By Published On: 25. November 2025Categories: Inklusion, Pädagogik, Soziales

Die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ist seit der Unterzeichnung der UN-Behindertenrechtskonvention ein Menschenrecht in Deutschland. Inklusion ist damit keine Frage des guten Willens, sondern eine Selbstverständlichkeit. Zumindest sollte es so sein. Ein genauerer Blick auf verschiedene Bereiche der Gesellschaft macht aber schnell deutlich, dass Ziele, Vorschriften und Abkommen oft nur bedingt etwas mit der Realität zu tun haben. Dies trifft leider auch auf das deutsche Schulsystem zu.

So sähe gelungene Inklusion an Schulen aus

Inklusion an Schulen – was bedeutet das überhaupt? Konsequent umgesetzt versteht man unter einem inklusiven Schulsystem die gemeinsame Beschulung aller Schülerinnen und Schüler – unabhängig davon, ob Einschränkungen oder erhöhte Förderbedarfe bestehen. Durch ausreichend vorhandenes und ausreichend geschultes Fachpersonal wird gewährleistet, dass alle Lernenden ihren individuellen Voraussetzungen entsprechend optimal gefördert werden (UN-Behindertenrechtskonvention, 2006, Artikel 24). Deutschland hat sich durch die Unterzeichnung der UN-Konvention im Jahr 2009 dazu verpflichtet, diesen Bestimmungen nachzukommen. Seitdem sind mehr als 15 Jahre vergangen – eigentlich genug Zeit, um Inklusion an deutschen Schulen zum Standard zu etablieren. Wie sieht es also in der Realität aus?

Abbildung 1: Inklusion an deutschen Schulen: Schein oder Realität? (Quelle: Freepik)

Die Wahrheit über Inklusion an deutschen Schulen

Einen ersten Eindruck über die Umsetzung von inklusivem Unterricht und inklusivem Schulleben ermöglicht die aktuelle Datensammlung der Kultusministerkonferenz über sonderpädagogische Förderung. Dieser Statistik kann man einerseits entnehmen, wie viele Schülerinnen und Schüler mit diagnostiziertem Förderbedarf an allgemeinen Schulen unterrichtet werden und wie viele von ihnen nach wie vor spezielle Förderschulen besuchen. Demnach gab es im Schuljahr 2023/24 insgesamt 608.097 Kinder und Jugendliche, die besondere Förderung benötigten. 344.363 von ihnen – das entspricht 55,9 Prozent – besuchten eine Förderschule. Im Gegensatz dazu wurden 263.734, also 44,1 Prozent, an einer allgemeinen Schule unterrichtet (2024, S. 8). Interessant ist zudem die Aufschlüsselung nach Förderschwerpunkten (vgl. Abbildung 2). Hier zeigt sich, dass Schülerinnen und Schüler mit zusätzlichem Förderbedarf im Bereich Lernen, Sehen, Hören sowie Emotionale und soziale Entwicklung geringfügig häufiger allgemeine Schulen statt Förderschulen besuchen. Im Gegensatz dazu besuchen Kinder, die den Förderschwerpunkten Körperliche und motorische Entwicklung sowie Geistige Entwicklung zugeordnet sind, deutlich häufiger eine Förderschule. Der Förderschwerpunkt Lernen, Sprache, emotionale und soziale Entwicklung (LSE) wurde im Schuljahr 2023/24 sogar ausschließlich an Förderschulen unterrichtet. Eine weitere Erkenntnis dieser Statistik ist, dass die Segregation offensichtlich erst mit der Zuteilung zu einem Förderschwerpunkt stattfindet. Solange dies noch nicht erfolgt ist, verblieben 73,1 Prozent der Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf an der allgemeinen Schule.

Abbildung 2: Anteil der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Schuljahr 2023/24 (KMK, 2024, S. 8)

Nun könnte man argumentieren, dass eine Inklusionsquote von 44,1 Prozent an deutschen Schulen immerhin ein Anfang ist und zeigt, dass es Inklusionsbemühungen gibt. Auch dieser Schein trügt allerdings. In vielen Fällen, in denen Schülerinnen und Schüler mit diagnostiziertem Förderbedarf an allgemeinen Schulen unterrichtet werden, handelt es sich dabei um Schulen mit einem speziellen Inklusionsprofil – also Einrichtungen, die damit werben, dass sie den Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen mit besonderen Bedarfen durch entsprechende Räumlichkeiten oder speziell geschultes Personal überdurchschnittlich gut entsprechen können. Im Klartext heißt das, dass letztlich doch wieder eine Etikettierung stattfindet (BLLV, 2025a) – und damit das Gegenteil von Gleichheit. Und ob der Unterricht an solchen Schulen tatsächlich inklusiv ist, steht ebenfalls zur Debatte, denn häufig werden Zusatzstunden und -kapazitäten dafür verwendet, Schülerinnen und Schüler mit besonderen Bedarfen zumindest stundenweise von der Klasse getrennt separat zu unterrichten.

