By Published On: 20. Oktober 2022Categories: Pädagogik, Psychologie

Seit Februar 2022 herrscht in der Ukraine Krieg. Mehrere tausende Kinder mussten ihre Heimat verlassen und aufgrund des Krieges fliehen. Jedes Kind kommt mit seinem individuellen Päckchen, hat unterschiedlichstes gesehen und miterlebt und potentiell traumatische Erfahrungen machen müssen. Mittlerweile wurden in vielen Kitas Flüchtlingskinder aus der Ukraine aufgenommen. Aber was sollte dort im Umgang mit ihnen beachten werden?

Was ist ein Trauma?

Der Begriff Trauma hat seinen Ursprung im Griechischen und bedeutet „Wunde“ (Baer, 2018, S. 10).

Gemäß des ICD-10 handelt es sich bei einem Trauma um ein „[…] kurz- oder langanhaltendes Ereignis oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophalem Ausmaß […], dass bei nahezu jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde“ (Dilling & Freyberger, 2019, S. 173).

Neben Kriegserfahrungen, die im Rahmen dieses Beitrags im Fokus stehen, stellen Verkehrsunfälle, sexuelle Übergriffe, Gewalterfahrungen, sowie Naturkatastrophen, Beispiele für traumatische Ereignisse dar. Es muss beachtet werden, dass eine Person nicht unmittelbar am Ereignis beteiligt gewesen sein muss, damit dies Auswirkungen hat, sondern es genügt, wenn diese Zeuge eines potentiell traumatisierenden Ereignissen wird (Baer, 2018, S.11).

Folgen einer traumatischen Erfahrung

Inwieweit ein potentiell traumatisierendes Erlebnis tatsächlich traumatisiert und Folgesymptome hervorruft oder in eine Posttraumatische Belastungsstörung übergeht, ist abhängig von persönlichen, sowie situativen Aspekten (Siebert, 2016, S. 24).

Kommt es zu einer eine Traumatisierung kann sich diese auf eine vielfältige Art und Weise äußern. V.a. bei jüngeren Kindern zeigen sich als Folge häufig Rückschritte in der Entwicklung, wie erneutes Einnässen. Betroffene sind häufig schreckhaft und ängstlich und versuchen Situationen zu vermeiden, die Erinnerungen an das Erlebte auslösen. Aufgrund eines, durch das Ereignis ausgelösten, erhöhten Erregungsniveau, sind manche unruhig, wachsam, leicht reizbar und neigen zu aggressivem Verhalten. Weitere Verhaltensweisen, die Kinder aufgrund eines Traumas möglicherweise zeigen, sind bspw. übermäßiges Schreien und das Nachspielen des Erlebten z.B. mit Puppen. Manche Betroffene leiden unter sog. „Flashbacks“. Das bedeutet, dass diese das traumatisierende Ereignis aufgrund damit in Verbindung stehender Reize, sog. „Trigger“, immer wieder durchleben. Berücksichtigt werden muss grundsätzlich, dass die genannten Reaktionen auftreten können, jedoch nicht müssen und sich manche Kinder bspw. nicht auffällig verhalten (Baer, 2018, S. 21 – 22; Shah, 2015, S. 16; Siebert, 2016, S. 31).

Trauma bei Flüchtlingskindern

Viele Flüchtlingskinder waren in den meisten Fällen nicht nur mit einem einzigen potentiellen traumatischen Erlebnis konfrontiert, sondern mussten eine ganze Reihe an derartigen Erfahrungen machen. Sowohl die Kriegssituation im Land an sich, als auch die Flucht und die Ankunft in einem neuen Land und die mit diesen Aspekten verbundenen Erlebnisse können traumatisierend sein. Bspw. kann das Miterleben von Explosionen, Bombardierungen, Zerstörungen, Gewalttaten, sowie die Trennung bzw. das Zurücklassen von Familienmitgliedern traumatisierend auf Kinder wirken. Im Zusammenhang mit der eigentlichen Flucht können ebenfalls traumatische Erfahrungen gemacht werden, z.B. wenn die Flucht überstürzt und mittels überfüllter Busse geschieht. Auch die Situationen an Grenzübergängen können einen Einfluss haben. Mögliche weitere Erfahrungen, die traumatisierend sein können, sind überfüllte Flüchtlingsheime oder Notunterkünfte (Baer, 2018, S. 17 – 18).

