By Published On: 31. Januar 2020Categories: Gesundheit, Psychologie

Die negativen Auswirkungen von schädlichen Stoffen (Teratogene) auf die pränatale Entwicklung ist weitreichend bekannt. Frauen werden in der Regel von ihrem Frauenarzt auf die Risiken des Konsums von (illegalen) Drogen, Medikamenten und rohem Fisch und Fleisch hingewiesen. Welchen Einfluss hat jedoch mütterlicher Stress auf die pränatale Entwicklung? Diese Frage ist deutlich weniger präsent. Sie sollte es aber sein, wie die folgenden Absätze anhand der Auswirkungen von pränatalem Stress der Mutter auf die körperliche, geistige und emotionale Gesundheit des Neugeborenen ausführen. Es gibt aber auch Schutzmaßnahmen, auf die zum Abschluss des Artikels eingegangen wird.

 

Auswirkung auf die körperliche Entwicklung

Eine US-amerikanische Studie hat untersucht, wie sich belastende Ereignisse auf die körperliche Entwicklung des Ungeboren auswirken. In Interviews wurden die Mütter gefragt, ob während der perikonzeptuellen Phase[1] ein naher Angehöriger verstorben ist oder es bei ihnen oder in ihrem engen Umfeld zu anderen einschneidenden Ereignissen wie zu einer Trennung oder einem Jobverlust kam. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass belastende Lebensereignisse in dem untersuchten Zeitraum u.a. das Risiko für die Geburt eines Säuglings mit einer Herzanomalie, orofaziale Spalten oder eines Neuralrohrdefektes signifikant erhöhen.[2]  Eine weitere Studie befasste sich mit einem möglichen Zusammenhang zwischen pränataler Depression der Mutter und dem Geburtsgewicht der Säuglinge. Die depressiven Frauen hatten eine 13% höhere Inzidenz von Frühgeburt, und ihre Neugeborenen hatten eine 15% höhere Inzidenz von niedrigem Geburtsgewicht.[3]

 

Auswirkung auf die geistige und motorische Entwicklung

Ein Überblick über weitere Forschungsarbeiten legt nahe, dass Kinder von depressiven Müttern bereits in der Neugeborenenphase weniger auf Gesichter und Stimmen zu reagieren scheinen.[4]

Eine Studie der Cambridge University untersuchte ein breites Spektrum an präperinatalen Faktoren und Risiken für nicht-schizophrene Psychopathologie[5]. Sie kam zu dem Ergebnis, dass es multifaktorielle Auslöser sind, die mit den untersuchten Krankheitsbildern in Verbindung gebracht werden können. Die schlechte emotionale Gesundheit der Mutter während der Schwangerschaft konnte mit jeder untersuchten Psychopathologie – bis auf die Suchterkrankung – in Verbindung gebracht werden.[6]

Eine weitere Studie dokumentierte den Grad der mütterlichen Depression und Angst während des dritten Trimesters mittels standardisierter Selbstberichterstattung. Zusätzlich wurde die negative Reaktion von Säuglingen im Alter von vier Monaten[7] auf Herausforderungen in Form neuer Stimuli mit einem standardisierten Laborverfahren untersucht. Die Säuglinge von Müttern, die während der Schwangerschaft stärker von Angst und Depression betroffen waren, zeigten eine größere negative Verhaltensreaktion auf Neues, als die Kontrollgruppe. Somit unterstützen diese Ergebnisse auch die Hypothese, dass die pränatale Umgebung programmierende Effekte auf den Fötus ausübt, mit Konsequenzen für das Verhalten des Kindes.[8] Diese negative Reaktion auf unbekannte Stimuli kann sich auf das spätere Verhalten auswirken. So zeigen beispielsweise Säuglinge, die durch vielfältige Stimulation leicht (negativ) erregbar sind, als Kleinkinder eher Verhaltensauffälligkeiten.[9] Weitere Studien bestätigen die Korrelation zwischen pränataler Stressbelastung der Mutter und dem „schwierigen Temperament“ der Säuglinge, welches sich am ehesten als Unbehagen bei der Konfrontation mit neuen Reizen äußerte. Es konnte jedoch auch festgestellt werden, dass Säuglinge von Müttern mit höherer Stressbelastung eine bessere grobmotorische Entwicklung aufwiesen.[10]

 

Wie wirkt sich die emotionale Gesundheit der Mutter auf die pränatale Entwicklung des Säuglings aus?

Der Developmental Origins of Health and Disease (DOHaD)-Ansatz versteht die körperlichen Veränderungen des Fötus als eine frühe Adaption an seine intrauterine Umwelt. Diese ist durch Faktoren wie die mütterliche Ernährung und Stressempfindung sowie plazentare Funktionen geprägt. Durch die Adaption versucht sich der Fötus möglichst früh an die aufgrund dieser Faktoren antizipierte postnatale Umwelt anzupassen. Zu Schwierigkeiten kommt es, wenn antizipierte und tatsächliche Umwelt nicht deckungsgleich sind und sich die Adaptionen also nicht als förderlich, sondern als hinderlich erweisen.[11] Als biologische Mechanismen, die diesen Adaptionen zugrunde liegen, werden epigenetische Prozesse diskutiert. Epigenetische Prozesse beinhalten Veränderungen an der DNA, welche die Genaktivität regulieren können, ohne die DNA-Sequenz selbst zu verändern.[12] Sie sind quasi der Lichtschalter, der ein Gen „einschaltet“ oder „ausschaltet“.

