By Published On: 19. Oktober 2021Categories: Wirtschaft

Einleitung

Klimawandel, soziale Spaltung, Pandemie – Die Liste der gesellschaftlichen Herausforderungen ist lang und die Stimmen nach einem (wirtschaftlichen) Systemwandel werden immer lauter. „Social Entrepreneurship“, das im deutschen am besten mit „soziales Unternehmertum“ übersetzt werden kann, scheint ein vielversprechendes Mittel zu sein, um diesen Herausforderungen zu begegnen – und wird immer populärer (Hackenberg & Empter, 2011, S. 11–12). Was aber steckt dahinter und wie ticken soziale Unternehmer*innen?

Social Entrepreneurship – Wirtschaft im Namen der Gesellschaft

Eine einheitliche Definition des Begriffs Social Entrepreneurship wird man in der Fülle der global unterschiedlichen Versuche einer Begriffserklärung vergeblich suchen. „Social Entrepreneurship“ ist ein multidisziplinärer Begriff, der Soziologie, Wirtschaft, (Wirtschafts-)Psychologie und einige weitere Disziplinen umfasst. (Alegre, Kislenko & Berbegal-Mirabent, 2017, S. 248; Mair & Martí, 2006, S. 36–37). Mair und Martí (2006) charakterisieren jedoch drei wesentliche Merkmale, die Social Startups zugeschrieben werden können:

  1. SocEnt ist ein Prozess innovativer Wertschöpfung. (Innovation) Social Entrepreneuren liefern sozialen Innovationen, d.h. Innovationen, die soziale oder ökologische Herausforderungen adressieren und dies mit neuen Methoden umsetzen (Phillips, Lee, Ghobadian, O’Regan & James, 2015, S. 442).
  2. Das oberste Ziel von Social Startups ist es, sozialen Mehrwert zu schaffen. (Sozialer Mehrwert) Das ist auch der entscheidende Unterschied zu konventionellem Unternehmertum – es ist das „Social“ im Entrepreneurship. Konventionelles Unternehmertum zielt auf die Gewinnmaximierung einzelner Individuen ab, während SocEnts Gewinne für und/oder mit der Gesellschaft erwirtschaften (Tan, Williams & Tan, 2005, S. 358; Velamuri, 2002, S. 11). Der altruistische Effekt wird erhöht, wenn auch immaterielle Gewinne wie bspw. verbesserte Gesundheit, angestrebt werden (Tan et al., 2005, S. 358).
  3.  Social Startups bieten Produkten oder Dienstleistungen an (unternehmerische Tätigkeit) (Mair & Martí, 2006, S. 37). Dies entspricht dem „Entrepreneurship“-Teil: Unternehmertum bedeutet, Gelegenheiten für neue Güter und Dienstleistungen zu sehen und zu nutzen (Tan et al., 2005, S. 357).

Der Social Entrepreneur – Von Beruf Altruist?

Social Entrepreneure, also Gründer*innen sogenannter Social Enterprises, nehmen eine zentrale Rolle für den gesellschaftlichen Mehrwert durch Social Entrepreneurship ein. Sie entscheiden über die Ausrichtung ihres Unternehmens – und damit darüber, ob es ein „Social“ Enterprise wird oder nicht. Social Entrepreneure (SE) beziehen im Vergleich zu konventionellen Entrepreneuren (KE) die Gesellschaft (oder Teile von ihr) in ihren unternehmerischen Output von Beginn an ein (Tan et al., 2005, S. 358). Sie entscheiden, Gewinne in die Erfüllung sozialer Aufgaben zu reinvestieren, anstatt sie für den eigenen ökonomischen Vorteil zu nutzen (Hein, 2021, S. 4). Es drängt sich die Frage auf: Was unterscheidet die Persönlichkeiten von SE und KE, dass sie solch unterschiedliche Weichen für ihre Unternehmung stellen?

Dazu ist zunächst einmal wichtig abzugrenzen, was unter „Persönlichkeit“ zu verstehen ist. Persönlichkeit ist die individuell „[…] einzigartige Konstellation von Gefühlen, Gedanken und Verhaltensweisen […]“ (Fiedler & Herpertz, 2016, S. 22). Genauer gesagt, „[…] das für ein Individuum charakteristische Muster des Denkens, Fühlens und Handelns.“, das sich situationsunabhängig immer wieder zeigt (Myers, 2014, S. 552). Zu diesem stabilen Muster zählen bspw. Erwartungen und Überzeugungen, Motive, Ziele und Werte, stabile Eigenschaften (Traits) und Kompetenzen (Vgl. Übersicht bei Weber & Rammsayer, 2005; (Asendorpf, 2005)). Die spannende Frage ist nun also, welche konsistenten, zeitlich stabilen Eigenschaften SEs im Unterschied zu KEs aufweisen. Der Blick in aktuelle Studien verrät: Das Thema ist derzeit noch wenig erforscht (Bischofberger, 2017, S. 19). Dennoch liefern einige Arbeiten spannende Erkenntnisse:

