By Published On: 23. April 2022Categories: Meine Hochschule und mein Studium

Was bewegt einen Menschen mit über 50 Jahren noch ein Studium zu beginnen und dann auch noch Psychologie? Das haben sich sicherlich viele Personen in meinem Umfeld gefragt. Erstaunlicherweise war die Resonanz darauf meist sehr positiv. In einer Lebensphase der finanziellen Sicherheit, beruflicher Stabilität und familiärer Eingebundenheit nochmal neue Wege zu gehen und mich der Psychologie zu widmen war ein Herzenswunsch, den ich mir erfüllt und noch keinen Moment bereut habe. Die Befürchtungen, dass ich den Anforderungen vielleicht nicht gewachsen sein könnte, haben sich bisher nicht bestätigt. Lernen macht Spaß – vor allem, wenn es Inhalte sind, die nicht nur interessant sind, sondern auch das eigene Leben bereichern.

Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr

Häufig besteht das Vorurteil, dass Altern ein irreversibler Prozess mit einhergehendem stetigem Abbau von physischen und psychischen Fähigkeiten ist. Dies konnte durch empirische Untersuchungen vielfach widerlegt werden.[1] Während körperliche Fähigkeiten wie beispielsweise Sehvermögen, Beweglichkeit oder Muskelkraft abnehmen, sind Fähigkeiten wie Informationsaufnahme, Konzentrationsfähigkeit und Lernfähigkeit in der Regel gleichbleibend.[2] Dazu kommt, dass Alterungsprozess individuell unterschiedlich verläuft, dass dabei sowohl Ab- als auch Zunahmen von Funktionen zu beobachten sind und jedem die Fähigkeit zur Verhaltensänderung bleibt, um eventuelle Defizite zu kompensieren.[3]

Beim Blick auf kognitive Fähigkeiten zeigt sich, dass die einzelnen Bereiche differenziert betrachtet werden müssen. Während beispielsweise Anteile fluider Intelligenz wie die Verarbeitungsgeschwindigkeit in jungen Jahren am höchsten ist, erreicht die kristalline Intelligenz im mittleren bis hohen Lebensalter ihr Leistungsmaximum. Bei Gedächtnisleistungen kann es zu alterungsbedingten Defiziten des Kurzzeitspeichers kommen, während das Langzeitgedächtnis weniger anfällig für Alterseffekte ist.[4]

Aus Untersuchungen ging hervor, dass ältere Menschen unter Zeitdruck schlechter lernen als jüngere Personen.[5] Ein Studium an einer Fernhochschule bringt deshalb (nicht nur altersbedingt) den Vorteil, dass Lernen nach eigenem Tempo und individueller Einteilung möglich ist. Phasen, in denen aufgrund von beruflicher oder privater Mehrbelastung kaum Zeit für das Studium bleibt, sind weniger belastend oder stressauslösend als für Studierende, bei denen fixe Prüfungs- und Abgabetermine gesetzt sind. Außerdem ist es bei diesem Format möglich notwendige Ruhephasen oder die Zeit für Hobbys und Familie ohne schlechtes Gewissen zu genießen.

Ganz unabhängig vom Alter sind für erfolgreiches Lernen neben der Autonomie auch die Freiwilligkeit, die Motivation, die Einbeziehung persönlicher Erfahrungen sowie die Formulierung eigener Lernziele von Bedeutung,[6] und die Ausprägung dieser Faktoren kann individuell und lebensphasenbedingt variieren.

Lernen fördert die Gesundheit

Aus meiner persönlichen Erfahrung kann ich sagen, dass es sicherlich immer wieder Momente gab, an denen ich an meine Grenzen gestoßen bin, sowohl in Bezug auf die Motivation als auch auf den Glauben an meine Fähigkeiten. Wissenschaftliches Arbeiten war für mich neu und vor allem die Module, die sich mit Statistik und Methodik befassen, haben mir viel abverlangt. Aber gerade diese Hürden erfolgreich zu überwinden, haben meine Motivation und vor allem meine Selbstwirksamkeitserwartung positiv beeinflusst.

