By Published On: 11. Dezember 2019Categories: Meine Hochschule und mein Studium

Die motivierende Gesprächsführung ist im englischen Sprachraum unter dem Begriff „Motivational Interviewing“ (MI) bekannt und wurde von den amerikanischen Psychologen Wiliam R. Miller und seinem britischen Kollegen Stephen Rollnick in den frühen 1980er Jahren entwickelt.[1]

 

Zu Millers und Rollnicks Zeiten herrschte im therapeutischen Setting ein konfrontativer Beratungsstil vor, der es dem Patienten ermöglichen sollte sein Problem zu erkennen und aus der Selbsterkenntnis, die nötige Veränderungsmotivation zu erhalten. In seiner Arbeit mit Suchterkrankten geriet Miller mit dieser Technik jedoch immer häufiger an seine Grenzen.[2] Daraufhin fing der amerikanische Psychologe an seine Patienten mit dem damals neuen klientenzentrierten Ansatz von Carl Rogers zu behandeln und verzeichnete signifikant bessere Ergebnisse. Auf Basis dieser Erfolge verfasste Miller die ersten theoretischen Artikel zu der motivierenden Gesprächsführung, die durch einen kooperativen und zielorientierten Beratungsansatz zwischen Therapeut und Patient gekennzeichnet ist. Im Jahr 1989 lernte er Rollnick kennen, der in England einen ähnlichen Ansatz verfolgte. Gemeinsam entwickelten sie ihre Theorien weiter und veröffentlichten 1991 das erste Lehrbuch zur Motivierenden Gesprächsführung.[3] Der gesamte Ansatz baut auf einem humanistischen Menschenbild auf sowie der Überzeugung, dass Individuen grundsätzlich den Wunsch besitzen sich zu verändern und zudem fähig sind diese Veränderung auch zu erreichen. Damit grenzt sich die Motivierende Gesprächsführung klar von dem damaligen negativen Menschenbild ab, indem Misserfolge bei Veränderungsprozessen auf Seite des Patienten stets mit einer fehlerhaften Befolgung des erteilten medizinischen oder therapeutischen Rates gleichgesetzt wurde.[4]

Zu der Entstehung von Veränderungsmotivation herrschen eine Vielzahl an unterschiedlichen Theorien vor. Ein bekanntes Modell stellt das „transtheoretische Modell der Veränderung“ (TTM) dar. Dabei werden fünf kognitiv-affektive sowie fünf verhaltensorientierte Prozesse definiert, die für die Veränderungsmotivation bei Individuen förderlich sein können. Zu den kognitiv-affektiven Prozessen gehören das Problembewusstsein, das bewusste emotionale Erleben, die Neubewertung der persönlichen Umwelt, die Selbstneubewertung sowie die Wahrnehmung förderlicher Umweltbedingungen eines Patienten. Auf Basis des Verhaltens wirken sich die Selbstverstärkung, etwa das eigene Belohnen positiv auf den Veränderungswillen aus. Zusätzlich helfen selbstverpflichtende Handlungen und Vorsätze, das Nutzen von hilfreichen Beziehungen, die Kontrollfähigkeit der eigenen Umwelt sowie die Fähigkeit eigenes erwünschtes Verhalten zu verstärken und unerwünschtes abzuschwächen.[5] Aufbauend auf dieser Grundlage werden im TTM sieben Schritte definiert, die in der Regel vor einer Veränderung von Individuen durchlaufen werden. Zunächst befindet sich die Person in einem Zustand der Absichtslosigkeit. Die Veränderungsabsicht entwickelt sich erst im zweiten Schritt, indem zum ersten Mal über eine mögliche Verhaltensänderung nachgedacht wird. Die anschließenden drei Phasen werden als „Aktionsphase“ zusammengefasst und bestehen aus Vorbereitung, Handlung und Aufrechterhaltung der Veränderung und implizieren die erfolgreiche Ausübung des geplanten Verhaltens. In einigen Fällen ist der Prozess nach diesen fünf Schritte bereits abgeschlossen. Im Fall eines Rückfalls schließt sich die Rückfallphase sowie die dauerhafte Beibehaltung der neuen Verhaltensweisen an.[6]

 

Prinzipien der Motivierenden Gesprächsführung

 

Die offizielle Definition der Motivationalen Gesprächsführung der beiden Begründer Miller und Rollnick lautet: „Motivational Interviewing ist ein personenzentrierter therapeutischer Stil, der sich dafür eignet, mit dem häufigen Problem der Ambivalenz gegenüber Veränderung umzugehen.“[7] Anhand der Definition wird deutlich, dass der beratenden Person eine große Rolle zugeschrieben wird. Die Leitung eines Gespräches unter dem Ansatz der Motivierenden Gesprächsführung verlangt das reflektive Zuhören des Behandlers, das sowohl eine aktive Gesprächsleitung als auch passive Zuhören einschließt.[8]

