By Published On: 20. April 2022Categories: Meine Hochschule und mein Studium

Wenn Situationen auftreten, mit denen man nicht rechnet und die Umstände so einschneidend sind, dass die emotionale Lage ein „normales“ Weiterleben nicht mehr zuzulassen scheint, dann befindet man sich in einer Krise. Ich habe diese Erfahrung gemacht, als mein Mann mich verlassen hat. Mein Leben war von jetzt auf gleich aus dem Gleichgewicht geraten und erschien mir ohne Perspektiven. Gefühle wie Trauer, Wut, Hilflosigkeit oder Verzweiflung bestimmten mein Leben. Um wieder die Kontrolle zu erlangen, stellte ich mir die Frage, wie man mit einer solchen Krise selbst umgehen kann, um aus dem Teufelskreis der negativen Gedanken und Gefühle auszubrechen und fasste den Entschluss, mir eine Auszeit zu nehmen um mich zu sortierten und neu zu orientieren. Weit weg von zu Hause und von meinen Problemen verbrachte ich vier Wochen in einem buddhistischen Frauenkloster in Nepal – eine sehr gute Entscheidung, wie sich in der Rückschau zeigte.

Die Lebenskrise – ein kurzer Überblick

Wenn im Leben eines Menschen plötzlich unerwartete Ereignisse oder Umstände auftreten, die ihn sehr belasten und überfordern, können Zustände von Angst, innerer Spannung oder emotionaler Verwirrung seinen Alltag stark beeinträchtigen.[1] Dieses Krisenerleben entsteht durch die subjektive Beurteilung der Situation, die als sehr bedrohlich eingestuft wird und das Fehlen von entsprechenden Bewältigungskapazitäten. Die Angst, Verzweiflung und das Gefühl von Hilflosigkeit[2] lösen eine Stressreaktion aus, die sich auch auf körperlicher Ebene, wie z.B. durch erhöhten Herzschlag oder Muskelspannung, bemerkbar macht. Hält dieser Zustand längere Zeit an, kann es zu Erschöpfungszuständen oder sogar zu negativen Folgen für die Gesundheit kommen.[3] Um dies zu vermeiden sind Strategien zur Bewältigung notwendig sowie die individuell unterschiedliche Zeit, um das Geschehene zu „verdauen“. Dazu kann eine Auszeit hilfreich sein, um sich beim Rückzug aus dem Alltag bewusst mit den eigenen Gefühlen auseinandersetzen zu können.[4] 

Achtsamkeit und Selbstreflektion

Wie kann in einer Situation, in der die äußeren Umstände nicht beeinflussbar sind und die dadurch entstandenen emotionalen Belastungen das Leben schwer machen, eine Änderung dieser herbeigeführt werden? Ein Weg könnte Betrachtung des eigenen Erlebens im Sinne von Achtsamkeit sein.

Die Wurzeln der Achtsamkeit finden sich in der buddhistischen Lehre, die diese als das wertfreie Betrachten aller Wahrnehmungen beschreibt. Dabei wird die Aufmerksamkeit bewusst auf den gegenwärtigen Moment gelenkt und alle Gedanken, Gefühle und Körperwahrnehmungen registriert und beobachtet, ohne das Erlebte zu kategorisieren oder zu bewerten. Aus psychologischer Sicht können dabei Wahrnehmungsverzerrungen, Interpretationstendenzen, Bedürfnisse oder unbewusste Abwehrmechanismen identifiziert werden. Aufbauend auf der Erfahrung des achtsamen Erlebens des eigenen Zustands kann der Prozess der Selbstreflektion stattfinden, bei dem ein konkreter Anlass meist in Form einer negativen Erfahrung auf die Bedeutung für einen selbst internal betrachtet wird. Ziel dabei ist ein Lernprozess, bei dem die bisherige Sichtweise neu überdacht wird. Durch Achtsamkeit kann nicht nur die Sensibilität für das Umfeld und die Offenheit für neue Information erhöht werden, sondern auch das Bewusstsein für unterschiedliche Perspektiven bei der Lösung von Problemen.[5]

Dankbarkeit

Das achtsame Erleben der Gegenwart lässt eine realistische Wahrnehmung des Gegebenen zu und steigert die Fähigkeit genießen zu können, da der Fokus nicht mehr nur auf dem liegt, was fehlt und deshalb Sorgen bereitet.[6] Dabei spielt die Dankbarkeit eine große Rolle. Die Anerkennung der positiven Aspekte bedeutet Lebensbejahung.[7] Der Blick richtet sich nicht auf die vergangenen negativen Erfahrungen, die sogar die Gegenwart in dunkle Schatten werfen können, sondern durch Dankbarkeit werden auch die positiven Aspekte der Vergangenheit bewusst wahrgenommen sowie die Zuversicht auf glücklichere Zeiten erhöht. Dankbarkeit kann die Resilienz stärken, indem sie hilft schwierige oder traumatische Erlebnisse zu bewältigen.[8]