Der Lernprozess kann also auch als gesundheitsfördernd angesehen werden. Aus salutogenetischer Sicht ist neben der beschriebenen Bewältigbarkeit die Sinnhaftigkeit ein weiterer Teil des Kohärenzgefühls,[7] welches sich positiv auf die Gesundheit auswirkt. Neben dem Zugewinn an Wissen, besteht das Gefühl, seine Zeit und Energie beim Lernen sinnvoll und zukunftsorientiert einzusetzen, vor allem, wenn die bestehende berufliche Situation als unbefriedigend und unterfordernd wahrgenommen wird. Mit dem Ausblick der beruflichen Veränderung bzw. Verbesserung und mit jeder bestandenen Prüfung, die mich diesem Ziel näherbringt, wächst die Motivation und die Sicherheit, das Richtige zu tun.

Lebenslanges Lernen

Natürlich mache ich mir auch Gedanken, was passiert, wenn ich den Abschluss bestanden habe. Jetzt, am Ende des vierten Semesters, wird das immer mehr zum Thema. Die Einwände, dass mit 55 Jahren die wohlverdiente Rente schon in die Nähe rückt, sind durchaus berechtigt. Und in einem neuen Beruf mit wenig praktischer Erfahrung zu arbeiten, stellt mich sicherlich vor neue Herausforderungen und wirft neue Fragen auf: Ist es möglich noch beruflich Fuß zu fassen und bin ich den neuen Aufgaben gewachsen? Der Schlüssel zum Erfolg liegt vielleicht darin nicht aufzuhören zu lernen, sondern seine Kompetenzen und Fähigkeiten stetig den Anforderungen entsprechend auszubauen. Lebenslanges Lernen eben, um sich den Veränderungen anzupassen, aus Erfahrungen zu lernen und an Herausforderungen zu wachsen.

Ich sehe all dem gelassen entgegen, denn ich habe die Erfahrung gemacht, dass mit Engagement, Fleiß und Beharrlichkeit alles machbar ist. Und das, was ich im Rahmen dieses Studiums bisher über mich und meine Mitmenschen lernen durfte, ist eigentlich schon für sich gesehen all die investierte Zeit und Mühe wert.

Fazit

Ein Studium mit Ü 50 ist nicht nur machbar, sondern auch bereichernd und sinnvoll. Deshalb möchte ich allen Mut machen, die sich mit dem Gedanken tragen auch im „fortgeschrittenen“ Alter noch neue Wege zu gehen und damit nicht nur ihr Potential auszuschöpfen, sondern auch vielleicht lang gehegte Träume zu verwirklichen.

[1] Vgl. Roth et al. (2007), S. 103.

[2] Vgl. Klump et al. (1994), S. 17.

[3] Vgl. Roth et al. (2007), S. 103.

[4] Vgl. Schumacher/Martin (2013), S. 35.

[5] Vgl. Seitz (2004), S. 11.

[6] Vgl. Roth et al. (2007), S. 110.

[7] Vgl. Schäfer (2017), S. 154.


Literatur

Klump, W./Lau, D., Siehlmann, G./Pflüger, M./Terjung, J. (1994), Argumente und Möglichkeiten für die Personalentwicklung älterer Mitarbeiter. Weiße Reihe 43, Frankfurt am Main.

Roth, C./Wegge, J./Schmidt, K.-H. (2007), Konsequenzen des demographischen Wandels für das Management von Humanressourcen, Zeitschrift für Personalpsychologie, 6. Jg., Nr. 3, S. 99–116.

Schäfer, E. (2017), Lebenslanges Lernen. Erkenntnisse und Mythen über das Lernen im Erwachsenenalter, Berlin, Heidelberg.

Schumacher, V./Martin, M. (2013), Lernen und Gedächtnis im Alter. In: Bartsch, T./Falkai, P. (Hrsg.), Gedächtnisstörungen, Berlin, Heidelberg, S. 31–39.

Seitz, C. (2004), Lebenslanges Lernen – ein Selbstverständnis? Qualifizierung älterer Mitarbeiter., Wirtschafts- und Berufserziehung, 2004. Jg., Nr. 11, S. 9–16.

Beitragsbild von Zachtleven. Zugegriffen am 27.02.2022, von https://pixabay.com/de/photos/tt-frau-lustige-freak-moped-4269869/

Teile diesen Artikel