By Published On: 25. November 2022Categories: Kommunikation, Wirtschaft

Die Macht der digitalen Welt

4,62 Milliarden Menschen auf der Welt nutzen Social-Media-Netzwerke (Januar 2022), davon kann Facebook rund 2,91 Milliarden für sich verbuchen (Statista GmbH 2022). Auf Platz zwei liegt mit rund 2,56 Milliarden Nutzern YouTube und auf dem dritten Platz WhatsApp (Statista GmbH 2022).

Diese enorme Zahl allein zeigt schon, welch ungeheures Potenzial diese Formate bergen. Die Branche wächst und damit auch das Know-How und die Strategien, wie der Content am besten zielgruppengerecht zu den Usern kommt. Doch nicht hinter jeder Strategie stehen gute Absichten und hinter jeder Information die reine Wahrheit. Das Internet ist voll von Gerüchten, Lügen, Propaganda und Verschwörungstheorien. Zu jeder Meinung existiert eine Gegenmeinung und „alternative Fakten“ wurden von einem US-Präsident mit inbrünstiger Überzeugung vorgetragen. Es stellt sich in Folge für jeden die Frage, wie zwischen wahren und falschen Meldungen unterschieden werden kann und welche Quellen vertrauenswürdig sind. Ein Grund für Fake News und Verschwörungstheorien liegt im Unterschied zwischen Internet und den sozialen Medien auf der einen und den traditionellen Nachrichtenmedien (Zeitungen, Radio, Fernsehen) auf der anderen Seite (Zoglauer 2021, S. 15).

Journalistische Medien orientieren ihre Berichterstattung an gesellschaftsrelevantenThemen. Journalisten sollen sich dabei an den Pressekodex und Objektivität halten und subjektive Deutungen vermeiden. Sie fungieren als Filter (Gatekeeper =Torwächter) und wählen Nachrichten nach den journalistischen Kriterien Wahrheitsgehalt, Aktualität, Bedeutung, Relevanz, Emotionalität und Unterhaltungswert aus. Sie sind zugleich Faktenchecker und schließen Falschmeldungen aus, Fakten werden außerdem auch perspektivisch eingeordnet und interpretiert (Zoglauer 2021, S. 15–17). Im Internet existiert eine Flut von ungefilterten Informationen, es ist nicht unbedingt eindeutig, was davon wahr oder falsch ist und welche Quellen vertrauenswürdig sind. Der Internetnutzer muss also selbst eine Auswahl treffen und wird so zu seinem eigenen Gatekeeper. Die persönlichen Selektionskriterien orientieren sich aber am persönlichen Interesse und nicht an journalistischen Kriterien (Zoglauer 2021, S. 15–17). Suchmaschinen wie google und Co. fördern dies noch. Mit der Funktion Autocomplete von Google gibt der Suchalgorithmus bereits Ergebnisse vor, die aber lediglich das persönliche Nutzerverhalten widerspiegeln, das sich die Suchmaschine gemerkt hat. Klickt man also immer wieder auf rechts- oder linksradikale Inhalte oder „liked“ diese in sozialen Netzwerken, tauchen diese und ähnliche Themen immer häufiger auf (Kreutzer 2020, S. 86). Zudem gilt die Beziehungsstärke als wichtigstes Selektionskriterium: danach werden Nutzern vermehrt Beiträge von anderen Nutzern angezeigt, mit denen sie häufiger und intensiver interagiert haben (Schweiger 2017, S. 99). Das Phänomen des „selective exposure“ (Schweiger 2017, S. 96) führt dazu, dass Menschen überwiegend Medien nutzen, die zu ihren eigenen Überzeugungen passen und diejenigen meiden, die eine andere Weltsicht verbreiten. Als Folge verengt sich das Blickfeld, so dass Nutzer nicht mehr mit anderen Meinungen konfrontiert werden und das eigene Weltbild von der subjektiven Wahrnehmung geprägt wird (confirmation bias). „Man sieht nur noch das, was man sehen will und ignoriert Tatsachen, die nicht in das eigene Weltbild passen.“ (Zoglauer 2021, S. 17–18). Diese Filterblase führt zu einemganz privat konfigurierten Medienimperium“ (Kreutzer 2020, S. 91–92) und wird mit jedem ‚Like‘ zusätzlich angefüttert.

