Sowohl im Berufsleben wie auch im Rahmen meines nebenberuflichen Studiums der Wirtschaftspsychologie an der SRH – The Mobile University bin ich zunehmend mit Diskussionen rund um das Thema Gendern konfrontiert. Dabei geht es zum einen um die Frage, ob gegendert wird, zum anderen darum, wie.
Was ist „gendern“ eigentlich und woher kommt der Begriff?
Der Begriff Gender stammt aus dem Englischen und hat im Deutschen kein unmittelbares Äquivalent, denn im Englischen wird zwischen „sex“ und „gender“ unterschieden. Am ehesten entspricht das einer Übersetzung in ein biologisches und ein soziales Geschlecht. Der Begriff Gender wurde erstmals in der Medizin der 1960er-Jahre verwendet, damals zur Verdeutlichung der Annahme, dass die Sozialisation für die Geschlechterzugehörigkeit bzw. Geschlechtsidentität verantwortlich ist. Mittlerweile geht man in der Geschlechterforschung davon aus, dass es mehr als nur zwei soziale Geschlechter gibt, mit intergeschlechtlichen Menschen auch mehr als zwei biologische. Damit kommt es beim Gendern also auch nicht mehr nur darauf an, wie wir Männer und Frauen gleichberechtigt ansprechen, sondern auch die trans- und intergeschlechtlichen Personen. Schlussendlich auch die Menschen, die weder Mann noch Frau sind und sich damit außerhalb des sog. binären Geschlechtersystems (Mann <–> Frau) einordnen.1
Immer wieder gern genommen: Das generische Maskulinum
Wer hat nicht schon folgenden Satz gelesen:
„Im Interesse einer besseren Lesbarkeit wird auf geschlechtsbezogene Formulierungen verzichtet. Es sind immer Frauen und Männer gemeint, auch wenn explizit nur eines der Geschlechter angesprochen wird.“
Diese Lösung wird generisches Maskulinum genannt. Generisch bedeutet, das Wort soll als allgemeingültiger Oberbegriff dienen, der Mann als Norm für alle. Auch in Prüfungsleistungen der SRH, die ich hin und wieder von Mitstudierenden aus Interesse lese, wird nach wie vor oft und gerne das generische Maskulinum verwendet.
Dabei zeigen psychologische Studien, dass wir alle stärker zugunsten von Frauen denken und handeln, wenn sie auch mitgesprochen und mitgeschrieben werden. Ein Beispiel: Mädchen im Grundschulalter trauen sich einen „typisch“ männlichen Beruf eher zu, wenn die Berufsbezeichnung in der männlichen und in der weiblichen Form formuliert wird als ausschließlich im generischen Maskulinum.2
Paarform, Sparschreibung und Binnen-I
Besser – im Sinne des Gendergedankens – als das generische Maskulinum, aber mittlerweile auch kritisiert, ist die Paarform (Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter), die Sparschreibung (Mitarbeiter/innen) und die Variante mit dem Binnen-I (MitarbeiterInnen).
