By Published On: 24. März 2023Categories: Gesundheit, Psychologie

„Auf die letzte Hausarbeit habe ich eine 1 bekommen? Da muss die Dozentin aber einen guten Tag gehabt haben“ hinter Gedanken wie diesen oder „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die anderen in meinem neuen Job bemerken, dass ich eigentlich keine Ahnung habe“ lassen sich große Selbstzweifel erahnen. Eine extreme Form des Selbstzweifels ist als Impostor-Syndrom bekannt. Im Folgenden Beitrag wird erklärt, was es damit auf sich hat und welche Möglichkeiten im Umgang es gibt.

Was ist das Impostor-Syndrom?

Impostor bedeutet so viel wie „Hochstapler*in“, der Effekt wurde erstmals 1978 von Clance und Imes beschrieben, die die Eigenwahrnehmung erfolgreicher Frauen untersuchten. Das Impostor-Syndrom betrifft kompetente Personen, die ihre eigenen Fähigkeiten in hohem Maße anzweifeln. Sie leiden unter der Vorstellung, ihr Umfeld durch vorgetäuschte Kompetenzen in die Irre zu führen, wie ein*e Hochstapler*in, und rechnen jederzeit damit, aufzufliegen (Anderl, 2019, S. 14). Betroffene können Erfolgserlebnisse nicht angemessen verinnerlichen, ihr Selbstbild ist immun gegenüber positiver Rückmeldungen (ebd., S. 24). Dadurch können sich Betroffene nur schwer über Komplimente oder Erfolge freuen und beschränken sich in ihrer Persönlichkeitsentwicklung (Cadoche & de Montarlot, 2021). Betroffene schätzen ihr Umfeld meist als weitaus professioneller und kompetenter ein als sich selbst. Ein ständiger Begleiter ist die Angst, dass sich Leistungen als Täuschung herausstellen, wird ein genauerer Blick darauf geworfen. Auch wenn es offensichtliche, objektive Faktoren gibt, die den Erfolg belegen. Dies können z. B. Qualifikationen, Publikationen oder Zertifikate sein. Hierin unterscheiden sich Personen mit Impostor-Syndrom von „echten“ Hochstapler*innen. Letztere geben beispielsweise an, einen akademischen Grad zu besitzen, der allerdings käuflich erworben oder erschwindelt ist (Klinkhammer & Sauk-Soprun, 2009, S. 166). Zu betonen ist, dass es sich nicht um eine psychische Störung handelt, also kein Syndrom im medizinischen Sinne, sondern um ein Persönlichkeitsmerkmal (Cadoche & de Montarlot, 2021; Anderl, 2019, S. 25). Fachleute befürworten daher die Bezeichnung Impostor-Selbstkonzept, da das Wort Syndrom mit Krankheit in Verbindung gebracht wird (IKK classic, o. D.).  

Insbesondere junge Erwachsene im Alter von 18-25 Jahren, kurz vor dem Start ins Berufsleben, sind vom Impostor-Syndrom betroffen. Sie müssen sich in ihre neue „erwachsene“ Rolle einfinden und Verantwortung übernehmen. Gleichzeitig erleben sie eine neue und unbekannte Umgebung, hohe Erwartungen, ein neuer Job und Kolleg*innen mit mehr Erfahrung. Für Menschen, die eine Scheidung, Krankheit oder einen Trauerfall erleben, kann dies ebenfalls zutreffen (Cadoche & de Montarlot, 2021).

Das Syndrom trifft Menschen aus allen Berufsgruppen, vor allem mit qualifizierten Abschlüssen und höherem Bildungsniveau (Klinkhammer & Sauk-Soprun, 2009, S. 167) und tritt häufig auf: „70% aller Menschen machen mindestens einmal in ihrem Leben Bekanntschaft mit dem Phänomen“ (Cadoche & de Montarlot, 2021). Auch wenn zu Beginn Frauen im Fokus des Impostor-Syndroms standen, sind laut Studienlage etwa gleichviele Männer und Frauen betroffen (Schröder, 2022, S. 35; Albert, 2017, S. 11).

Was sind die Auswirkungen des Impostor-Syndroms?

