By Published On: 17. Oktober 2021Categories: Gesundheit, Psychologie

Im Dezember 2019 erschienen weltweit die ersten Berichte über eine auffällige und untypische Häufung von Lungenentzündungen, zurückführend auf eine unbekannte Ursache in China. Die WHO bestätigte am 9. Januar 2020, dass es sich dabei um ein neuartiges Coronavirus handelt und erklärte am 11. März offiziell den Ausbruch einer weltweiten Pandemie.[1] Übergeordnetes Ziel ist seither, mithilfe des Herunterfahrens des öffentlichen Lebens („Lockdowns“) das Virus einzudämmen. Maske tragen, Abstand halten, Home-Office und das soziale Umfeld auf ein Minimum reduzieren gilt seither als alltäglich. Eine zeitliche Perspektive ist dabei nicht vorhanden. Hoffnungen auf Normalisierung werden aufgrund von mehreren Faktoren (z. B. schleppendes Impfgeschehen oder Probleme bei der Teststrategie) enttäuscht. Die Menschen sind müde und werden von Unsicherheit, Ungewissheit, Einsamkeit und ständiger Sorge begleitet. 

„Es ist einfach anstrengend. Alles wie in einem Nebel.“[2]

Doch wirkt sich die ganze Situation auch auf die mentale Gesundheit der Menschen aus? Und welche alternativen Fluchtmöglichkeiten bleiben für die Bevölkerung übrig?

Auswirkungen der Pandemie auf die psychische Gesundheit

Während manche Menschen aus der Pandemie Kreativität schöpfen und neue Lösungen finden, bedroht sie in Verbindung mit ihren Begleiterscheinungen bei anderen das psychische und soziale Gleichgewicht und gilt als eine potenziell traumatisierende Situation.[3] Eine umfangreiche Studie belegt inzwischen eine aus den massiven Einschränkungen der Lebensbedingungen resultierende erhöhte Vulnerabilität für psychische Störungen.[4] COVID-19, bezeichnet als multidimensionaler toxischer Stressor, kann sich in Verbindung mit dem Verlust von Schutzfaktoren (vgl. Tabelle) demnach negativ auf die psychische Gesundheit auswirken. Während der Pandemie begünstigen die in der Tabelle aufgeführten Risikofaktoren Störungen in Form von Angst-, Anpassungs- und Traumafolgestörungen sowie Depressionen und Suizidalität. Insbesondere sind Menschen betroffen, die Vulnerabilitäten für psychische Störungen aufweisen oder bereits unter mentalen Problemen leiden.[5]

Individuelle RisikofaktorenIndividuelle Schutzfaktoren
Angst vor dem Virus

Prekäre finanzielle Situation

Unsicherheiten bzgl. der Arbeitsstelle

Probleme mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf während des Lockdowns
Körperliche Aktivität

Positives Denken, Gefühl von Selbstwirksamkeit, Autonomie, hohe Kontrollüberzeugung

Hohe Anpassungsfähigkeit/psychische Flexibilität Empfundene soziale Unterstützung durch Familie, Freunde, Organisationen, Behörden

Ausüben von HobbysVertrauen in staatliche Institutionen
Risiko- und Schutzfaktoren in Zeiten von Corona (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Kessler/Guggenbühl (2021), S. 15.) 

Auswirkungen von Natur & Biodiversität auf die mentale Gesundheit

Während aber auch außerhalb der Lockdowns sind die meisten Freizeitgestaltungsmöglichkeiten stark eingeschränkt oder begrenzt. Körperliche Aktivitäten in der Natur (= Schutzfaktor) sind dagegen seit Beginn der Pandemie (ohne Corona-Diagnose) stets erlaubt und werden deshalb von einem Großteil der Bevölkerung vermehrt beansprucht. Eine amerikanische Studie zeigt, dass im Vergleich zum letzten Jahr etwa 70 % der Befragten öfter spazieren gehen, ca. 58 % mehr im Freien entspannen und 57 % die Zeit vermehrt mit Gartenarbeiten verbringen.[6]

Unbeachtet bleibt dabei meist die positive Wirkung eines Aufenthalts im Grünen auf die (psychische) Gesundheit der Menschen. Verschiedene Studien belegen, dass Grünräume das Potenzial haben, Stress abzubauen und Leistungsfähigkeit aufzubauen.[7] Allein ein Blick auf einen Grünraum oder Park, z. B. von dem Fenster des Büros aus kann das Wohlbefinden und die Konzentrationsfähigkeit steigern.[8] Natürliche Umgebungen reduzieren die Herzschlagraten, Pulsfrequenzen sowie Stresshormone. Zudem verbessern sie die allgemeine Stimmungslage.[9] Eine weitere Studie belegt, dass die mentale Gesundheit bei Menschen, die in Landkreisen wohnen, welche eine größere Vielfalt an Pflanzen- und Vogelarten aufweisen höher ist als bei Menschen, die in Kreisen mit niedriger Artenvielfalt leben.[10]

