Die Tafel Milka-Schokolade sieht aus wie immer: lila Verpackung mit der vertrauten Kuh auf der Wiese. Nur wer genau hinschaut sieht, dass die Tafel anstelle der gewöhnten 100 Gramm nur noch 90 Gramm wiegt (Mondelez Deutschland Services GMBH & CO. KG, 2025). Das gleiche Prinzip bei Chips, Waschmittel oder Shampoo. Der Inhalt schrumpft, die Verpackung bleibt dabei gleich oder wird nur so geringfügig verändert, dass man es nicht merkt. Wenn sie merklich anders aussieht, wird zum Beispiel mit „nachhaltigere Verpackung“ von der Änderung des Inhaltes abgelenkt. Dieses Phänomen nennt sich „Shrinkflation“: Produkte werden kleiner, der Preis bleibt gleich oder wird sogar zusätzlich erhöht. Viele Verbraucher:innen fühlen sich dadurch betrogen, während Unternehmen argumentieren, dass das die einzige Möglichkeit sei, wirtschaftlich zu überleben (Kalka & Krämer, 2025, S. 174).
Wo liegt die Grenze zwischen Verbrauchertäuschung und notwendigen Maßnahmen?
Was hinter Shrinkflation steckt
Das Wort Shrinkflation setzt sich aus shrink (schrumpfen) und inflation (Inflation) zusammen und beschreibt die Verkleinerung von Produkten bei gleichbleibenden oder steigenden Preisen. In Zeiten stark ansteigender Rohstoff- und Energiepreise wenden immer mehr Hersteller diese Methode zur Einsparung an (Oetzel & Luppold, 2023, S. 177–178). Betroffene Produkte werden auch als „Mogelpackungen“ bezeichnet. Ein besonders bekanntes Beispiel: Milka. Dieses Jahr gewann Milka den Negativpreis „Goldener Windbeutel“ der Verbraucherorganisation Foodwatch für die dreisteste Werbelüge des Jahres. Kurz nach einer bereits erfolgten Preiserhöhung von 1,49 Euro auf 1,99 Euro kam die Shrinkflation: das Gewicht der Tafel wurde von 100 auf 90 Gramm reduziert, bei identischer Verpackung. Die Tafel Schokolade wurde lediglich etwas dünner, wirkt auf Verbraucher aber unverändert (foodwatch Deutschland, 2025). Zusammen mit der Preiserhöhung kurz vorher ergibt sich eine Preissteigerung von 48 %. Zum Vergleich: laut dem Verbraucherpreisindex des Statistischen Bundesamtes stiegen die Schokoladenpreise zwischen Anfang 2024 und Anfang 2025 nur um 8 % (Statistisches Bundesamt, 2024), deutlich weniger als Milkas 48 %.
Die Perspektive der Unternehmen
Die Unternehmen, die Shrinkflation einsetzen, haben dafür einige Argumente. Zum einen sehen sie sich dazu gezwungen, weil die Preise für Rohstoffe, Energie und Transport in den letzten Jahren stark angestiegen sind. Um wirtschaftlich überleben zu können, müssen sie also entweder das Produkt verändern oder den Preis. In Studien hat sich bereits mehrfach gezeigt, dass Kund:innen schwächer auf die Veränderung von Packungsgrößen reagieren als auf Preisänderungen. Somit ist die versteckte Preiserhöhung durch Shrinkflation ein funktionierendes Mittel, um die Kostensteigerungen an Kund:innen weiterzugeben und die Gewinne halten zu können (Oetzel & Luppold, 2023, S. 179).
Auch der Wettbewerbsdruck ist hier wichtig: wenn zum Beispiel nur ein Schokoladenhersteller seinen Preis erhöht, während alle anderen ihre Füllmengen reduzieren, wirkt das Produkt im Supermarkt sofort viel teuer. So können schnell Verluste gemacht und Marktanteile verloren werden. Andersherum hat Shrinkflation auch häufig als Konsequenz, dass Konkurrenten ihrerseits die Preise senken, um mithalten zu können (Oetzel & Luppold, 2023, S. 180).
Psychologische Mechanismen und Konsumentenverhalten
Im Falle Milka hat die Verkleinerung der Schokoladentafel in Kombination mit der davor erfolgten Preissteigerung einen Skandal und einen Absatzrückgang verursacht: im ersten Halbjahr 2025 sank der Absatz um 6,6 % (Kölner Stadt-Anzeiger, 2025). Aber trotzdem: die Literatur legt nahe, dass man „den möglichen Shitstorm und die damit verbundene schlechte Presse“ nur kurz aushalten müsse – auf längere Sicht ließe sich der Gewinn dadurch halten oder steigern, trotz Kostensteigerungen bei der Produktion (Oetzel & Luppold, 2023, S. 179).
