By Published On: 29. September 2021Categories: Pädagogik, Psychologie

Üblicherweise ist das Elternhaus der Bezugspunkt Nummer eins für Kinder. Dort wird gelebt, gespielt, gelernt und der Charakter geprägt. Leider sind Eltern nicht selten, gerade in Krisensituationen wie der Corona-Pandemie, finanziellen Notständen, familiären Verlusten o. Ä. ausgesetzt und von konsistentem Stress geplagt. Es wird gestritten und geschrien. Eine liebevolle Nähe zwischen den Elternteilen ist für die Kinder dann häufig nicht spürbar oder ersichtlich. Häufen sich diese Stresssituationen, werden sie gar chronisch, treten bei Kindern schnell problematische Verhaltensweisen an den Tag. Doch ist es möglich, das Problemverhalten eines Kindes als Folge von Elternstress durch positive Erziehung zu moderieren oder zu mediieren? Ich beziehe mich im Folgenden auf die Ergebnisse der Untersuchung von Feldkötter et. al. (2018), welche den Zusammenhang des kindlichen Problemverhaltens, Partnerschaftszufriedenheit und Elternstress für Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren via Fragebögen und Auswertung mittels multipler Regressionsanalysen untersuchte.

Verhaltensauffälligkeiten und Folgen

Viele Studien zeigen, dass Verhaltensauffälligkeiten von Kindern und Jugendlichen im Zusammenhang mit ausgeprägtem Streitverhalten der Eltern und einer schwierigen Partnerschaft der Elternteile stehen (Gabriel & Bodenmann, 2006a; Grych & Fincham, 2001; Zemp, 2018; Zemp & Bodenmann, 2015). Verhaltensauffälligkeiten können daraufhin Vorläufer für Störungen im Erwachsenenalter sein (Kim-Cohen et. al., 2003). Es liegt nahe, dass Kinder eher problematisches Verhalten zeigen, die in einem von Konflikten und partnerschaftlicher Disharmonie geprägten Familienklima aufwachsen, als Kinder, die in einem harmonischen Familienklima leben. Studien wie die von Weindrich et. al. (1992) und Gabriel & Bodenmann (2006a, b) bestätigen dies. Kinder empfinden ein basales Bedürfnis nach familiärer Sicherheit. Kommunizieren die Eltern vermehrt auf eine unversöhnliche, destruktive und dysfunktionale Art, beeinträchtigt dies stark das Harmonie- und Sicherheitsbedürfnis der Kinder (Cummings & Davis, 2010; Zemp & Bodenmann, 2015).
Durch Studien wurde verifiziert, dass Eltern im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant niedrigere Werte in der Partnerschaftsqualität, im Wohlbefinden und der erzieherischen Rollenzufriedenheit aufweisen, deren Kinder externalisierendes Verhalten und/oder Aufmerksamkeitsprobleme zeigen. Die Kinder sind dabei in der von den Eltern abhängigen Position. Sowohl internalisierende als auch externalisierende kindliche Verhaltensauffälligkeiten stehen mit elterlichen Erziehungskonflikten in einem signifikanten Zusammenhang (Gabriel & Bodenmann, 2006a, b). Auch Harold & Sellers (2018) bestätigen diesen kausalen Zusammenhang. Kinder können vor diesem Hintergrund in diversen Entwicklungsbereichen Auffälligkeiten entwickeln. Es geht von der verhaltensbezogenen Ebene, wie externalisierende Probleme (Störung des Sozialverhaltens), bis zur körperlichen Ebene, wie Schlafstörungen oder Kopfschmerzen. Im sozialen Bereich können Probleme mit Geschwistern oder Freunden auftreten, auf der emotionalen Ebene internalisierende Probleme wie Depressionen und Ängste. Auch im schulischen und akademischen Bereich können z. B. Leistungsabfälle und Konzentrationsschwäche auftreten. Zukünftige zwischenmenschliche Beziehungen wie spätere Partnerschaften können zudem unter den Folgen leiden.