In einer aktuellen Studie haben sich ebenfalls Naturgeräusche wie Vogelgezwitscher, das Plätschern eines Baches oder das Rauschen des Windes als weitere gesundheitliche Vorteile herauskristallisiert. Vor allem wirken Vogelstimmen stimmungserhebend und können Stress und Ärger abbauen. Diese Erkenntnis wird damit begründet, dass natürliche akustische Umgebungen in gewisser Weise Sicherheit und eine strukturierte Welt frei von Gefahren signalisieren. Dies ermöglicht wiederum Kontrolle über psychisches Befinden, mentale Erholung und Reduzierung von stressbedingtem Verhalten.[11]

Die Natur als Schutzmaßnahme während der Pandemie

Derzeit gilt: umso höher die Inzidenz, desto massiver die Einschränkungen. Hochphasen der Pandemie sind geprägt von Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen, Schließungen von Kitas und Schulen, Einschränkungen sportlicher, freizeitlicher und kultureller Aktivitäten sowie Schließungen der Gastronomie. Bei einer konstant sinkenden Inzidenz werden die Maßnahmen zwar gelockert, jedoch bleiben strikte (Verhaltens-)Regeln überwiegend bestehen.[12] Einen konstanten Zufluchtsort stellt deshalb momentan die Natur dar. Wie sich herausstellt, sind ihre positiven Auswirkungen wichtiger denn je. Grüne Umgebungen verbessern die mentale Gesundheit, mindern Stress und wirken stimmungserhebend.[13]Durch den abnehmenden Verkehr während der Lockdowns und der Quarantäne stellen Menschen außerdem eine ganz neue Verbindung zur Geräuschkulisse der Natur her und profitieren von ihren positiven gesundheitlichen Vorteilen.[14]Um Schutzfaktoren aufzubauen, ist es in besonderem Maß für diejenigen ratsam, die Vulnerabilitäten für psychische Störungen aufweisen oder bereits an psychischen Problemen leiden, eine Beziehung zur Natur während der Pandemie aufzubauen. Generell können aber alle Menschen, denen die momentane Situation wie ein endloser Nebel erscheint, in der Natur eine Energietankstelle für die belastete Seele finden und von ihren positiven Effekten profitieren.[15]

Fazit

Die Pandemie birgt für die Menschen verschiedene Herausforderungen. Aufgrund von staatlichen Beschränkungen und individuellen Reaktionen hat sich die Beziehung der Menschen zur Natur bereits in den ersten Pandemie-Monaten deutlich verändert. Die Menschen interagieren zunehmend auf verschiedene Weise mit der Natur und belohnen sich dabei mit positiven Effekten für die eigene (mentale) Gesundheit. Durch die aktuelle Situation rücken vermehrt immaterielle Dinge ins Zentrum des Bewusstseins und die Menschen lernen aus „kostenlosen“ Dingen, wie bspw. der Zuflucht in die Natur Kraft zu schöpfen.[16]


[1] Vgl. Schilling et al. (2020), S. 2-3; Weltgesundheitsorganisation (2021).

[2] Vgl. Böhmermann (2021).

[3] Vgl. Krüger (2020), S. 355.

[4] Vgl. Luo et al. (2020), S. 2-7.

[5] Vgl. Brakemeier et al. (2020), S. 11.

[6] Vgl. Morse et al. (2020), S. 5.

[7] Vgl. Ulrich et al. (1991), S. 222-224; Hartig et al. (2003), S. 116-119.

[8] Vgl. Taylor/Kuo/Sullivan (2002), S. 61.

[9] Vgl. Arnberger (2013), S. 10.

[10] Vgl. Methorst et al. (2021), S. 7-9.

[11] Vgl. Buxton et al. (2021), S. 2-5.

[12] Vgl. Bundesregierung (2021).

[13] Vgl. Arnberger (2013), S. 10; Methorst et al. (2021), S. 7-9; Buxton et al. (2021), S. 2-5.

[14] Vgl. Derryberry et al. (2020), S. 575-578.

[15] Vgl. Morse et al. (2020), S. 10-14.

[16] Vgl. Morse et al. (2020), S. 10-14.