Die Paarform führt zwar zu einer stärkeren Einbeziehung von Frauen, wird mittlerweile aber dahingehend kritisiert, dass durch diese Form die Zwei-Geschlechter-Norm deutlich hervorgehoben und davon ausgegangen wird, dass Personen sich ausschließlich als Frau oder Mann definieren. Der Hauptkritikpunkt an der Sparschreibung äußert sich dahingehend, dass die weibliche Endung wie ein Anhängsel vom Wort abgehängt wird und daher nicht eindeutig zur Symmetrie der Geschlechter beiträgt.3 Bei der Variante „Binnen-I“ hingegen wird in einer Studie aus dem Jahr 2010 sogar argumentiert, das Binnen-I führe zur Überschätzung des Frauenanteils in den jeweils untersuchten Feldern.4
Das Mittel der Wahl: Der Gendergap, das Gendersternchen und der Genderdoppelpunkt
Eine neue Variante der gendergerechten Sprache stellt der Gendergap (auch: Gender_Gap oder Gender-Gap) dar, der entwickelt wurde, um die Vielfalt von Geschlechtern und Geschlechtsidentitäten besser repräsentieren zu können. Er ist eine bisher vorwiegend im universitären Rahmen verwendete Form der sprachlichen Darstellung zur Anerkennung aller sozialen Geschlechter und Geschlechtsidentitäten. Mit dem Unterstrich entsteht eine Leerstelle und damit buchstäblich ein Raum für alle, die sich nicht eindeutig der Kategorie Frau oder Mann einordnen lassen oder wollen.4
Einige Anwendungsbeispiele:
Ein_e Mitarbeiter_in
Der_die Mitarbeiter_in
Alle Mitarbeiter_innen
Aber auch am Gendergap gibt es Kritik, die besagt, dass die Identitäten jenseits der binären Matrix durch die Leerstelle optisch verneint würden.5
Mit dem Gendersternchen (auch: Gender-Stern oder Gender-Star) lässt sich die Geschlechtervielfalt jenseits eines binären Geschlechtermodells sichtbar machen. Symbolisch eröffnen die Strahlen des Sternchens, die in verschiedene Richtungen zeigen, vielfältige Interpretations- und Gestaltungsspielräume.
Bei Anwendung der Methode Gendersternchen sehen die zuvor gezeigten Beispiele wie folgt aus:
Ein*e Mitarbeiter*in
Der*die Mitarbeiter*in
Alle Mitarbeiter*innen
Die neueste Form der gendergerechten Schreibweise ist der Genderdoppelpunkt. Auch mit dem Genderdoppelpunkt werden alle Geschlechter und Geschlechtsidentitäten erreicht.6
Ein:e Mitarbeiter:in
Der:die Mitarbeiter:in
Alle Mitarbeiter:innen
Hörbar werden alle Genderzeichen durch eine kurze Pause, den sogenannten Glottisverschluss.4
Das Gendersternchen, der Gendergap und der Genderdoppelpunkt gelten als modernste Schreibweisen. Untersuchungen haben ergeben, dass Organisationen, die diese Schreibweisen nutzen, als progressiver und nicht-sexistisch eingeschätzt werden.7
Kritik an der gendergerechten Sprache
Gegner*innen des Genderns führen an, dass die Verständlichkeit der Texte leidet und der sprachliche Fluss und die Eleganz verloren gehen. Jedoch kommen auch hier immer mehr Forschungsergebnisse zu dem Schluss, dass diese Kritik widerlegt werden kann. Eine Studie von Braun et al. deutet darauf hin, dass entgegen der Kritik an den potenziellen Konsequenzen sprachlicher Gleichbehandlung die kognitive Verarbeitung von geschlechtergerechten Texten ähnlich erfolgreich verläuft wie die Verarbeitung von generisch maskulinen Texten. Nach den vorliegenden Befunden dieser Studie scheint es nicht erforderlich zu sein, aus Gründen der Verständlichkeit Texte im generischen Maskulinum zu formulieren.8
