By Published On: 15. Mai 2023Categories: Gesundheit, Pädagogik, Psychologie

Jeder der schon einmal einen Schlag an den Kopf bekommen hat oder auf den Kopf gefallen ist, kennt den daraus resultierenden dumpfen, pochenden Schmerz. Kopfbälle haben einen ähnlichen Effekt auf das Gehirn. Weniger durch ihre Intensität als durch ihre Häufigkeit. Für Profifußballer*innen kann die Menge an Kopfbällen massive Folgen haben. Mit diesem Blog-Eintrag mache ich auf die CTE (Chronisch traumatische Enzephalopathie) aufmerksam. CTE ist eine Langzeitfolge von Kopftraumata, die neben Fußballer*innen auch Sportarten wie Boxen, American Football und Eishockey betrifft.

Was ist die CTE?

Bei der chronisch traumatischen Enzephalopathie handelt es sich um eine Erkrankung des Nervensystems, die auf dem fortschreitenden Verlust von Nervenzellen beruht. CTE entsteht durch wiederholte, leichte Hirnverletzungen und führt zu motorischen und kognitiven Beeinträchtigungen. Weitere Symptome sind gravierende Verhaltens- und Persönlichkeitsveränderungen (Vgl. Ströhle et al, 2022, S. 744). Bei einigen Betroffenen führt die Erkrankung zu Aggressivität, Verlust der Impulskontrolle und suizidalem Verhalten. Typischerweise tritt die CTE erst viele Jahre nach dem Ende einer Sportkarriere auf. Wie bei der Alzheimer-Krankheit kommt es bei der CTE zu einer abnormen Anhäufung des Tau-Proteins (Vgl. Deutsche Alzheimer Gesellschaft, 2020, S.3).

Stadien von CTE

Der Verlauf der Chronisch traumatischen Enzephalopathie lässt sich in vier Stadien unterteilen. Das erste Stadium beinhaltet unspezifische Symptome wie Kopfschmerzen, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsverlust. Außerdem können depressive Verstimmungen und Schwierigkeiten mit dem Kurzzeitgedächtnis auftreten. Grundsätzlich sind die Symptome von CTE sehr individuell. Im zweiten Stadium gibt es allerdings vermehrt auffällige Verhaltens- und Persönlichkeitsveränderungen. Dazu zählen Paranoia, Depressionen, erhöhte Reizbarkeit und weiterhin der Verlust des Kurzzeitgedächtnisses. Häufig werden die Symptome von anhaltenden Kopfschmerzen begleitet. Stadium drei ist durch Gedächtnisverlust, Leistungsschwäche, Impulsivität und Aggressivität gekennzeichnet. Hinzu kommen Aufmerksamkeits- und Konzentrationsschwierigkeiten. Nicht selten mündet dieses Stadium im Suizid. Zu den Symptomen von CTE in Stadium vier gehören schwere exekutive Dysfunktionen und damit einhergehend Demenz. Häufig bestehen auch Störungen der Sprache und Emotionskontrolle. Viele Betroffene leiden zudem unter Paranoia und haben Schwierigkeiten mit dem Gehen (Vgl. McKee et al. 2014, S.38-40).

Was passiert genau im Gehirn?

Die Aufgabe der Neurone liegt in der Informationsverarbeitung. Über die Dendriten werden Informationen aufgenommen, im Soma werden sie verarbeitet und letztendlich über das Axon weitergeleitet (Vgl. Eilers, 2019, S.57). In dem Axon befindet sich ein System aus Mikrotubuli, winzigen Röhren, die durch Tau-Proteine an der Außenseite stabilisiert werden. Die Mikrotubuli sichern das Überleben einer Nervenzelle. Bei einem Schlag kommt das Gehirn ruckartig in Bewegung und schlägt gegen die Innenseite des Schädels. Hierbei wird das Axon gestaucht und kann Verletzungen davontragen. Im schlimmsten Fall kann die Nervenzelle dadurch absterben. Wenn dies auf mehrere Nervenzellen zutrifft, entstehen die Symptome einer Gehirnerschütterung. Besonders starke Schläge oder Stöße gegen den Kopf oder die Häufung von mehreren Schlägen und Stößen können zu einer irreversiblen Störung der Strukturen des Gehirns führen. Nicht selten wird daraufhin die chronisch traumatische Enzephalopathie diagnostiziert. Wird die Mikrotubuli verletzt, werden die Außen liegenden Tau-Proteine freigesetzt. Die Proteine bilden untereinander Fäserchen und weisen eine gefaltete Struktur auf (Vgl. Deutsche Alzheimer Gesellschaft, 2020, S. 4). In der folgenden Abbildung wird der Unterschied zwischen einem normalen Gehirn und einem Gehirn von einem CTE-Patienten deutlich.

