By Published On: 5. Oktober 2022Categories: Gesundheit, Soziales

Einleitung

Um eine Verbindung zum folgenden Thema herzustellen, wird zunächst Bezug auf das Märchen vom Froschkönig genommen, welches gerne als Illustration für das Thema Sucht verwendet wird. Der dicke, hässliche und nasse Frosch verkörpert das Symbol des Süchtigen, welcher als Gegenzug für eine Kleinigkeit, nämlich die Goldkugel aus dem Brunnen zu holen, sehr viel von der Prinzessin. Er möchte vom goldenen Teller essen, aus dem Becherlein trinken, am Tischlein sitzen und auch mit ins Bett wollen. Dieses Verhaltensmuster weist eine Parallelität zur Lebensweise eines süchtigen Menschen auf, die sich meist ausschließlich auf die eigenen Interessen und Suchtbedürfnisse fokussieren. Andere Lebensinhalte und Angelegenheiten werden gewöhnlich vernachlässigt oder werden an das soziale Umfeld abgegeben, welche sich stellvertretend darum kümmern sollen. Die Prinzessin lässt alle Ansprüche des Frosches über sich ergehen und versucht diese bestmöglich zu erfüllen, bis zu dem Wunsch mit ins Bett zu dürfen. An diesem Punkt überkommt die Prinzessin der Ekel und sie wirft den Frosch voller Verzweiflung und Wut an die Wand und befreit sich letztlich von den süchtigen Ansprüchen des Frosches. In diesem Märchen könnte eine Ergänzung zur Co-Abhängigkeit hinzugefügt werden, indem die Prinzessin sich vorstelle, dass der Frosch ein verwunschener Prinz sein müsse. Voller Hoffnung nehme sie den Frosch und küsse ihn und würde somit plötzlich selbst zum Frosch werden. Diese Konstellation süchtiger Menschen und der Co-Abhängigkeit des sozialen Umfelds ereignet sich täglich millionenfach. Damit beschäftigt sich der nun folgende Beitrag und zudem werden Wege raus aus der Co-Abhängigkeit dargestellt.

Definition der Alkoholabhängigkeit

Der Begriff der Alkoholabhängigkeit kann auf verschiedene Weisen definiert werden, im standardisierten Klassifikationssystem ICD-10 wird die Alkoholabhängigkeit unter dem Kapitel der „Psychischen und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen“ dargestellt. Dabei müssen mindestens drei der folgenden Kriterien zutreffen: (Bojack, 2008, S.4; Dilling & Freyberger, 2019, S.61-89; Lindenmeyer, 2016, S.9-10)

  • Toleranzentwicklung mit zunehmender Steigerung der Dosis
  • Entzugssymptome bei Reduzierung der Alkoholmenge
  • Starkes Verlangen Alkohol zu konsumieren (Craving)
  • Kontrollverlust bezüglich Beginn und Menge des Konsums
  • Fokus auf den Alkoholkonsum mit Vernachlässigung von Freizeitaktivitäten und anderer Interessen
  • Anhaltender Alkoholkonsum, trotz eindeutiger psychischer, sozialer und gesundheitlicher Probleme und Folgen

Die Komplexerkrankung der Alkoholabhängigkeit wird in Deutschland seit dem Jahr 1968 als Krankheit anerkannt und die Ursachen und Folgen erstrecken sich auf den sozialen, seelischen, körperlichen sowie wirtschaftlichen Bereich. Laut WHO (World Health Organisation) wird zwischen dem gewohnheitsmäßigen exzessivem, aber nicht süchtigem Alkoholmissbrauch (Abusus) und dem süchtigen Alkoholmissbrauch unterschieden. Dem letzteren kommt ein Krankheitswert zu, wenn sich ein Kontrollverlust eingestellt hat, nicht mehr mit dem Trinken aufhören zu können, oder eine Unfähigkeit zur Abstinenz vorliegt (Wirtz, 2020, S.129).

Was ist Co-Abhängigkeit?

