By Published On: 30. Mai 2022Categories: Meine Hochschule und mein Studium

Jeder kennt das: man steht im Supermarkt mit der verpackten Leberkässemmel in der Hand und möchte sie vor lauter Hunger am liebsten sofort verspeisen. Dennoch siegt bei den meisten Menschen eine innere Kontrolle, die verhindert, dass diesem Bedürfnis nachgegeben wird. Bei manchen jedoch ist genau diese Kontrollinstanz so beeinträchtigt, dass Übersprungshandlungen wiederholt durchgeführt werden, welche im Nachhinein oft bereut werden. Diese Gruppe von Verhaltensweisen wird unter dem Begriff „Impulskontrollstörungen“ zusammengefasst. (Turner und Retz 2022, S. 135)

Was ist die Impulskontrolle?

Die Impulskontrolle ist die Fähigkeit, nicht impulsiv, also ohne Rücksicht auf Konsequenzen, zu handeln. In gewissen Maße sind diese Impulse bei jedem Menschen vorhanden und ihnen wird aus Rücksicht zu anderen, in Beachtung der Gesetze und wegen weiterer negativen Konsequenzen meist nicht nachgegeben. Solche Impulse können beispielsweise sein: unangemessene Gewalttätigkeiten, Zerstörung oder Aneignung fremden Eigentums, Selbstschädigungen oder pathologisches Glücksspiel mit der Gefahr zum Selbstruin. (Wirtz 2017, S. 781) Liegt eine Impulskontrollstörung vor, ist ein Mensch nicht mehr fähig, diesen Impulsen zu widerstehen und die Handlungen werden spontan durchgeführt. Die Folgen der Handlung können dabei nicht abgeschätzt werden.

Bedeutung in der Psychologie

Dass die Impulskontrolle als eigenständige Krankheit gesehen wird, ist bis heute umstritten. Im ICD-10 wird ihr trotzdem ein eigenes Kapitel gewidmet, jedoch zählen darunter ganz unterschiedliche Verhaltensstörungen, wie pathologisches Spielen, Pyromanie, Kleptomanie und Trichotillomanie. Die Dermatillomanie, das pathologische Kaufen, das pathologisch gesteigerte Sexverhalten sowie die intermittierende explosible Störung sind zwar nicht als eigenständige Diagnosen im ICD-10 angeführt, spielen aber doch auch eine bedeutende Rolle in der Praxis. Die Impulsstörungen sind in Kapitel V Psychische und Verhaltensstörungen unter F63.- angeführt. (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2013)

Mit der Einführung des ICD-11 wird sich diese Einteilung jedoch ändern. Da zählen dann nur noch die Pyromanie, die Kleptomanie, das pathologisch gesteigerte Sexualverhalten und das intermittierende explosive Verhalten zu den Impulskontrollstörungen, und die Glücksspielsucht sowie die Kaufsucht zählen zu den Verhaltenssüchten. Die Trichotillomanie und die Dermatillomanie zählen dann zu den Zwangsspektrumsstörungen.(Turner und Retz 2022, S. 136)

Verhaltensablauf

Die ersten Symptome machen sich bereits in der Kindheit oder der frühen Jugend bemerkbar. In der Regel verspürt der Betroffene vor der Handlung einen unwiderstehlichen Drang, das entsprechende Verhalten auszuführen. Während der Handlung empfinden die Gefühle der Euphorie und Erleichterung, dass diesem Druck entgegengewirkt wird. Danach tritt häufig ein Gefühl der Reue, des Schams oder der Schuld ein. Das Interessante daran ist, dass mit der Handlung selbst keinem konkret nachvollziehbaren Motiv nachgegangen wird. Die Störungen selbst können mit einem Leidensdruck einhergehen und führen nicht selten zu zwischenmenschlichen Spannungen, oder strafrechtlichen Konsequenzen. (Turner und Retz 2022, S. 136)

Pathologische Verhaltensformen

Wie bereits oben erwähnt, gibt es Unterschieden zwischen dem ICD-10 und ICD-11. Folgend werden jene Verhaltensformen genauer definiert, die zukünftig im ICD-11 vorkommen.

