By Published On: 1. März 2022Categories: Wiki

„Ich war tief gebannt und durchdrungen von der Erwartung meines Urteils, das ich demütig hinzunehmen bereit war, ob es nun Strafe oder Begnadigung bringe; ich war nicht minder tief davon gerührt und ergriffen, daß es Leo war, der einstige Gepäckträger und Diener, der nun an der Spitze des ganzen Bundes stand und bereit war, über mich zu urteilen.“

(Hesse, 1982, S. 85)

In Hermann Hesses Werk Morgenland (1982) bricht der Erzähler mit einem Bund Richtung Morgenland auf. Im Laufe der Erzählung stellt sich dabei heraus, dass der Diener Leo der eigentliche Führer des Bundes ist. Diese Erzählung brachte Robert K. Greenleaf dazu, seine Ideen einer dienenden Führung zu veröffentlichen (Greeleaf, 1970, S. 1). Diese dienende Führung wird auch als Servant Leadership bezeichnet und ist in der deutschsprachigen Literatur eher unbekannt, während es in der englischsprachigen Wissenschaft längst ein etabliertes Konzept ist (Kaehler, 2020, S. 102).

Der zentrale Ansatz

Greenleaf veröffentlichte dazu im Jahre 1970 den Essay The Servant as Leader. Die zentrale Idee der dienenden Führung ist dabei, dass ein Servant Leader von seinem Naturell her dienen und daher die Bedürfnisse anderer in den Vordergrund stellt:

„It begins with the natural feeling one wants to serve, to serve first. Then conscious choice brings one to aspire to lead. That person is sharply different from one who is leader first… The difference manifests itself in the care taken by the servant-first to make sure that other people’s highest priority needs are being served. The best test, and difficult to administer, is this: Do those served grow as persons? Do they, while being served, become healthier, wiser, freer, more autonomous, more likely themselves to become servants? And, what is the effect on the least privileged in society? Will they benefit or at least not be further deprived?”

(Greenleaf,1970, S. 7)

Diese Fokussierung auf die Bedürfnisse und das Wohlbefinden der Geführten soll dazu führen, dass diese sich weiterentwickeln und ihre bestmögliche Leistung abrufen können (Ant, 2021, S. 180).

Eigenschaften eines Servant Leaders

Greenleaf selbst merkt zu seinem Konzept eines Servant Leaders an, dass es eher intuitiv statt logikbasiert entwickelt wurde (Greenleaf, 1970, S. 6). Er fokussierte sich in seinem Werk meist auf das Verhalten eines Servant Leaders und auf dessen Einfluss auf die Geführten. Dabei lieferte Greenleaf jedoch keine klare Definition von Servant Leadership (Smith, Montagno & Kuzmenko, 2004, S. 82).  Dies hat zur Folge, dass es keine allgemein anerkannte Definition von Servant Leadership gibt, und viele Forscher eigene Definitionen und Modelle entwickeln (van Dierendonck & Nuijten, 2011, S. 250-251).

Um Servant Leadership dennoch im Sinne von Greenleaf definieren und Modelle entwickeln zu können, bauen viele Arbeiten meist auf das oben eingeführte Zitat aus Greenleafs (1970) Arbeit auf. Andere Forscher hingegen greifen dabei oftmals auf die Definitionen von Spears (1995) und Laub (1999) zurück, die im Kern auf Greenleafs Ausführungen basieren (Parris & Peachey, 2013, S. 383). Spears war sogar früher Direktor des Greenleaf Center for Servant Leadership, das von Greenleaf selbst gegründet wurde (van Dierendonck, 2011, S. 1231).

Doch auch wenn diese Arbeiten oft verwendet werden, so sehen sie sich Kritik ausgesetzt, da sie die Mehrdimensionalität dieses umfangreichen Konstruktes Servant Leadership ignorieren oder die Weiterentwicklung zu einem konkreten Messmodell fehlt. Van Dierendonck und Nuijten orientieren sich bei der Definition an Greenleafs Ausführungen, und betonen zusätzlich, dass ein Servant Leader „primus inter pares“ ist (van Dierendonck & Nuijten, 2011, S. 250). Zusätzlich leiteten sie ausgehend von Literaturanalysen und Experteninterviews acht zentrale Eigenschaften eines Servant Leaders ab, die sie auch umfangreichen Tests zur Validierung unterwarfen (van Dierendonck & Nuijten, 2011, S. 251-252, siehe Abbildung 1):  

