By Published On: 16. September 2025Categories: Inklusion, Pädagogik

Hochbegabte Kinder und Jugendliche faszinieren durch ihre außergewöhnlichen intellektuellen Fähigkeiten – und stellen zugleich Eltern, Lehrkräfte und das heutige Bildungssystem vor besondere Herausforderungen. Denn Hochbegabung bedeutet in manchen Fällen nicht automatisch schulischen Erfolg. Was steckt hinter dem Phänomen Hochbegabung – und wie kann Schule besser auf diese besonderen Kinder eingehen? Lässt sich im Kontext schulischer Bildung von einem spezifischen Förderbedarf sprechen? Und wenn ja, in welchen Fällen?

Ganz normal hochbegabt

Intellektuelle Hochbegabung wird in der psychologischen Forschung als eine besonders hohe Ausprägung der allgemeinen Intelligenz verstanden. In der Regel spricht man ab einem Intelligenzquotienten (IQ) von 130 von Hochbegabung – das entspricht etwa den obersten zwei Prozent der Bevölkerung. Hochbegabte Kinder zeigen oft schon früh eine ausgeprägte sprachliche Ausdrucksfähigkeit, ein hohes Maß an Neugier, ein gutes Gedächtnis und ein starkes Bedürfnis nach Autonomie – je nach Ausprägung.

Verteilung der Intelligenz

Abbildung: Darstellung einer Normalverteilung für IQ-Werte mit einem Mittelwert von 100 und einer Standardabweichung von 15 / Quelle: Lindberg & Hasselhorn, 2018

Entgegen verbreiteten Annahmen zeigen hochbegabte Schülerinnen und Schüler nicht zwangsläufig ein erhöhtes Maß an psychosozialen Problemen im Vergleich zu neurotypisch entwickelten Gleichaltrigen. Vielmehr verfügen sie häufig über ausgeprägte soziale Kompetenzen sowie eine hohe Anpassungsfähigkeit an ihr Umfeld.

„Nichts weist darauf hin, dass «normal Hochintelligente» (l20<IQ<150) in der Grundschule weniger sozial angepasst sind als durchschnittlich Begabte. Sie scheinen sozial integrierter zu sein, d. h. sie werden in ihren Klassen akzeptiert, sind oft beliebt, und man stuft sie in soziometrischen Verfahren nur selten als isoliert oder abgelehnt ein.“ (Tatiana Czeschlik & Detlef H. Rost, 1988)

„Die Projektdaten zeigen, dass Hochbegabte und Hochleistende zunächst einmal Kinder und Jugendliche wie alle anderen sind, mit ähnlichen Vorzügen und mit ähnlichen Schwierigkeiten. Ihr Selbstkonzept ist mindestens vergleichbar gut wie das der durchschnittlich Begabten und durchschnittlich Leistenden ausgeprägt, ihre Persönlichkeit ist harmonisch, von sozialer Isolierung kann nicht die Rede sein.“ (Hochbegabte und hochleistende Jugendliche, 2009)

Am Anfang steht die psychologische Diagnostik

Da Unterforderung und Überforderung ähnliche Symptome zeigen können, ist eine fundierte Diagnose entscheidend. Intelligenztests, ergänzt durch Beobachtungen und Gespräche, helfen dabei, Hochbegabung zu erkennen und passende Fördermaßnahmen zu entwickeln.

Intelligenztests, die bei Schülern zur Verwendung kommen, sind unter anderem die Wechsler Intelligence Scale for Children – Fifth Edition (WISC-V) oder die Kaufman Assessment Battery for Children- Second Edition (K-ABC II).

Der WISC-V, zum Beispiel, wird bei Kindern von 6 bis 16 Jahren eingesetzt und durch 15 Untertests (Mosaik-Test, Matrizen-Test, Rechnerisches Denken usw.) werden 5 Kennwerte errechnet: das Arbeitsgedächtnis, das Sprachverständnis, die Verarbeitungsgeschwindigkeit, das visuell-räumliche Denken, sowie das fluide Schlussfolgern. (Fallbuch WISC-V, 2021)

Diese Differenzierung ermöglicht eine fundierte Einschätzung des Entwicklungsstandes. Weitere Analysen können auf der Untertestebene vorgenommen werden. So gelingt mit der Profilanalyse eine gezielte Aussage über Stärken und Schwächen eines Kindes. Zusätzlich liefern Prozessanalysen wertvolle Hinweise für eine fundierte Förderung. (Hogrefe Testzentrale, 2025)

Hochbegabung ist nicht gleich Hochleistung

„When a flower doesn’t bloom, you fix the environment in which it grows, not the flower.” (Alexander Den Heijer)

Blume im Winter

Damit sich das Potenzial voll entfalten kann, braucht es förderliche Umweltbedingungen, Motivation und passende Herausforderungen. Fehlen diese, kann es zum sogenannten Underachievement kommen – also zu Minderleistungen trotz hoher Begabung.  