Wirkungsweise

Wie ist nun zu erklären, dass kindliche Verhaltensauffälligkeiten häufig mit einer schlechten Qualität der elterlichen Partnerschaft korrelieren? Bandura (1976, 2004) führt mit seinem Lernen am Modell eine mögliche Ursache auf. Verhalten sich Eltern aggressiv, feindselig oder auf andere Art und Weise destruktiv, schauen sich Kinder dieses Verhalten ab – es wird imitiert.
Bei der Spillover-Hypothese und dem daraus folgenden Spillover-Effekt wird postuliert, dass spezifisches elterliches Erziehungsverhalten mit der elterlichen Partnerschaftsqualität im Zusammenhang steht, was wiederum die Entwicklung der Kinder beeinflusst (Cox et al., 2001; Reichle & Gloger-Tippelt, 2007). Eltern reagieren schneller negativ auf kindliches Verhalten, wenn sie grundsätzlich gestresster und in ihrer Partnerschaft unglücklicher als Eltern sind, die in einer überwiegend harmonischen Beziehung leben (Petermann & Petermann, 2006; Reichle & Gloger-Tippelt, 2007). Studien zeigen einen negativen Zusammenhang zwischen positivem Erziehungsverhalten und elterlichem Streitverhalten (Erel & Burman, 1995). Die Spillover-Hypothese wurde vielfach mit unterschiedlichen Auswirkungen und Einflussfaktoren untersucht und die negativen Auswirkungen durch diese Wirkungsweise wurden vielfach bestätigt. Es handelt sich hierbei um einen Mediationseffekt.
Im Gegenzug zur Spillover-Hypothese wird bei der Kompensationshypothese davon ausgegangen, dass eine fehlende Partnerschaftszufriedenheit durch eine vergrößerte Aufmerksamkeit durch Zuneigung, Sensibilität, und Zeit für das Kind kompensiert wird (Erel & Burman, 1995). Das, was in der Partnerschaft an Zuneigung fehlt, wird also durch das Kind versucht zu kompensieren. Das positive Erziehungsverhalten soll nach dieser Theorie den Zusammenhang von kindlichem Problemverhalten und partnerschaftlicher Beziehungsqualität durch einen moderierenden Effekt puffern (Cox et al., 2001; Erel & Burman, 1995). Die Kompensationshypothese wurde allerdings nur in wenigen Fällen empirisch bestätigt (Frosch & Mangelsdorf, 2001).

Zusammenspiel der Variablen

In der Studie von Feldkötter et. al. (2018) wird der Zusammenhang von kindlichem Problemverhalten und Partnerschaftszufriedenheit zwischen den Erziehungsberechtigten im Zuge der Wirkmechanismen elterlichen Erziehungsverhaltens und elterlichem Stresserleben untersucht. Es wird ein negativer Zusammenhang vermutet. Dieser wird anhand der Spillover- und Kompensationshypothese betrachtet.

Ergebnis

Die Vermutung, dass ein Problemverhalten bei Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren in Relation zu einer unzufrieden erlebten Partnerschaft steht, wurde von Feldkötter et. al. (2018) verifiziert. Dabei wird die Relation durch elterliches Stresserleben und negative Erziehungsverhaltensweisen dargestellt. Ungünstige Erziehungsstrategien scheinen schneller von Eltern angewandt zu werden, die ein höheres elterliches Stressempfinden aufweisen und in einer nicht zufriedenstellenden Partnerschaft leben. Dieses Zusammenspiel geht häufig mit einem problematischen Verhalten des Kindes einher. Ein kompensierender oder vermittelnder Effekt von positiven Erziehungsverhaltensweisen konnte nicht entdeckt werden. Die Spillover-Hypothese für ungünstige elterliche Verhaltensweisen wird somit anhand der Untersuchungen gestützt (Feldkötter et. al., 2018). Eine positive Erziehung reicht nicht aus, um ein negatives elterliches Verhältnis zu relativieren und zu verhindern, dass ein Kind keine problematischen Verhaltensweisen entwickelt.
Doch auch die andere Seite der Medaille muss betrachtet werden. Es handelt sich in den genannten Studien um ein Querschnittdesign, woraus keine kausalen Schlussfolgerungen resultieren können. Denkbar ist, dass kindliches Problemverhalten ungünstige Erziehungsverhalten und Elternstress hervorrufen. Denkbar ist auch, dass die Partnerschaftsqualität darunter leidet. Ebenso können sich beide Seiten auf gleiche Weise bedingen (Feldkötter, 2018). Diese Annahmen sind jedoch noch nicht ausreichend erforscht.

Fazit

Auch, wenn es mittlerweile viele Studien zu diesem Thema gibt, kann die „Kausalität von Elternverhalten, Partnerschaftszufriedenheit und kindlichem Problemverhalten sowie die Frage nach Spillover und Kompensation nicht abschließend“ (Feldkötter, 2018) geklärt werden. Das liegt an der Einzigartigkeit jeder Familie und jedes Individuums. Dennoch sind die Ergebnisse aus der anwendungsbezogenen Perspektive sehr bedeutend. Sie geben Aufschluss darüber, dass intervenierende und präventive Maßnahmen nicht ausschließlich auf das Kind gerichtet werden sollten, sondern die ganze Familie, inklusive der partnerschaftlichen Situation und des Elternverhaltens, mit einbezogen werden muss. Ziel sollte dabei sein, dass sich Eltern ihrer Probleme und der Konsequenzen für ihr Kind bewusst werden und infolgedessen gezielte Gegenmaßnahmen angehen. Trainings auf Paarebene, Elterntrainings oder Erziehungsberatungen können dabei behilflich sein. Auf verbale und nonverbale Signale für Konflikte und Spannungen in der Partnerschaft bzw. Familie reagieren Kinder sehr sensibel. Dessen und ihrer Vorbildfunktion müssen sich Eltern bewusst sein. Ob ein Paarkonflikt problematisch für ein Kind sein kann, hängt von der Qualität der Konfliktaustragung ab, sie ist ein entscheidender Faktor (Zemp & Bodenmann, 2015).
Tatsächlich fällt es mir schwer, dem bereits genannten eine persönliche Meinung hinzuzufügen, denn alles Genannte ist fundiert und spiegelt meine eigene Wahrnehmung und eigene Beobachtungen wider. Mir ist es jedoch wichtig, über alle Kanäle, die mir zur Verfügung stehen, auf Lösungsmöglichkeiten für diese nicht seltenen Probleme in Familien aufmerksam zu machen und zu versichern: Ihr seid damit nicht allein! Es wurde bereits sehr viel über Konflikte in Familien geforscht und es besteht ein großes Wissensspektrum mit vielen Lösungsansätzen. Es zeugt von viel Stärke, Hilfe von außen anzunehmen. Denn Eltern sind in einer Familie nicht nur die einzigen Handlungsfähigen in solchen schwierigen Situationen, sie sind auch die Verantwortlichen. Das Wohl von Kindern liegt vollkommen in den Händen der Eltern, doch diese müssen damit nicht allein dastehen. Ein paar Klicks entfernt finden sich schon die ersten Ideen, Adressen und Telefonnummern.

