By Published On: 19. Oktober 2021Categories: Psychologie

die Angst vor Schwangerschaft und Geburt (Tokophobie und FOC)

Einleitung

Wird ein Kinderwunsch mit einer Schwangerschaft und der Geburt eines gesunden Kindes gekrönt, zählt das zu den schönsten Lebensereignissen von jungen Paaren und deren Freunden und Angehörigen. Wir freuen uns mit unseren Liebsten, wenn eine Schwangerschaft verkündet wird und fiebern euphorisch mit auf den Geburtstermin hin. Doch nicht für alle Frauen, die einen Kinderwunsch haben, ist eine Schwangerschaft mit positiven Gefühlen verbunden. Insbesondere für Erstgebärende ist die Angst vor der Geburt („Fear of Childbirth“ = FOC) ein einnehmendes Thema (Striebich, Mattern & Ayerle, 2018, S. 98). Einige Frauen erleiden solch extreme Ängste vor Schwangerschaft und Geburt, dass sie eine Schwangerschaft oder natürlichen Geburt vermeiden. Diese Angst kann die Lebensqualität der Betroffenen maßgeblich beeinträchtigen (Striebich et al., 2018, S. 98). Extreme Angst, die mit der Vermeidung einer Schwangerschaft oder der Vermeidung eines natürlichen Geburtsvorgangs einhergeht, wird als pathologisch eingestuft und als „Tokophobie“ [tokos (griechisch) = Geburt] bezeichnet (Hofberg & Ward, 2003, 507). Laut einer Studie unter britischen Frauen aus dem Jahre 2001 konnte bei rund 13% der nicht-schwangeren Frauen ein derartiger pathologischer Zustand mit der Vermeidung einer Schwangerschaft festgestellt werden (Hofberg & Ward, 2003, 507). 7-22 % der Kaiserschnitte in England und Finnland sind ohne medizinische Notwendigkeit auf den Wunsch der Mütter hin erfolgt (Hofberg & Ward, 2003, 507; Saisto & Halmesmäki, 2003, S. 206).

Theoriehintergrund – Tokophobie und FOC

Der Begriff „Tokophobie“ wurde von den Psychiatern Hofberg und Brockinton eingeführt. Tokophobie bezeichnet wie eingangs erwähnt einen extrem intensiven Angstzustand, der manche Frauen trotz Kinderwunsch zur Vermeidung von Schwangerschaft oder Geburt zwingt (Scollato & Lampasona, 2013, S. 2). Hofberg unterscheidet zwei Arten des Störungsbildes:

Als primäre Topophobie wird die Angst vor einer Schwangerschaft oder Geburt bei Frauen bezeichnet, die noch kein Kind geboren haben. Sie tritt vor allem im frühen Erwachsenenalter auf (Scollato & Lampasona, 2013, S. 2). Betroffene verhüten meist sehr gewissenhaft. Im Extremfall kann der Zustand zu einem Schwangerschaftsabbruch einer ungeplanten Schwangerschaft, zu Kinderlosigkeit oder Adoption oder zu einem Wunsch-Kaiserschnitt führen (Hofberg & Ward, 2003, 507-508). Viele Frauen, die sich aus Angst vor der Geburt gegen ein Kind entschieden haben, leiden bis ins hohe Alter am unerfüllten Kinderwunsch und dem Gefühl der Unzulänglichkeit (Hofberg & Ward, 2003, 508).

Sekundäre Tokophobie tritt bei Frauen auf, die bereits ein Kind geboren haben und eine traumatische Erfahrung erlitten haben. Dies kann typischerweise eine traumatische erste Geburtserfahrung sein, aber auch Fehl- oder Totgeburten (Hofberg & Ward, 2003, 508). Frauen, die eine traumatische, gewaltvolle Geburtserfahrung hinter sich haben leiden häufig an einer posttraumatischen Belastungsstörung, aus der eine Tokophobie resultiert. Hohen Einfluss auf die psychologische Empfindung nach der Geburt hat das Maß an gefühlter Selbst- und Situationskontrolle während der ersten Geburt (Hofberg & Ward, 2003, 508).

Woher kommt die Angst?

