By Published On: 15. Februar 2024Categories: Psychologie, Soziales

Immer wieder wird davon berichtet, dass sich Menschen prosozial Verhalten. Viele Spenden große Mengen an Geld an humanistische Organisationen, um Hilfsbedürftigen zu helfen (Levine, Manning & Philpot, 2023, S. 352), andere sind aktiv im Ehrenamt oder helfen Menschen auf offener Straße.

Häufig kommt es auch vor, dass sich Menschen in lebensbedrohliche Situationen begeben, um zu helfen. So auch die „Fukushima 50“. Nach dem Erdbeben und Tsunami 2011 in Japan, erklärten sich 50 Arbeitende freiwillig dazu unter lebensbedrohlichen Bedingungen im Atomkraftwerk zu bleiben, um den Reaktor unter Kontrolle zu bringen (Levine et al., 2023, S. 353–354).

Warum sind viele Menschen äußerst hilfsbereit und welchen Ursprung hat dieses Verhalten?

Formen des helfenden Verhaltens

  • Prosoziales Verhalten ist im Allgemeinen als nützlich für andere definiert. Das Verhalten kann aus altruistischen oder egoistischen Gründen erfolgen. Darunter zählen auch Verhalten, wie Trösten, Teilen, Sorgen oder ehrenamtliche Tätigkeiten. Ausgeschlossen sind Verhalten, die durch den Beruf veranlasst sind (Garms-Homolová, 2022, S. 39; Levine et al., 2023, S. 354).
  • Hilfeverhalten bezeichnet absichtliche Verhaltensweisen, die einen Nutzen für eine andere Person haben oder deren Befinden verbessert (Fischer, Jander & Krüger, 2018, S. 57; Levine et al., 2023, S. 354).
  • Altruismus ist ein Verhalten, welches anderen Menschen einen Nutzen bringt. Es wird aus reiner Empathie ausgeführt, ohne die Erwartung einer extrinsischer Belohnung (Levine et al., 2023, S. 355).

Motive für prosoziales Verhalten

Prosoziales Verhalten gründet auf vielen verschiedenen Motiven. Drei davon werden nachfolgend erläutert.

Normen

In jeder Gesellschaft existieren soziale Normen, die gewisse Hilfeverhalten in bestimmten Situationen vorschreiben. Diese Normen werden nach und nach in der Sozialisierung erworben. Normkonforme Verhaltensweisen werden von der Gesellschaft positiv sanktioniert, während normabweichenden Verhaltensweisen eine negative Bewertung folgt (Werth, Saibt & Mayer, 2020, S. 450).

Soziale Verantwortung, Gerechtigkeit und Reziprozität sind wichtige allgemeine Normen, die prosoziales Verhalten postulieren. So soll denen geholfen werden, die Hilfe nötig haben, die Hilfe verdienen und die einem selbst helfen (Werth et al., 2020, S. 440). Zudem müssen helfende Personen die Folgen einer Situation absehen können, die das Hilfeverhalten notwendig machen. Sie müssen sich selbst in der Lage sehen, Einfluss auf die Situation nehmen zu können und sich für die Situation zuständig fühlen (Garms-Homolová, 2022, S. 42).

Soziale Normen sind jedoch auch abhängig von der Kultur und dem Geschlecht. Soziale Beziehungen und die Bindung zu anderen Menschen haben bei Menschen aus kollektivistischen Kulturen einen höheren Stellenwert, als bei Menschen aus individualistischen Kulturen. Bezüglich des Geschlechts zeigt sich in vielen Studien, dass Männer speziell in Notsituationen eher Hilfe leisten als Frauen. Grund dafür ist die Art der benötigten Hilfe und das darauf bezogene Kompetenzgefühl. Während Frauen eher mit fürsorglichen Hilfeleistungen in Verbindung gebracht werden, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, wird mit Männern eher körperliche und technischen Hilfeleistungen verbunden, welche häufig in Notsituationen gefordert sind (Werth et al., 2020, S. 447–448).

Gefühle

Jeder Mensch teilt Informationen über die eigenen Gefühle nach außen. Meistens geschieht dies unbewusst. Zudem ist jeder dazu fähig, affektive Signale von anderen wahrzunehmen. Von grundlegender Bedeutung sind dafür angeborene Dispositionen zum Kommunizieren von Gefühlen. Werden affektive Hilfesignale von anderen wahrgenommen, folgt ein Gefühl, welches dazu drängt, die andere Person aus ihrer Not zu befreien. Hierbei kann es zu zwei unterschiedlichen Reaktionen kommen. Einerseits kann Empathie empfunden werden, wie zum Beispiel Mitleid oder Besorgnis (Empathie-Altruismus-Hypothese), andererseits kann es zu einem egoistischen persönlichen Unwohlsein führen, wie beispielsweise Angst oder Unruhe (Negative-State-Relief-Hypothese). Beide Reaktionen können zu Hilfeverhalten motivieren, jedoch drückt es sich unterschiedlich aus. Hilft ein Mensch aus Empathie, steht die Verbesserung der Gefühlslage des anderen im Vordergrund, während bei persönlichem Unwohlsein der Fokus auf der Verbesserung des eigenen Gefühlszustands liegt (Werth et al., 2020, S. 428–429, S. 435).

