By Published On: 13. Juni 2023Categories: Psychologie

Ein regelmäßiges Tagebuch führen, Briefe verfassen oder einfach nur ab und an ein paar Gedanken in ein Heft notieren – viele Menschen machen die Erfahrung, dass ihnen Schreiben bei der Lebensbewältigung hilft. Wer den Hashtag #journaling in den Sozialen Medien sucht, findet eine Vielzahl an Postings, Tipps und Berichten dazu, dass Schreiben einen positiven Einfluss auf die psychische Gesundheit habe.

Schreibtherapie

Obwohl Schreiben einen (selbst-)therapeutischen Charakter hat, da es die Aspekte Selbsterforschung und -erkenntnis beinhaltet, ist die Beschäftigung mit der heilenden Wirkung des Schreibens im deutschsprachigen Raum eher im Randbereich verortet. Die Begriffe therapeutisches, kreatives oder (auto-)biographisches Schreiben sowie Poesie- oder Schreibtherapie werden teilweise synonym verwendet, sind wenig voneinander abgegrenzt und weisen als kleinsten gemeinsamen Nenner das Schreiben an sich auf. In der Regel wird von therapeutischem Schreiben, Schreib- oder Poesietherapie gesprochen, wenn das Schreiben als Mittel zur Selbsterforschung bzw. -reflexion genutzt wird und darauf angelegt ist, den subjektiven Zustand einer Person zu verbessern. Als expressiv-kreative Therapieform ist die Schreibtherapie keiner klassischen Psychotherapieschule zugeordnet (Heimes, 2009, S. 17–18), allerdings haben Schreibinterventionen Eingang in viele verschiedene Therapieformen gefunden und werden im Rahmen der Positiven Psychologie zur Steigerung des psychischen Wohlbefindens eingesetzt (Ruini & Mortara, 2022, S. 23–24).

Wie Schreiben wirkt

Einer der ersten Wissenschaftler, der die therapeutischen Effekte des Schreibens untersuchte, ist James Pennebaker. In einer Studie mit Studierenden, die an vier aufeinanderfolgenden Tagen für je 15 min über ein belastendes bzw. traumatisches Ereignis schrieben, zeigte sich, dass diejenigen, die dabei aufgefordert wurden, auch ihre Emotionen bezüglich des Ereignisses auszudrücken, in den folgenden 6 Monaten seltener medizinische Versorgung benötigten. Das expressive Schreiben über traumatische Erfahrungen verbessert somit die psychische und physische Gesundheit (Pennebaker & Beall, 1986, S. 275–281). Dies löste eine Vielzahl an Studien zur Wirksamkeit des expressiven Schreibens in unterschiedlichen Settings aus. Eine Meta-Analyse zur Effektivität unterschiedlicher Schreibtherapien von Gerger, Werner, Gaab und Cuijpers (2021) kam zum Ergebnis, dass das expressive Schreiben nach Pennebaker sowohl mit therapeutischer Begleitung als auch ohne Therapeutenkontakt positive Veränderungen bei Traumapatient:innen bewirkt. Die trauma-fokussierten Schreibtherapien übertrafen mit kleinen bis moderaten Effekten zwar das neutrale Schreiben (in Studien meist für Kontrollgruppen verwendet), jedoch ließen sich auch für das neutrale Schreiben positive Effekte gegenüber Wartelisten-Kontrollgruppen feststellen. Dies mag daran liegen, dass nur wenige Studien mit Wartelisten-Kontrollgruppen arbeiten (Gerger et al., 2021, S. 3492–3493), verweist aber auch darauf, dass aus solchen Untersuchungen nur hervorgeht, ob Wirkungen vorhanden sind, aber keine Aussagen über die dahinterliegenden Wirkmechanismen abgeleitet werden können. Warum und wann genau Schreiben helfen kann, ist daraus nicht zu erkennen (Pennebaker, 2010, S. 20).

Expert:innen unterschiedlicher Disziplinen kritisieren deshalb häufig die fehlende empirische Grundlage schreibtherapeutischen Arbeitens und wünschen sich mehr Forschung zu den genauen Wirkmechanismen (Unterholzer, 2017, S. 13–14). Den Versuch einer Differenzierung und Klassifizierung der Wirkungen und Wirkfaktoren hat Heimes (2012) unternommen und anhand der damaligen Studienlage folgende Hauptwirkungen ermittelt:

  1. Emotionsregulation:

Hier spielen vor allem die Wirkfaktoren Selbstoffenbarung und Verarbeitung belastender Erlebnisse eine Rolle. Die Verschriftlichung kann u . a. dabei unterstützen, sich von Problemen und Belastungen zu distanzieren sowie mit innerer Zerrissenheit oder Widersprüchen besser umzugehen. Schreiben kann einen Zugang zu belastenden oder schambesetzten Themen ermöglichen, über die Klient:innen normalerweise nicht sprechen würden (Heimes, 2012, S. 54–78; Unterholzer, 2017, S. 186–188).

