By Published On: 12. August 2020Categories: Psychologie

Wie stellst du dir einen Psychopathen vor? Angsteinflößend, unberechenbar, skrupellos. Wahrscheinlich sieht er schon etwas seltsam aus, sodass du direkt merkst, dass mit dieser Person etwas nicht stimmt. Mit Sicherheit würdest du ihn sofort erkennen. Nicht wahr?

Der Neurowissenschaftler und Universitätsprofessor Dr. James Fallon untersuchte über mehrere Jahre die Hirn-Scans von Gewaltverbrechern, da er nach einer Art Struktur oder Muster suchte, anhand welcher man bestimmen könnte, ob ein Mensch ein potenzieller Gewaltverbrecher sein könnte. Die von ihm gesuchte Struktur fand er durchaus.[1] Die Hirn-Scans der Menschen, die als psychopathisch eingestuft wurden, wiesen in Bereichen des präfrontalen Kortex und der Amygdala eine geringe Aktivität auf. Diese beiden Hirnregionen sind unter anderem für Emotionen wie Empathie verantwortlich.

Im Jahr 2005 beschäftigten sich Fallon und sein Team mit der Entstehung und des Verlaufs der Alzheimer-Krankheit. Er versuchte ähnlich, wie bei seiner Untersuchung einige Jahre zuvor, anhand von Hirn-Scans von gesunden und erkrankten Personen gewisse Muster zu erkennen, die auf eine Alzheimer-Erkrankung hindeuten könnten. Im Laufe der Untersuchung stieß er auf einen Scan, der ein optimales Abbild eines psychopathischen Gehirns darstellte. Da die Scans alle anonymisiert untersucht wurden konnte er den Probanden, dem dieser Scan zugeordnet war, nicht direkt identifizieren. Nach einem Blick in seine Akten musste er mit Erschrecken feststellen, dass dieser Scan ihm selbst zugeordnet war.[2]

Woran erkenne ich einen Psychopathen?

Wie kann das sein? Dass sein Hirnszintigramm identisch mit dem eines schweren Gewaltverbrechers ist, er jedoch sein Leben lang nicht mit dem Gesetz in Konflikt gekommen ist und ein erfolgreicher Neurowissenschaftler und Akademiker ist. Dieselbe Frage stellt sich Fallon ebenfalls. Er bittet verschiedene Psychiater und Psychologen aus seinem Bekannten- und Kollegenkreis um Antworten. Diese konnten ihm jedoch nicht sonderlich weiterhelfen, da es in der klinischen Psychologie die Diagnose „Psychopath“ (laut dem DSM-IV) nicht gibt.[3] Stattdessen wird in der Psychologie oftmals die Diagnose einer antisozialen Persönlichkeitsstörung beschrieben. Diese muss laut DSM-IV mindestens 3 der folgenden Beispiel-Kennzeichnungen aufweisen[4]:

– Wiederholte Konflikte mit dem Gesetz

– Verlogenheit zum eigenen Vorteil

– Hohe Impulsivität

– Hohe Reizbarkeit und Aggressivität sowie Gewaltbereitschaft

– Gleichgültigkeit gegenüber Mitmenschen und Mangel an Mitgefühl

Obwohl der Begriff der Psychopathie in der Psychologie stark diskutiert ist, existiert im psychopathologischen Bereich eine Definition, welche von dem kanadischen Kriminalpsychologen Robert Hare aufgestellt wurde. Sie ist in zwei Kerndimensionen und zwei Verhaltensdimensionen unterteilt. Die interpersonellen Faktoren beschreiben eine erhöhte Selbstdarstellung, pathologisches Lügen, Manipulation zum persönlichen Vorteil, etc. Affektive Faktoren wie Mangel an Empathie, Verantwortung und Gewissen sind ebenfalls Kennzeichen. Psychopathischen Personen fehlt häufig ein Ziel im Leben, sie sind stark impulsiv. Des Weiteren zeigen sie ein schweres kriminelles Verhalten, frühe Verhaltensprobleme und eine unzureichende Ärgerkontrolle.[5]

Dennoch ist es im realen Leben häufig schwer einen Psychopathen zu identifizieren, da sie ein unglaubliches Talent darin besitzen andere Menschen zu manipulieren. So wirken sie gezielt äußerst sympathisch und humorvoll. Es herrscht oft der Glaube, dass Psychopathen zwischen Gut und Schlecht nicht unterscheiden können. Dies ist den meisten psychopathischen Gewaltverbrechen jedoch sehr bewusst, ihnen fehlt jedoch die Empathie um sich emotional in ihre Tat und somit auch in ihre Schuld hineinzuversetzen.[6]

Ist Psychopathie vererbbar?