Kosten und Nutzen

Beziehungen zwischen Menschen gründen in gewisser Weise auf ein Geben und Nehmen. Dieses Prinzip findet sich auch in der Theorie des sozialen Austauschs wieder (Thibaut & Kelley 1959; zitiert nach Garms-Homolová, 2022, S. 47). Nach dieser Theorie helfen Menschen bevorzugt, wenn der erwartende Nutzen höher ist als die Kosten (Fischer et al., 2018, S. 66). Nach Thibaut und Kelley (1959) haben Menschen die Erwartung, dass sie etwas zurückbekommen, nachdem sie geholfen und somit etwas gegeben haben. Diese Rückgaben beziehen sich nicht zwingend auf Materielles und müssen auch nicht direkt mach der Hilfe gegeben werden (Garms-Homolová, 2022, S. 47). Körperliche Gefahr, Anstrengung oder Zeitverlust sind Beispiele für mögliche Kosten des Helfenden. Rückgaben zeigen sich beispielsweise in Lob, höheres Selbstwertgefühl oder Dankesworte des Opfers, so Piliavin, Dovido, Gaertner und Clark (1981) (Levine et al., 2023, S. 367).

Auch wenn Hilfeleistungen oftmals selbstlos erfolgen, erwarten Helfende dennoch, wenn auch unbewusst, zumindest Anerkennung (Garms-Homolová, 2022, S. 47).

Kann zu viel geholfen werden? – Helfersyndrom

Prosoziales Verhalten wird im Allgemeinen als sehr positiv angesehen. Doch das Helfen kann auch negative Konsequenzen bewirken, sowohl für die helfende Person als auch für die hilfeempfangende Person (Garms-Homolová, 2022, S. 56).

Im 2007 veröffentlichten Buch von Wolfgang Schmidbauer „Das Helfersyndrom. Hilfe für Helfer“ wird das Problemfeld des sogenannten Helfersyndroms thematisiert. Gerade in therapeutischen und helfenden Berufen tritt dieses Phänomen vermehrt auf, da Personen Beruf und Freizeit nicht voneinander trennen können. Sie nehmen ihre Helferrolle dauerhaft an und fangen an, unter anderem ihre eigene Gesundheit, Verpflichtungen und Beziehungen zu vernachlässigen. Hilfeempfangende werden von ihnen in Abhängigkeit gehalten und davon abgehalten, sich zu emanzipieren. Die Helfenden sind der festen Überzeugung, nur sie sind fähig, zu helfen. Doch nicht nur Personen aus oben genannten Berufen neigen zum Helfersyndrom, sondern auch Personen mit Depressionen, Borderline, einem geringen Selbstwertgefühl oder emotional-instabile Personen (Garms-Homolová, 2022, S. 56).

Fazit

Es zeigt sich, dass das prosoziale Verhalten durch mehrere Motive angetrieben werden kann. Zum einen existieren soziale Normen, die einem Menschen vorschreiben, sich in gewissen Situationen hilfreich zu verhalten. Hinzu kommen Gefühle der Empathie oder persönliches Unwohlsein, die zur Hilfe von Menschen in Notsituationen leiten, sei es zur Verbesserung des Zustands des Opfers oder des persönlichen Zustands (Werth et al., 2020, S. 450). Zum anderen besagt die Austauschtheorie, dass Menschen bevorzugt helfen, wenn die Kosten-Nutzen-Bilanz positiv für sie ausfällt (Fischer et al., 2018, S. 66).

Im letzten Abschnitt des Blogbeitragt wurde darüber hinaus deutlich, dass das Helfersyndrom mit der Gefahr verbunden ist, dass prosoziales Verhalten für helfende Personen als auch für hilfebenötigende Personen negative Folgen mit sich tragen kann (Garms-Homolová, 2022, S. 56).

Bildverzeichnis

Titelbild: Von Austin Kehmeiner auf https://unsplash.com/de/fotos/blick-auf-die-hande-von-zwei-personen-lyiKExA4zQA

Literaturverzeichnis

Fischer, P., Jander, K. & Krueger, J. (2018). Sozialpsychologie für Bachelor (2. Aufl.). Berlin, Heidelberg: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-56739-5

Garms-Homolová, V. (2022). Sozialpsychologie der Zuneigung, Aufopferung und Gewalt. Berlin, Heidelberg: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-64355-6

Levine, M., Manning, R. & Philpot, R. (2023). Prosoziales Verhalten. In J. Ullrich, W. Stroebe & M. Hewstone (Hrsg.), Sozialpsychologie (S. 352-387). Berlin, Heidelberg: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-65297-8_10

Piliavin, J. A., Dovidio, J. F., Gaertner, S. L. & Clark, R. D. (1981). Emergency intervention. Academic.

Schmidbauer, W. (2007). Das Helfersyndrom. Hilfe für Helfer. Rowohlt.

Thibaut, J. W. & Kelley, H. H. (1959). The social psychology of groups. Wiley.

Werth, L., Seibt, B. & Mayer, J. (2020). Sozialpsychologie – Der Mensch in sozialen Beziehungen (2. Aufl.). Berlin, Heidelberg: Springer. https://doi.org/10.1007/978-3-662-53899-9

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