Betroffene rechtfertigen Erfolge mit Zufall, Glück oder ihrer übermäßigen Vorbereitungen. Es besteht ein hoher Leidensdruck bei den Betroffenen, in ihrer geglaubten Inkompetenz aufzufliegen. Dies kann sich darin äußern, dass Menschen Tag und Nacht arbeiten und lernen, um zu verhindern, dass sie „enttarnt“ werden. Auf diese Weise gelingen ihnen herausragende Leistungen, was allerdings nichts an deren Überzeugung ändert, schlechter als andere zu sein: schließlich wurde von den anderen dieselbe Leistung mit weniger Aufwand erbracht. Gleichzeitig werden sie in dem Glauben bestätigt, sehr viel arbeiten zu müssen, um Misserfolge zu vermeiden (Albert, 2017, S. 11).

Eine andere Reaktion ist, dass Betroffene von ihrer Angst gelähmt werden. Sie schieben Aufgaben so lange vor sich her, dass ein Scheitern unvermeidbar ist. Auf diese Art kann der Misserfolg nicht mehr der eigenen Unfähigkeit zugeschrieben werden, sondern der fehlenden Vorbereitung. Häufig stürzen sie sich in allerletzter Minute noch auf die Vorbereitungen. Menschen sabotieren sich auf diese Weise selbst. Kommt es trotz der Selbstsabotage zu einem guten Resultat, wird dies mit Glück und Zufall begründet. Die Person selbst hat schließlich kaum etwas beigetragen (Albert, 2017, S. 11-12). Oft stellen sich Personen viel schlechter dar, als sie sind, um der unvermeidlichen Enttäuschung zuvorzukommen (Schröder, 2022, S. 35-36).

Das Impostor-Syndrom zeigt sich in verschiedenen Verhaltensweisen. Das häufigste Merkmal ist Perfektionismus. Betroffene leben in der ständigen Angst, die vermeintliche Unfähigkeit könnte erkannt werden, was sie durch Überkompensation zu vermeiden versuchen. So werden stark erhöhte Erwarten und unmögliche Ansprüche an die eigene Person gestellt. Wodurch Betroffene in eine gefährliche Spirale gelangen können, die bis zum Burnout führen kann (Cadoche & de Montarlot, 2021). Dies kann sich negativ auf die Karriere und den beruflichen Werdegang auswirken. Betroffene erlauben sich nicht, Ansprüche zu stellen, schließlich sind sie eigentlich zu inkompetent für die Stelle, die sie aktuell ausüben. Sie würden daher nie eine Beförderung oder eine Gehaltserhöhung verlangen (Cadoche & de Montarlot, 2021). Auch sind sie häufiger unzufrieden im Job, gleichzeitig besteht eine geringe Bereitschaft zum Wechsel, da dies als zu anstrengend eingeschätzt wird (Anderl, 2019, S. 27). Ebenso kann es zu negativen Auswirkungen im Privatleben kommen, etwa in einer Abneigung gegen sich oder den eigenen Körper, oder in der Partnerschaft. Wer sich selbst nicht mag, kann nicht glauben, dass dies eine andere Person tut. Es ist scheinbar unmöglich, der geliebten Person zu genügen. Auch hier besteht die Angst, dass diese herausfindet, woran sie eigentlich ist. Dies kann soweit führen, dass Betroffene ihre Beziehung sabotieren und so die Trennung beschleunigen (Cadoche & de Montarlot, 2021). 

Wie entsteht das Impostor-Syndrom?  

Die familiäre Sozialisation kann bei bestimmten Familienkonstellationen das Impostor-Syndrom verursachen (Klinkhammer & Sauk-Soprun, 2009, S. 166). Anhand der von Clance und Imes untersuchten Frauen ließen sich zwei Gruppen identifizieren. In der ersten Gruppe wurde der Betroffenen das Attribut „sozial“ zugeschrieben, einer anderen nahestehenden Person „intelligent“. Erstere versuchte durch gute Leistungen ebenfalls als intelligent anerkannt zu werden. Dies führte zu einem erlebten Widerspruch von Eigenwahrnehmung und Fremdsicht, was schließlich im Impostor-Syndrom resultiert. Personen der zweiten Gruppe wurden in dem Glauben erzogen, sie seien besser als alle anderen und könnten sowieso alles erreichen, wenn sie nur wollen. Dies steht im Widerspruch zur kindlichen Erfahrung, dass manche Ziele schwierig zu erreichen sind. Lob von den Eltern scheint nicht an echte Leistungen gekoppelt. Sie erlebten, dass Intelligenz bedeutet, Anforderungen mühelos perfekt zu erfüllen. Dies schafft Selbstzweifel, die nicht mehr durch positive Rückmeldungen korrigierbar sein. Häufig werden diese durch gesellschaftliche Stereotype, z. B. Frauen sind intellektuell schwächer als Männer, verstärkt. Das Beweisen der eigenen Fähigkeiten wird so zu einem Kampf gegen das eigene Selbstbild und gegen die gesellschaftlichen Vorurteile (Anderl, 2019, S. 25-26).