Dass die Shrinkflation funktioniert, liegt vor allem daran, dass vielen Verbraucher:innen die verkleinerten Packungsgrößen nicht auffallen, oder sie ihre Kaufgewohnheiten einfach trotzdem beibehalten. Unternehmen nutzen zusätzlich gezielt psychologische Mechanismen, die bekannterweise das Konsumverhalten beeinflussen. Ein Element ist die selektive Wahrnehmung: beim Einkaufen wird vor allem auf Preise und vertraute Markenmerkmale geachtet. Etwa das Design der Verpackung, Farben und gewohnte Preise vermitteln eine Stabilität und Kontinuität, trotz veränderter Inhaltsmenge (Burmann, Halaszovich, Schade, Klein & Piehler, 2024, S. 23).
Auch ein Faktor: Wenn Änderungen der Produktgrößen von Marken offen kommuniziert und auch plausible Gründe dafür angegeben werden, kann das das Kaufverhalten auch positiv beeinflussen. Wenn die Anpassung zum Beispiel auf steigende Rohstoffpreise oder Nachhaltigkeitsaspekte zurückgeführt wird, verorten Konsument:innen die Gründe außerhalb des Einflussbereichs der Unternehmen. Dadurch wird die emotionale Ablehnung reduziert. Außerdem wird Fairness und eine offene Kommunikation im Allgemeinen geschätzt: sie fördert das Vertrauen in die Marke und verhindert die Entstehung kognitiver Dissonanz (Oetzel & Luppold, 2023, S. 182).
Fazit und Handlungsempfehlungen
Shrinkflation zeigt deutlich die Überschneidung zwischen Wirtschaft und psychologischen Prozessen. Für Unternehmen ist sie ein Mittel, die steigenden Kosten abzufangen, für Verbraucher:innen kann sie ein Vertrauensbruch sein. Ob sie letzten Endes als Täuschungsversuch oder als notwendige Maßnahme wahrgenommen wird, hängt von der Umsetzung ab und davon, wie transparent Unternehmen handeln.
Eine offene Kommunikation über die Reduzierung der Produktgröße zusammen mit nachvollziehbaren Begründungen kann die Reaktion von Verbraucher:innen deutlich verbessern (Oetzel & Luppold, 2023, S. 182).
Für Verbraucher:innen gilt: wer sich bewusst informiert und aufmerksam einkauft, zum Beispiel Grundpreise vergleicht, kann Manipulationen leichter erkennen und vermeiden. Damit Transparenz bei Unternehmen nicht freiwillig bleibt, könnte es auch eine Aufgabe der Politik sein, klare Kennzeichnungspflichten zu schaffen (tagesschau.de, 2023).
Literaturverzeichnis
Burmann, C., Halaszovich, T., Schade, M., Klein, K. & Piehler, R. (2024). Identitätsbasierte Markenführung. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-44931-5
Foodwatch Deutschland. (2025). Goldener Windbeutel 2025: Milka Alpenmilch – Tafel geschrumpft, Preis explodiert.
Kalka, R. & Krämer, A. (Hrsg.). (2025). Preiskommunikation. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-46618-3
Kölner Stadt-Anzeiger. (2025, 3. November). Milka bringt nach Umsatzeinbruch „Billig-Tafel“ für 99 Cent. Verfügbar unter: https://www.ksta.de/wirtschaft/milka-bringt-nach-umsatzeinbruch-mini-tafel-fuer-99-cent-2-1073093
Mondelez Deutschland Services GMBH & CO. KG. (2025, 31. Oktober). Tafeln – Milka Schokolade. Verfügbar unter: https://www.milka.com/de/alle-produkte/tafel-schokolade/
Oetzel, S. & Luppold, A. (2023). 33 Phänomene der Kaufentscheidung. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-42861-7
Statistisches Bundesamt. (2024). Preisentwicklung ausgewählter Waren und Dienstleistungen. Verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Wirtschaft/Preise/Verbraucherpreisindex/Tabellen/top20.html?templateQueryString=Schokolade
Tagesschau.de. (2023). Verbraucherschützer fordern Kennzeichnung versteckter Preiserhöhungen, tagesschau.de. Verfügbar unter: https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/verbraucherschutz-shrinkflation-versteckte-preiserhoehungen-inflation-100.html
Bildquellen
Titelbild: https://pixabay.com/photos/chocolate-tablet-to-taste-1277002/ (jackmac34, 2016)