Motivation

Die Hauptmotivation von SE ihre Unternehmung umzusetzen ist die Linderung eines sozialen Bedarfs (Bhawe, Gupta & Jain, 2006, S. 12). Die soziale Motivation ist der wesentliche Unterschied zwischen SEs und KEs. Oberstes Ziel von SEs ist es, den „social Return“ zu maximieren, während Kes den ökonomischen Return von kurzfristigen, einzigartigen Innovationen („Unicorns“) zu maximieren anstreben (Yitshaki & Kropp, 2016, S. 2). Grundlage für eine Motivation sind individuelle Werte (Stephan & Drencheva, 2017, S. 8). Bei SEs haben insbesondere prosoziale Werte, Verantwortung und Offenheit für Veränderung eine hohe Bedeutung (Stephan & Drencheva, 2017, S. 8). Als „prosoziale“ Werte von SEs können Universalismus (im Sinne von Altruismus und Kollektivismus) und Empathie identifiziert werden (Bargsted, Picon, Salazar & Rojas, 2013, S. 6; Bhawe et al., 2006, S. 12–13; Tan et al., 2005, S. 360).

Eigenschaften

Studien zur Identifikation typischer „SE Persönlichkeitseigenschaften“ haben sich bisher aufgrund kleiner Stichproben und undeutlicher Ergebnisse nicht zuverlässig bewährt (Stephan & Drencheva, 2017, S. 18). Festgestellt werden konnte jedoch, dass SE unternehmerische Eigenschaften wie Kreativität, Risikobereitschaft, Autonomiestreben, Proaktivität, Kontrollüberzeugung und Leistungsstreben in vergleichbaren Maße wie KE aufweisen und sich damit Entrepreneure im Allgemeinen von anderen Bevölkerungsgruppen unterscheiden (Bischofberger, 2017, S. 19–22). Dabei sind SE sogar etwas risikofreudiger als KE, was mit ihrer unsicheren finanziellen Lage (Gewinndeckelung) einhergehen könnte (Bischofberger, 2017, S. 20).

Fazit

Social Entrepreneure sind Unternehmer*innen – ebenso wie konventionelle Entrepreneure. Man kann wohl sagen, dass Personen, die diesen beruflichen Weg einschlagen, im Allgemeinen einige Persönlichkeitseigenschaften ausgeprägter aufweisen als andere Bevölkerungsgruppen: Sie sind bspw. risikofreudiger und kreativer in der Problemlösung (Bischofberger, 2017, S. 22). SEs scheinen dabei in ihren Werten, Überzeugungen und Motiven anders zu sein als Kes: Sie werden eher durch soziale Werte angetrieben („Social Return“ vor ökonomischem Return), scheinen systemischer zu denken (Universalismus) und lösen mit höherer Empathie an erster Stelle soziale Belange. Um mehr „Social Entrepreneure“ auszubilden, sollten vor allem soziale Kompetenzen an Schulen und Hochschulen ausgebildet werden und eine Lehre bevorzugt werden, die Werte wie Universalismus und Empathie ausbildet prägt. Allerdings darf man nicht denken, dass dies zwangsläufig dazu führt, dass alle, die Unternehmer werden auch Sozialunternehmer werden! Denn die Ergebnisse diverser Studien sind mit Vorsicht zu genießen, sie sind häufig mit kleinen Stichproben und Einzelaspekten durchgeführt worden. Bei allen Bemühungen, die richtigen Weichen zu stellen, um sozialunternehmerische Persönlichkeiten hervorzubringen, sollte nicht vergessen werden:

„[…] Unternehmerpersönlichkeiten sind heterogen […] und den einen, passenden Persönlichkeitsschlüssel gibt es ebenso wenig wie das sozialunternehmerische Universalschloss des Erfolgs.“

Hein, 2021, S. 242-243

Literatur

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Bargsted, M., Picon, M., Salazar, A. & Rojas, Y. (2013). Psychosocial Characterization of Social Entrepreneurs: A Comparative Study. Journal of Social Entrepreneurship, 4(3). https://doi.org/10.1080/19420676.2013.820780

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Beitragsbild: „passion“, Photo-by-Ian-Schneider-on-Unsplash-scaled, URL: https://unsplash.com/photos/TamMbr4okv4

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