By Published On: 1. Februar 2024Categories: Gesundheit, Psychologie

„Du brauchst doch nicht rot zu werden!“, oder „Was ist denn mit DIR los, du bist ja rot wie eine Tomate?“ Solche, manchmal gut gemeinten aber auch mit Fehlannahmen behafteten, Bemerkungen empfinden Betroffene von Erythrophobie als sehr belastend. Das Wahrnehmen der eigenen Errötung wird i.d.R. als unangenehm erlebt, sodass diese soziale Aufmerksamkeit in diesem Moment unerwünscht ist (Shields, Mallory & Simon, 1990). Sie verstärkt den ohnehin schon stark empfundenen Leidensdruck, welcher zu Minderwertigkeitsgefühlen und sozialem Rückzug führen kann, was gleichzeitig einen Risikofaktor für die Entstehung von Depressionen darstellt (Michaelis, 2005, S. 40–43). Der nachfolgende Beitrag soll über das Störungsbild der Erythrophobie aufklären. Ziel hierbei ist es, Betroffene sowie Beobachtende zu einem adäquaten Umgang mit diesem Phänomen zu ermutigen.

Emotionen im Zusammenhang mit sozialem Erröten

Kulturübergreifende konnten Emotionen erfasst werden, die eine wichtige Rolle bei Motivationsprozessen spielen und der Bedürfnisbefriedigung dienen (Brandstätter, Schüler, Puca & Lozo, 2018, S. 167–169). So ist das Gefühl, in bestimmten sozialen Situation Sprechhemmungen zu haben oder rot zu werden, etwas Normales und Gesundes und den meisten Menschen bekannt. Die Annahme, Erröten sei eine Begleiterscheinung von Lügen, konnte als nicht haltbar erwiesen werden (Härtling, 2021, S. 67). Chaker und Hoyer (2007) fassten die im Errötungskontext einhergehenden Emotionen zusammen. Genannt werden bspw. Peinlichkeit, Schuld, Scham, Stolz, Freude, Ärger oder erhöhte Selbstaufmerksamkeit (S.184).

Erythrophobie

So wird auch Angst zu einer von mehreren, kulturübergreifend gezeigten und verstandenen Emotion gezählt (Reichertz, 2022). Geht das Gefühl Angst jedoch mit Leidensdruck einher und schränkt das Leben einer Person stark ein, dann wird von einer behandlungsbedürftigen Störung gesprochen (Schneider & In-Albon, 2010, S. 525). So im Falle von Erythrophobie, wie nachfolgend erläutert wird.

Eine Beschreibung der Angststörung Erythrophobie

Weltweit zählen Angststörungen zu den häufigsten Ursachen psychischer Erkrankung (Statista, 2024a, 2024b).  Erythrophobie wird zu einem Subsyndrom der sozialen Angststörung gezählt, bei der Betroffene die körperliche Reaktion des „Errötens“ als Hauptproblem wahrnehmen (Hoyer & Knappe, 2020, S. 405). Hierbei steht die Angst vor der prüfenden Betrachtung anderer im Vordergrund (Caspar, Pjanic & Westermann, 2018, S. 67). Eine Stressreaktion wird durch die Aktivierung des Sympathikus in Gang gesetzt (Härtling, 2021, S. 71): Der Blutdruck steigt, die Herzrate erhöht sich und der Gedanke „auf keinen Fall rot werden zu dürfen“ wird zu einem dynamischen Kreislauf (Abb.2). Diese Angstgedanken verstärken die Wahrnehmung der physiologischen Prozesse und demnach das Angstgefühl und machen die Beeinflussbarkeit der Körperreaktion unmöglich. In der Folge manifestiert sich das Erröten mit zunehmendem Angstempfinden bloßgestellt und darauf angesprochen zu werden. So schlussfolgern Betroffene häufig, sich solchen Situationen nicht mehr aussetzen zu wollen. Typischerweise ist diese Angst bspw. im Studium verbreitet, bei der Studierende aufgrund der Angst zu Erröten, Prüfungssituationen, wie Referate oder mündliche Prüfungen meiden, obwohl die Fähigkeiten hierfür vorhanden wären (Bensberg, 2015, S. 202–203). Dieses, mit Versagen assoziierte, Vermeidungsverhalten kann zu Minderwertigkeitsgefühlen und sozialen Isolation führen, was als Risikofaktor bei der Entstehung einer Depression gilt (Michaelis, 2005, S. 40–43).