Ursachen für eine Tokophobie gibt es im Wesentlichen Dreierlei: (1) Tokophobie ist vererbbar. Frauen, deren Mütter Angst vor der Geburt verspürten oder bei denen Schwangerschaft und Geburt mit negativen Erfahrungen assoziiert ist, sind gefährdeter, eine Tokophobie zu entwickeln. Dies wird durch eine negative Einstellung der Eltern zu Sexualität verstärkt (Hofberg & Ward, 2003, 508). (2) Traumata und sexueller Missbrauch kann zu Tokophobie führen, ebenso wie (3) Angstneigungen im Allgemeinen, sowie negative Erfahrungen und Erwartungen an die Geburt (Hofberg & Ward, 2003, 508). Tokophobie steht häufig im Zusammenhang mit Persönlichkeitseigenschaften wie Neurotizismus oder geringem Selbstvertrauen. Unzufriedenheit in der Partnerschaft und geringe soziale Unterstützung können ebenfalls Indikatoren sein (Saisto & Halmesmäki, 2003, S. 204).

Wovor haben betroffene Frauen Angst?

Tokophobie und FOC sind Resultate verschiedener unterschiedlicher Ängste, die Frauen in Bezug auf eine Schwangerschaft erleiden (Striebich et al., 2018, S. 98). Der häufigste Grund für eine pathologische Angst in Bezug auf Schwangerschaft und Geburt ist die Angst vor Schmerzen und die eigene geringe Erwartung, diese aushalten zu können (Saisto & Halmesmäki, 2003, S. 202). Ein weiter Grund sind vergangene traumatische Erfahrungen sowie die Angst, nicht gebärfähig zu sein. Frauen fürchten physiologische und psychologische Unfähigkeit, die Geburt zu überstehen oder sorgen sich, dem Kind durch den Geburtsverlauf durch unangemessenes Verhalten zu schaden. Geringes Vertrauen in geburtshilfliches Personal sowie das Kontroll- und Hoffnungsverlust sind weitere häufige Ängste (Saisto & Halmesmäki, 2003, S. 203). Eine große Angst ist hier einerseits medizinische Intervention aufgrund des Kraftverlustes, aber auch die Angst vor Uneinigkeit mit dem klinischen Personal und die Angst, in der geschwächten Position eigene Vorstellungen durchsetzen zu können (Scollato & Lampasona, 2013, S. 5). FOC und Tokophobie stellt ein hohes Risiko für einen riskanten und schmerzvollen Geburtsverlauf, postnatale Depressionen und posttraumatische Belastungsstörungen dar. Auch das Kind ist durch die erhöhte Ausschüttung von Stresshormonen während der Schwangerschaft in Gefahr (Striebich et al., 2018, S. 98–99)

Lösungsansatz – Tokophobie ist behandelbar!

Frauen mit FOC und Tokophobie sollten mit ihren Gefühlen nicht alleine gelassen werden und therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen. Betroffene Frauen sollten durch medizinisches Personal besonders betreut werden und in jedem Fall eine Möglichkeit haben, über ihre Ängste zu sprechen (Scollato & Lampasona, 2013, S. 13; Striebich et al., 2018, S. 98). Neben Aufklärung und umfassender Information helfen Interventionen, die auf Stressreduzierung und das Erlenen von Coping-Strategien während Schmerzen ausgerichtet sind. Eine Übersicht über Interventionen liefern Striebich, Mattern und Kollegen (2018):