Abbildung 2: Vergleich normales Gehirn und Gehirn mit CTE (Quelle: Boston University Center for the Study of Traumatic Encephalopathy)

Wieso sind Athlet*innen bestimmter Sportarten anfälliger?

Sportunfälle die den Kopf betreffen sind keine Seltenheit. Trotzdem ist das Risiko an CTE zu erkranken bei einigen Sportarten höher. Typischerweise tritt die Erkrankung bei Sportlern auf, die während ihrer sportlichen Laufbahn zahlreiche Schläge oder Stöße gegen den Kopf erlitten haben oder häufig auf den Kopf gestürzt sind (Vgl. Deutsche Alzheimer Gesellschaft, 2020, S.2). Beim Fußball sind viele Kopfbälle während der Karriere ein Risikofaktor für CTE. Bei Boxer*innen liegen die Ursachen für neurologische Erkrankungen bei heftigen Schlägen gegen den Kopf. Weitere betroffene Sportarten sind American Football und Eishockey, da Kontaktsportarten oftmals Stürze implizieren. Selbstverständlich sind Stürze und Kopfverletzungen bei anderen Sportarten nicht ausgeschlossen allerdings liegt die Gefahr in der Häufigkeit. Damit ist es sehr unwahrscheinlich, dass einmalige Unfälle z.B. im Reitsport zu einer CTE führen.

Wie wurde CTE entdeckt?

Neurologische Schädigungen durch Kopfverletzungen wurden früher hauptsächlich bei Boxern festgestellt. Bis Bennet Omalu die Erkrankung erstmals bei der Obduktion des ehemaligen American Football-Spielers Mike Webster im Jahr 2002 entdeckte. Bennet Omalu stammt aus Nigeria und arbeitet als Arzt, Rechtsmediziner und Neuropathologe in den USA. Das Gehirn von Mike Webster sah auf den ersten Blick weitgehend normal aus. Bei einer näheren mikroskopischen Untersuchung wurden jedoch strukturelle Veränderungen im Neokortex und Hippocampus festgestellt, die mit einem neuronalen Verlust einhergehen (Vgl. Omalu et al., 2010).

Beispielfälle

Ein sehr extremes Beispiel dafür, wozu CTE führen kann, ist der Fall des ehemaligen NFL-Profis Phillip Adams. Er erschoss im April 2021 fünf Menschen und begann daraufhin Suizid. Nach seinem Tod konnte bei ihm eine CTE im zweiten Stadium diagnostiziert werden. Der Fall von Phillip Adams ist jedoch bei weitem kein Einzelfall. Im April 2015 wurde der ebenfalls ehemalige NFL-Profi Aaron Hernandez wegen Mordes verurteilt. Im Gefängnis begann auch er Suizid. Bei der Obduktion von Aaron Hernandez konnte die CTE in einem ungewöhnlich weit fortgeschrittenen Stadium festgestellt werden.

Was wird zur Vorbeugung unternommen?

Die Folgen von repetitiven Kopfverletzungen im Leistungssport haben in den vergangenen Jahren zunehmend an Aufmerksamkeit gewonnen. Besonders in den Medien wird die CTE immer häufiger thematisiert und diskutiert. Lange Zeit hat die NFL einen Zusammenhang zwischen der CTE und American Football abgestritten. Mit der zunehmenden Aufmerksamkeit hat die NFL letztendlich doch einige Maßnahmen zur Prävention aufgestellt. Ein Gremium aus unabhängigen Ärzten und Wissenschaftlern hat im Jahr 2011 das „NFL Game Day Concussion Diagnosis and Management Protocol“ entwickelt. Anhand dieses Protokolls wird entschieden, ob ein Spieler nach einer Kopfverletzung zurück auf das Spielfeld darf oder gründlicher untersucht werden muss (Vgl. NFL, 2022). Auch im Fußball werden die Langzeitfolgen von vielen Kopfbällen nicht mehr totgeschwiegen. Immer mehr Trainer und Trainerinnen werden sich den Gefahren bewusst und passen das Training dementsprechend an. Die Erkrankung bekommt immer mehr Aufmerksamkeit, sodass gehandelt werden muss. Der englische Fußballverband schafft zum Beispiel Kopfball-Training für Kinder und Jugendliche komplett ab. Obwohl die Erkrankung im Leistungssport immer relevanter wird, gibt es viele Sportler*innen die in dieser Hinsicht unaufgeklärt sind. Deshalb gilt es zunächst die Menschen in Ihrem Umfeld aufzuklären. Sprechen Sie beim Kopfballtraining Ihren Trainer an und informieren sie auch Mannschaftskolleg*innen über die Risiken, sodass jeder die Chance hat Eigenverantwortung zu übernehmen und eventuell die Menge an Kopfbällen reduziert. Dasselbe gilt natürlich auch für alle anderen potenziell gefährdende Sportarten.

