By Published On: 29. März 2023Categories: Psychologie

Nach einer Umfrage des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) waren im Jahr 2019 ca. 21% der Frauen der Jahrgänge 1965-1969 kinderlos. Die endgültige Kinderlosigkeit ist in den allermeisten Fällen ungeplant. Neueren Schätzungen zufolge sind etwa 15-20% aller Paare unfruchtbar (Bujard & Diabaté, 2016, S. 393; Kowalcek, 2001, S. 291). Für Betroffene kann die ungewollte Kinderlosigkeit eine starke Belastung sein, sowohl persönlich als auch für die Paarbeziehung (Beyer, Dye, Bengel & Strauß, 2004, S. 337; Wischmann & Stammer, 2006, S. 39). Es gibt jedoch psychologische Hilfen.

Ein häufig verstecktes Thema

Wenn eine Schwangerschaft längere Zeit nicht zustande kommt, führt eine gewisse Scham häufig zu einer Verheimlichung der Problematik. Mit zunehmender Gewissheit, dass der Kinderwunsch nicht erfüllt wird (z. B. nach ärztlichen Abklärungen), kann es zu einem Rückzugsverhalten kommen. Verheimlichung und Isolation erhöhen jedoch die Wahrscheinlichkeit für Verletzungen durch die Umwelt, die das ohnehin tabuisierte und mit vielen Vorurteilen belegte Thema leicht übersieht oder missversteht (Wischmann & Stammer, 2006, S. 150).

Vorurteile

Zu den gesellschaftlichen Vorurteilen gehören beispielsweise (Wischmann & Stammer, 2006, S. 137-139):

  • „Fast alle bekommen Kinder“: In Wahrheit sind rund 20% aller Ehen in Deutschland kinderlos. Rechnete man nicht-ehelichen Lebensgemeinschaften hinzu, läge der Anteil noch deutlich höher.
  • „Eine kinderlose Frau ist unweiblich“: Dass die Mutterschaft die Bestimmung der Frau sei, ist ein Ausdruck männlicher Dominanzwünsche, gelegentlich aber auch ein Ausdruck des Neides von gestressten Müttern auf ihre unabhängigeren Geschlechtsgenossinnen.
  • „Je mehr wir uns ein Kind wünschen, desto eher kommt es“: Der Wunsch ändert nichts an den körperlichen Voraussetzungen (die im Übrigen bei beiden Partnern abzuklären sind). Zwar kann sich ein verbissener Kinderwunsch im Sinn von zu viel Stress, hinderlich auf die Empfängnisbereitschaft auswirken, doch das ist auf lange Sicht von untergeordneter Bedeutung und darf Außenstehende nicht zu kontraproduktiven Ratschlägen verleiten, beispielsweise: „Entspannt euch oder entschließt euch zu einer Adaption, dann klappt das schon!“ (Kowalcek, 2001, S. 293; Wischmann & Stammer, 2006, S. 63-75).

Folgen der ungewollten Kinderlosigkeit

Tief verwurzelte soziale Vorurteile wirken sich negativ auf die psychische Verfassung der Betroffenen aus, vor allem wenn sie die Identität und das Selbstverständnis von Frau und Mann betreffen. Wenn die Gewissheit, kinderlos zu bleiben, Oberhand gewinnt, löst sie verschiedene emotionale Reaktionen aus: Schock, Verleugnung, Wut, Ohnmacht, Schuldgefühle, Isolation und Trauer (Kowalcek, 2001, S. 293-294).

In der langfristigen Bewältigung kommen jene Menschen am besten zurecht, die gelernt haben, die Kinderlosigkeit zu akzeptieren, insbesondere wenn diese auf eine unverschuldete Fertilitätsstörung zurückzuführen ist. Der entscheidende Schritt in Richtung Bewältigung scheint die Entwicklung alternativer Lebenskonzepte zu sein, die unter Umständen auch einen symbolischen Ersatz für das Traumkind beinhalten, etwa ein gemeinsames soziales Engagement. Diese Strategie wappnet gegen depressive Verstimmungen und hilft in Umbruchsituationen, die das Thema erneut aktualisieren, z. B. zu Beginn der Wechseljahre oder der Rente (Wischmann & Stammer, 2006, S. 135-136). Deshalb setzen hier auch psychologische Hilfen an.

