By Published On: 17. April 2019Categories: Meine Hochschule und mein Studium

Antidepressiva… Der Gedanke ist schön: einfach eine Tablette schlucken und die Stimmungslage aufhellen, eine psychische Krankheit langsam heilen. 2016 wurden 4 Millionen Menschen in Deutschland mit Antidepressiva behandelt.[1] Eine Umfrage in Deutschland zur Verwendung von rezeptfreien Mitteln gegen depressive Verstimmungen/Stimmungsaufhellung ergab, dass 2018 1,11 Millionen Menschen in der Bevölkerung ab 14 Jahren an, in den letzten drei Monaten diese Mittel verwendet hatten.[2] Bereits 2011 ist die unipolare Depression im Vergleich ausgewählter psychischer Erkrankungen die größte Krankheitslast weltweit: mit 65,5 Millionen Erkrankten, weit vor Platz 2 Alkoholbedingte Störungen mit gerade einmal 23,7 Millionen.[3] Laut einer Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) waren 2015 322 Millionen Menschen betroffen, 4,1 Millionen davon in Deutschland.[4] Etwa 800 000 Menschen begehen Selbstmord jedes Jahr, was Suizid  zum zweithäufigste Todesgrund bei 15-29-Jährigen macht.[5]

Die Verschreibung von Antidepressiva hat sich von 1990 bis 2000 in Deutschland verdoppelt, bis 2010 steigt die Zahl weiter um das 2,5-fache und 2014 verschrieben die Ärzte 1401 Millionen Tagesdosen Antidepressiva. [6] Doch die Zahl der Erkrankten steigt weiter und weiter und so muss man sich fragen, ob Antidepressiva wirklich als effizient zu werten sind. Ärzte berichten von erfolglosen Antidepressiva-Therapien und großen Schwierigkeiten diese medikamentöse Therapie zu beenden.[7]

Was genau ist denn eine Depression?

Viele assoziieren mit einer Depression eine stark niedergedrückte Stimmung, doch es ist nicht nur die Stimmung, auch psychische und körperliche Beschwerden sind Beschwerden eines Erkrankten. Zu Hauptsymptomen zählen eine gedrückte Stimmung, der Verlust von Interesse und Freude und ein Mangel an Antrieb und Energie, von denen mindestens zwei zur Diagnose vorliegen sollten. Nichts macht mehr Spaß oder bereitet Freude, eine innere Leere hat sich ausgebreitet und eine Lustlosigkeit führt dazu, bisherige Hobbys und Kontakte nicht mehr zu pflegen. Alles ist schwer und erfordert Energie. Bei einer schweren Depression ist nicht einmal mehr der Gang zur Schule oder zur Arbeit möglich. Diese Hauptsymptome werden durch verschiedene Nebensymptome ergänzt, wie zum Beispiel der Verlust des Selbstglaubens, des Selbstwertgefühls und die Neigung zu Selbstbeschuldigungen. [8] Dies sei nur beispielhaft genannt. Dabei können die Ursachen ganz verschiedene Ursprünge haben.

Und wie wirken Antidepressiva?

Nahezu alle Antidepressiva arbeiten mit einer Verstärkung der Wirkung von Serotonin, dem sogenannten Glückshormon, und überwiegend auch von Noradrenalin im synaptischen Spalt, denn häufig heißt es, bei einer Depression besteht ein Mangel dieser Beiden. Ein Serotoninmangel konnte bei depressiven Menschen jedoch noch nie nachgewiesen werden und auch zu hinterfragen ist, wieso Serotoninverstärkende Medikamente eine gleich stark ausgeprägte Wirksamkeit aufweisen, wie Antidepressiva ohne Effekt auf das Serotonin.[9] Weiter hellt die Stimmung meist erst drei bis vier Wochen nach Einnahmebeginn auf, doch die Serotoninkonzentration steigt bereits nach der Einnahme der ersten Tablette. Diese Theorie scheint also einige Schwächen zu haben. Serotonin verursacht nicht nur pauschal positive Gefühle, sondern auch Effekte wie innere Unruhe, Übelkeit und sexuelle Störungen und ein Übermaß an Serotonin kann lebensbedrohlich sein.[10] Das sogenannte Serotonin-Syndrom ist gekennzeichnet durch Fieber, Verwirrung, Muskelzuckungen und Herzrythmusstörungen, kommt jedoch in der Regel nur bei einer medizinisch unzulässigen Kombination mehrerer verschiedener Medikamente mit einer Serotonin-verstärkenden Wirkung vor. [11] Bewiesen ist, die Medikamente erhöhen die Konzentration von Serotonin und Noradrenalin im synaptischen Spalt, nicht bewiesen und sehr fraglich ist jedoch, dass die antidepressive Wirkung des Antidepressivums dadurch ausgelöst wird, wenn sie denn ausgelöst wird. Professor Dr. med. Tom Bschor fasst zusammen, dass Antidepressiva nicht nur bei der Hälfte der Behandlungen versagen, sondern auch, dass sie weniger gezielt depressionsbeseitigend, als eher unspezifisch angstlösend, stimmungshebend und entspannend wirken, was sie sogar qualifiziert für andere Krankheiten eingesetzt zu werden. [12] Es kommt zu einer Linderung der Symptome, nicht aber zu einer Beseitigung der Krankheit.