Literatur

Arnberger, A. (2013), Grün macht gesund!(?) – Die Wirkung von Grünräumen auf den Menschen. In: Umweltdachverband, Biodiversität und Gesundheit, Tagungsband, zur Tagung am 15.11.2013, Wien, https://www.umweltdachverband.at/assets/Umweltdachverband/Publikationen/Eigene-Publikationen/2013-Tagungsband-Biodiversitaet-Gesundheit.pdf , online abgerufen am 20.04.2021.

Brakemeier, E. L./Wirkner, J./Knaevelsrud, C./Wurm, S./Christiansen, H./Lueken, U./Schneider, S. (2020), Die COVID-19-Pandemie als Herausforderung für die psychische Gesundheit, Zeitschrift für Klinische Psychologie und Psychotherapie, 49. Jg., Nr. 1, S. 1-31.

Buxton, R. T./Pearson, A. L./Allou, C./Fristrup, K./Wittemyer, G. (2021), A synthesis of health benefits of natural sounds and their distribution in national parks, PNAS, 118. Jg., Nr. 14, S. 1-6.

Derryberry, E. P./Phillips, J. N./Derryberry, G. E./Blum, M. J./Luther, D. (2020), Singing in a silent spring: Birds respond to a half-century soundscape reversion during the COVID-19 shutdown, Science, 370. Jg., Nr. 6516, S. 575-579.

Hartig, T./Evans, G. W./Jamner, L. D./Davis, D. S./Gärling, T. (2003), Tracking restoration in natural and urban field settings, Journal of Environmental Psychology, 23. Jg., Nr. 2, 109-123.

Kessler, C./Guggenbühl, L. (2021). Auswirkungen der Corona-Pandemie auf gesundheitsbezogene Belastungen und Ressourcen der Bevölkerung – Ausgewählte Forschungsergebnisse 2020 für die Schweiz, Arbeitspapier 52, Bern/Lausanne.

Krüger, R. T. (2020), Ängste und Stress infolge der Corona-Krise – Praxis und Theorie der störungsspezifischen Behandlung, Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie (19), S. 355-364, Wiesbaden.

Luo, M./Guo, L./Yu, M./Jiang, W./Wang, H. (2020), The psychological and mental impact of coronavirus disease 2019 (COVID-19) on medical staff and general public – A systematic review and meta-analysis, Psychiatry research, 291. Jg., S. 1-9.

Methorst, J./Bonn, A./Marselle, M./Böhning-Gaese, K./Rehdanz, K. (2021), Species richness is positively related to mental health – A study for Germany, Landscape and Urban Planning, 211. Jg., S. 1-11.

Morse, J. W./Gladkikh, T. M./, Hackenburg, D. M./Gould, R. K. (2020) COVID-19 and human-nature relationships: Vermonters’ activities in nature and associated nonmaterial values during the pandemic, PLoS ONE, 15. Jg., Nr. 12, S. 1-23.

Schilling, J./Lehfeld, A. S./Schumacher, D./Diercke, M./Buda, S./Haas, W./RKI COVID-19 Study Group (2020), Krankheitsschwere der ersten COVID-19-Welle in Deutschland basierend auf den Meldungen gemäß Infektionsschutzgesetz, Journal of Health Monitoring, 5. Jg., Nr. 11, Berlin, S. 1-20.

Taylor, A. F./Kuo, F. E./Sullivan, W. C. (2002), Views of nature and self-discipline: Evidence from inner city children, Journal of environmental psychology, 22. Jg., Nr. 1-2, S. 49-63.

Ulrich, R. S./Simons, R. F./Losito, B. D./Fiorito, E./Miles, M. A./Zelson, M. (1991), Stress recovery during exposure to natural and urban environments, Journal of Environmental Psychology, 11. Jg., Nr. 3, S. 201-230.

Internetquellen

Böhmermann, J. [janboehm] (2021, 16. März), Es ist einfach anstrengend. Alles wie in einem Nebel. [Tweet], Twitter, https://twitter.com/janboehm/status/1371756087100248064, online abgerufen am 24.06.2021.

Bundesregierung (Hrsg.) (2021), Corona – Das sind die geltenden Regeln und Einschränkgungen https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/corona-diese-regeln-und-einschraenkung-gelten-1734724, online abgerufen am 23.06.2021.

Weltgesundheitsorganisation (Hrsg.) (2021), Pandemie der Coronavirus-Krankheit (Covid-19) https://www.euro.who.int/de/health-topics/health-emergencies/coronavirus-covid-19/novel-coronavirus-2019-ncov, online abgerufen am 15.04.2021.

Bildquelle (Titelbild)

Valiphotos (2012), https://pixabay.com/de/photos/wald-bäume-strahlen-der-sonne-1072828/, online abgerufen am 06.09.2021.


Teile diesen Artikel