Aus gutem Grund gilt die Einbeziehung des sozialen Umfelds von Suchtkranken als fester Bestandteil von stationären und ambulanten Entwöhnungsbehandlungen, denn Familie und Angehörige gelten als größte betroffene Gruppe von Sucht und Co-Abhängigkeit (Flassbeck, 2010, S.20; Rennert, 2012, S.13).

Als Co-Abhängigkeit wird ein Verhaltensmuster bezeichnet, bei dem das soziale Umfeld eines Alkoholabhängigen sich auf dessen Verhaltensweisen ausrichtet, indem die suchtgefährdete Person vor der Wirkung des Konsums und den damit einhergehenden möglichen Konsequenzen von seinem persönlichen und betrieblichen Umfeld geschützt wird. Obwohl dieses Verhalten mit guten Absichten vollzogen wird, bringt es negative Folgen mit sich, indem das Problemverhalten des Abhängigen gefördert, stabilisiert und begünstigt wird. Die Motivation sich an eine Beratungs- und/oder Behandlungsstelle zu wenden wird dadurch beeinträchtigt. Zu Beginn fand der Begriff der Co-Abhängigkeit nur im Kontext der Alkoholabhängigkeit seine Anwendung, inzwischen wurde dieser jedoch auf alle Suchtarten ausgeweitet. Die Vorsilbe „Co-„ unterstreicht dabei das unbewusste Mitwirken des sozialen und beruflichen Umfelds an der Suchterkrankung (Bojack, 2008, S.6).

Der aktuellen Studienlage zufolge scheint es bei Frauen eine besondere Prädisposition für Verhaltensweisen der Co-Abhängigkeit zu geben. Menschen, die sich in einer Konstellation der Co-Abhängigkeit mit einem Abhängigen befinden, nehmen ihr Umfeld und die Situation meist verzerrt wahr und handeln dementsprechend auch häufig widersprüchlich. Zumeist fühlt sich der nicht suchtkranke Partner oder die Partnerin für die Aufrechterhaltung des Familiengeschehens verantwortlich, dabei wird häufig aus der Verzweiflung über die Situation heraus als Helfer oder Unterstützer der Sucht gehandelt. Typische Verhaltensweisen sind neben dem Beschützen vor negativen Konsequenzen und der Übernahme von Verantwortung, das Rationalisieren, Akzeptieren sowie der Versuch die Situation zu retten. Es wird versucht die Kontrolle über den Alkoholkonsum des Abhängigen zu übernehmen und den harmonischen Schein nach außen zu bewahren (Waldhelm-Auer, 2016, S.208-209).

Nicht nur der Partner oder die Partnerin von Suchtkranken können das Verhaltensmuster einer Co-Abhängigkeit entwickeln, sondern auch Familienangehörige, Freunde, Ärzte, Therapeuten und auch Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz (Theurich, 2021, S.35).

Raus aus der Co-Abhängigkeit – therapeutische Ansätze

Angehörige in einer Co-Abhängigkeit sind sich selten darüber bewusst, dass sie dennoch über einige hilfreiche Ressourcen verfügen, wie z.B. Organisationstalent, die Fähigkeit zur Übernahme von Verantwortung, Leistungsstärke, Kreativität, ein ausgeprägtes Verständnis für Andere sowie emotionale Empathie. All diese Ressourcen können Betroffene bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung eines gesunden Selbstwertgefühls unterstützen (Waldhelm-Auer, 2016, S.213-214). Der Aufbau einer effizienten Therapiebeziehung zu Betroffenen in einer Co-Abhängigkeit gestaltet sich meist etwas schwieriger und dauert etwas länger, da das Gefühl und die Scham der Betroffenen, plötzlich selbst als hilfsbedürftige und schwache Person gesehen zu werden, häufig als überwältigend wahrgenommen wird. Der therapeutische Ansatz erfolgt im Hinblick auf die Rollendiagnostik, dabei soll für die Betroffenen eine Rollendistanz geschaffen werden, damit die selbstfürsorgliche Haltung der Betroffenen sich selbst gegenüber wieder eingenommen werden kann. (Keckeis, 2019, S.303-304).

