By Published On: 15. April 2022Categories: Psychologie

Verschwörungstheoretiker glauben, dass die Mondlandung von der amerikanischen Regierung in einem Fernsehstudio inszeniert wurde und die CIA hinter den Anschlägen des 11. Septembers steckt. Auch die Corona-Krise hat weitere fragwürdige Theorien hervorgebracht: So habe Bill Gates das Virus entwickeln lassen, um mit Impfstoffen Geld zu verdienen und Menschen Mikrochips einzupflanzen (Körner, 2020, S. 384). Etwa ein Drittel der Deutschen glaubt an Verschwörungstheorien. Das Misstrauen in die Institutionen und in die öffentlichen Erklärungen dramatischer Ereignisse ist weit verbreitet. Aber was treibt die Beliebtheit solcher Theorien an?

Was zeichnet Verschwörungstheorien aus?

Verschwörungstheorien lassen sich vor allem durch drei Prinzipien charakterisieren (Barkun, 2003, S. 3):

  1. Nichts passiert per Zufall
  2. Nichts ist wie es scheint
  3. Alles ist miteinander verbunden

Glaube an Verschwörungstheorien weit verbreitet

Besonders deutlich wird dies in der im Jahre 2020 durchgeführten Leipziger Autoritarismusstudie, in der etwa ein Drittel der Deutschen der Aussage „Die meisten Menschen erkennen nicht, in welchem Ausmaß unser Leben durch Verschwörungen bestimmt wird, die im Geheimen ausgeheckt werden“, zustimmte (Schließler, Hellweg & Decker, 2020, S. 288). Mehr als ein Drittel (38 %) glaubte zudem an „geheime Organisationen, die großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben“ (Schließler et al., 2020, S. 201).

Warum glauben Menschen an Verschwörungstheorien?

Die Forschungsgruppe um Karen Douglas von der University of Kent schlägt drei Beweggründe vor, die den Verschwörungsglauben antreiben (Douglas, Sutton & Cichocka, 2017, S. 538-541). Epistemische Motive beschreiben den Drang, seine Umwelt zu verstehen und Zusammenhänge zu sehen. Ein Grundbedürfnis des Menschen ist es, kausale Erklärungen für Ereignisse zu finden, um ein stabiles, akkurates und intern konsistentes Verständnis von der Welt aufzubauen. Genau das erfüllen Verschwörungstheorien – sie liefern breite und intern konsistente Erklärungen. Damit erlauben sie Menschen, ihre Überzeugungen zu behalten und zu schützen, selbst wenn sie mit Unsicherheit und Widersprüchlichkeit konfrontiert werden. Untersuchungen zeigen nämlich, dass insbesondere banale und „einfache“ Erklärungen bzw. fehlende eindeutige Erklärungen für große und bedeutende Ereignisse den Glauben an Verschwörungstheorien verstärken. Das Bedürfnis, sich in seiner Umwelt sicher zu fühlen, Kontrolle über diese zu haben sowie Einfluss darauf ausüben zu können, gehört zu den existenziellen Motiven. Wenn Menschen an Verschwörungstheorien glauben, finden sie darin häufig eine stellvertretende Befriedigung dieser Bedürfnisse. Untersuchungen zeigen nämlich, dass der Glaube an Verschwörungstheorien verstärkt wird, wenn Menschen ängstlich sind und sich machtlos fühlen (Grzesiak-Feldman, 2013, S. 115). Eine Studie von Sullivan et al. (2010) zeigte, dass diejenigen Probanden in höherem Maße an eine Verschwörung glaubten, die zuvor an unkontrollierbare Aspekte des Lebens erinnert wurden (Sullivan, Landau & Rothschild, 2010, S. 434-449; Appel & Mehretab, 2020, S. 120). Grundlegend für soziale Motive ist dagegen das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, Aufrechterhaltung eines positiven Selbstbildes und eines positiven Bildes der eigenen Gruppe (Jolley, Douglas & Sutton, 2018, S. 474). Wenn der soziale Status gefährdet erscheint, kann der Glauben an Verschwörungstheorien kompensatorische Wirkung haben. Im Vordergrund steht die Suche nach Anerkennung in der Nähe von Gleichgesinnten und der Glaube, sich von anderen abzuheben. Durch Übertragung von Verantwortung und Schuld auf andere, wird die Eigengruppe als moralisch und kompetent dargestellt, die durch „böse Andere“ sabotiert wird (Van Prooijen & Jostmann, 2013, S. 109). 

