Im Jahr 2024 zählte Deutschland etwa 25,2 Millionen Mitglieder in den fast 86.000 Sportvereinen der Landessportbünde (Deutscher Olympischer Sportbund, 2024). Angaben des Deutschen Behindertensportverbands zufolge, existieren darunter etwa 6.130 Behindertensportvereine (Bocksch, R. 2024) mit rund 524.000 Mitgliedern. An der Gesamtbevölkerung (83,6 Millionen Menschen) gemessen, ist somit für 21 % der deutschen Bevölkerung Sport im Verein ein wichtiger Faktor des Lebens (Statista, 2025)!
Freizeit braucht Sportverein?!
Das Angebot von Freizeit, Bildung und kultureller Partizipation ist für ein sinnerfülltes und selbstbestimmtes Leben ebenso wichtig wie die Arbeit. Vor allem dem Feld der Freizeit wird eine originäre Bedeutung für Lebensverwirklichung, Lebenszufriedenheit und Lebensglück zugeschrieben, da Freizeit im Unterschied zur Arbeit keinen Zwang oder Leistungsdruck unterliegt, sondern auf Freiheit, Freiwilligkeit, und Eigenentscheidung beruht (zit. nach Theunissen 1995, S.70 in Schuhmann, Y., 2003). Darüber hinaus führen Freizeitaktivitäten zu Stressreduktion (Melamed/ Meir & Samson, 1995, zit. nach Piepenburg/ Sandler, 2015). Angebotsstrukturen von Sportvereinen tragen einen gesellschaftlich wertvollen Beitrag zur aktiven Freizeitgestaltung und Gesundheitsprävention bei.
Inklusion im Sportverein
Sportvereine sind gefordert, wirksame Strategien zur Realisierung von Inklusion zu entwickeln, entsprechend des § 30 der UN-Behindertenrechtskonvention – Teilhabe am kulturellen Leben sowie an Erholung, Freizeit und Sport. Menschen mit Behinderung soll die Freiheit gegeben werden, jede Sportart auszuüben, die sie wünschen, und dies auch an dem Ort ihrer Wahl. Das erfordert, dass flächendeckend inklusive Sportangebote für verschiedene Sportarten bereitgestellt werden (Aktion Mensch, o.J.). Da Sportvereine gesellschaftliche Akteuere sind, die ihre Sportangebote an den Interessen ihrer Mitglieder ausrichten (vgl. Nagel, 2006, S. 25), liegt es an den Mitgliedern, das Angebot zu gestalten. Dazu bedarf es einer inklusiv denkenden Vereinsführung, nicht nur die Teilhabe zu tolerieren, sonder das gemeinsame Gestalten von Angeboten anzuerkennen, ganz im Sinne des Zitats von J.W. v. Goethe „Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein. Sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.“(Hadeler/ Hadeler, 2020). Das Leitbild der Gold-Kraemer-Stiftung beschreibt das Recht für alle Menschen, uneingeschränkt am gesellschaftlichen Leben teilhaben, es mitgestalten und selbstbestimmt leben können. Inklusion wird von der Stiftung als Wertschätzung der Vielfalt und Unterschiedlichkeit aller Menschen verstanden, wobei jeder Einzelne in seiner Einzigartigkeit anerkannt wird (vgl. Leitbild Gold-Kraemer-Stiftung o. J.). Inklusive Sportangebote zielen nicht (vorrangig) auf den kompetitiven Leistungsbereich ab, vielmehr steht das Gemeinsame aktiv sein in einer Vereinsgemeinschaft im Mittelpunkt. Die Teil-nahme und Teil-gabe an sportlichen Angeboten, die Mitgestaltung einer Vereinskultur unter Anerkennung der Gleichberechtigung (Teil-sein) ist bedeutend.
Inklusive Angebote, oder doch exklusiv?