Abb. 1: Dynamischer Kreislauf der Erythrophobie

Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an (Chaker & Hoyer, 2007)

Ätiologie: Erklärungsansätze zur Störungsentstehung von Erythrophobie

Bei der Entstehung von Erythrophobie werden genetische, biologisch-physiologische Einflüsse, Persönlichkeitsmerkmale, der elterliche Erziehungsstil und die individuelle Lerngeschichte diskutiert. Ätiologische Informationen sind noch rar. Da erythrophobe Personen das Ausmaß ihrer Errötung stark überschätzen, liegen Annahmen der Aufrechterhaltung des Phänomens aufgrund psychologischer und weniger physiologischer Faktoren  nahe. Hierbei manifestieren sich

– die ängstliche Fokussierung,

– die Überschätzung der Errötungssichtbarkeit und

– deren negativer Konsequenzen

in einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung (Chaker & Hoyer, 2007, S. 186). Demnach erlebten erythrophobe Menschen meist ein peinlich empfundenes Ereignis, bei dem sie rot geworden sind und dieses Rotwerden von Anderen mit Auslachen oder demütigendem und erniedrigendem Verhalten reagiert wurde. Dieses prägende Ereignis wurde dadurch verstärkt, dass mit zunehmender Angst vor einem erneuten Auftreten dieser Körperreaktion die zuvor beschriebene Kettenreaktion ausgelöst wurde.

Interventionsmöglichkeiten von Erythrophobie

Das Erröten des Gesichts ist eine natürliche, jedoch nicht bei jeder Person sichtbare, menschliche Reaktion. Für diesen Reflex sollte sich also niemand schämen. Ein inadäquater Umgang mit diesem Phänomen (z.B. Lachen oder übertriebenes Fokussieren und Bemerken der körperlichen Veränderung) kann dazu führen, dass Menschen die Störung „Erythrophobie“ entwickeln, was mit hohem Leidensdruck verbunden ist und zu sozialer Isolation führen sowie Depressionen auslösen kann. Daher sollte jede Person das eigene darauf bezogene Verhalten reflektieren. Hierbei dürfen aber auch Betroffene selbst hinterfragen, warum das Erröten denn überhaupt ein Problem darstellen soll, ist es eine normale menschliche Reaktion. Schließlich kann das Wissen darüber, dass bestimmte Denk- und Verhaltensweisen Erythrophobie fördern, dazu genutzt werden, diese zu korrigieren: Je niedriger das Selbstwertgefühl einer Person, je wichtiger die Meinung anderer und je größer die Angst vor Ablehnung, desto größer wird auch die Angst zu Erröten. Vermeidungsverhalten, wie sozialer Rückzug und das Verbergen der betroffenen Körperstellen lenkt verstärkt die Aufmerksamkeit auf das „Problem“ und hält die psycho-physiologische Reaktion aufrecht. Für einen Weg raus aus diesem Kreislauf braucht es einen selbstbewussten Umgang mit dieser Ausprägung. Mentale Akzeptanz führt zu physiologischer Entspannung. Ratsam ist es, das Erröten vor den Anwesenden bewusst zum Thema zu machen. Dies entkräftigt die Notwendigkeit „es verbergen zu müssen“. Neue Glaubenssätze, wie: „Das, was ich von mir selbst denke, ist wichtiger als das, was andere von mir halten!“, können außerdem helfen, sich Schwächen zuzugestehen und sich anzunehmen, wie man ist (Härtling, 2021, S. 72).

Bildnachweis

Titelbild: https://pixabay.com/de/vectors/tomate-gesicht-kawaii-niedlich-6288730/

Abb. 1: Dynamischer Kreislauf der Erythrophobie (Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Chaker & Hoyer, 2007)

Literaturverzeichnis

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