Aktuelle wissenschaftliche Arbeiten nehmen zudem an, dass dem Glauben an eine bestimmte Verschwörungstheorie eine generelle Empfänglichkeit für konspirative Weltbilder zugrunde liegt, die sog. Verschwörungsmentalität (conspiracy mentality) (Bruder, Haffke, Neave, Nouripanah & Imhoff, 2013, S. 10). Sie beschreibt die grundlegende Bereitschaft, hinter gesellschaftlichen und politischen Phänomenen ein intendiertes und geheimes Handeln kleiner, mächtiger Gruppen zu vermuten (Schließler et al., 2020, S. 287). Die Mainzer Forschergruppe um Roland Imhoff konnte verschiedene Merkmale dieser individuellen Eigenschaft identifizieren. Demnach hegen diese Personen eher Vorurteile gegenüber machtvollen Personen und Gruppen in einer Gesellschaft und nehmen diese als besonders unsympathisch sowie bedrohlich wahr (Imhoff & Bruder, 2014, S. 13). Im Vergleich zu anderen schreiben sie sinnlosen Aussagen eher Bedeutung zu, reduzieren komplexe Themen der sozialen Realität und betonen insbesondere den Gegensatz von Gut und Böse. Neben dem Gefühl der Überlegenheit, spielt auch der Glaube erkennen zu können, was andere noch nicht sehen, eine große Rolle. Darüber hinaus stufen diese Personen hochrangige und einflussreiche Experten historischer Ereignisse als weniger glaubwürdig ein als geschichtliche Informationen auf Social-Media (Imhoff, Lamberty & Klein, 2018, S. 1370).

Intervention und Prävention

Intervenierende und präventive Maßnahmen sind besonders wichtig, um die Verbreitung und Entstehung von Verschwörungstheorien zu unterbinden. Im Umgang mit Verschwörungstheoretikern ist es wichtig, bestehenden Überzeugungen Fakten entgegenzustellen. Im persönlichen Umgang sollten Dialoge auf Augenhöhe geführt werden. Zudem sollte hinterfragt werden, welche aktuellen Umstände, Ängste und Motive hinter dem Gedankengut stecken. Auf präventiver Ebene ist, neben der Aufklärung, die frühe Förderung der Medienkompetenz zu betonen. Auf gesamtgesellschaftlicher Ebene sollte rationales Denken sowie wissenschaftliche Erkenntnis gefördert werden.

Fazit

Verschwörungstheoretiker liefern einfache Erklärungen für komplexe Phänomene, erkennen Muster und setzen statt auf Zufall auf dunkle Absichten. Neben psychischen Dispositionen sind epistemische, kausale und soziale Beweggründe als antreibende Kräfte zu benennen. 

Besonders problematisch an Verschwörungstheorien ist, dass sie Hass und Gewalt legitimieren, indem sie Feindbilder kreieren. Zudem widersprechen sie Fakten und erschweren damit effektives politisches Handeln. Beispielsweise wird der menschengemachte Klimawandel nach wie vor von Verschwörungstheoretikern geleugnet, sodass die Absicht, Maßnahmen zu ergreifen, reduziert ist.