Theory of Planned Behaviour und Stress Inoculation Training (SIT)
Bei Frauen mit FOC und Tokophobie helfen Interventionen, die Möglichkeiten und Ressourcen der Frauen identifizieren. Dies gibt ihnen ein Gefühl des Vorbereitet-Seins und der Kontrolle. Weiterhin ist da Erlernen von Coping-Strategien gegen Stress wichtig, um Frauen das Gefühl der Widerstandsfähigkeit und Situationsbeherrschung zu ermöglichen (Striebich et al., 2018, S. 112)
Krisenplanung
Frauen werden umfassend über die Geburt informiert und dazu ermutigt, einen Geburtsplan zu schreiben, der auch alternative Möglichkeiten und Wünsche für einen schwierigen Geburtsverlauf bereithält (Striebich et al., 2018, S. 112).
Verhaltenstherapie
Durch die Verhaltenstherapie können kognitive Muster, Verhaltensweisen und Gedanken reflektiert werden und so hinderliche Gedanken durch positive kognitive Strategien ersetzt werden (Striebich et al., 2018, S. 112).
Psychodynamische Therapie
Hier werden tiefgreifend verankerte Gefühle und Erfahrungen (Abhängigkeit von Anderen und Kontrollverlust in früheren Lebenssituationen, Verhältnis zu den Eltern etc.) identifiziert und das Selbstbewusstsein und -vertrauen der Frauen dahingehend gestärkt (Striebich et al., 2018, S. 113).
‘Birth Emotions – Looking to Improve Expectant Fear’ (BELIEF)
Kernelement dieser Intervention ist der absolute Fokus auf die seelische Gesundheit von Müttern durch Gespräche über Emotionen und Erfahrungen und das Finden konstruktiver Bewältigungsstrategien (Striebich et al., 2018, S. 113).
Tabelle 1 – Interventionen und Therapien zur Behandlung von FOC und Tokophobie (in Anlehnung an Striebich et al., 2018, S. 112)

Fazit

FOC und Tokophobie sind ernstzunehmende psychische Leiden, mit denen Frauen und Hebammen nicht allein gelassen werden sollten. Es ist Aufgabe der Gesundheitspolitik, diesem sensiblen Thema Sichtbarkeit zu schenken und entsprechende Präventionsprogramme anzubieten. Interventionsprogramme sollten professionelle entwickelt, getestet und evaluiert werden (Striebich et al., 2018, S. 112–113). Die psychologische Betreuung sollte in die Ausbildung von Hebammen integriert werden. Lokal sollten Kooperationen zwischen Geburtshelfer*innen (Hebammen) und niedergelassenen Psychotherapeut*innen und Psycholog*innen eingerichtet werden, die eine rechtzeitige und wirksame Versorgung der betroffenen Frauen gewährleisten (Striebich et al., 2018, S. 113).

Literatur

Gutteridge, K. (2020). Understanding Anxiety, Worry and Fear in Childbearing. Cham: Springer International Publishing. https://doi.org/10.1007/978-3-030-21063-2

Hofberg, K. & Ward, M. R. (2003). Fear of pregnancy and childbirth. Postgraduate Medical Journal, 79(935), 505-10, quiz 508-10. https://doi.org/10.1136/pmj.79.935.505

Poggi, L., Goutaudier, N., Séjourné, N. & Chabrol, H. (2018). When Fear of Childbirth is Pathological: The Fear Continuum. Maternal and Child Health Journal, 22(5), 772–778. https://doi.org/10.1007/s10995-018-2447-8

Saisto, T. & Halmesmäki, E. (2003). Fear of childbirth: a neglected dilemma. Acta Obstetricia et Gynecologica Scandinavica, 82(3), 201–208. https://doi.org/10.1034/j.1600-0412.2003.00114.x

Scollato, A. & Lampasona, R. (2013). Tokophobia: when fear of childbirth prevails. Mediterranean Journal of Clinical Psychology, Vol 1, No 1 (2013). https://doi.org/10.6092/2282-1619/2013.1.893

Striebich, S. (2020). Große Angst vor der Geburt Bedürfnisse und Wünsche schwangerer Frauen in Deutschland – eine rekonstruktive Studie (Dissertation) (Medizinische Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Hrsg.). Halle (Saale). Zugriff am 08.10.2021. Verfügbar unter: https://opendata.uni-halle.de/bitstream/1981185920/33646/1/Dissertation_Striebich18_05.pdf

Striebich, S., Mattern, E. & Ayerle, G. M. (2018). Support for pregnant women identified with fear of childbirth (FOC)/tokophobia – A systematic review of approaches and interventions. Midwifery, 61, 97–115. https://doi.org/10.1016/j.midw.2018.02.013

Beitragsbild: Photo von Yuris Alhumaydy auf Unsplash, URL: https://unsplash.com/photos/mSXMHkgRs8s

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