By Published On: 18. August 2016Categories: Psychologie, Wirtschaft

Gerade wurde eine neue Studie des Online-Marktforschungsinstituts YouGov veröffentlicht. Sie heißt „Regretting Parenthood – Ursachen und Demografie bereuter Elternschaft“[1] und verursacht großen Wirbel. Denn darf man als Eltern wirklich sagen, dass man es bereut Kinder bekommen zu haben? Eine hitzige Debatte…

Interessant ist, dass in der Studie 44% aller befragten Mütter angeben, ihre berufliche Karriere wäre ohne die Geburt ihrer Kinder erfolgreicher verlaufen. 50% sind der Meinung, dass in Deutschland von Müttern erwartet wird, dass sie ihren Kindern zuliebe auf eine eigene Karriere verzichten sollten. Vergleichsweise mehr Frauen als Männer arbeiten in Teilzeit, wenn sie Kinder haben. Viele Eltern sehen eine große Schwierigkeit in der erfolgreichen Vereinbarung von Kindern bzw. Familienleben und Beruf.[2]

Mutter, Sohn, Mutter Und Kind, Mutter Und Sohn

Abb. 1. Quelle: https://pixabay.com/de/mutter-sohn-mutter-und-kind-1245764/

Die Studie zeigt die Zerrissenheit von Eltern zwischen Liebe zu ihren Kindern und dem unguten Gefühl, berufliche Chancen für die Kinder aufgeben zu müssen.[3] Noch vor 10 Jahren stellte die „Normalfamilie“, ein Mehrpersonenhaushalt aus einem Ehepaar und deren Kindern, die weitverbreitetste Lebensform dar. 2016 ist sie nach sogenannten „DINKS“ (Double Income No Kids) und Single-Haushalten nur noch mit 24% auf Platz drei anzutreffen. Genauso wie die Familien- und Lebensverhältnisse, haben sich auch die Arbeitsumstände geändert. Viele Teilzeitarbeitnehmer, zusätzliche Minijobs, dank Smartphone ständige Verfügbarkeit und andauernde Bearbeitung von Emails. Stress- und Burn-Out-Symptomatik durch pausenlose Arbeit und keiner Möglichkeit mehr, für ein Wochenende oder auch nur einen Abend lang von der Arbeit abzuschalten. Was sich verwirrend und anstrengend anhört, kann für den Einzelnen jedoch eine Chance bedeuten.[4] „Individualisierung“ ist ein Megatrend, der sich sowohl im Freizeitbereich, als auch in der Arbeitswelt bemerkbar macht. Standardlösungen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf reichen meist nicht mehr aus. Viele Familien strampeln sich ab, um ihren Familienpflichten und der Verpflichtung gegenüber ihrem Arbeitgeber gerecht zu werden. Unzufriedenheit macht sich breit, denn irgendwer kommt doch immer zu kurz. Und dieses ungute Gefühl keinen der beiden Jobs richtig gut zu machen, reibt die Nerven und Gemüter der Familien auf. Nicht umsonst werden wir von Soziologen die „überforderte Generation“ genannt.[5]

Abb. 2. Quelle: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/20043/umfrage/meinung-zur-vereinbarkeit-von-familie-und-beruf-in-deutschland/

Deutschland hat den Ruf, eine äußerst familienunfreundliche Unternehmenskultur zu pflegen und in Meinungsumfragen bestätigt sich dieses Bild. [6] [7] Wer Kinder hat – schön und gut. Aber das ist ein Privatvergnügen – keinesfalls darf die Familie das Berufsleben tangieren. Da werden Meetings auf 17 Uhr angesetzt und jeder weiß schon, dass man vor 18.30 Uhr das Büro nicht verlassen wird. Da gibt es Kernarbeitszeiten von 8 – 17 Uhr. Wenn das Kind krank sein sollte, dann muss man schon genau rechnen, wer von den beiden Eltern nun den „Kind-Krank-Tag“ nimmt, damit es nicht einem der beiden Arbeitgeber zu viel wird. Ein glückliches und funktionierendes Familienleben benötigt aber nun mal Zeit. Zeit, um über Erlebtes zu sprechen, sich über Wünsche und Träume auszutauschen, Konflikte zu bestreiten und sich gegenseitig zu unterstützen bei ganz alltäglichen und altersspezifischen Schwierigkeiten. Diese Zeit ist in Deutschland zumeist nicht vorhanden.