Es gibt unendlich viele Dinge, für die man Dankbarkeit empfinden kann, wenn man sie sich erstmal bewusst gemacht hat. Um es mit den Worten von Emmons (2008) zu sagen: „Dankbarkeit gibt dem Leben einen Sinn, indem sie das Leben selbst als Geschenk kennzeichnet.“[9]

Studien haben gezeigt, dass Dankbarkeit Auswirkungen auf das persönliche Wohlbefinden hat. Mehr positive Affektivität, eine bessere Schlafqualität, eine bessere psychische Gesundheit sowie eine höhere Lebenszufriedenheit aber auch ein geringeres Auftreten von Ängsten, Stress und Depressionen konnte nachgewiesen werden.[10]

Fazit

Für mich war diese Reise eine Wende in meinem Leben, nicht weil es die Umstände verändert hätte, sondern meine Sichtweise darauf. Die Menschen in Nepal leben in sehr einfachen Verhältnissen und doch bin ich selten auf so viel Zufriedenheit und Freundlichkeit gestoßen und man gab mir sofort das Gefühl, in die Gemeinschaft aufgenommen zu sein. Obwohl mir das buddhistische Gedankengut fremd war, haben mich die Menschen, die danach leben fasziniert und ich habe mich von diesem Geist inspirieren lassen. Die Zeit, in der ich dort den in den Alltag miterleben durfte, brachte mich der täglichen Meditation und inneren Einkehr näher. Durch Achtsamkeits- und Dankbarkeitsübungen wurde mir klar, in welchem Wohlstand ich leben darf, dass es so viel schöne Dinge und liebenswerte Menschen in meinem Leben gibt und dass man auch Sinn in „Widrigkeiten“ finden und daran wachsen kann.

Mir ist bewusst, dass nicht jeder die Mittel und die Möglichkeit hat, sich eine mehrwöchige Auszeit zu gönnen, aber ich kann nur jeden dazu ermuntern, sich nicht nur in Krisenzeiten achtsam und voller Dankbarkeit auf das zu besinnen, was das Leben schön macht.  

 

[1] Vgl. Brossi (2018), S. 270.

[2] Vgl. Wickert (2020), S. 157.

[3] Vgl. Kaluza (2011), S. 13.

[4] Vgl. Burghardt (2014), S. 99.

[5] Vgl. Kuschel (2016), S. 14-17.

[6] Vgl. Willberg (2017), S. 20.

[7] Vgl. Emmons (2008), S. 11.

[8] Vgl. Willberg (2017), S. 30-31.

[9] Emmons (2008), S. 21.

[10] Vgl. Zygar/Angus (2016), S. 44.


Literaturverzeichnis

Brossi, R. (2018), Krisenintervention. In: Stumm, G./Keil, W. W. (Hrsg.), Praxis der Personzentrierten Psychotherapie, Berlin, Heidelberg, S. 269–280.

Burghardt, B. (2014), Gelassenheit gewinnen – 30 Bilder für ein starkes Selbst. Wie Sie Ihren inneren Reichtum neu entdecken, 2. Aufl., Wiesbaden.

Emmons, R. A. (2008), Vom Glück, dankbar zu sein. Eine Anleitung für den Alltag, Frankfurt, M., New York, NY.

Kaluza, G. (2011), Stressbewältigung. Trainingsmanual zur psychologischen Gesundheitsförderung; mit 18 Tabellen: [CD mit Trainingsmaterialien, 2. Aufl., Berlin, Heidelberg.

Kuschel, H. (2016), Achtsamkeit. In: Frey, D. (Hrsg.), Psychologie der Werte, Berlin, Heidelberg, S. 13–24.

Wickert, M. (2020), Psychoonkologische Krisenintervention, Der Onkologe, 26. Jg., Nr. 2, S. 157–162.

Willberg, H.-A. (2017), Dankbarkeit. Grundprinzip der Menschlichkeit – Kraftquelle für ein gesundes Leben, Berlin, Heidelberg.

Zygar, C./Angus, J. (2016), Dankbarkeit. In: Frey, D. (Hrsg.), Psychologie der Werte, Berlin, Heidelberg, S. 37–52.

Bild: Eigene Quelle 2019

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