Die Pyromanie (pathologische Brandstiftung) beinhaltet die häufige tatsächlich verursachte Brandstiftung an Gebäuden oder anderem Eigentum ohne verständlichem Motiv. Die betroffene Person hat eine anhaltende Beschäftigung mit Feuer und Brand. (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2013)

Die Kleptomanie (pathologisches Stehlen) charakterisiert das wiederholte Versagen dem Drang, Dinge zu stehlen, die nicht dem persönlichen Gebrauch oder der Bereicherung dienen. Die Gegenstände werden weggeworfen oder gehortet. (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2013)

Die zwanghafte sexuelle Verhaltensstörung wird definiert durch ein anhaltendes Unvermögen, intensive sich wiederholende sexuelle Impulse oder Triebe zu kontrollieren. Dies führt wiederholt zu sexuellem Verhalten, welches sich verschieden manifestieren kann. Dabei kann die Ausübung sexueller Aktivitäten einen zentralen Stellenwert haben, die Person kann das repetitive Sexualverhalten trotz nachteiliger Folgen weiterhin ausführen, die Person führt das Verhalten fort, obwohl sie wenig oder gar keine Befriedigung erhält, oder die Person hat bereits zahlreiche erfolglose Versuche unternommen, das Sexualverhalten zu kontrollieren. (Bründl und Fuss 2021, S. 22)

Die intermittierende explosible Störung zeichnet sich durch wiederholte kurze Episoden verbaler oder physischer Aggressionen oder Zerstörung von Eigentum aus. Die Intensität des Ausbruchs oder der Grad der Aggressivität steht im erheblichen Missverhältnis zur Provokation oder zu den psychosozialen Stressfaktoren. Ein Verhalten kann auch unter diese Kategorie fallen, wenn sich die Symptome nicht besser durch eine andere psychische, verhaltensbedingte oder neurologische Störung erklären lassen und kein Teil eines Musters chronischer Wut und Reizbarkeit sind. Außerdem kann das Verhaltensmuster von ausreichender Schwere sein, um eine signifikante Beeinträchtigung in persönlichen, familiären, sozialen und anderen wichtigen Funktionsbereichen zu führen. (Bründl und Fuss 2021, S. 23)

Bei der Trichotillimanie verspüren Betroffene den quälenden Impuls, sich die Haare in Büscheln oder Einzeln auszureißen, während bei der Dermatillomanie sich die Betroffenen wiederholt an der Haut zupfen oder diese quetschen. (Turner und Retz 2022, S. 136)

Methoden zur Impulskontrollsteigerung

Gerade wenn man gestresst ist fällt es einem schwer, sich zusammenzureißen. Sich selbst Mut zuzusprechen kann jedoch dabei helfen – sofern ein paar Dinge beachtet werden. Wenn beispielsweise statt einem kleinen Stück Schokolade eine ganze Tafel gegessen wird, schimpft der innere Kritiker. Dabei verstärkt der negative Selbstdialog den Stress, welcher wiederum die Impulskontrolle senkt. Je strenger wir also zu uns sind, desto eher geben wir unseren Impulsen nach – ein Teufelskreis. (Psychologie Heute 2022, S. 9)

Um diesen Teufelskreis zu entgehen, sollte man zunächst versuchen, negative Selbstzuschreibungen im Alltag zu erkennen. Um sie mit mehr Distanz betrachten zu können hilft es meistens, sie aufzuschreiben. Im nächsten Schritt geht es darum, neue positive Formulierungen zu finden. Man tut sich damit leichter, wenn man an vergangene Erfolge anknüpft. (Psychologie Heute 2022, S. 9)