Ursachen für die dürftige Umsetzung von Inklusion an Schulen

Es stellt sich die Frage, warum es in mehr als 15 Jahren immer noch nicht gelungen ist, Schulformen zu entwickeln, in denen echte Inklusion gelebt wird. Die Antworten auf diese Frage sind vielfältig. Zum einen dürfen in Deutschland noch immer die Eltern darüber entscheiden, ob ihre Kinder mit zusätzlichem Förderbedarf inklusiv oder in Förderschulen unterrichtet werden. Viele von ihnen sind der Meinung, dass an Förderschulen besser geschultes Personal arbeitet – und entscheiden sich deshalb für die Segregation. Dieser Gedanke ist nicht ganz unberechtigt, schließlich sind zum Beispiel in ganz Bayern nur 8 Prozent aller Schulklassen doppelt besetzt (BLLV, 2025a). Das bedeutet, neben der Lehrkraft steht dauerhaft eine weitere Fachkraft zur Verfügung, etwa eine sonderpädagogische Fachperson. Ohne eine solche Doppelbesetzung ist vernünftiger inklusiver Unterricht, der alle Schülerinnen und Schüler angemessen fördert, aber schlicht nicht möglich. Auch die Klassengröße spielt eine wichtige Rolle, je heterogener die Schülerschaft wird. Zumindest in Bayern wird die Anzahl der Lernenden in einer Klasse jedoch nicht angepasst, wenn ein Schüler oder eine Schülerin mit sonderpädagogischem Förderbedarf hinzukommt (BLLV, 2025b). Ein weiteres Problem: 73 Prozent der Lehrkräfte, die in Bayern inklusiv unterrichten, geben an, dass sie in ihrer Ausbildung keine Inhalte zu Inklusion gelernt haben, mehr als die Hälfte verfügt laut eigener Aussage über keinerlei sonderpädagogisches Wissen (BLLV, 2025b). Das kann nicht zufriedenstellend sein – weder für die Eltern, noch für die betroffenen Kinder und auch nicht für die Lehrkräfte.

Wie in so vielen gesellschaftlichen Bereichen gilt also auch in der Schule: Inklusion ist ein schönes Ziel, das bisher aber nur bedingt umgesetzt wird. Um bessere Quoten zu erzielen, müssen sich vor allem die Rahmenbedingungen ändern – damit Teilhabe für alle nicht nur eine leere Floskel bleibt.

Quellen:

Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV). (2025a). „Das ist genau das Gegenteil von Inklusion“. https://www.bllv.de/vollstaendiger-artikel/news/ist-genau-gegenteil-von-inklusion-7016

Bayerischer Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV). (2025b). Inklusion in Bayern: Schulen brauchen bessere Rahmenbedingungen! https://www.bllv.de/news-bllv-themen/news/inklusion-bayern-schulen-brauchen-bessere-rahmenbedingungen-6740.

Kultusministerkonferenz. (2024). Sonderpädagogische Förderung in allgemeinen Schulen (ohne Förderschulen). 2023/2024. https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/Statistik/Dokumentationen/Aus_SoPae_Int_2023.pdf.

UN-Behindertenrechtskonvention. (2006). Artikel 24: Bildung. https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/menschenrechtsschutz/datenbanken/datenbank-fuer-menschenrechte-und-behinderung/detail/artikel-24-un-brk.

Quelle Beitragsbild: http://unsplash.com/de/fotos/eine-gruppe-von-spielzeugtieren-sitzt-auf-einem-grunen-behalter-sAnzTshqtWE

Quelle Abbildung 1: https://de.freepik.com/fotos-kostenlos/multiethnische-und-behinderte-menschengemeinschaft-mit-bleistiften_10419052.htm#fromView=search&page=1&position=0&uuid=27fe3b29-47bf-4f5b-bdce-922acec63757&query=inklusion+schule

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