By Published On: 6. Januar 2017Categories: Gesundheit, Psychologie, Wirtschaft

 

 

Abb. 1: Viele Hände schnelles Ende?

Abb. 1: Viele Hände schnelles Ende?

Helfen hat viele Gesichter – sei es eine finanzielle oder sachliche Spende für Hilfsbedürftige, die Hilfe bei einem guten Freund beim Umzug oder eine seelische Unterstützung bei persönlichen Problemen im Verwandtenkreis. Helfen ist generell betrachtet ein sehr wichtiger und wertvoller Wesenszug. Gerade auch die Gesellschaft profitiert zweifelsohne von der Hilfsbereitschaft vieler Bürger, die sich beispielsweise in der freiwilligen Feuerwehr, im ärztlichen Notdienst oder bei ehrenamtlichen Tätigkeiten engagieren. Wissenschaftler unterscheiden hierbei jedoch zwei Formen von Helfen. Zum einen gibt es die solidarische Hilfe, die dem Gegenüber einen Nutzen bringt, zum anderen ist darüber hinaus eine pathologische Hilfe existent, die im schlimmsten Fall sowohl dem Empfänger als auch dem Helfenden schadet. Beim Helfersyndrom liegt die zweit genannte Ausprägung vor.[1]

 

Von der guten Tat zur Krankheit

Wolfgang Schmidbauer, ein Münchner Psychoanalytiker und Autor, rief den Begriff des „Helfersyndroms“ erstmals im Jahre 1977 in seinem Buch „Der hilflose Helfer“ ins Leben.[2] Das Helfersyndrom wird oftmals auch umgangssprachlich verwendet, ist jedoch als psychische Krankheit offiziell anerkannt.[3] Sobald mehrere zusammenhängende Krankheitsmerkmale (Symptome) gleichzeitig auftreten und dabei ein Störungsbild schaffen, spricht man im psychologischen und medizinischen Sinne von einem Syndrom.[4]

Die Anzeichen des Helfersyndroms gehen in ein und dieselbe Richtung, selten jedoch bringen Betroffene das notwendige Verständnis für die Krankhaftigkeit ihres Verhaltens auf.[5] Menschen mit Helfersyndrom neigen dazu, ihre eigenen Bedürfnisse hinten anzustellen und immerzu anderen zu helfen. Dabei suchen sie sich zur Hilfeleistung meistens Schwächere aus, um diesen gegenüber Macht und Überlegenheit zu demonstrieren. Hierin spüren sie Genugtuung und Bestätigung, was wiederum ihr geringes Selbstbewusstsein aufwertet, ihre Schwächen kompensiert und von den eigenen Problemen ablenkt.[6] Selbst abhängig von anderen zu sein verursacht für Betroffene ein Schamgefühl. Eigene Schwächen und Hilflosigkeit wollen sie nicht eingestehen, sondern suchen diese lieber beim Gegenüber.[7] Gerade Menschen, die emotional instabil und tendenziell eher depressiv sind, sind gegenüber dem Helfersyndrom anfälliger.

Hilfsbedürftige werden von Betroffenen geradezu magnetisch angezogen, jedoch – wie bereits beim Aspekt der pathologischen Hilfe erläutert – ist es nicht zwingend der Fall, dass der Hilfe-Empfänger diese Hilfe überhaupt möchte. Ungefragt und voller Tatendrang stürzen sich Menschen mit Helfersyndrom in die Arbeit und schaden damit nicht nur sich selbst, sondern auch dem Gegenüber.[8] Dieser gerät – oft ungewollt – in ein Abhängigkeitsverhältnis und verlernt, eigeninitiativ zu handeln.[9]

Die negativen Auswirkungen des permanenten Helfenwollens liegen in der Unzufriedenheit, inneren Leere und Erschöpfung. Trotz der Frustration fällt es Betroffenen schwer, die Hilfsbereitschaft zu beschränken – ihrer Ansicht nach sind sie gefangen wie in einem Hamsterrad.[10] Schwerwiegende Folgen, die mit dem Syndrom einhergehen, sind Depressionen, psychosomatische Erkrankungen oder Burn-Out.

