By Published On: 26. Januar 2024Categories: Gesundheit, Meine Hochschule und mein Studium

Du spielst mit dem Gedanken berufsbegleitend oder im Rahmen weiterer familiärer Verantwortungsbereiche ein Fernstudium zu beginnen oder bist bereits mittendrin? Ist dir außerdem dein Wohlbefinden und das deiner sozialen Umgebung wichtig? Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich mit gesundheitsrelevanten Einflüssen in einem Fernstudium.

Wozu dieser Beitrag und was erwartet dich?

Im Wintersemester 2022/2023 waren 174.116 Fernstudierende immatrikuliert (Fogolin 2023, S. 49). Die räumliche und zeitliche Trennung zwischen Lehrenden und Studierendens sowie die zeitliche Flexibilität der Inanspruchnahme virtueller Lehrinhalte beeinflussen die Entscheidung für ein Fernstudium, die mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbunden wird (Zawacki-Richter 2001, S. 418).

Die WHO definiert Gesundheit als einen Zustand körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefindens (WHO 1986). Demnach soll diese Aufklärung, im präventivem Sinne, zu besserem Wohlbefinden und letztlich Fernstudienerfolg mit beitragen. Hierzu wird menschliches Erleben und Verhalten in dieser spezifischen Situation wissenschaftlich eingeordnet, indem kontextspezifische gesundheitsfördernde und belastende Faktoren identifiziert werden. Dieses Wissen soll dazu beitragen, eine adäquate Umgebungs- und Verhaltensgestaltung zu unterstützen. Mit motivationalen und aufmerksamkeitstheoretischen Ansätzen wird der Versuch unternommen mein subjektives Erleben zu erklären sowie ein Fazit daraus zu ziehen.

Meine Erfahrungen

Als ich mich für den Fernstudiengang Psychologie B.Sc. bei der SRH Fernhochschule entschieden habe, war ich selbständig berufstätig als Mama dreier Mädchen im Alter von 2, 7 und 11 Jahren.„ Jetzt oder nie! Ich probiere es einfach aus, irgendwie werde ich es schon schaffen, alles unter einen Hute zu bringen!“, so mein Motto damals.

Positive Einflüsse auf Motivation und Wohlbefinden in einem Fernstudium

Das erste Modul „Wissenschaftliches Arbeiten und Schreiben“, bearbeitete ich abends auf der Couch und entschied spontan: „Ich schreibe die Prüfung, jetzt!“ Keine zwei Stunden später hatte ich das Ergebnis vor mir. Meine schriftliche Online-Klausur in „Biologischer Psychologie“, die ich am sehr späten Abend in meinem Lieblingshotel absolvierte, blieb mir bis heute in Erinnerung. Diese Flexibilität, zu jeder Zeit und an jedem Ort lernen und Prüfungen ablegen zu können, geben mir ein Gefühl von Freiheit, Zufriedenheit.

Negative Einflüsse auf Motivation und Wohlbefinden in einem Fernstudium

Nicht immer und nicht jedem gelingt jedoch ein adäquater Umgang mit einer solchen Mehrfachbeanspruchung. Der Bedarf an entsprechenden Angeboten zur Bewältigung dieser Belastungen konnte durch mehrere Studien bestätigt werden (Apolinário-Hagen et al. 2022). So wurde auch mir bald bewusst: Die ursprünglichen Argumente für das Fernstudium sind nun diejenigen, die zunehmend eine ernstzunehmende Belastung darstellen.