Weitere Therapieziele verfolgen u.a. das Erkennen der Lage (Betroffene nehmen wahr, dass die Befriedigung eigener Bedürfnisse nicht zeitgleich mit der Abhängigkeit vom Suchtkranken vereinbar ist), die Wahrnehmung der eigenen Gefühle und Bedürfnisse (Entwicklung von Lebenslust und Achtsamkeit sich selbst gegenüber, Hilfe zuzulassen) und die Stärkung des Selbstvertrauens sowie die Entwicklung einer Autonomie. Betroffene werden darin bestärkt und befähigt einen Perspektivenwechsel und Rollentausch vorzunehmen und es werden Wahlmöglichkeiten geschaffen, sich für eine gesunde Gestaltung der Beziehung entscheiden zu können (Waldhelm-Auer, 2016, S.214).

Fazit & Ausblick

Der Wunsch einem Menschen, der gefährdet ist in eine Alkoholabhängigkeit zu geraten helfen zu wollen, ist als normal und hilfreich einzustufen, jedoch hat dieser für den Betroffenen sowie auch für die Angehörigen problematische und riskante Auswirkungen. Es steht außer Frage, dass die Angehörigen und das soziale Umfeld von Suchtkranken in die Therapieplanung miteingebunden werden sollten. Jedoch ist die Bezeichnung der Co-Abhängigkeit bewusst und vorsichtig zu verwenden, da dieser von den betroffenen Angehörigen schnell als Schulzuweisung verstanden werden können. Und doch sollte darauf geachtet werden, dass Angehörige von Suchtkranken häufig selbst Probleme haben und krank werden oder Störungen entwickeln und infolgedessen Hilfe benötigen. Des Weiteren bestehen inzwischen zahlreiche Erfahrungs- und Praxisberichte mit dem Ergebnis, dass Frauen häufiger in eine Co-Abhängigkeit geraten als Männer, jedoch existieren noch keine aussagekräftigen, repräsentativen statistische Daten dazu, daher bedarf auch dieser Aspekt weitere Studien und Forschungsarbeiten.

Literatur- und Quellenverzeichnis

Bojack, B., (2008), Co-Abhängigkeit am Arbeitsplatz, Fakultät für Wirtschaftswissenschaften Wismar Business School, Heft 08/2008, verfügbar unter: http://hdl.handle.net/10419/39194 (aufgerufen am 29.09.2022)

Dilling, H. & Freyberger, H.J., (2019), Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen, 9. Aufl., Bern/Switzerland

Flassbeck, J., (2010), Co-Abhängigkeit – Diagnose, Ursachen und Therapie für Angehörige von Suchtkranken, 1. Aufl., Stuttgart/Germany

Keckeis, S.C., (2019), Bedeutung und Möglichkeiten der Rollendiagnostik am Beispiel der Co-Abhängigkeit, Z Psychodrama Soziom (2019) 18:291–306, https://doi.org/10.1007/s11620-019-00495-3

Lindenmeyer, J., (2016), Alkoholabhängigkeit, 3. Aufl., Göttingen/Germany

Rennert, M., (2012), Co-Abhängigkeit – Was Sucht für die Familie bedeutet, 3. Aufl., Freiburg im Breisgau/Germany

Theurich, L., (2021), Co-Abhängigkeit als vielschichtige soziale Herausforderung erkennen, verstehen und behandeln – Angehörige im Fokus, Hochschule Zittau/Görlitz, Fakultät Sozialwissenschaften,

Waldhelm-Auer, B., (2016), Geschlecht und Co-Abhängigkeit – Das Schicksal von Partnerinnen in Suchtbeziehungen, Z Psychodrama Soziom (2016) (Suppl 2) 15:205–219, DOI 10.1007/s11620-016-0364-7

Wirtz, M.A., (2020), Lexikon der Psychologie, 19. Aufl., Bern/Switzerland

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