Empfehlungen zu dem Thema

Während der Recherche zu CTE bin ich auf audiovisuelle Medien gestoßen, die ich gerne weiterempfehlen möchte. Der Film „Erschütternde Wahrheit“ (Originaltitel: Concussion) von Peter Landesman zeigt die Geschichte von Omalu (gespielt von Will Smith) einem forensischen Pathologen, der erstmals einen Zusammenhang zwischen Kopfverletzungen von Footballspielern und späteren Persönlichkeitsveränderungen feststellt. Die NFL versucht den Arzt daraufhin von seinen Forschungen abzuhalten. Eine weitere Empfehlung ist die Folge „Der Arzt“ von dem deutschen Kriminalpodcast Mord auf Ex. Die Folge behandelt die Lebensgeschichte von Bennet Omalu, der als Inspiration für den Film „Erschütternde Wahrheit“ diente. Außerdem sind der ehemalige Football-Spieler Sebastian Vollmer und die Sport-Psychologin Daniela Golz zu Gast.

Fazit

Lange Zeit war man sich der Folgen von Kopfverletzungen im Sport nicht bewusst. In den vergangenen Jahren wurde die Erkrankung CTE entdeckt, welche typischerweise bei Sportlern und Sportlerinnen auftritt, die in ihrer Karriere entweder häufig Schläge gegen den Kopf bekommen haben, oft auf den Kopf gefallen sind oder viele Kopfbälle gemacht haben. Die Erkrankung ist eine Form der Demenz und kann zu massiven Einschränkungen bis hin zu Wesensveränderungen bei den Betroffenen führen. Durch die mediale Aufmerksamkeit werden große Sportorganisationen zum Handeln gebracht. Sowohl die NFL als auch andere Organisationen haben bereits einige Präventionsmaßnahmen aufgestellt. Dennoch gilt es die Profisportler und Sportlerinnen besser zu schützen, weshalb das Thema nach wie vor eine hohe Medienpräsenz aufweist und großen Diskussionsbedarf darstellt. Besonders Fälle wie der von dem ehemaligen American Football Spieler Phillip Adams schockieren und alarmieren die Gesellschaft und Sportler*innen.

Literaturverzeichnis

Deutsche Alzheimer Gesellschaft (2020). Informationsblatt 25. Zugriff am 9.3.2023. Verfügbar unter https://www.deutsche-alzheimer.de/fileadmin/Alz/pdf/factsheets/infoblatt25_chronische_traumatische_enzephalopathie_dalzg.pdf

Eilers, J. (2019). Nervenzellen. In: Brandes, R., Lang, F., Schmidt, R.F. (eds) Physiologie des Menschen. Springer-Lehrbuch. Springer, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-56468-4_5

McKee, A.C., Daneshvar, D.H., Alvarez, V.E. et al. The neuropathology of sport. Acta Neuropathol 172, 29-51 (2014).  https://doi.org/10.1007/s00401-013-1230-6

NFL (2022). Concussion Diagnosis and Management Protocol. Fact Sheets. Zugriff am 3.4.2023. Verfügbar unter https://www.nfl.com/playerhealthandsafety/resources/fact-sheets/nfl-head-neck-and-spine-commitee-s-concussion-diagnosis-and-management-protocol

Omalu, Bennet I. MD, MBA, MPH1; Hamilton, Ronald L. MD2; Kamboh, Ilyas M. PhD3; DeKosky, Steven T. MD4; Bailes, Julian MD5. Chronic traumatic encephalopathy (CTE) in a National Football League Player: Case report and emerging medicolegal practice questions. Journal of Forensic Nursing 6(1):p 40-46, March 2010. | DOI: 10.1111/j.1939-3938.2009.01064. Ströhle, A., Bendau, A., Augustin, N. et al. Sportpsychiatrie und -psychotherapie. Nervenarzt93, 742-753 (2022). https://doi.org/10.1007/s00115-022-01342-x

Bildquelle

Titelbild: https://pixabay.com/de/photos/mann-alt-senior-leiden-513529/
Abbildung 2: http://www-tc.pbs.org/wgbh/pages/frontline/art/progs/concussions-cte/h.png

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