Als nächstes stellt man sich ein Szenario vor, in dem man sich wünscht, besser den Impulsen widerstehen zu können. Dabei sollen in Gedanken die Mutsätze gesprochen werden. Kommt man das nächste Mal in diese Situation, wird die hilfreiche Formulierung ins Gedächtnis gerufen. Klappt es beim ersten Mal nicht, sollte man trotzdem nicht zu streng zu einem sein. Jedes Nachgeben ist ein neues Trainingsfeld. (Psychologie Heute 2022)

Therapie

Sollte diese Methode nicht funktionieren, sollte man sich überlegen, sich professionelle Hilfe zu holen. Therapeutisch muss unbedingt über das Erkrankungsbild aufgeklärt werden und ggf. muss eine Psychotherapie erfolgen. Eine Pharmakotherapie kommt eher selten und wenn, nur symptomorientiert zum Einsatz.

Bei weniger stark ausgeprägten Störungsbildern genügt oftmals eine Psychoedukation über die Ursache sowie die Häufigkeit der Störung, damit der Leidensdruck bei den Betroffenen reduziert wird. (Turner und Retz 2022, S. 138) Unter dem Begriff Psychoedukation versteht man die systematische und strukturierte Vermittlung wissenschaftlich fundierter gesundheits- und störungsrelevanter Informationen sowie Kompetenzen mit psychologischen Methoden. Damit wird angenommen, dass Betroffene mithilfe des Wissens ihre Problematik korrigieren können und somit dysfunktionale Einstellungen ändern können. (Mühlig und Jacobi 2020, S. 558)

Reicht eine Psychoedukation nicht mehr aus, werden psychotherapeutische Interventionen eingesetzt, wobei sich verhaltenstherapeutische Techniken gegenüber tiefenpsychologisch fundierten Therapieansätzen durchgesetzt haben. Dabei nutzen verhaltenstherapeutische Maßnahmen Elemente aus der Behandlung von Suchterkrankungen. Unter anderem kommen folgende Strategien zum Einsatz: Strategien zur Verbesserung der Affektregulation und der Selbstwahrnehmung sowie Strategien zur Rückfallprophylaxe und Entspannungsverfahren. (Turner und Retz 2022, S. 138)

Pharmakotherapeutische Interventionen werden nur in Ausnahmefällen eingesetzt. Dabei greift man häufig auf selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, Stimmungsstabilisierer, Anti psychotika oder Naltrexon zurück. (Turner und Retz 2022, S. 138)

Literaturverzeichnis

Bründl, Susanne; Fuss, Johannes (2021): Impulskontrollstörungen in der ICD-11. In: Forens Psychiatr Psychol Kriminol 15 (1), S. 20–29. DOI: 10.1007/s11757-020-00649-2.

Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information (Hg.) (2013): DIMDI – ICD-10-GM Version 2013 Kapitel V: Psychische und Verhaltensstörungen. Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Online verfügbar unter https://www.dimdi.de/static/de/klassifikationen/icd/icd-10-gm/kode-suche/htmlgm2013/block-f60-f69.htm, zuletzt aktualisiert am 07.01.2020, zuletzt geprüft am 23.05.2022.

Mühlig, Stephan; Jacobi, Frank (2020): Psychoedukation. In: Jürgen Hoyer und Susanne Knappe (Hg.): Klinische Psychologie & Psychotherapie. 3., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Berlin, Heidelberg: Springer (Lehrbuch), S. 557–574.

Psychologie Heute (2022): Übungsplatz: Impulskontrolle steigern. In: Psychologie Heute 49. (6), S. 9.

Turner, Daniel; Retz, Wolfgang (2022): Störungen der Impulskontrolle. In: David P. Herzog, Daniel Turner und Klaus Lieb (Hg.): Psychiatrie hoch2. 1. Auflage. München: Elsevier (hoch2), S. 135–140.

Wirtz, Markus Antonius (Hg.) (2017): Dorsch – Lexikon der Psychologie. Unter Mitarbeit von Janina Strohmer. 18. Bern: Hogrefe.

Titelbild

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