- Seit 2012 unterstützt die Sepp-Herberger-Stiftung die Inklusionsinitiative für Handicap-Fußball in allen 21 DFB-Landesverbänden. Im Rahmen des flächendeckenden Engagements sollen Menschen mit Handicap durch verschiedene aktive und passive Teilhabemöglichkeiten (z.B. als Spieler, Schiedsrichter, Betreuer, Ehrenamtliche, Zuschauer) in die Strukturen des organisierten Fußballs eingebunden werden. Die Stiftung initiiert u..s. Turniere, wie bspw. die Deutsche Fussballmeisterschaft der Werkstätten für behinderte Menschen und fördert u.a. die Blindenfussball Bundesliga sowie die Blindenfussballnationalmannschaft, womit die Sepp-Herberger-Stiftung inklusive Kultur in die Vereinslandschaften bringen will (vgl. DFB-Stiftung o. J.).
- Die FC Doppelpass Partnerschaft ist eine Saison-Parternschaft im Fussball, welche seit mehreren Jahren zwischen dem 1. FC Köln und der Gold-Kraemer-Stiftung besteht. Hier können Menschen mit Assistenzbedarf regelmäßig unter professionellen Rahmenbedingungen trainieren, als Highlight auch mal unter dem Bundesliga Chef-Trainer der Kölner. Die Mannschaft stellt dabei des ZABS – Zentrum für Arbeit durch Bildung und Sport. Das ZABS ist ein Bildungsangebot der Gold-Kraemer-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Landschaftsverband Rheinland, der Bundesagentur für Arbeit und den gemeinnützigen Werkstätten Köln. Es ermöglicht jungen, sportlichen Talenten (Fussball und Judo) mit kognitiven Förderbedarf oder Lernschwierigkeiten einen alternativen Bildungs- und Berufsweg (vgl. WIR, 19/2023, S. 22, 23).
- Die Judoka des ZABS trainieren fünf mal die Woche und nehmen auch am Vereinsleben kooperierender Judovereine teil. ZABS Judokas nehmen nach Leistungsstand an den Special Olympics teil (vgl. WIR, 19/2023, S. 26, 27).
- 2011 unternahm die Gold-Kraemer-Stiftung erste Schrift, um Tennis inklusiv zu gestalten. Mit der Kooperation des Deutschen Tennisbund (DTB) „Tennis für Alle“ konnten erfolgreich die Angebote in den Vereinen vervielfacht werden. Durch Fortbildungen für die Mitarbeitenden im Verband (um die Vereine bezüglich der Barrierefreiheit zu schulen), Schnuppertage für Aktive und Lehrvideos, erzielte die Kooperation weiter Zuwachs. Auch durch AG-Angebote an Förderschulen wird jungen Menschen das sportliche Freizeitangebot näher gebracht, besonders Ball- und Bewegungsschulen (Bunte Helden) werden dabei gefördert (WIR, 19/2023, S. 32, 33).
- Als Aktion Mensch gefördertes Projekt (Sep. 2021-Nov. 2024) gestaltete die Sportgemeinschaft Ahlen das Projekt „Handball wird inklusiv“(ASG). Ziel des Projekts war es, allen Sportler*innen gleichberechtigte Teilhabe an Sportangeboten zu bieten, Menschen mit und ohne Behinderung sollen gemeinsam den Teamsport Handball ausüben können. Trainer*innen des Vereins vermittelten Menschen mit körperlichen oder kognitiven Einschränkungen die erforderlichen sportliche Kenntnisse und Fähigkeiten, während sie durch pädagogische Kräfte der Freckenhorster Werkstätten begleitet wurden. Langfristig sollte nach regelmäßigen Trainings und Turnieren eine wettbewerbsfähige Liga mit anderen inklusiven Teams des Landes aufgebaut werden (vgl. Aktion Mensch o. J).