Psychologische Hilfen

Exemplarisch wird hier das Beratungskonzept der „Heidelberger Kinderwunsch-Sprechstunde“ dargestellt, das in den 1990er Jahren an der Universität Heidelberg entwickelt wurde. Dieses Angebot basiert hauptsächlich auf folgenden Ansätzen (Wischmann & Stammer, 2006, S. 98-103):

  • Vorrangige Paarzentrierung, da der Umgang mit der Kinderlosigkeit beide Partner angeht. Eine Paartherapie ist zudem bei instabilen Beziehungen indiziert (Beyer et al., 2004, S. 338).
  • Klärung der Motive: Das Paar wird gefragt, was es – unabhängig von der medizinischen Diagnose! – selbst als mögliche Gründe für die ungewollte Kinderlosigkeit ansieht. Das können, neben Stress (der am Häufigsten genannt wird), auch sehr banale, nebensächliche und scheinbar absurde Aspekte sein (z. B. „Meine Tante hat einmal, wie in einem Fluch, gesagt, dass ich niemals Kinder bekommen werde“).
  • Klärung der Wunschentwicklung: Im Zusammenhang mit den Motiven ist zu klären, wie der Kinderwunsch entwickelt wurde und welche Bedeutung er für beide Partner hat. Häufig waren Berufsausbildung, Karriere, Hausbau und schließlich das erste Kind fest geplant. Letzteres ist wiederum mit bestimmten Hoffnungen verknüpft, die bei beiden Partnern jedoch weit auseinandergehen können (wenn z. B. eine Frau hofft, dass der Partner mehr Zeit zu Hause verbringt und der Mann erwartet, dass er selbst mehr Zeit für andere Hobbys hat).
  • Entlastung und Ressourcenaktivierung: Durch Aufklärung und Interventionen kann z. B. erreicht werden, dass die durch Druck beeinträchtigte Beziehung wieder zu einer Ressource in der Bewältigung der Kinderlosigkeit wird.
  • Gegebenenfalls ergänzende Einzeltherapien, wenn es beispielweise zu anhaltenden depressiven Verstimmungen kommt. Das Konzept sieht dennoch vor, die Paarberatung in jedem Fall fortzusetzen, da unterschiedliche Bewältigungswege von Mann und Frau sich gegenseitig ergänzen können. Frauen nehmen das Leid aus vielerlei Gründen meist intensiver wahr (als Hauptgrund wird die geschlechtsspezifische Rollenerwartung angenommen), während Männer andere Verarbeitungsstrategien nutzen (Kowalcek, 2001, S. 293).
  • Übergeordnetes Ziel der Beratung ist es, dem Paar zu helfen, das „Leben außerhalb des Kindeswunsches“ wiederzuentdecken.

Fazit

Obwohl eine ungewollte dauerhafte Kinderlosigkeit statistisch häufig vorkommt, wird sie nach wie vor tabuisiert und versteckt. Soziale Vorurteile und kontraproduktive Ratschläge verstärken u. U. das Rückzugsverhalten der Betroffenen und erhöhen die psychische Belastung der Einzelnen und der Paare. Wenn sich langfristige negative Folgen bemerkbar machen, kann den Betroffenen im Rahmen von Beratungsgesprächen oder psychotherapeutischen Interventionen geholfen werden.

Die konkreten Ziele psychologischer Hilfen hängen vom spezifischen Anliegen der Betroffenen ab sowie von der Phase, in der sich das Paar gerade befindet. Dennoch bleibt festzuhalten, dass ungewollte Kinderlosigkeit nicht zwingend ein psychotherapierelevantes Problem darstellt (Beyer et al., 2004, S. 338-339).


Literaturverzeichnis

Beyer, K., Dye, L., Bengel, J. & Strauß, B. (2004). Bewältigung des unerfüllten Kinderwunsches: Ein psychotherapierelevantes Problem? Psychotherapeut, 49, S. 331-340. DOI: 10.1007/s00278-004-0387-9

Bujard, M. & Diabaté, S. (2016). Wie stark nehmen Kinderlosigkeit und späte Geburten zu? Neue demografische Trends und ihre Ursachen. Der Gynäkologe, 49(5), S. 393-404. DOI: 10.1007/s00129-016-3875-4

Kowalcek, I. (2001). Psychische Ursachen und Folgen einer ungewollten Kinderlosigkeit. Der Gynäkologe, 34, S. 291-298. DOI: 10.1007/s001290050714

Wischmann, T. & Stammer, H. (2006). Der Traum vom eigenen Kind: Psychologische Hilfen bei unerfülltem Kinderwunsch (3., aktualisierte Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.

Bildquelle

congerdesign über Pixabay (https://pixabay.com/de/photos/kinderbett-kinderwunsch-geburt-1991826/)

Teile diesen Artikel