Ryba, 2019
2 2. Zielperspektiven in die Coaching-Praxis integrieren – Ein integratives Modell zielorientierten Coachings von Anthony Grant, 2018
3 3. Brief Coaching – A Solution Focused Approach von Chris Iveson et al. 2012
4 4. Gibt es einen Ressourcenkern? Überlegungen zur Funktionalität von Ressourcen von Antje Ducki & Tanjy Kalytta, 2006
5 5. Neurobiologie der Ressourcenorientierung von Daniel Mentha In: Ressourcen… Ein Hand- und Lesebuch zur psychotherapeutischen Arbeit von Johannes Schaller & Heike Schemmel, 2017
6 6. Clues: Investigating Solutions in Brief Therapy von Steve de Shazer, 1988
7 7. The differential effects of solution-focused and problem-focused coaching questions: a pilot study with implications for practice von Anthony M. Grant & Sean A. O’Connor, 2010
8 8. Ordeal Therapie: Ungewöhnliche Wege der Verhaltensänderung von Jay Haley, 2014
9 9. Coaching und ergebnisorientierte Selbstreflexion: Theorie, Forschung und Praxis des Einzel- und Gruppencoachings von Siegfried Greif, 2008
10 10. Rating methodischer Erfolgsfaktoren im Coaching von Frank Schmidt et al., 2007
11 11. How are habits formed: Modeling habit formation in the real world von Phillipa Lally, 2010
12 12. Selbstmanagement-Therapie von Kanfer und Kollegen, 2012
13 13. Coaching und Beratung in der Praxis Ein neurowissenschaftlich fundiertes Integrationsmodell von Gerhard Roth & Alica Ryba, 2019
14 14. Coaching und Beratung in der Praxis Ein neurowissenschaftlich fundiertes Integrationsmodell von Gerhard Roth & Alica Ryba, 2019
15 15. How to Deal with Stress von Stephen Palmer und Gary Cooper, 2013

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