Fallon beginnt sich im Laufe der Jahre intensiver mit seiner Familiengeschichte auseinanderzusetzen. Zwar existiert in der Wissenschaft noch kein Nachweis, dass Psychopathie genetisch veranlagt ist, jedoch geht die Neurowissenschaft stark davon aus, dass die Veranlagung für Psychopathie durchaus höher ist, wenn ein Familienmitglied ebenfalls erkrankt ist.

Im Zuge seiner Nachforschungen findet er heraus, dass es in der Familie väterlicherseits tatsächlich zwei nähere Verwandte gibt, die aufgrund eines Mordes verurteilt wurden.[7] Fallon findet jedoch auch heraus, dass die Mehrheit der gewalttätigen Psychopathen ein gewisses Muster in der Kindheit durchlebt hat. Ein Großteil wurde in ihrer Kindheit stark missbraucht oder wuchs unter problematischen Bedingungen auf. Keines dieser Merkmale war bei Fallon der Fall gewesen. Er sieht dies als einen der ausschlaggebenden Gründe dafür, dass er nie zu dem Punkt gelangt ist, an dem er ebenfalls zum Straftäter wurde.[8]

In einem Interview mit dem Stern erzählt er, wie er nach der Entdeckung seines Hirn‑Scans nach und nach psychopathische Eigenschaften bei sich wahrgenommen hat. Er hat beispielsweise ständig das Bedürfnis seine Mitmenschen zu manipulieren, was ihm durchaus gut gelingt. Es fällt ihm jedoch schwer sich in seine Mitmenschen hineinzuversetzen. Mittlerweile hat er drei Kinder und ist 5-facher Großvater. Im Interview erwähnt er jedoch, dass er nie die Gefühle normaler Eltern hatte und seine Kinder, je größer sie wurden eher als gute Freunde ansah.[9]

Fazit

Aufgrund seiner eigenen Geschichte ist Fallon davon überzeugt, dass es durchaus möglich ist präventiv gegen Psychopathie zu wirken. Hierfür müssen insbesondere Personen, die in ihrem beruflichen Umfeld mit Kindern in Kontakt sind, geschult werden, damit sie frühzeitige Warnzeichen erkennen können. Außerdem ist Fallon ein sehr gutes Beispiel dafür, dass es auch durchaus vorkommen kann, dass eine Person, die eine psychopathische Veranlagung hat, weder straffällig noch verhaltensauffällig wird. Es ist durchaus möglich, dass es viele weitere Menschen gibt, die ähnlich wie Fallon nichts von ihren Veranlagungen ahnen, da sie möglicherweise ebenfalls in guten Familienverhältnissen aufgewachsen sind. Der Beitrag verdeutlicht, dass das Vorurteil, dass Psychopathen aufgrund ihrer Verhaltensweisen sofort auffallen, nicht bestätigt werden kann. Im Gegenteil. Die meisten Psychopathen schaffen es, sich aufgrund ihrer hohen manipulativen Fähigkeiten, einen guten Ruf und eine hohe Beliebtheit aufzubauen.

 

[1] Vgl. Fallon (2015), S. 8-9

[2] Vgl. Fallon (2015), S. 10-11

[3] Vgl. Fallon (2015), S. 17-18

[4] Vgl. Hautzinger & Thies (2009), S. 30

[5] Vgl. Ortner, Preiß & Sevecke (2018), S. 209

[6] Vgl. Spät (2013)

[7] Vgl. Donaldson (2013)

[8] Vgl. Fallon (2015), S. 110-111

[9] Vgl. Knobbe & Kraft (2014)

 

Literaturverzeichnis

Donaldson James, S. (2013). Scientist Related to Killers Learns He Has a Psychopath’s Brain – Relatives include accused axe murderer Lizzie Borden. ABC News. https://abcnews.go.com/Health/scientist-related-killers-learns-psychopaths-brain/story?id=21029246 (10.08.2020)

Fallon, J. (2015). Der Psychopath in mir. Herbig Verlag. München

Hautzinger, M. & Thies, E. (2009). Klinische Psychologie: Psychische Störungen kompakt. Beltz. Weinheim

Knobbe, M. & Kraft, A. (2014). Begegnung mit einem Psychopathen. Stern. https://www.stern.de/panorama/gesellschaft/us-wissenschaftler-james-fallon-begegnung-mit-einem-psychopathen-3709056.html (10.08.2020)

Ortner, N., Preiß, M. & Sevecke, K. „Psychopathy“ im Kindes- und Jugendalter. Forens Psychiatr Psychol Kriminol 12, 207–216 (2018). https://doi.org/10.1007/s11757-018-0484-1

Spät, P. (2013). Charmante Bestien. https://www.wissenschaft.de/gesellschaft-psychologie/charmante-bestien/ (15.06.2020)

 

Bildquelle

Pixabay: https://pixabay.com/photos/scam-hacker-security-virus-fraud-4126798/

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