Die Basis der Kritiken ist nicht nur die verwirrenden Zahlen der ansteigenden Mengen an erkrankten Menschen, sondern auch mehrere Metaanalysen, in denen im Vergleich zu Placebos keine Überlegenheit der Antidepressiva zu erkennen ist – Anzumerken ist hierbei allerdings, dass viele der Studien, die hier miteinander verglichen worden sind, sich sowohl in Zielsetzung, als auch in Qualität unterschieden. [13] Die einzelnen Studien dienen häufig dem Ziel der Zulassung eines Medikaments für eine bestimmte Erkrankung, wofür vorausgesetzt wird, dass das Antidepressivum in dieser Studie besser abschneiden muss, als ein Placebo. Dabei ist aber kein bestimmtes Ausmaß an Überlegenheit gefordert. So sind auch Studien zu finden, in denen Antidepressiva und Placebo sich glichen und die Effekte des Mittels auf die Depression ähnlich war wie die Wirkungen auf andere Krankheiten.[14]

Vertreter von antidepressiven Mitteln wie Florian Holsboer[15] stürzen sich auf die vermeintlichen biologischen Ursachen von Depressionen. Doch bereits Forschungen in den 50er-Jahren bewiesen, dass die Tabletten bei gesunden Menschen Schaden anrichten. Grünthal und Degwitz experimentierten mit völlig gesunden Studenten, die später alle über negatives Wohlbefinden klagten: Konzentrationsschwächen, Einschränkungen im Denkvermögen, sowie eine Abstumpfung des Gefühlslebens waren Effekte. Weiter ging es mit einer Absetzproblematik, aufgrund einer aufgebauten Abhängigkeit und damit verbundenen Entzugserscheinungen in Form von Schlafstörungen, Nervosität und Angetriebenheit, welche sich erst nach drei bis vier Wochen legten. Die Ergebnisse dieser frühen Studien wurden später bestätigt. Viele der heutigen Psychiater ordnen diese Absetzproblematiken der ursprünglichen Krankheit zu. [16]

Aber was ist, wenn viele der Beschwerden erst durch das Medikament entstehen? Und was ist mit dem „Nicht-biologischen“?

Holsboer beschreibt fast ausschließlich die neurobiologischen Ursachen der Depression, beschreibt die geistige Individualität als unerheblich und stellt sich verachtend den kommunikativen Verfahren in der Psychiatrie, denn für ihn steht alleinig die biologische Individualität im Forschungsinteresse. Dies ist nachzulesen in seinem Buch „Biologie für die Seele. Mein Weg zur personalisierten Medizin“.[17] Gegner von Antidepressiva halten dagegen, dass nicht jede Depression biologische Ursprünge hat, sondern andere Probleme. [18] So kann zum Beispiel der Verlust des Arbeitsplatzes zu einer Depression führen. Selbst sollte diese mit den beschriebenen neurobiologischen Veränderungen einhergehen, der Ursprung liegt woanders und der Verlust eines Arbeitsplatzes kann nicht mit Medikamenten behandelt werden. Im Gegenteil: Patienten berichten von einer dämpfenden Wirkung, die bei manchen Antidepressiva auftritt, welche es ihnen sogar erschwert, ihre Probleme anzugehen. Es liegt in diesem Beispiel jedoch nahe, dass die Depression durch die Lösung des Problems, also dem Finden einer neuen Arbeit, ebenfalls gelöst werden kann. Werden die Probleme, die zu der Depression geführt haben gelöst, wird auch die Depression häufig von allein wieder aufgelöst. [19]

Und genau darauf bauen viele Psychologen ihre Gespräche und daraus resultierende Therapien heutzutage auf.