Es wird angenommen, dass sich die Plazenta von Müttern mit einer hohen affektiven Belastung während der Schwangerschaft aufgrund von epigenetischen Prozessen verändert und diese so mit einer höheren Sensitivität und veränderten Funktion auf Stresshormone reagiert. Dadurch sollen bestimmte Gene in der kindlichen Entwicklung aktiviert bzw. gehemmt werden, welche in Zusammenhang mit den oben geschilderten Pathologien stehen.[13] Die vorliegenden Studien unterscheiden sich jedoch sowohl hinsichtlich des Gewebes aus welchem die DNA des Säuglings sequenziert wurde, also auch hinsichtlich der betrachteten pränatalen Belastungsfaktoren der Mutter.[14] Es sind also noch weitere Studien notwendig, um festzustellen, welche biologischen Mechanismen für die Auswirkung von pränataler affektiver Belastung und der physiologischen und psychologischen Pathologie des Säuglings verantwortlich sind.

 

Schutzmaßnahmen

Die hier auszugsweise dargestellte Studienlage zeigt deutlich die Notwendigkeit für präventive Maßnahmen, um schwangere Frauen besser vor affektiven Belastungen zu schützen. Als erste Maßnahme wäre es wichtig, die Sensibilität für die negative Auswirkung von pränatalem Stress auf die Entwicklung des Fötus in Fachkreisen zu stärken, um so gefährdete Frauen frühzeitig zu erkennen und beraten zu können. Ein Ansatz könnte sei, dass Gynäkologen eine Kooperation mit Psychotherapeuten unterhalten, um schnelle, niederschwellige Krisenintervention zu ermöglichen. Ferner ist eine bessere Hebammenversorgung auch hier wünschenswert. Hebammen nehmen sich in der Regel mehr Zeit für Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen und bauen so oft ein engeres Vertrauensverhältnis auf. Diese Umstände können es der Schwangeren erleichtern, sich auch mit seelischen Belastungen an ihre betreuende Hebamme zu wenden und erleichtern es der Hebamme, frühzeitig emotionale Belastungen zu erkennen und Hilfestellung leisten zu können.

 

[1] Dieser Zeitraum umfasst den Zeitraum des 1. Monat vor bis zum 3. Monat nach der Empfängnis

[2] Carmichael & Shaw, 2000, S. 33

[3] Field T. , 2011, S. 12

[4] Field, Diego, & Hernandez-Reif, 2009, S. 240

[5] Expansive Verhaltensstörungen, Major Depression, Angsterkrankungen und Drogensucht

[6] Allen, Lewinsohn, & Seeley, 1998, S. 526

[7] Vier Monate ist das jüngste Alter, das typischerweise mit diesem Paradigma untersucht wird und Verhaltensreaktionen sind mit vier Monaten für das spätere Verhalten aussagekräftig.

[8] Davis, et al., 2004, S. 329

[9]  Kagan, Snidman, & Arcus, 1998, S. 1489

[10] Haselbeck, et al., 2013, S. 227

[11] Hanson & Gluckman, 2014, S. 1043

[12] Stonawski, et al., 2018, S. 156

[13] Conradt, Lester, Appleton, Armstrong, & Marsit, 2013, S. 1327

[14] Stonawski, et al., 2018, S. 158

 

Literaturverzeichnis

Allen, N. B., Lewinsohn, P. M., & Seeley, J. R. (1998). Prenatal and perinatal influences on risk for psychopathology in childhood and adolescence. Development and Psychopathology, S. 513 – 529.

Carmichael, S. L., & Shaw, G. M. (2000). Maternal Life Event Stress and Congenital Anomalies. Epidemiology, S. 30-35.

Conradt, E., Lester, B. M., Appleton, A., Armstrong, D., & Marsit, C. J. (2013). The roles of DNA methylation of NR3C1 and 11betaHSD2 and exposure to maternal mood disorder in utero on newborn neurobehavior. . Epigenetics, S. 1321–1329.

Davis, E. P., Snidman, N., Wadhwa, P. D., Glynn, L. M., Schetter, C. D., & Sandman, C. A. (2004). Prenatal Maternal Anxiety and Depression Predict Negative Behavioral Reactivity in Infancy. The Journal of Child Psychology and Psychiatry (and Allied Disciplines), S. 319-331.

Field, T. (2011). Prenatal depression effects on early development: A review. Infant Behavior & Development , S. 1-14.

Field, T., Diego, M., & Hernandez-Reif, M. (2009). Depressed mothers‘ infants are less responsive to faces and voices. Infant behavior & development, S. 239-244.

Hanson, M. A., & Gluckman, P. D. (2014). Early developmental conditioning of later health and disease: physiology or pathophysiology? Physiological Reviews, S. 1027–1076.

Haselbeck, C., Kulle, A., Niederberger, U., Bergmann, T. O., Steinmann, E., Holterhus, P.-M., . . . Gerber, W.-D. (2013). Fötale Programmierung. Kindheit und Entwicklung, S. 224-231.

Kagan, J., Snidman, N., & Arcus, D. (1998). Childhood Derivatives of High and Low Reactivity in Infancy. Child Development,, S. 1483-1493.

Stonawski, V., Frey, S., Golub, Y., Moll, G. H., Heinrich, H., & Eichler, A. (2018). Aff ektive Belastungen der Mutter in der Schwangerschaft und assoziierte epigenetische Veränderungen beim Kind: Eine Übersicht. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie , S. 155–167.

Bild von Skitterphoto auf Pixabay (https://pixabay.com/de/photos/schwanger-baby-echo-ultraschall-518793/)

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