Der Film Cleaners zeigt eindrücklich, wie zudem Fake News und Hassbotschaften verbreitet und angefacht werden (Block und Riesewieck 2018), indem digitale Plattformen so programmiert und gestaltet werden, dass Emotionen systematisch verstärkt werden. Jede Nutzeraktivität dort bedeutet mehr Online-Zeit, mehr Daten über die Nutzer,  mehr Personalisierung und  daraus folgende steigende Werbeumsätze (Kreutzer 2020, S. 29). Micro-Targeting heißt die individuell ausgerichtete Information. So wurde Facebook-Nutzern im Wahlkampf um die Präsidentschaftswahlen in den USA 2016 jeweils maßgeschneiderte Anzeigen zum gleichen Thema gezeigt, „um sie auf unterschiedlichen Wegen schließlich von der gleichen Botschaft zu überzeugen.“ (Kreutzer 2020, S. 82–83).

Fake-Accounts und künstliche Chatbots können Fake-News in den sozialen Medien verbreiten, liken und weiterleiten und dadurch Themen eine Relevanz geben, die so aber tatsächlich in der Gesellschaft gar nicht vorhanden ist (Kreutzer 2020, S. 135).

Trollfabriken sind Unternehmen, die emotionale, manipulative Informationen unter massenhaften Fake-Accounts online verbreiten, um Unruhe zu stiften und politische Ansichten zu beeinflussen. So gilt bspw. die Internet Research Agency in Sankt Petersburg mit geschätzt 1000 Mitarbeitern als Trollfabrik der russischen Regierung. Nach einer Studie der Oxford-Universität wurden von der Organisation während des US-Wahlkampfs allein auf Twitter bis zu 60.000 Tweets im Monat abgesetzt (Brandt 2018). Der Europäische Auswärtige Dienst hat dazu eine Arbeitsgruppe zur Beobachtung der von Russland gesteuerten Medien und Internetplattformen ins Leben gerufen, die die verbreiteten Desinformationen dokumentiert und analysiert. Die Ergebnisse sind auf der Internetseite euvsdisinfo.eu abrufbar.

Die ehemalige Facebook-Vizepräsidentin Chamath Palihapitiya beschreibt die Folgen drastisch: „Die von uns entwickelten, Dopamin erzeugenden Feedbackschleifen zerstören funktionierende Gesellschaften: kein zivilisierter Diskurs mehr, keine Kooperation, stattdessen Falschinformation. Social Media wird in einem Maße missbraucht, wie ich dies nie für möglich gehalten hätte“ (Kaes 2019).

Der zähe Kampf gegen Fake News

Das Vorgehen gegen Fake News findet auf verschiedenen Ebenen statt. Ein Baustein ist das Fact Checking, indem Fake News nachträglich durch Fakten entlarvt werden und eine Korrektur erfolgt. Dieses hat jedoch mit vier Problemen zu kämpfen:

  1. Mangelnde Reichweite: Fake News sind reichweitenstärker
  2. Begrenzte Wirkung: Die Änderungen von politischen Weltanschauungen geht mit einer Einstellungsänderung einher. Diese ist jedoch im psychologischen Kontext allerdings sehr komplex und schwierig. Fact Checking wird zudem meist von den Zielpersonen ignoriert.
  3. Ungünstige Plattformlogik: Insbesondere Social-Media-Plattformen  leben von der Emotionalität ihrer Nutzer und der unreglementierten Kommunikation (wie z.B. Hate Speech).
  4. Post-Truth-Ära: Fake-News führen zu empirisch nachweisbaren sozialen, ökonomischen und politischen Veränderungen in unseren liberal-demokratischen Gesellschaften (Sängerlaub 2020, S. 313–314). Dies wiederum führt zu einem Teufelskreis, in dem sich die verschiedenen Meinungslager untereinander bestärken und andere Meinungen nicht wahrnehmen oder gar diskutieren.

Elementar ist daher ein generationenübergreifender Aufbau von Medienkompetenz. „Medienkompetenz beschreibt die Fähigkeit, sowohl die verschiedenen Medienkanäle als auch deren Inhalte kompetent und vor allem kritisch zu nutzen sowie mit und in diesen zu agieren.“ (Kreutzer 2020, S. 127) und umfasst vier zentrale Aspekte: Medienkritik, Medienkunde (das Wissen um das Mediensystem und wie Medien arbeiten), Mediennutzung und Mediengestaltung (Frischlich 2019). Kreutzer fügt zudem die Selbstreflexionskompetenz hinzu, also die Fähigkeit, das eigene Mediennutzungsverhalten zu analysieren und dessen Auswirkungen auf das eigene Leben zu reflektieren (Kreutzer 2020, S. 142–143). Medienkompetenz ist zwar bereits ein wichtiger Bestandteil in der schulischen Bildung, allerdings sind ältere Generationen damit nicht systematisch konfrontiert worden. Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, dass hier mitunter ein Vakuum entsteht, in dem besonders ältere Menschen für Fake News empfänglich sind. Gleichzeitig spielen individuelle Ängste oder auch Verbitterungen eine Rolle. Hier empfiehlt es sich, behutsam den Dialog zu suchen, Ängste anzusprechen und gemeinsam Expertenmeinungen zu suchen und zu besprechen.