Die Überzeugung jederzeit und überall lernen zu können, erwies sich als optimistischer Fehlschluss. Mein Büro übernahm mehrere Funktionen zugleich. Vormittags stellte ich meine ständige Erreichbarkeit für potenzielle Kundenanrufe oder die Schule/Kita sicher. An den Nachmittagen bot die Glastür meines Büros ideale Gelegenheiten für meine Familie, um beim Passieren des Raumes verbal oder nonverbal mit mir zu kommunizieren. Die liebevoll gemeinten Blicke und Zeichen erlebte ich zunehmend als Belastung. Insbesondere die Jüngste forderte meine Aufmerksamkeit, die ich oft damit beantwortete, sie auf den Schoß zu nehmen. In der Folge wurde jede Unterbrechung zu einem Stressor und beeinflusste mein Wohlbefinden negativ, was sich in meinem Pulsanstieg, genervtem Verhalten bis hin zum Lernabbruch äußerte. So schlich sich Frustration ein bis hin zu Gedanken über einen möglichen Studienabbruch und ging mit sozialen Konflikten, die sich in Vorwürfen und Enttäuschungen aufgrund gegenseitiger Erwartungshaltungen zwischen meinem Mann, den Kindern und mir, äußerten.

Erklärungsansätze

Lässt sich mein Erleben wissenschaftlich einordnen? Welche Annahmen und Theorien können das positiv Erlebte erklären und warum ist es problematisch, gemeinsam mit der Tochter an einem Schreibtisch zu lernen ? Und warum werden liebevoll gemeinte verbale und nonverbale Signale als störend empfunden?

Ein motivationaler Erklärungsansatz

Der Selbstbestimmungstheorie zu folge ist menschliches Verhalten insbesondere auf drei angeborene psychologische Bedürfnisse angewiesen: Kompetenz, Autonomie und soziale Zugehörigkeit. Unterstützt die soziale Umgebung die Bedürfnisse nach Kompetenz und Autonomie, fördert diese das Auftreten sogenannter intrinsischer Motivation und beeinflusst hochqualifiziertes Lernen positiv (Deci und Ryan 1993, S. 236). Demnach ist die räumliche und zeitliche Unabhängigkeit sowie die Autonomie durch selbstbestimmtes Lernen und Prüfungen ablegen, ein wesentlicher Erklärungsaspekt für mein mit den Lernprozessen assoziiertes Wohlbefinden (Scherenberg und Buchwald 2016, S. 10–11).

Aufmerksamkeitstheoretische Erklärungsansätze

Aufmerksamkeit kann definiert werden als ein Prozess zur selektiven Fokussierung auf relevante Reize unter Missachtung von irrelevanten Reizen. Diesem Prozess stehe nur eine begrenzte Bearbeitungskapazität zu, sodass alles nicht zugleich fokussiert wahrgenommen werden kann (Strobach und Wendt 2019, S. 15). Die Aufmerksamkeits-Konflikt-Hypothese erklärt zudem, dass allein die Anwesenheit anderer Personen ausreicht, einen Aufmerksamkeitskonflikt auszulösen. Durch die Ablenkung und damit einhergehende Aufmerksamkeitsteilung kommt es zu Leistungseinbußen bei der Bewältigung komplexer Aufgaben, da hierfür weniger Ressourcen zur Verfügung stehen (Hänsel et al. 2022, S. 205; Werth et al. 2020, S. 91). Je häufiger eine fokussierte Aufmerksamkeit unterbrochen wird, umso deutlicher zeichnet sich ein sogenannter Sägeblatt-Effekt ab. Die Folge ist ein rasanter Abfall der Leistungsfähigkeit. So wiederholt sich der Prozess mit jeder erneuten Unterbrechung nach einem erneuten Versuch zur Leistungssteigerung (Lasko 1997, S. 226), wie Abb. 1 veranschaulicht.