Es kann dazu kommen, dass Menschen großen Selbstzweifel, negative Glaubenssätze und Kompensationsstrategien entwickeln, um trotzdem geliebt und anerkannt zu werden. Kinder möchten bedingungslos von ihren Eltern geliebt werden. Erleben sie barsche Kritik, Kälte oder Gleichgültigkeit, lernen sie hingegen, dass diese Liebe an Bedingungen, z. B. Leistungen, geknüpft ist. Als Folge kann das Kind eine unsichere Bindung entwickeln oder sich selbst als minderwertig wahrnehmen, sodass es denkt, es hätte diese Behandlung verdient. Dies kann Menschen bis ins Erwachsenenalter beeinträchtigen (Cadoche & de Montarlot, 2021). 

Es gibt einen Zusammenhand zwischen Selbsteinschätzung und Selbstwahrnehmung. Um ein zutreffendes Bild über uns selbst zu erhalten, nutzen wir oft äußere, beobachtbare und damit zugängliche Hinweise und Anreize, als würden wir eine andere Person verstehen wollen. In Extremfällen kann die Sicht von außen benötigt werden, um überhaupt ein Bild von uns selbst zu erhalten. Ebenso wird unsere Selbsteinschätzung maßgeblich vom Beobachten anderer Menschen und deren Reaktion auf unser Verhalten geformt. Dies gilt insbesondere für das Einschätzen der eigenen Kompetenz, da diese nicht durch einen Blick „nach innen“ erkennbar ist (Anderl, 2019, S. 15).

Zusammenfassung

Beim Imposter-Syndrom handelt es sich um ein komplexes psychologisches Phänomen, das 70% aller Menschen mindestens ein Mal in ihrem Leben begegnet und mit einem hohen Leidensdruck verbunden sein kann. Doch was können Betroffene tun? Im Beitrag „Eine 1? Glück gehabt! – Impostor-Syndrom (Teil 2)“ werden Unterschiede im Impostor-Syndrom aufgrund des Geschlechts erläutert und Handlungsmöglichkeiten dargestellt, wie das Syndrom in den Griff zu bekommen ist.

Literatur

Anderl, S. (2019). Kampf der Egos. Von der Selbstüberschätzung der Inkompetenzen und den Selbstzweifeln der Leistungsträger. Kursbuch 55, 13-30. https://doi.org/10.5771/0023-5652-2019-199-13

Cadoche, É. & de Montarlot, A. (2021). Versagensängste. Die Selbstzweifel überwinden. Spektrum. Verfügbar unter https://www.spektrum.de/news/impostor-syndrom-die-selbstzweifel-ueberwinden/1958821

IKK classic (o. D.). Hochstapler-Syndrom: ist das mein Verdienst oder hatte ich einfach Glück? IKK classic. Verfübar unter https://www.ikk-classic.de/gesund-machen/arbeiten/hochstapler-syndrom

Klinkhammer, M. & Sauk-Soprun, G. (2009). Das „Hochstaplersyndrom“ in der Wissenschaft. Organisationsberatung, Supervision, Coaching 16, 165-182. https://doi.org/10.1007/s11613-009-0119-7

Schröder, T. (2022). Hochsensibilität – Jobchance oder Karrierekiller in der VUCA-Welt. Wiesbaden: Springer Gabler. https://doi.org/10.1007/978-3-658-37987-2

Titelbild

Foto von energepic.com: https://www.pexels.com/de-de/foto/frau-sitzt-vor-macbook-313690/

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