Literatur

  • Bandura, A. (1976). Lernen am Modell. Ansätze zu einer sozial-kognitiven Lerntheorie. Stuttgart: Klett.
  • Bandura, A. (2004). Observational learning. In J. H. Byrne (Hrsg.), Learning and memory (2. Ausg., S. 428-484). New York: Macmillan.
  • Cox, M. J., Paley, B. & Harter, K. (2001). Interparental conflict and parent-child relationships. In Grych, J. H. Fincham, F. D. (Hrsg.). Interparental conflict and child development. Theory, research, and applications. Cambridge: Cambridge University Press.
  • Cumming, E. M. & Davis, P. T. (2010). Marital conflict and children: An emotional security perspective. New York: The Guilford Press.
  • Erel, O. & Burman, B. (1995). Interrelatedness or mariatal relations and parent child relations: A meta-analytic review. Psychological Bulletin, 118, S. 108-132.
  • Feldkötter, A.-L., Thomson, T. & Lessing, N (2018). Die Rolle von Partnerschaft, Erziehung und Elternstress beim Problemverhalten von Kindern im Vorschulalter. Kindheit und Entwicklung, 28, S. 68-76.
  • Frosch, C. A. & Mangelsdorf, S. C. (2001). Marital behavior, parenting behavior, and multiple reports of preschoolers’ behavior problems: Mediation or moderation? Developmental Psychology, 37, S. 502-519.
  • Gabriel, B. & Bodenmann, G. (2006a). Elterliche Kompetenzen und Erziehungskonflikte: Eine ressourcenorientierte Betrachtung von familiären Negativdynamiken. Kindheit und Entwicklung, 15, 9-18.
  • Gabriel, B. & Bodenmann, G. (2006b). Stress und Coping bei Paaren mit einem verhaltensauffälligen Kind. Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 35, S. 59-64.
  • Grych, J. H. & Fincham, F. D. (2001). Interparental conflict and child development: Theory, research, and applications. Cambridge: Cambridge University Press.
  • Harold, G. T. & Sellers, R. (2018). Annual research review: Interparental conflict and youth psychopathology: An evidence review and practice focused update. Journal of Child Psychology and Psychiatry, 59, S. 374-402.
  • Kim-Cohen, J., Caspi, A., Moffitt, T. E., Harrington, H., Milne, B. J. & Poulton, R. (2003). Prior juvenile diagnoses in adults with mental disorder: developmental follow-back of a prospective-longitudinal cohort. Achives of General Psychiatry, 60. S. 706-717.
  • Reichle, B. & Gloger-Tippelt, G. (2007). Familiale Kontexte und sozial-emotionale Entwicklung. Kindheit und Entwicklung, 16, S. 199-208.
  • Petermann, U. & Petermann, F. (2006). Erziehungskompetenz. Kindheit und Entwicklung, 15, S. 1-8.
  • Weindrich, D., Laucht, M., Esser, G. & Schmidt, M. H. (1992). Disharmonische Partnerbeziehung der Eltern und kindliche Entwicklung im Säuglings- und Kleinkindalter. Praxis der Kinderpsychologie und Kinderpsychiatrie, 41, S. 114-118).
  • Zemp, M. (2018). Die elterliche Paarbeziehung in Familien mit Kindern mit ADHS: Wechselwirkungen zwischen Partnerschaftsstörungen und kindlicher Symptomatik. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 46, S. 285-297.
  • Zemp, M. & Bodenmann, G. (2015). Partnerschaftsqualität und kindliche Entwicklung. Heidelberg: Springer.
  • Beitragsbild (24.09.2021). dispute-4880806_1920. Image by Gerd Altmann from Pixabay.

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