Abb.1: Der Sägeblatt-Effekt

Quelle: Folz 2020, S. 25

Fazit

Die verknüpfende Betrachtung eines Fernstudiums mit dem Thema Gesundheit ist deshalb sinnvoll, da ein Fernstudium eine besondere Situation darstellt, die positiv wie auch negativ mit insbesondere psychischem und sozialem Wohlbefinden assoziiert sein kann. Davon abhängig ist auch der Lernfortschritt und somit der Studienerfolg. Motivations- uns aufmerksamkeitstheoretische Ansätze können in diesem Zusammenhang dazu genutzt werden, menschliches Verhalten zu beschreiben und zu erklären. Die flexible Lern- und Prüfungsgestaltung in einem Fernstudium kann mit der Befriedigung der Grundbedürfnisse nach Kompetenz und Autonomieerleben einhergehen und folglich positives Wohlbefinden von Studierenden fördern. Gleichzeitig bringt ein Fernstudium Risikofaktoren mit sich, die mit Aufmerksamkeitskonflikten in Zusammenhang gebracht werden können, was Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit sowie das psychische und soziale Wohlbefinden von Studierenden und Angehörigen haben kann.

Abbildungsnachweise

Titelbild: eigene Darstellung, gezeichnet von Christina Sann (2023)

Abb.1: Der Sägeblatt-Effekt (Quelle: Folz 2020, S.25)

Literaturverzeichnis

Apolinário-Hagen, Jennifer; Groenewold, Sina Dorit; Fritsche, Lara; Kemper, Jessica; Krings, Ludwig; Salewski, Christel (2018): Die Gesundheit Fernstudierender stärken. In: Präv Gesundheitsf 13 (2), S. 151–158. DOI: 10.1007/s11553-017-0620-3 .

Deci, Edward L.; Ryan, Richard M. (1993): Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation und ihre Bedeutung für die Pädagogik. Zeitschrift für Pädagogik 39 (1993) 2, S. 223-238. In: Zeitschrift für Pädagogik 39. DOI: 10.25656/01:11173.

Fogolin, Angela (2023): Strukturdaten Distance Learning/Distance Education 2023. 1. Auflage. Leverkusen: Verlag Barbara Budrich (Fachbeiträge zur beruflichen Bildung).

Folz, Kristina (2020): Zeitfresser erkennen und vermeiden. In: Kristina Folz (Hg.): Zeitmanagement bei der Abschlussarbeit. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden (essentials), S. 19–27.

Hänsel, Frank; Baumgärtner, Sören D.; Kornmann, Julia M.; Ennigkeit, Fabienne (2022): Zuschauende. In: Frank Hänsel, Sören D. Baumgärtner, Julia M. Kornmann und Fabienne Ennigkeit (Hg.): Sportpsychologie. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg, S. 201–210.

Lasko, Wolf W. (1997): Der Sägeblatt-Effekt oder „Arbeitsinseln“ schaffen. In: Wolf W. Lasko (Hg.): Wie aus Ideen Bilder werden. Einfach besser präsentieren – In Sekunden überzeugen. Wiesbaden: Gabler Verlag, S. 226–227.

Scherenberg, Viviane; Buchwald, Petra (2016): Was heißt Stress im Fernstudium? In: Viviane Scherenberg und Petra Buchwald (Hg.): Stressmanagement im Fernstudium. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, S. 5–39.

Strobach, Tilo; Wendt, Mike (2019): Allgemeine Psychologie. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg.

Werth, Lioba; Seibt, Beate; Mayer, Jennifer (2020): Sozialer Einfluss. In: Lioba Werth, Beate Seibt und Jennifer Mayer (Hg.): Sozialpsychologie – Der Mensch in sozialen Beziehungen. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg, S. 87–155.

WHO (1986): Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung,. Online verfügbar unter https://intranet.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0006/129534/Ottawa_Charter_G.pdf, zuletzt geprüft am 18.01.2024.

Zawacki-Richter, Olaf (2001): Zum Verhältnis von Online- Lehre und Fernstudium. In: Erwin Wagner und Michael Kindt (Hg.): Virtueller Campus. Szenarien – Strategien – Studium. Münster: Waxmann (Medien in der Wissenschaft, Bd. 14), S. 411–418. Online verfügbar unter https://www.waxmann.com/index.php?eID=download&buchnr=1093.

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