  1. Selbstwirksamkeit:

Schreiben wirkt kognitionsfördernd und unterstützt Prozesse des Erkennens, Verstehens und Einordnens. Zudem kann es zur Neubewertung von belastenden Ereignissen und Problemen beitragen. Im Schreiben können Möglichkeiten imaginiert werden, was die Zuversicht forciert und positive Effekte für das Selbstkonzept und die Lebensziele von Klient:innen mit sich bringt (Heimes, 2012, S. 78–109; Unterholzer, 2017, S. 188–190).

  1. Soziale Integration:

Schreiben wirkt auf das Sozial- und Kommunikationsverhalten. Durch das Verschriftlichen kann man zunächst eine Verbindung zu sich selbst herstellen und Klarheit gewinnen, um anschließend in den kommunikativen Austausch mit anderen zu treten. (Heimes, 2012, S. 109–120; Unterholzer, 2017, S. 191–192).

Neben diesen Hauptwirkungen identifiziert Unterholzer (2017) in Tiefeninterviews mit Klient:innen weitere Wirkungen. Dies ist zum einen die meditative Wirkung: Schreiben entschleunigt und verändert die Zeitwahrnehmung, was zum Spannungsabbau beiträgt. Zudem hat Schreiben eine kreative Wirkung: Es mobilisiert kreatives Potenzial und regt durch kreatives Schaffen zur Heilung an. Des Weiteren zeigt sich eine musterunterbrechende Wirkung: In ein Heft zu schreiben kann helfen, sich selbst zu beruhigen und Spannungen abzubauen, sodass destruktive Muster, wie z. B. Essattacken oder Ängste, unterbrochen werden. Zuletzt hat Schreiben eine Zeugen- und Dokumentationswirkung: Es macht Gedanken und Gefühle sichtbar und wirkt dem Vergessen entgegen. Im Therapieverlauf kann auf geschriebene Texte immer wieder zurückgegriffen werden, um nachhaltige Lösungen zu finden sowie die Entwicklungs- und Veränderungsprozesse nachzuvollziehen (Unterholzer, 2017, S. 191–196).

Fazit

Die Erfahrung vieler Menschen, dass ihnen Schreiben bei der Lebensbewältigung hilft, wird u. a. durch die Studien zum expressiven Schreiben nach Pennebaker bestätigt. Auch wurden bereits einige Wirkungen identifiziert, die dafür sprechen, dass Schreiben einen heilenden Effekt hat. Allerdings mangelt es der Forschung noch an Systematisierung. Um die postulierten Wirkungen zu bestätigen oder zu falsifizieren, sollte eine eindeutige Definition und Abgrenzung der teilweise synonym verwendeten Begriffe wie therapeutisches, kreatives oder (auto-)biographisches Schreiben, Poesie- bzw. Schreibtherapie sowie eine präzise Klassifizierung der Wirkfaktoren vorgenommen werden.

Während es in diesem Blog-Artikel um die Frage ging, ob Schreiben therapeutisch wirksam ist, möchte ich im Fortsetzungsartikel „Schreib es auf! – Steigere dein Wohlbefinden mit Übungen der Positiven Psychologie“ dazu ermutigen, selbst einmal das Schreiben auszuprobieren.


Literaturverzeichnis

Gerger, H., Werner, C. P., Gaab, J. & Cuijpers, P. (2021). Comparative efficacy and acceptability of expressive writing treatments compared with psychotherapy, other writing treatments, and waiting list control for adult trauma survivors: a systematic review and network meta-analyses. Psychological Medicine, 52(15), 3484–3496. https://doi.org/10.1017/S0033291721000143

Heimes, S. (2009). Kreatives und therapeutisches Schreiben. Ein Arbeitsbuch (2., durchgesehene Auflage). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Heimes, S. (2012). Warum Schreiben hilft. Die Wirksamkeitsnachweise zur Poesietherapie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Pennebaker, J. W. (2010). Heilung durch Schreiben. Ein Arbeitsbuch zur Selbsthilfe (1. Auflage). Bern: Huber.

Pennebaker, J. W. & Beall, S. K. (1986). Confronting a traumatic event: toward an understanding of inhibition and disease. Journal of abnormal psychology, 95(3), 274–281.

Ruini, C. & Mortara, C. C. (2022). Writing technique across psychotherapies – from traditional expressive writing to new positive psychology interventions: A narrative review. Journal of Contemporary Psychotherapy, (52), 23–34. https://doi.org/10.1007/s10879-021-09520-9

Unterholzer, C. C. (2017). Es lohnt sich, einen Stift zu haben. Schreiben in der systemischen Therapie und Beratung (1. Auflage). Heidelberg: Carl-Auer.


Bildquelle

Abbildung 1: Beitragsbild – Quelle: Balzereit, I. (2023). Eigene Fotografie.

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