Ein weiteres Prinzip ist die Förderung der Selbstwirksamkeit. Das Konzept geht auf den amerikanischen Psychologen Albert Bandura zurück, der die Selbstwirksamkeit wie folgt definiert: „The basic premise of self-efficacy theory is that people’s beliefs in their capabilities to produce desired effects by their own actions”.[9] Die Selbstwirksamkeit wird nach Bandura durch vier Quellen beeinflusst: Physiologische Hinweisreize, verbale Verstärkung sowie stellvertretende- und eigene Erfolgserfahrungen, die am stärksten wirken.[10] Das Wissen machen sich Berater oder Therapeuten in einer Behandlung mit der motivierenden Gesprächsführung zu Nutze und versuchen den Patienten zu eigenen Erfahrungen anzuregen und anzuleiten, jedoch unter der Prämisse keine vorschnellen Ratschläge oder Lösungen zu vermitteln, sondern den Patienten durch offene Fragen selbst zu Ideen zu motivieren.[11]

Die Ambivalenz des Betroffenen stellt ein zentrales Element im Ansatz der Motivierenden Gesprächsführung dar. In einem ambivalenten Zustand schwankt der Patient zwischen dem Festhalten an alten Verhaltensweisen und dem Wunsch nach Veränderungen hin und her. Auch die eigenen Problembereiche können ambivalent wahrgenommen werden und sollten nach dem Prinzip der Diskrepanzverstärkung vom Behandler zunächst aufgedeckt und anschließend bekräftigt werden. Aus einem Zustand der Widersprüchlichkeit heraus, kann anschließend eine Veränderungsmotivation eintreten. Jähne und Schulz (2018) führen beispielhaft folgende ambivalente Patienten-Aussagen an: „Sind meine Freunde es wert, weiter Drogen zu nehmen und die damit verbundenen juristischen Konsequenzen in Kauf zu nehmen?“ oder „Welche Einstellungen der Freunde treffen sich mit meinen Zielen und Wünschen für mein Leben?“.[12]

Der Umgang mit Resonanz und Dissonanz stellt das vierte und letzte Prinzip der Motivierenden Gesprächsführung dar. Berater sollten hier auf den sogenannten „Sustain Talk“ eines Patienten achten, der durch veränderungsresistente Aussagen gekennzeichnet ist. Die Aufgabe ist es in solchen Fällen nicht die Überzeugungen des Patienten auszureden, sondern das Gespräch behutsam zurück zur Veränderungsmotivation, dem sogenannten „Change Talk“, zu richten.[13]

Zusammenfassend lassen sich nach Jähne und Schulz (2018) drei Hauptziele der Motivierenden Gesprächsführung herausstellen: Die Stärkung der Absichtszuversicht, dem Herausarbeiten und Aufrechterhalten der Motivation sowie dem Aufzeigen und Erarbeiten einer Veränderung seitens des Klienten.[14]

 

Techniken der Motivierenden Gesprächsführung

 

Der Prozess der Motivierenden Gesprächsführung lässt sich in vier Phasen unterteilen. Zu Beginn steht der „Beziehungsaufbau“, der eine entscheidende Grundlage für den Erfolg der Kommunikation ausmacht. In der anschließenden Phase der „Fokussierung“ versuchen Berater die Probleme des Patienten herauszuarbeiten sowie individuelle Überzeugungen zu hinterfragen. Dabei nimmt der Behandler die Rolle eines Moderators ein und kann das Gespräch durch reflektives Zuhören, Zustimmung sowie Zusammenfassungen des Gesagten gewinnbringend steuern. In der dritten „Evokationsphase“ steht die Förderung der Selbstwirksamkeit im Vordergrund der Behandlung. Zudem werden in dieser Phase die Weichen für die Veränderungsumsetzung gelegt. Hierfür sollte der Patient bereit sein eigene Veränderungsabsichten zu kommunizieren. Sofern die Entscheidung getroffen wurde, erfolgt im letzten Schritt die gemeinsame „Planungsphase“. In dieser Zeit werden dem Behandler neue Gesprächstechniken eröffnet, in dem er im Sinne des gemeinsamen Ziels Unterstützung, Wissensvermittlung und die Erarbeitung eines Veränderungsplans anwenden kann.[15]

Als Kommunikationstechniken sieht die Motivationale Gesprächsführung offene Fragen seitens des Behandlers vor. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Patienten ihr Selbst ausreichend explorieren können. Damit geht einher, dass dichotome Fragen, die mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden können nicht zielführend für den Behandlungsverlauf sind.[16] Jähne und Schulz (2018) führen beispielhaft folgen Aussagen an: „Erzählen Sie mir, wie Sie leben?“, „Bitte beschreiben Sie mir doch, wodurch haben Sie diese Veränderung erreicht?“ oder „Wo und wie spüren Sie ihre Schmerzen genau?“.[17] Die konsequente Würdigung und Wertschätzung kann ebenfalls erneut unter den Basistechniken der Motivierenden Gesprächsführung aufgelistet werden. Weigl und Mikutta (2019) betonen, dass unter einer Würdigung weniger das Lob zu verstehen ist, sondern vielmehr eine zielgerichtete Würdigung des Verhaltens. Behandler können beispielsweise folgendes sagen: „Obwohl es Sie viel Energie gekostet hat, sind Sie heute zur Therapie gekommen.“ Das reflektierende Zuhören wurde bereits als Gestaltungsmittel erwähnt und wird noch durch das Zusammenfassen ergänzt. Dabei kann eine Zusammenfassung aus dem Sammeln oder Verbinden von verschiedenen Informationen des Patienten bestehen. Zusätzlich ist eine Zusammenfassung ratsam, wenn im Gespräch Themen oder Aspekte gewechselt werden.[18]