Ein weiteres Argument gegen das Gendern ist die Rechtschreibung. Der Rat für deutsche Rechtschreibung ist die maßgebende Instanz für die deutsche Rechtschreibung und wurde in den letzten Jahren von unterschiedlichen Seiten und mit unterschiedlichen Argumenten aufgefordert, Änderungsvorschläge zum Regelwerk in Bezug auf eine gendergerechte Sprache vorzulegen. Der Rat für deutsche Rechtschreibung erkennt das Anliegen zur Umsetzung sprachlicher Gleichbehandlung der Geschlechter an und hat Kriterien für geschlechtergerechte Texte vorgegeben. Verschiedene Texte wurden dahingehend geprüft und der Rat kommt zu dem Schluss, dass die meisten Formen gendergerechten Schreibens zum jetzigen Zeitpunkt sprachnormwidrig sind und empfiehlt, die etablierten Formen geschlechtergerechter Schreibung nach stilistischen und grammatisch-syntaktischen Strategien weiterhin differenziert zu praktizieren. Der Rat erachtet es als wünschenswert, beim Verfassen von Texten zusätzlich stilistisch-gestalterische Gesichtspunkte einzubeziehen, so beispielsweise durch Variation alternativer Umsetzungen geschlechtergerechter Schreibung.9
Außerdem sind Genderzeichen nicht barrierefrei. Menschen mit kognitiven Einschränkungen, und jene, die gerade erst Deutsch lernen, irritiert das Zeichen mitten im Wort.6
Geschlechtsneutral formulieren
Unter anderem, um dem Argument der falschen Rechtschreibung die Grundlage zu entziehen, aber auch für eine bessere Barrierefreiheit bietet sich das geschlechtsneutrale Formulieren an. Diese Alternative der neutralen Umschreibung von Begriffen braucht etwas Übung. Aber hat man es einmal verinnerlicht, ist man verwundert, wie viele Möglichkeiten es gibt, Begriffe gendergerecht zu umschreiben. Mitarbeiter werden zu Mitarbeitenden, Teamleiter werden zur Teamleitung, der Vorgesetzte wird zur Führungskraft. „Jede*r“ kann wunderbar mit „all jene, die“ umschrieben werden.
Fazit
Es gibt kein richtig, es gibt kein falsch. Aber ausreichend dargelegte Argumente dafür, gendergerecht zu schreiben.
Vielleicht können wir irgendwann auf die Diskussion darüber verzichten, ob gegendert wird und wie. Nämlich dann, wenn wirkliche Gleichberechtigung herrscht. Wenn niemand mehr aufgrund seiner Sexualität vorverurteilt oder diskriminiert wird. Sobald in den Vorstandsetagen deutscher Topunternehmen mehr als 13 Prozent der Posten mit Frauen besetzt sind. Aber so lange das und vieles weitere nicht der Fall ist, kann die gendergerechte Sprache auf dem Weg dorthin helfen, indem sie unser Denken beeinflusst.
1 https://www.bundestag.de/resource/blob/425662/d6f1279b77bec6f5770c31b6a4319725/wd-9-025-16-pdf-data.pdf. Zugriff am 17.02.2021.
2 https://www.researchgate.net/publication/279288124_Yes_I_Can_Effects_of_Gender_Fair_Job_Descriptions_on_Children%27s_Perceptions_of_Job_Status_Job_Difficulty_and_Vocational_Self-Efficacy. Zugriff am 23.02.2021.
3 Kero, J. (2019). Theoretischer Hintergrund. In: Websites geschlechtergerecht und antidiskriminierend formulieren. Springer, Wiesbaden. (S. 20 und S. 24).
4 Blake, C., & Klimmt, C. (2010). Geschlechtergerechte Formulierungen in Nachrichtentexten. Publizistik, 55, S. 289 – 304.
5 https://tu-dresden.de/gsw/slk/germanistik/mwndl/ressourcen/dateien/studium/Gendersensible_Sprache_Professur_neu.pdf?lang=de. Zugriff am 17.02.2021.
6 https://www.genderleicht.de/gender-doppelpunkt/. Zugriff am 25.02.2021
7 Burel, S. (2020). Sprache der Führung – Wörter ändern Mindsets. In: Quick Guide Female Leadership. Berlin, Heidelberg.
8 Braun, F. Oelkers, S., Rogalski, K. Bosak, J. & Sczesny, S. (2007). “Aus Gründen der Verständlichkeit …“: Der Einfluss generisch maskuliner und alternativer Personenbezeichnungen auf die kognitive Verarbeitung von Texten. Psychologische Rundschau, 58, S. 183 –189.
9 https://www.rechtschreibrat.com/DOX/rfdr_2018-11-28_anlage_3_bericht_ag_geschlechterger_schreibung.pdf. Zugriff am 24.02.2021.
Titelbild: https://pixabay.com/images/id-149577/. Zugriff am 24.02.2021.