Fazit

Internet und Social Media fördern die schnelle Verbreitung von Fake News, dem steht die mühsame nachträgliche Korrektur in Form von Fact Checking zwar entgegen, dieses ist jedoch kaum wirksam. Social Media-Plattformen leben von der Aufmerksamkeit und Emotionalität ihrer Nutzer, je länger die Verweildauer ist, desto besser läuft das Werbegeschäft. Algorithmen füttern permanent die persönlichen Vorlieben und Interessen und führen dazu, dass andere Ansichten und Weltbilder nicht mehr wahrgenommen werden. In diesen Filterblasen bestätigen sich Gleichgesinnte zunehmend und steigern sich in ihre Positionen hinein (Echokammern). Politisch gesteuerte Trollfabriken feuern zudem gesellschaftliche Konflikte an, indem sie Fake News verbreiten oder emotionalen Themen eine künstliche Relevanz verschaffen. Politische Akteure nutzen dies für sich aus, um Stimmungen oder Wahlergebnisse zu beeinflussen. Die klassischen Medien in Form des Qualitätsjournalismus können diesem Trend schwer etwas entgegen setzen. Sinkende Auflagen und steigende Produktionskosten verursachen ebenso Qualitätseinbußen im journalistischen Bereich. Jeder einzelne kann jedoch seinen Beitrag gegen Fake News leisten, indem er bei der Finanzierung von gutem Journalismus hilft: sei es mit dem Verzicht auf Pop-up Blockern auf den Internetseiten der klassischen Zeitungsverlage oder mit dem Kauf der guten alten Zeitung.


Literatur

Block, Hans; Riesewieck, Moritz (2018): The Cleaners. Hans Block und Moritz Riesewieck (Regie). Online verfügbar unter https://www.bpb.de/mediathek/video/273199/the-cleaners/, zuletzt geprüft am 06.11.2022.

Brandt, Mathias (2018): Internet Research Agency. Die Bilanz der „Trollfabrik“. Statista GmbH. Online verfügbar unter https://de.statista.com/infografik/16459/anzahl-der-monatlichen-posts-der-internet-research-agency/, zuletzt aktualisiert am 18.12.2018, zuletzt geprüft am 06.11.2022.

Frischlich, Lena (2019): Kritische Medienkompetenz als Säule demokratischer Resilienz in Zeiten von „Fake News“ und Online-Desinformation. Bundeszentrale für politische Bildung. Online verfügbar unter https://www.bpb.de/themen/medien-journalismus/digitale-desinformation/290527/kritische-medienkompetenz-als-saeule-demokratischer-resilienz-in-zeiten-von-fake-news-und-online-desinformation/, zuletzt aktualisiert am 02.05.2019, zuletzt geprüft am 07.11.2022.

Kaes, Wolfgang (2019): Digitale Drecksarbeit. In: General Anzeiger 2019, 06.04.2019, S. 5.

Kreutzer, Ralf T. (2020): Die digitale Verführung. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.

Sängerlaub, Alexander (2020): Fakten versus Fakes: Was Fact-Checking als Maßnahme gegen Desinformation leisten kann und was nicht. In: Michael Harnischmacher, Michael Sengl, Ralf Hohlfeld, Elfi Heinke und Lea Lehner (Hg.): Fake News und Desinformation. Herausforderungen für die vernetzte Gesellschaft und die empirische Forschung. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, S. 311–325.

Schweiger, Wolfgang (2017): Der (des)informierte Bürger im Netz. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.

Statista GmbH (Hg.) (2022): Anzahl der Social-Media-Nutzer weltweit in den Jahren 2012 bis 2022 (in Milliarden). Online verfügbar unter https://de.statista.com/statistik/daten/studie/739881/umfrage/monatlich-aktive-social-media-nutzer-weltweit/, zuletzt aktualisiert am 31.01.2022, zuletzt geprüft am 21.10.2022.

Zoglauer, Thomas (2021): Konstruierte Wahrheiten. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.

Bildquelle

Photo by ThisisEngineering RAEng on Unsplash: https://unsplash.com/photos/8hgmG03spF4

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