Fazit

In diesem Artikel wurde das Antidepressiva sehr kritisch von Seiten der Nebenwirkungen betrachtet und die positiven Effekte nicht weiter in Betracht gezogen, die natürlich trotzdem da sind. Es sollte jedoch verdeutlicht werden, dass die Behandlung durch diese Medikamente die Depression als Krankheit wie jede andere betrachtet: ausgelöst durch biologische Faktoren, die durch Medikamente einfach zu beseitigen sind. In unserer heutigen Zeit, mit unserem heutigen Wissen muss jedoch beachtet werden, dass die Entstehung einer Depression nicht so einfach ist und auch viele andere Faktoren dazu beitragen, die allein durch Medikamente nicht zu behandeln sind. Heutige Therapien dürfen sich nicht nur auf die Beseitigung der körperlichen Beschwerden fokussiert sein, sondern müssen die Probleme beseitigen, die ganz am Anfang stehen, denn ansonsten kann es zu keiner vollkommenden Heilung kommen. Antidepressivum hat vielen Menschen geholfen, doch vielen eben auch nicht und sollte somit stets hinterfragt werden.

 

[1] Vgl. Ansari/Ansari, 2016, Vorwort

[2] Vgl. statista, 2019a

[3] Vgl. Collins et al., 2001, S.3

[4] Vgl. kna/Ärzteblatt, 2017

[5] Vgl. WHO, 2018

[6]  Vgl. Ansari/Ansari, 2016, Kapitel 1, Abschnitt 1

[7] Vgl. Bschor, 2018, Vorwort

[8] Vgl. Bschor, 2018, Teil 1, Abschnitt 5

[9] Vgl. Bschor, 2018, Teil 1, Abschnitt 10

[10] Vgl. Bschor, 2018, Teil 1, Abschnitt 10

[11] Vgl. Bschor, 2018, Teil 1, Abschnitt 10

[12] Vgl. Bschor, 2018, Teil 1, Abschnitt 11

[13] Vgl. Holsboer, 2009, S.87

[14] Vgl. Bschor, 2018, Teil 1, Abschnitt 11

[15] Florian Holsboer ist ein Schweizer Chemiker und Mediziner mit mehreren Auszeichnungen für seine Arbeiten und Verdienste, unter anderem den Zülch-Preis, 2009, für seine Verdienste um die biologische Psychatrie und seine Untersuchungen zur Entstehung und Behandlung der Depression

[16] Vgl. Ansari/Ansari, 2016, Kapitel 1, Abschnitt 3

[17] Vgl. Holsboer, 2009

[18] Vgl. Ansari/Ansari, 2016, Kapitel 1

[19] Vgl. Ansari/Ansari, 2016, Kapitel 1

 

Literaturverzeichnis

Ansari, P. & Ansari, S. (2016). Unglück auf Rezept: Die Antidepressiva-Lüge und ihre Folgen. Stuttgart: Klett-Cotta

Bschor, T. (2018). Antidepressiva: Wie man sie richtig anwendet und wer sie nicht nehmen sollte. München: südwest

Holsboer, F. (2009). Biologie für die Seele: mein Weg zur personalisierten Medizin. München: C.H.Beck

 

Internetquellenverweise

Collins et al. In: Lindeberg-Meyer, A. (2001). Stressresponsemodulatoren in der modernen Umwelt: Stressvulnerabilität bei Großstadtbewohnern. Mannheim: Zentralinstitut für seelische Gesundheit

Verfügbar unter: https://www.zimannheim.de/uploads/media/2012-6_DGPPN_Meyer-Lindenberg_Stressresponsemod.pdf

Letzter Zugriff: 15.04.2019

 kna/Ärzteblatt. (2017). WHO: Millionen leiden an Depression.

Verfügbar unter: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/73297/WHO-Millionen-leiden-an-Depressionen

Letzter Zugriff: 15.04.2019

Statista. (2019a). Anzahl der Personen in Deutschland, die in den letzten 3 Monaten rezeptfreie Mittel zur Stimmungsaufhellung bzw. gegen depressive Verstimmungen von 2014 bis 2018 (in Millionen)

Verfügbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/272828/umfrage/verwendung-rezeptfreier-mittel-zur-stimmungsaufhellung-gegen-depressionen/

Letzter Zugriff:  15.04.2019

WHO. (2018). Depression.

Verfügbar unter: https://www.who.int/en/news-room/fact-sheets/detail/depression

Letzter Zugriff: 15.04.2019

 

Titelbild

https://pixabay.com/de/photos/kopfschmerzen-schmerz-pillen-1540220/ (Letzter Zugriff: 14.04.2019)

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