By Published On: 5. Dezember 2025Categories: Gesundheit, Inklusion

Wie inklusiv ist die deutsche Politik wirklich?

Von den Fluren des Bundestags bis zu den Sitzungssälen der Kommunen – politische Inklusion ist ein Prüfstein für Demokratie und Gesellschaft. Dieser Blog-Beitrag beleuchtet kritisch, wie stark Menschen mit Behinderungen in der aktiven Politik vertreten sind, welche Hürden bestehen und welche Konsequenzen mangelnde Repräsentation für die demokratische Kultur hat (Milbert 2025).

Der Bundestag als Arbeitgeber: inklusiver auf dem Papier als in der Praxis

Auf den ersten Blick wirken die Zahlen beeindruckend:

Der Deutsche Bundestag gibt an, dass rund 10 % seiner Beschäftigten eine Behinderung haben – deutlich mehr als die gesetzlich vorgeschriebenen 6 %.

Doch ein genauerer Blick offenbart, dass sich diese Quote nicht auf das politische Kerngeschäft bezieht. Die Zahlen umfassen sämtliche Angestellten – von der Verwaltung über die Haustechnik bis zum Protokolldienst. Abgeordnete selbst sind in der Statistik nicht gesondert ausgewiesen (Milbert 2025).

Wie repräsentativ ist der Bundestag? Ein Blick auf die Abgeordneten

Eine Umfrage der Süddeutschen Zeitung zu Abgeordneten des 19. Bundestags (2017–2021) zeigt:

Es fehlten:

43 Menschen mit Behinderung,

107 Menschen mit Migrationshintergrund,

33 Muslim:innen,

140 Frauen,

um die tatsächliche Bevölkerungsstruktur abzubilden (Milbert 2025).

Wie inklusiv sind die Ministerien?

Eine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion brachte 2024 ans Licht, dass die Inklusion in Bundesministerien stark variiert.

Im einfachen Dienst arbeiten überdurchschnittlich viele Menschen mit Behinderungen – in manchen Ministerien mehr als zehn Prozent. Im mittleren und gehobenen Dienst sinkt der Anteil auf etwa fünf bis zehn Prozent. Besonders deutlich wird die Unterrepräsentation im höheren Dienst: In Leitungs- und Referatspositionen liegt der Anteil unter fünf Prozent. Menschen mit Behinderung sind damit gerade dort kaum vertreten, wo politische Gestaltungsmacht konzentriert ist (Milbert 2025).

Wie inklusiv ist die Kommunalpolitik?

In der Kommunalpolitik zeigt sich die Unterrepräsentation von Menschen mit Behinderungen besonders deutlich. Der SPD-Politiker Constantin Grosch, selbst Rollstuhlfahrer, schätzt, dass in Bundes- und Landesparlamenten nur 1-2 Abgeordnete pro Parlament eine Behinderung haben – bundesweit also gerade einmal 30 bis 40 Personen.

Viele Sitzungssäle sind nicht barrierefrei, und kommunalpolitische Gremien können sich Dolmetsch Dienste oder Assistenz oft nicht leisten. Die Hürden beginnen damit bereits bei der Teilnahme an regulären Sitzungen (Milbert 2025).

Inklusion als politisches Ziel: Wie handhaben es die Parteien?

Parteien könnten entscheidend dazu beitragen, dass mehr Menschen mit Behinderungen in die Politik gelangen. Für die Bundestagswahl 2025 haben zwar alle später im Bundestag vertretenen Parteien das Thema Behinderung in ihren Programmen erwähnt – doch Inklusion spielte nirgends eine zentrale Rolle, und die Aussagen blieben oft vage:

-Die Linke fordert eine grundlegende Reform von Förderschulen und Werkstätten.

-Die AfD räumt Inklusion die geringste Bedeutung ein und lehnt Antidiskriminierungsgesetze ab.

-Die Grünen sind die einzige Partei, die konkrete Maßnahmen zur politischen Teilhabe formuliert, etwa barrierefreie Bundesgebäude innerhalb von zehn Jahren (Milbert 2025).

Gesetzliche Vorgaben, die Parteien verpflichten würden, Menschen mit Behinderungen auf ihren Listen stärker zu berücksichtigen, gibt es nicht. Eine Quote für Kandidat:innen wurde zwar bereits 2013 von einzelnen SPD-Politiker:innen vorgeschlagen, aber nie von einer Partei aufgegriffen. Entsprechend bleibt die Inklusion im politischen Betrieb auch weiterhin weitgehend vom Goodwill der Parteien abhängig (Milbert 2025).