Fazit
Es tut sich was in den sportlichen Vereinsstrukturen! Initiativen großer Verbände und Kooperation verschiedener Träger ermöglichen die Gestaltung neuer Strukturen und unterstützen den Wandel. Der Weg aus dem Fürsorge – in das Teilhaberecht scheint auch in den Sportvereinen langsam anzukommen. Festzustellen ist, das Inklusion vor allem Fördermittel benötigt und kreative Ideen von engagierten, überzeugten Umsetzern, die aufzeigen, das Inklusion die Gesellschaft stärkt und Vielfalt bereichert. Die aufgeführten Beispiele sind ein Ausschnitt, und geben Anregungen. Inklusive Vereinskulturen stellen für mich ein äußerst wichtiges Lebensfeld dar, das Menschen mit Assistenzbedarf viel zu lange vorenthalten wurde. Inklusion im Verein bedeutet, das einbezogen sein in eine aktive Freizeitwelt, in der nicht der Wettkampf leitendes Motiv ist, sondern das selbstbestimmte Teil-sein und Teil-gabe. Der kompetitiv bezogene Leistungssport im Verein sollte als dieser weiter Bestand haben, bei Leistungsfähigkeit muss der Zugang auch dazu für alle möglich sein. Die Unterteilung in „Behindertensportgruppen“ sehe ich kritisch und sollten meiner Meinung nach nicht mehr stattfinden. Durch diese Nennung erlebt der Mensch eine persönliche Stigmatisierung.
Literaturnachweis:
Aktion Mensch, (o. J.) Handball wird inklusiv, abgerufen am 06.04.2025 unter: https://www.aktion-mensch.de/dafuer-stehen-wir/das-bewirken-wir/foerderprojekte/handball-inklusiv
Aktion Mensch, (o.J), abegerufen am 06.04.2025, unter: .https://www.aktion-mensch.de/inklusion/sport/hintergrundwissen/gute-gruende-sport?gad_source=1&gbraid=0AAAAAqIls0QLC-vbTeFH4rbDOXQwIM_xr&gclid=CjwKCAjwzMi_BhACEiwAX4YZUNSCS4KDJRPzfXOia3t3D4eSFbfqHk2kBwwry3L3zzJabj_C1NpmkxoCjeIQAvD_BwE
Bocksch, Reene (2024). Behindertensport in Deutschland, abgerufen am 05.04.2025 in Statista, unter: https://de.statista.com/infografik/32911/athletinnen-pro-verein-im-deutschen-behindertensportverband/
Deutscher Olympischer Sportbund, Gesamtzahl der Mitglieder in Sportvereinen, in Deutschland 1999 bis 2024, S. 1, veröffentlicht am 31.10.2024. Abgerufen am 05.04.2025, in Statista unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/215297/umfrage/bevoelkerungsanteil-mit-einer-mitgliedschaft-im-sportverein-nach-alter/
Deutscher Olympischer Sportbund, Mitgliederzahl des Deutschen Behindertensportverbandes 2022 bis 2024 in Deutschland, S. 10, veröffentlicht am 31.10.2024. abgerufen am 05.04.2025, in Statista unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/215960/umfrage/mitgliederzahl-des-deutschen-behindertensportverbandes
DFB-Stiftungen (o.J.) abgerufen am 06.04.2025 unter: https://www.dfb-stiftungen.de/projekte/inklusionsinitiative
Gold-Kraemer-Stiftung, abgerufen am 06.04.2025 unter: https://www.gold-kraemer-stiftung.de/ueber-und/leitbild/
Hadeler, T., & Hadeler, T. (2000). soziale Kompetenz. Zitate für Manager: Für Reden, Diskussionen und Papers immer das treffende Zitat, 311-319.
Nagel, S. (2006). Sportvereine im Wandel. Akteurtheoretische Analysen zur Entwicklung von Sportvereinen. Schorndorf: Hofmann.
Piepenburg A., Kandler, C. (2016), Entwicklung und Validierung des Fragebogen-Inventars für Freizeitinteressen (FIFI), Diagnostik, 04/2016, 2. Ausgage, S. 126-142
Schuhmann, Y (2003). Freizeit im Leben von Menschen mit geistiger Behinderung, Menschen, GRIN Verlag
Statistisches Bundesamt (2025) abgerufen am 05.04.2025 unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1217/umfrage/entwicklung-der-gesamtbevoelkerung-seit-2002
WIR, (2023). Magazin Gold-Kraemer-Stiftung, Ausgabe 19. abgerufen am 06.04.2025 unter: https://www.gold-kraemer-stiftung.de/aktuelles/wir-das-magazin/
Titelbildquelle:
Titel: Team sport, von Stefan_Schranz veröffentlicht am 20. November 2014, auf pixabay, abgerufen am 06.04.2025 unter: https://pixabay.com/de/photos/teamsport-sport-mannschaftssport-538071/
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