Prädestiniert für eine Erkrankung am Helfersyndrom sind Menschen in diversen Berufsgruppen wie Pflegekräfte, Lehrer, Seelsorger, Ärzte etc.[11] Jedoch sind Psychologen der Meinung, dass nicht allein die Aufgaben dieser Berufe zu einem Helfersyndrom führen, sondern sich gerade Menschen, die die bereits genannten Persönlichkeitszüge haben, diese Berufe bewusst aussuchen.[12] Aber auch die stetig zunehmende Professionalisierung in den verschiedensten Berufsbereichen, unter anderem bestehend aus dem technologischem Fortschritt und den ökonomischen Anforderungen, führen noch rasanter zu einer Erkrankung am Helfersyndrom.[13]

Abb. 2: Anderen Helfen schön und gut. Aber ich habe doch auch Bedürfnisse…

Abb. 2: Anderen Helfen schön und gut. Aber ich habe doch auch Bedürfnisse…

Ursprünge des Helfersyndroms

Wolfgang Schmidbauer stützt die Ursachen für das Helfersyndrom auf folgende fünf Säulen[14]:

  1. Das abgelehnte Kind – „Ein verwahrlostes Baby“

⇒ Bereits im Kindesalter wurden vom Helfersyndrom Betroffene von ihren Bezugspersonen abgelehnt, teilweise aufgrund von Unerwünschtheit, manchmal jedoch aber auch unbewusst. Diese Erfahrung, keine gefühlsmäßige Bindung zu haben, begleitet sie ihr ganzes Leben hindurch. Sie sehnen sich nach permanenter Bestätigung, um die frühkindlichen Erfahrungen kompensieren zu können. Auch wenn sie nicht verantwortlich für gewisse Handlungen sind, fühlen sie dies trotzdem. Sie sind sehr empfindlich, schwach und nur geringfügig kritikfähig.

  1. Die Identifizierung mit dem Über-Ich – „Alles nur Fassade“

⇒ Nach Freud ist das Über-Ich eine moralische Instanz, welches die Wertvorstellungen des sozialen und kulturellen Umfeldes umfasst. Erfahrungen, die ein Kind sowohl von den Eltern als auch von der sozialen Umgebung sammelt, finden sich hier wieder.  Beim Helfer-Syndrom wird dieses Über-Ich in zu hohem Maße betont und stark daran festgehalten, da sich der Betroffene an den Erwartungen der Eltern orientieren musste. Empathie geht dadurch verloren und der Betroffene reagiert oft resigniert und wirkt leer.

  1. Die narzisstische Unersättlichkeit – „Der Hunger nach Liebe“

⇒ Liebe und Anerkennung sind für Menschen mit Helfersyndrom hoch geschätzte Güter, die sie stets ersuchen. Ebenso sind sie perfektionistisch veranlagt, können jedoch nicht abschätzen, ob die Hilfe überhaupt erwünscht ist. Deshalb sind sie gekränkt, sobald jemand die Wohltat, welche sie in ihren Augen darstellt, ablehnt.

  1. Die Vermeidung von Gegenseitigkeit – „Ohnmacht und Allmacht“

⇒ Die Beziehungen von Betroffenen des Helfersyndroms sind sehr unausgeglichen, da sie aus einem übermäßigen Geben und einem im Vergleich dazu geringen Nehmen bestehen. Eine Balance der Wechselbeziehung zu haben fühlt sich für Erkrankte schädlich an und verursacht Angstzustände.

  1. Die indirekte Aggression – „Die eingesperrten Gefühle“

⇒ Angestauten Aggressionen werden nicht direkt gegenüber Mitmenschen beispielsweise durch Wutausbrüche ausgelebt, sondern indirekt gegen sich selbst unterdrückt und verdrängt. Mögliche Ausprägungen indirekter Aggression sind zum Beispiel ein Zurückhalten von Informationen, eine „Ja-Aber“-Haltung oder provokatives Verhalten anderen gegenüber, dass diese direkte Aggressionen äußern und der Erkrankte sich selbst von Schuldgefühlen befreit sieht.

 

Fazit

Das Helfersyndrom ist keineswegs auf die leichte Schulter zu nehmen und es sollte bestmöglich Abhilfe geschaffen werden. Betroffene müssen sich der Anzeichen bewusstwerden, möglicherweise kommt der Ratschlag zur notwendigen Veränderung aus dem ehrlichen Bekanntenkreis. Bestenfalls können Erkrankte selbst durch bedachte Lebensweise und Reflexion ihre Krankheit in den Griff bekommen und wieder verstärkt auf sich selbst und die eigenen Bedürfnisse achten. Es ist wichtig, dass sie lernen, wie wertvoll und liebenswert sie sind und die Bestätigung durch andere nicht Ziel und Sinn des eigenen Lebens ist. Allerdings ist dies für viele Betroffene nicht problemlos und im Alleingang zu bewältigen. An dieser Stelle empfiehlt es sich, professionelle Hilfe eines Psychotherapeuten hinzuzuziehen. Auch wenn ein Helfen an vielen Stellen sinnvoll und notwendig erscheint, darf es nicht zur Last werden. Letztendlich hat jeder die Verantwortung für die eigene Person selbst zu tragen.

 

Teile diesen Artikel