Darüber hinaus mangelt es an Studien die untersuchen, welche Rolle der Verschwörungsglauben für Anhänger hat. Hier steht die Wissenschaft vor der Herausforderung, dass sich Verschwörungstheoretiker häufig nicht ernst genommen fühlen und entsprechende Anfragen daher ablehnen. Ob Verschwörungstheorien die Zufriedenheit steigern oder mit anderen psychologischen Konsequenzen einhergehen, bleibt daher fraglich.

Literaturverzeichnis

Appel, M. & Mehretab, S. (2020). Verschwörungstheorien. In M. Appel (Hrsg.), Die Psy- chologie des Postfaktischen: Über Fake-News, 􏰀Lügenpresse“, Clickbait & Co (S. 117- 126). Berlin: Springer.

Barkun, M. (2003). A Culture of Conspiracy. Apocalyptic Visions in Contemporary Amer- ica. Kalifornien: University of California Press.

Bruder, M., Haffke, P., Neave, N., Nouripanah, N. & Imhoff, R. (2013). Measuring Individual Differences in Generic Beliefs in Conspiracy Theories Across Cultures: Conspiracy Mentality Questionnaire. Frontiers in Psychology, 4(30), 225-240. doi: 10.3389/fpsyg.2013.00225

Butter, M. (2018). „Nichts ist, wie es scheint“. Über Verschwörungstheorien. Berlin: Suhr- kamp.

Douglas, K. M., Sutton, R. M. & Cichocka, A. (2017). The Psychology of Conspiracy Theories. Current Directions in Psychological Science, Vol. 26(6), 538-542. doi: 10.1177/0963721417718261

Grzesiak-Feldman, M. (2013). The effect of high-anxiety situations on conspiracy thinking. Current Psychology, 32(1), 100-118. doi: 10.1007/s12144-013-9165-6

Imhoff, R. & Bruder, M. (2014). Speaking (Un-)Truth to Power: Conspiracy Mentality as A Generalised Political Attitude. European Journal of Personality, 28(1), 25-43. doi: 10.1002/per.1930

Imhoff, R., Lamberty, P. & Klein, O. (2018). Using power as a negative cue: How conspiracy mentality affects epistemic trust in sources of historical knowledge. Personality and Social Psychology Bulletin, 44(9), 1364-1379. doi: 10.1177/0146167218768779

Jolley, D., Douglas, K. M. & Sutton, R. M. (2018). Blaming a Few Bad Apples to Save a Threatened Barrel: The System-Justifying Function of Conspiracy Theories. Political Psychology, 39(2), 465-478.

Körner, J. (2020). Über Verschwörungstheorien und ihre Anhänger. Forum der Psychoanalyse, 36(4), 383-401. doi: 10.1007/s00451-020-00405-6

Schließler, C., Hellweg, N. & Decker, O. (2020). Aberglaube, Esoterik und Verschwö- rungsmentalität in Zeiten der Pandemie. In E. Brähler & O. Decker (Hrsg.), Autoritäre Dynamiken: Alte Ressentiments – neue Radikalität: Leipziger Autoritarismus Studie (S. 283-306). Gießen: Psychosozial-Verlag. doi: 10.1007/978-3-662-58695-21

Sullivan, D., Landau, M. J., Rothschild, Z. K. (2010). An existential function of enemyship: evidence that people attribute influence to personal and political enemies to compensate for threats to control. Journal of Personality and Social Psychology, 98(3), 434-449. doi: 10.1037/a0017457

Van Prooijen, J.-W. & Jostmann, N. B. (2013). Belief in conspiracy theories: The influ- ence of uncertainty and perceived morality. European Journal of Social Psychology, 43(1), 109-115. doi: 10.1002/ejsp.1922

Von Bredow, W. & Noetzel, T. (2009). Politische Urteilskraft. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Beitragsbild

pixundfertig (2020). Aufgerufen am 14.04.2022. Verfügbar unter: https://pixabay.com/de/photos/kondensstreifen-putzen-himmel-4859073/

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