Dies sind Schüler, die deutlich weniger leisten als man aufgrund ihrer kognitiven Ausstattung erwarten könnte. Diese Kinder und Jugendlichen, deren Anteil an den Hochbegabten rund 10% bis 15% ausmacht, bedürfen einer psychologischen Fachberatung und -begleitung. (Hochbegabte und hochleistende Jugendliche, 2009)

Mögliche Probleme hochbegabter Schüler

„Hochbegabung ist keine Behinderung. Sie gilt jedoch als Diversitätsphänomen, das mit individuellen Bedürfnissen einhergeht. Im Bildungsbereich ist Begabungsförderung zunehmend ein Thema, das unter dem Oberbegriff der Inklusion behandelt wird. Auftretende Probleme sind in der Regel Passungsprobleme, die dazu führen, dass die Ressource Hochbegabung unzureichend oder maladaptiv genutzt werden kann.“ (Baudson, 2025, S. 1265)

Die Schule ist dabei für manche hochbegabten Kinder kein Ort der Entfaltung, sondern der Frustration. Manche hochbegabten Schüler langweilen sich im Unterricht, wenn der Stoff zu einfach ist und Übungen zu oft wiederholt werden. Trotz hoher Intelligenz zeigen diese Schüler schwache Leistungen, weil ihr Arbeitsgedächtnis eine hohe bis sehr hohe Funktion aufweist und sie so nie Lernstrategien entwickeln mussten.

Diese Probleme können zu Konzentrationsproblemen, Lernblockaden, psychosomatischen Störungen, auffälligem Verhalten in der Klasse, aber auch zu sozialem Rückzug, resp. Schulangst führen.

Für weiterführende Informationen zum Thema Hochbegabung und Schulangst: https://www.fachportal-hochbegabung.de/oid/10240/

Des Weiteren schließt eine vorhandene Hochbegabung keine Lernstörungen aus. Durch die vorhandene Intelligenz und der Fähigkeit, Schwächen zu kompensieren, bleiben Teilleistungsstörungen oft lange unentdeckt. Besonders Mädchen verschwinden oft unter dem Radar durch ihre stärkere soziale Anpassung und die Tendenz, ihre Fähigkeiten zu verstecken, um nicht „anders“ zu wirken.

Fazit: Hochbegabung braucht Verständnis und Förderung

Hochbegabte Schülerinnen und Schüler sind nicht per se leistungsstärker oder „besser“ als ihre Altersgenossen, sondern zeichnen sich durch spezifische kognitive Potenziale aus, die in manchen Fällen eine differenzierte pädagogische Förderung erfordern. Das Bildungssystem ist, meiner Meinung nach, in besonderem Maße gefordert, dieser Vielfalt an individuellen Begabungen psychopädagogisch gerecht zu werden – bei Bedarf auch im Rahmen spezifischer Hochbegabtenklassen oder privaten Schulen mit entsprechender Ausrichtung. In solchen Lernumgebungen erhalten hochbegabte Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit, sich innerhalb von Peergruppen auszutauschen, wodurch Zugehörigkeit erlebt und zusätzliche Förderung durch gemeinsames  Ausprobieren und Forschen ermöglicht werden kann. Nicht im Sinne einer Eliteförderung, sondern damit aus Potenzial echte, persönliche Entfaltung werden kann.

Literaturverzeichnis

Baudson, T. G. (2025). Begutachtung von Hochbegabung. https://doi.org/10.1007/978-3-662-64797-4_84

Fallbuch WISC-V: Die Wechsler Intelligence Scale for Children – Fifth Edition in der Praxis (1. Auflage). (2021). Hogrefe.

Hochbegabte und hochleistende Jugendliche: Befunde aus dem Marburger Hochbegabtenprojekt(2., erw. Aufl.). (2009). Pädagogische Psychologie und Entwicklungspsychologie: Bd. 72. Waxmann.

Hogrefe Testzentrale (Hrsg.). (2025). Wechsler Intelligence Scale for Children-Fifth Edition. https://www.testzentrale.de/shop/wechsler-intelligence-scale-for-children-fifth-edition.html

Lindberg, S. & Hasselhorn, M. (2018). Kognitive Entwicklung. In A. Lohaus (Hrsg.), Springer-Lehrbuch. Entwicklungspsychologie des Jugendalters (S. 51–73). Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-55792-1_3

Tatiana Czeschlik & Detlef H. Rost (1988). Hochbegabte und ihre Peers. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie(1), 1–23.

Bildquelle

Titelbild von geralt. Titel: Student, Mathematics, Education.Veröffentlicht am 1. März 2022. Abgerufen am 03.08.2025. Auf pixabay unter: https://pixabay.com/illustrations/student-mathematics-education-7036660/Lizenzzusammenfassung: https://pixabay.com/de/service/license-summary/.

Textbild von manfredrichter. Titel: Pasqueflower, Flower, Frost image.Veröffentlicht am 30. November 2018. Abgerufen am 10.08.2025. Auf pixabay unter: https://pixabay.com/photos/pasqueflower-flower-frost-ice-3840163/ Lizenzzusammenfassung: https://pixabay.com/de/service/license-summary/.

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