Potentielle Trigger für Flüchtlingskinder sind laute Knallgeräusche, wie das Knallen einer Türe, da diese Schüsse ähneln können oder die Farbe Rot, da diese an Blut oder Gefahr erinnert (Shah, 2015, S. 10).

Fallbeispiel

A. ist fünf Jahre alt und mit seiner Mutter, Schwester im März überstürzt aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet. In der Notunterkunft hat er anfangs sehr viel geschrien. Vier Wochen nach seiner Ankunft kam er in eine Kita. Wenn ihm etwas nicht gefallen hat oder er keine Lust auf eine Aktivität hatte, wurde er schnell wütend, laut und hat Kampfgesten in Richtung der Fachkräfte gezeigt. Zudem zeigte einen erhöhten Bewegungsdrang. Auf die Farbe Rot reagierte er panisch.

Umgang mit traumatisierten Kindern in der Kita

Das Ziel sollte sein die Kinder bestmöglich zu begleiten und zu unterstützen, da insbesondere die Zeit kurz nach dem Trauma entscheidend bzgl. der Entwicklung des Traumas ist (Baer, 2018, S. 17). Hierfür ist zunächst relevant, dass die pädagogische Fachkraft eine Bereitschaft mitbringt sich mit der Thematik „Traumapädagogik“ auseinanderzusetzen und auf die ggf. herausfordernde Aufgabe einzulassen (Kühn & Bialek, 2017, S. 56).

Für eine optimale Interaktion mit dem Kind, ist es wichtig dieses mit seiner gesamten Geschichte kennenzulernen. Grundsätzlich gilt, dass jedes Kind individuell betrachtet werden muss und keine einheitliche Umgangsweise existiert. Die Berücksichtigung folgender allgemeiner Empfehlungen kann jedoch hilfreich für einen guten Umgang sein (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen [IQWiG], 2021, S. 6). Von hoher Relevanz ist insbesondere, dass Stabilität und Sicherheit geschaffen wird Dies kann bspw. durch verlässliche Bezugspersonen, die das Kind in schwierigen Situationen und dem Alltag begleiten, dem Aufbau positiver Beziehungen, sowie einer Tagesstruktur mit klaren Ritualen und Regeln erreicht werden (Grabbet, 2016, S. 14; Guhl & Beucher, 2017, S. 159). Hilfreich kann diesbezüglich eine anfängliche Kommunikation in der Muttersprache sein. In den ersten Wochen sollten die Anforderungen an das Kind angepasst und Überforderung vermieden werden. Zudem sollte das Kind in Entscheidungen miteinbezogen werden. Diese Aspekte zielen darauf ab, das Gefühle der Handlungsfähigkeit und der Selbstwirksamkeit, die während des traumatischen Erlebnisses nicht vorhanden waren, sowie das Selbstwertgefühl, zu stärken (Kühn & Bialek, 2017, S. 60 – 62; Zito, 2016, S. 45 – 47). Wichtig ist zudem, dass auf potentielle Trigger geachtet wird. Sie vollständig zu vermeiden ist kaum möglich, dennoch sollte versucht werden viele zu identifizieren, um sie zumindest vorerst zu reduzieren und angemessen auf das Verhalten des Kindes reagieren zu können. Falls das Kind Flashback erlebt ist es notwendig dieses wieder ins Hier und Jetzt zu holen (Baer, 2018, S. 16; Guhl & Beucher, 2017, S. 158). Auch das Schaffen von Ruheorten kann hilfreich sein, damit das Kind einen sicheren Platz hat an den es sich zurückziehen kann (Kühn & Bialek, 2017, S. 98).

