By Published On: 13. Juni 2023Categories: Psychologie

Diese Fortsetzung des Blog-Artikels „Heilendes Schreiben“ möchte dich dazu ermutigen, das Schreiben einmal selbst auszuprobieren. Der Start ist sehr leicht, denn du brauchst keine spezielle Ausrüstung. Schreiben kann fast überall und jederzeit durchgeführt werden. Ob Zuhause, im Café oder in der Arbeitspause – ein Stift und Papier genügen.

Starte mit Schreibübungen der Positiven Psychologie

Viele Therapieformen nutzen Schreibübungen speziell zur Symptombewältigung. Die Steigerung von Wohlbefinden und Lebenssinn ist dabei eher ein Nebenprodukt. Die Positive Psychologie hingegen beabsichtigt eine Verbesserung des Wohlbefindens von Klient:innen durch Schreibübungen zu Themen wie Zuversicht, Dankbarkeit, positiven Selbstbeschreibungen und Vergebung (Ruini & Mortara, 2022, S. 30). Die Interventionen sind meist einfach und alltagstauglich, da der Fokus auf Menschen ohne klinisch diagnostizierte Leidenssituation liegt. Im klinischen Bereich können solche Übungen eventuell kontraindiziert sein, wenn z. B. aufgrund einer depressiven Störung der Zugang zur positiven Wahrnehmung nicht möglich ist (Ebner, 2017, S. 270–271).

Bitte probiere die Übungen nur aus, wenn du dich psychisch stabil und gesund fühlst!

Dankbarkeitstagebuch

Dies ist eine relativ bekannte Intervention der Positiven Psychologie. Wenn du in einem Dankbarkeitstagebuch über Dinge, Ereignisse oder Menschen schreibst, für die du eine besondere Dankbarkeit empfindest, so ist dies geeignet, Unwohlsein zu reduzieren, dein Wohlbefinden zu steigern und Gefühle der Dankbarkeit zu stärken. Der positive Einflusses von Dankbarkeit auf das emotionale und soziale Wohlbefinden sowie in geringerem Maße auch auf das psychische Wohlbefinden wurde durch viele Studien belegt. Um eine effektive Wirkung zu erhalten, sollten Dankbarkeitsübungen jedoch sehr regelmäßig durchgeführt werden (Jans-Beken et al., 2020, S. 743-744 und S.777-778). Stellst du dabei fest, dass sich grundlegende Themen herauskristallisieren, da du täglich ähnliche Dinge aufschreibst, so sind größere Abstände, z. B. eine wöchentliche Reflexion, zu empfehlen (Blickhan, 2018, S. 97).

4-Evening-Questions

Der positive Tagesrückblick ist eine in ihrer Wirksamkeit vielfach belegte positiv-psychologische Intervention, die bei psychisch gesunden Menschen depressive Symptome senkt und die Lebenszufriedenheit nachhaltig erhöht (Ebner, 2017, S. 269–272). Für eine positive Tagesrückschau kannst du die 4-Evening-Questions von Ebner (2017) nutzen:

  1. Was hat mir heute Freude bereitet?
  2. Wo habe ich mich heute lebendig gefühlt?
  3. Wofür und wem kann ich heute dankbar sein?
  4. Welche Stärken konnte ich heute ausleben?

Nimm dir möglichst täglich ca. 10 min Zeit, um die Fragen schriftlich zu beantworten. Du musst weder von großartigen Ereignissen berichten, noch dir umfangreiche Notizen machen. Achte vielmehr auf die Mikro-Momente. Lass deinen Gedanken ohne Druck freien Lauf. Manche Fragen kannst du eventuell nicht täglich beantworten, das ist ok. Insbesondere Frage 2 sollte kein neuer Bewertungsmaßstab deines Alltags werden! Studienteilnehmer:innen berichteten, dass sie die Fragen 2 und 4 als schwieriger zu beantworten wahrnahmen; sich hierbei aber auch der größte persönliche Erkenntnisgewinn einstellte. Die Reflexion der eigenen Stärken und des Gefühls der eigenen Lebendigkeit führte dazu, dass gezielt stärkende Situationen aufgesucht wurden. Neben diesem Pull-Effekt, zeigte sich zudem ein Push-Verhalten, weg von unangenehmen Situationen, durch die Reflexion darüber, ob und wie jene Situationen vermeidbar sind. Die aus der Übung resultierenden positiven Erkenntnisse verändern die Wahrnehmung, was zu weiteren positiven Beobachtungen führt. So entsteht mit der Zeit eine Aufwärtsspirale (Ebner, 2017, S. 273–279).