  1. Stärkung: Ein Servant Leader befähigt andere, dass sie ihre Arbeit verrichten und sich weiterentwickeln können. Dabei glaubt er an den Wert eines jeden einzelnen.  
  2. Verantwortlichkeit: Die Geführten sind nur für die Leistungen verantwortlich, die sie selbst kontrollieren können. Dazu müssen sie jedoch wissen, was von ihnen erwartet wird und ihnen muss die nötige Verantwortung übertragen werden.
  3. Zurückstehen: Die Interessen der Geführten sind an oberster Stelle zu sehen. Der Servant Leader tritt in den Hintergrund.  
  4. Bescheidenheit: Ein Servant Leader sieht sich und seine Fähigkeiten in einer angemessenen Perspektive und gesteht sich ein, dass er selbst auch Fehler macht.
  5. Authentizität: Der Servant Leader tritt so auf, dass sein Auftreten konsistent zu seinen Gedanken und Gefühlen ist.
  6. Courage: Ein Servant Leader ist bereit, Risiken auf sich zu nehmen und auch neue Lösungswege auszuprobieren. Er hinterfragt konventionelle Vorgehensmodelle innerhalb der Organisation.
  7. Vergebung: Ein Servant Leader ist bereit, Fehler zu verzeihen und nicht nachtragend zu sein. Dadurch wird eine vertrauensvolle Atmosphäre geschaffen.
  8. Stewardship: Ein Servant Leader übernimmt Verantwortung für die gesamte Organisation und konzentriert sich dabei auf das Dienen. Kontrolle und Eigeninteresse treten in den Hintergrund.
Abbildung 1: Eigenschaften eines Servant Leaders (Quelle: Eigene Darstellung)

Effekte von Servant Leadership

Wie dargelegt wurde, ist Servant Leadership in der englischsprachigen Wissenschaft längst ein etabliertes Thema. Es existieren daher vielfältige Studien, die die Wirkung von Servant Leadership im organisatorischen Kontext untersucht haben. Nachfolgend werden einige positive Effekte aufgelistet, die im Zusammenhang mit der Anwendung von Servant Leadership beobachtet werden konnten, z.B. (Harwardt, 2020, S. 62):

  • Höhere Motivation unter den Mitarbeitern,
  • Erhöhung der Mitarbeiterzufriedenheit durch positiveres Arbeitsklima,
  • Verringerung der Fluktuationsquote,
  • Verbesserte Zusammenarbeit untereinander,
  • Erhöhung der Effektivität und individuellen Leistungsfähigkeit,
  • Erhöhung der Produktivität und Profitabilität in einem Unternehmen,
  • Förderung des Vertrauens in die Organisation und ihre Führungskräfte, sowie
  • Förderung der Kreativität. 

Fazit

Auch wenn Servant Leadership hierzulande ein eher unbekanntes Konzept darstellt, so darf man sich davon nicht täuschen lassen. Bereits über 20% der Fortune 100-Unternehmen haben sich bereits mit Servant Leadership beschäftigt (Parris & Peachey, 2013, S. 379). Gerade aufgrund der aufgezeigten positiven Effekte sollen sich Unternehmen eingehender damit auseinandersetzen. Dennoch muss kritisch angemerkt werden, dass die Umsetzung sich durchaus schwierig gestalten kann, da Greenleaf als geistiger Vater keine klaren Definitionen hinterließ und viele Forscher daher eigene Definitionen und Modelle von Servant Leadership entwickelten. Hierbei kann jedoch das von van Dierendonck und Nuijten (2011) entwickelte Modell helfen, das acht zentrale Eigenschaften eines Servant Leaders identifiziert.

Literaturverzeichnis

Ant, M. (2021). Effizientes Leadership – Grundlagen, Prinzipien und Methoden einer sozialkonstruktivistischen Führungstheorie. Wiesbaden: Springer Gabler.

Greenleaf, R. K. (1970). The Servant as Leader. New York, NY: Paulist Press.

Harwardt, M. (2020). Servant leadership and its effects on IT project success. Journal of Project Management, 5(1), S. 59-78.

Hesse, H. (1982). Die Morgenlandfahrt. Berlin: Suhrkamp.

Kaehler, B. (2020). Komplementäre Führung – Ein praxiserprobtes Modell der Personalführung in Organisationen (3. Aufl.). Wiesbaden: Springer Gabler.

Laub, J. (1999). Assessing the servant organization: Development of the Servant Organizational Leadership (SOLA) instrument. Doctoral Dissertation, Boca Raton, FL: Florida Atlantic University.

Parris, D. L. & Peachey, J. W. (2013). A Systematic Literature Review of Servant Leadership Theory in Organizational Contexts. Journal of Business Ethics, 13(3), S. 377-393.

Smith, B., Montagno, R. & Kuzmenko, T. (2004). Transformational and servant leadership: context and contextual comparisons. Journal of Leadership and Organizational Studies, 10(4), S. 80-91.

Spears, L. C. (1995). Introduction: Servant-leadership and the Greenleaf legacy. In: L. C. Spears (Hrsg.). Reflections on Leadership (S. 1-16). New York, NY: Wiley.

van Dierendonck, D. (2011). Servant Leadership: A Review and Synthesis. Journal of Management, 37(4), S. 1228-1261.

van Dierendonck, D. & Nuijten, I. (2011). The Servant-Leadership Survey (SLS). Development and validation of a multidimensional measure. Journal of Business and Psychology, 26(3), S. 249-267.

Bildquelle

MonicaVolpin (2018). Zugriff am 18.01.2022. Verfügbar unter https://pixabay.com/de/photos/schuhputzer-alter-mann-santiago-2413000/

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