Vermieden werden sollte das Sprechen über die traumatischen Erfahrungen, wenn das Kind dies nicht möchte (IQWiG, 2021, S. 8).

Fallbeispiel Fortsetzung

Mittlerweile ist A. seit vier Monaten in der Kita. Für A. ist sehr wichtig, dass jemand da ist, auf den er sich verlassen kann und der ihn durch den Kitaalltag begleitet. V.a. zu einer Erzieherin hat er eine vertrauensvolle Beziehung aufgebaut. Dies zeigt sich dadurch, dass er häufig ihre Nähe und Unterstützung sucht und annehmen kann. Im Laufe der Zeit ist er offener geworden, reagiert seltener mit einer Abwehrhaltung und hat in der Gruppe Anschluss gefunden. Hilfreich war für ihn, dass die Anfangszeit sensibel und an ihm orientiert gestaltet wurde. Hierzu gehörte, dass die anfängliche Kommunikation in seiner Muttersprache stattfand, die Bezugserzieherin sich Zeit für ihn nahm und er die Möglichkeit hatte selbstwirksam zu agieren.

Fazit

Kinder, die aufgrund eines Krieges und einer Flucht traumatisiert sind, können vom Besuch einer Kita profitieren, wenn dort ein für sie sicherer Ort geschaffen wird. Damit pädagogische Fachkräfte sensibilisiert werden, ist es sinnvoll, dass diese sich im Rahmen von Fort- und Weiterbildungen mit dem Thema „Traumapädagogik“ auseinandersetzten. Grundlegend für einen guten Umgang mit einem traumatisierten Kind ist, dass die Fachkräfte so viel wie möglich über das Kind wissen, um individuell auf dieses eingehen zu können. V.a. dem Schaffen von Stabilität und Sicherheit kommt beim Umgang mit den Kindern eine große Bedeutung zu.

Literatur

Baer, U. (2018). Traumatisierte Kinder sensibel begleiten: Basiswissen & Praxisideen. Weinheim Basel: Beltz.

Dilling, H. & Freyberger, H. J. (Hrsg.). (2019). Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen (9., aktualisierte Auflage entsprechend ICD-10-GM (German Modification)). Bern: Hogrefe.

Grabbet, R. (2016). Hallo, Hallo, schön, dass Ihr da seid: Ideen für Bildungsaktivitäten mit Kindern aus Flüchtlingsunterkünften. München: Burckhardthaus.

Guhl, A. & Beucher, S. (2017). Was brauchen Kinder, die traumatische Erlebnisse haben? Zugriff am 12.08.2022. Verfügbar unter https://www.kita-aktuell.de/assets/documents/PDFs/KiTa_aktuell_ND_2017_07-08_Was_brauchen_Kinder_die_traumatische_Erlebnisse_hatten.pdf

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen [IQWiG] (2021). Trauma bei Kindern und Jugendlichen: Informationen für Lehr- und Erziehungskräfte.  Zugriff am 18.08.2022. Verfügbar unter https://www.gesundheitsinformation.de/pdf/posttraumatische-belastungsstoerung/2021-trauma-bei-kindern-und-jugendlichen.pdf

Kühn, M. & Bialek, J. (2017). Fremd und kein Zuhause: Traumapädagogische Arbeit mit Flüchtlingskindern (Pädagogik). Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG.

Shah, H. (2015). Flüchtlingskinder und jugendliche Flüchtlinge in der Schule. Stuttgart: Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg.

Siebert, G. (2016). Flucht und Trauma im Kontext Schule: Handbuch für PädagogInnen, Berlin: UNHCR Deutschland.

Zito, D. (2016). Traumasensible Pädagogik: Was Traumatisierung bedeutet und wie Kitas betroffene Kinder unterstützen können. frühe Kindheit, 6, S. 45 – 47.

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