„best possible self“-Übung

Die Intervention des „bestmöglichen Selbst“ (BPS) basiert auf einer Studie mit Studierenden, die ergab, dass das Schreiben über die eigenen Ziele mit mehr Freude, einem geringeren Maß an Unzufriedenheit und seltenerem Kranksein einhergeht (King, 2001, S. 804–805). Mittlerweile wurde die Wirksamkeit der BPS-Übung in 30 Folgestudien mit diversen Populationen sowie in unterschiedlichen Settings überprüft und bestätigt. Es ist eine empfehlenswerte Intervention, die dazu geeignet ist, das Wohlbefinden zu steigern (Loveday, Lovell & Jones, 2018, S. 623–625). Die Vorstellung eines „bestmöglichen Selbst“ kann jedoch mit dem Risiko des Perfektionismus behaftet sein. Insbesondere dann, wenn eine starke Diskrepanz von zukünftigem und aktuellem Selbst besteht. Hier kann die Perspektive eines „besseren Selbst“ (better possible self) anstatt „bestmöglichen Selbst“ entlastend wirken, weshalb ich dir diese Variante der Übung nach Blickhan (2018) vorstelle:

  • Schreibe an vier aufeinanderfolgenden Tagen und fokussiere dich dabei täglich auf einen anderen Lebensbereich (z. B. beruflich, privat, Umgang mit dir selbst, gesundheitlich).
  • Wähle eine Zeit in der Zukunft (z. B. 5 Jahre).
  • Stell dir dein zukünftiges Selbst genau vor. Du hast aktiv deine Ziele verfolgt, deine Stärken bewusst eingesetzt und deine Chancen genutzt.
  • Beschreibe dein „better possible self“ in der Ich-Form: „Ich bin …, ich kann…, ich mache…“.
  • Schreibe spontan und kontinuierlich für 15-20 min; auch wenn dir scheinbar nichts mehr einfällt. Lass dich vom Ergebnis überraschen.
  • Nimm dir im Anschluss an das Schreiben kurz Zeit, um mögliche Veränderungen deines Befindens wahrzunehmen.
  • Lies dir deine Texte einige Tage nach Abschluss der Übung nochmals durch und lass sie wirken (Blickhan, 2018, S. 219–220).

Wenn du möchtest, nimm dir zusätzlich ca. 5 min Zeit und nutze deine neugewonnene Motivation, um über ein oder mehrere spezifische Ziele zu schreiben, die dich darin unterstützen können, dein BPS zu erreichen. Die Definition des nächsten Mini-Schrittes in Richtung deines Ziels ermöglicht es dir, direkt zu starten, ohne dir dabei zu viele Gedanken über die Länge des Weges zu machen (Layous, Nelson & Lyubomirsky, 2013, S. 641).

Starte jetzt!

Sofern dich eine der Übungen anspricht, nimm deinen Lieblingsstift und leg einfach los. Hab Spaß, aber erwarte keine Wunder. Gerade für das Dankbarkeitstagebuch und den positiven Tagesrückblick ist etwas Durchhaltevermögen und eine gewisse Regelmäßigkeit nötig, bis sich Effekte einstellen. Ich wünsche dir viele positive Schreiberlebnisse!


Literaturverzeichnis

Blickhan, D. (2018). Positive Psychologie – ein Handbuch für die Praxis (2., überarbeitete Auflage). Paderborn: Junferman.

Ebner, M. (2017). 4-Evening-Quetions: Eine einfache Technik mit tiefgreifender Wirkung. Organisationsberatung, Supervision, Coaching (OSC), 24(3), 269–282. https://doi.org/10.1007/s11613-017-0508-2

Jans-Beken, L., Jacobs, N., Janssens, M., Peeters, S., Reijnders, J., Lechner, L. et al. (2020). Gratitude and health: An updated review. The Journal of Positive Psychology, 15(6), 743–782. https://doi.org/10.1080/17439760.2019.1651888

King, L. A. (2001). The Health Benefits of Writing about Life Goals. Personality and Social Psychology Bulletin, 27(7), 798–807. https://doi.org/10.1177/0146167201277003

Layous, K., Nelson, S. K. & Lyubomirsky, S. (2013). What is the optimal way to deliver a positive activity intervention? The case of wirting about one´s best possible selves. Journal of Happiness Studies, 14, 635–654. https://doi.org/10.1007/s10902-012-9346-2

Loveday, P. M., Lowell, G. P. & Jones, C. M. (2018). The Best Possible Selves Intervention: A Review of the Literature to Evaluate Efficacy and Guide Future Research. Journal of Happiness Studies, 19, 607–628. https://doi.org/10.1007/s10902-016-9824-z

Ruini, C. & Mortara, C. C. (2022). Writing technique across psychotherapies – from traditional expressive writing to new positive psychology interventions: A narrative review. Journal of Contemporary Psychotherapy, (52), 23–34. https://doi.org/10.1007/s10879-021-09520-9


Bildquelle

Abbildung 1: Beitragsbild – Quelle: Balzereit, I. (2023). Eigene Fotografie „4-Evening-Questions“.

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