Das Vermitteln von Ratschlägen in der Planungsphase der Motivierenden Gesprächsforderung kann, je nach Ausführung, positive sowie negative Konsequenzen auf den weiteren Behandlungsverlauf haben. Sofern sich die Ratschläge jedoch an den Motiven des Patienten orientieren, können Sie gewinnbringend eingesetzt werden.[19] Sofern Ratschläge kommuniziert werden, hat sich das Vorgehen „Nachfrage – Informationen liefern – Nachfrage stellen“ als erfolgreich erwiesen. Somit wird der Patient zunächst um Erlaubnis gebeten einen Ratschlag anzunehmen und anschließend nicht allein gelassen. Therapeuten können beispielsweise fragen: „Darf ich Ihnen noch Informationen zum Thema geben, die auch für andere Klienten von Bedeutung waren?“[20]

Die Praxis zeigt, dass der Ansatz der Motivierenden Gesprächsführung besonders erfolgreich in der Suchtbehandlung eingesetzt werden kann.[21] Aber auch Betroffene mit Angststörungen sowie Menschen mit körperlichen Erkrankungen, etwa Asthma oder HIV, profitieren von dem Behandlungsansatz.[22] Ein weiteres großes Einsatzfeld stellt die Prävention dar, indem Menschen zu gesundheitsförderlichen Verhaltensweisen motiviert werden, noch bevor sie erkranken.[23]

 

Fußnoten

 

[1] Miller & Rollnick (2015)

[2] Miller (1983, S. 171)

[3] Jähne und Schulz (2018, S. 15)

[4] Weigl und Mikutta (2019, S. 5)

[5] (Jähne & Schulz, 2018, S. 27)

[6] Weigl und Mikutta (2019, S. 6)

[7] Miller und Rollnick (2015, S. 50)

[8] Jähne und Schulz (2018, S. 43)

[9] Bandura (1997, S. 7)

[10] Bandura (1997)

[11] Jähne und Schulz (2018, S. 44-45)

[12] Jähne und Schulz (2018, S. 45)

[13] Weigl und Mikutta (2019, S. 24; 27-28)

[14] Jähne und Schulz (2018, S. 47)

[15] Jähne und Schulz (2018, S. 51-53)

[16] Weigl und Mikutta (2019, S. 13)

[17] Jähne und Schulz (2018, S. 58)

[18] Weigl und Mikutta (2019, S. 14)

[19] Miller und Rollnick (2015, S. 166)

[20] Weigl und Mikutta (2019, S. 15)

[21] Heather, Rollnick, Bell und Richmond (1996, S. 29)

[22] Dillard, Zuniga und Holstad (2017, S. 636); Gesinde und Harry (2018, S. 329)

[23] Weigl und Mikutta (2019, S. 33)

Literatur

 

Bandura, A. (1997). Self-Efficacy: The Exercise of Control. New York: Worth Publishers.

Dillard, P. K., Zuniga, J. A. & Holstad, M. M. (2017). An integrative review of the efficacy of motivational interviewing in HIV management. Patient Education and Counseling, 100(4), 636-646.

Gesinde, B. & Harry, S. (2018). The use of motivational interviewing in improving medication adherence for individuals with asthma: a systematic review. Perspectives in public health, 138(6), 329-335.

Heather, N., Rollnick, S., Bell, A. & Richmond, R. (1996). Effects of brief counselling among male heavy drinkers identified on general hospital wards. Drug and Alcohol Review, 15(1), 29-38.

Jähne, A. & Schulz, C. (2018). Grundlagen der Motivierenden Gesprächsführung: Für Beratung, Therapie und Coaching. Paderbron: Junfermann Verlag.

Miller, W. R. (1983). Motivational interviewing with problem drinkers. Behavioural and Cognitive Psychotherapy, 11(2), 147-172.

Miller, W. R. & Rollnick, S. (2015). Motivierende Gesprächsführung: Motivational Interviewing: 3. Auflage des Standardwerks in Deutsch. Freiburg im Breisgau: Lambertus-Verlag.

Weigl, T. & Mikutta, J. (2019). Motivierende Gesprächsführung: Eine Einführung. Wiesbaden: Springer Fachmedien.

 

Bildquelle Titelbild:

Bild von Oliver Kepka auf Pixabay (https://pixabay.com/de/photos/psychologie-psychotherapie-531071/)

 

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