Simone Fischer – erste kleinwüchsige Abgeordnete im Bundestag

Simone Fischer (Grüne), ehemalige Landesbehindertenbeauftragte Baden-Württembergs, ist seit 2025 die erste kleinwüchsige Person im Deutschen Bundestag. Ihr Alltag zeigt jedoch, wie viele Barrieren im politischen Betrieb weiterhin bestehen.

Schon einfache Situationen wie die Suche nach einem geeigneten Fahrradständer im Regierungsviertel werden für Fischer zur Herausforderung: Viele Wege sind länger, Hindernisse häufiger. Damit wird klar: Barrierefreiheit bedeutet weit mehr als Rampen und bauliche Anpassungen.

Nun muss die Parlamentsverwaltung prüfen, wie Arbeitsplätze, Wege, Rednerpulte und Sitzordnungen so gestaltet werden können, dass Fischer ihr Mandat ohne Einschränkungen ausüben kann. An ihrem Beispiel wird sichtbar, wie ernst es der Bundestag tatsächlich mit Teilhabegerechtigkeit meint – und welche Lücken weiterhin bestehen (Goldbeck 2025).

Fazit: Noch lange keine ausreichende Repräsentation

Menschen mit Behinderung sind im politischen System weiterhin deutlich unterrepräsentiert. Zwar erfüllen viele Institutionen ihre Beschäftigungsquoten, doch Menschen mit Behinderung finden sich vor allem in Positionen mit geringerer Verantwortung – selten jedoch in den politischen Ämtern, in denen Entscheidungen getroffen werden. In der Kommunalpolitik verhindern zusätzlich strukturelle und finanzielle Barrieren, dass mehr Menschen mit Behinderung ein Mandat übernehmen.

Politische Inklusion braucht gesellschaftliche Inklusion. Wer im Alltag mit Barrieren leben muss, hat weniger Ressourcen für politische Arbeit. Und dieses Muster zeigt sich auch in den Parteien: Dort, wo Inklusion im Programm wenig Raum einnimmt – vor allem bei rechten Parteien –, finden sich auch weniger Abgeordnete mit Behinderung. Die politische Repräsentationslücke folgt damit gesellschaftlichen Ungleichheiten.

Warum das demokratische Folgen hat

Eine Demokratie lebt von vielfältigen Perspektiven. Fehlen Stimmen marginalisierter Gruppen im Parlament, werden Entscheidungen aus einer eingeschränkten Sicht getroffen. Strukturelle Barrieren bleiben unerkannt und verfestigen sich weiter – und Menschen mit Behinderung sehen kaum Vorbilder, die zeigen: Du hast hier einen Platz.

Gerade im neuen Bundestag, in dem rechte Parteien an Bedeutung gewinnen, ist diese Entwicklung gefährlich. Es braucht daher politischen Willen, Strukturen zu öffnen, Programme zu verändern und echte Teilhabe zu ermöglichen. Denkbar wären auch gesetzliche Vorgaben – etwa Quotenregelungen –, damit Inklusion nicht länger vom Wohlwollen einzelner Parteien abhängt.

Die Inklusion in der Politik spiegelt wider, welche Werte wir als Gesellschaft vertreten. Ob Menschen mit Behinderung künftig stärker mitentscheiden können, hängt auch davon ab, wen wir wählen – und welches politische Verständnis von Vielfalt und Teilhabe wir unterstützen.

Literaturverzeichnis

Goldbeck, Christoph (2025): Wie stellt sich das Parlament auf die erste kleinwüchsige Abgeordnete ein? Hg. v. inklusions-tv. Online verfügbar unter https://www.inklusions-tv.de/wie-stellt-sich-das-parlament-auf-die-erste-kleinwuechsige-abgeordnete-ein/.

Milbert, Maria (2025): Inklusion im Politikbetrieb: Mehr Schein als Sein? Ein kritischer Blick vom Bundestag bis in die Kommunalpolitik. Hg. v. Berlin Inklusiv. PHÖNIX – Soziale Dienste gGmbH. Online verfügbar unter https://www.berlin-inklusiv.de/inklusion-im-politikbetrieb-mehr-schein-als-sein/.

Bildquelle:

Urheber: Felix-Mittermeier

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Titel: Bundestag, Deutsche fahne, Reichstag. Kostenlose Nutzung.

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