Es geht aber auch anders. Betrachtet man unsere nordischen und skandinavischen Nachbarn, so zeigt sich ein optimistischeres Bild. Dort ist es selbstverständlich, dass die meisten Arbeitnehmer um 15.00 Uhr das Büro verlassen um zur Kita zu gehen. Keiner guckt schräg wenn Frauen mit mehreren Kindern Führungspositionen bekleiden und ebenfalls pünktlich Feierabend machen. Gute Arbeit bedeutet dort eben nicht, möglichst im Morgengrauen rein ins Büro und erst spätnachts wieder heraus. Es ist dort ein Zeichen von guter Arbeitsstrukturierung, wenn man seine Aufgaben pünktlich erledigt hat. Wer nicht pünktlich nach Hause geht, ist der Looser, der es nicht schafft, sich zu organisieren.

Es gibt in Schweden viele Familien mit Kindern. Die allermeisten arbeiten mit 100% in ihrem Beruf. Sie kehren voller Elan und Motivation in ihr Arbeitsleben zurück, da die Unternehmen in Schweden um den Titel „familienfreundlichstes Unternehmen“ konkurrieren und ihren Mitarbeitern ein Maximum an Unterstützung anbieten. Das Kriterium der Familienfreundlichkeit ist für die allermeisten Arbeitnehmer das ausschlaggebende.[8]

Und das Konzept geht auf! Im EU-Vergleich können schwedische Eltern Beruf und Familie am erfolgreichsten miteinander vereinbaren. Frauen und Mütter zeigen die EU-höchsten Beschäftigungsquoten bei gleichzeitig minimalster Kinderarmutsquote. Die Unterstützung der Doppelverdienerfamilie, durch viele finanzielle Familienleistungen, hohe Flexibilität bei Urlaub- und Arbeitszeitmodellen und kostengünstige, dennoch qualitativ hochwertige Kinderbetreuung, sorgt für den arbeitsmarktpolitischen Erfolg des Landes. Der Lebensstandard in Schweden zeigt sich hoch und die Zufriedenheit der Menschen auch.[9]

Schwedische Flagge, Flagge, Schweden

Abb. 3. Quelle: https://pixabay.com/de/schwedische-flagge-flagge-schweden-1127475/

Wir benötigen ganz dringend ein Umdenken in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft in Deutschland!

Die Bestrebungen, auch in der deutschen Arbeits- und Unternehmenskultur Änderungen zu schaffen, sind da. Wenn auch noch nicht in der notwendigen Intensität. So gibt es beispielsweise die Idee der Sozialwissenschaftlerin Jutta Allmendinger, die eine neue Vollzeit von 32 Std./Woche empfiehlt. Dieser wird als Durchschnitt über das gesamte Erwerbsleben gerechnet und bietet so Raum für Kindererziehung, Altenpflege, Weiterbildungsmaßnahmen und Sabbaticals.[10] Diese Modelle sind aber von der Realität noch weit entfernt und nur leise Zukunftsmusik.

Das BMFSFJ (Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend)  legte vor kurzem die Allensbach-Studie vor,[11] und bietet Unternehmen nun einen Leitfaden zur familienbewussten Arbeitszeitgestaltung. Damit möchte das Ministerium die Einführung flexibler Arbeitszeitmodelle fördern.[12] Umfragen zeigen, dass die meisten Eltern diese weitaus dringender benötigen, als eine betriebsnahe Kinderbetreuung.[13]

Die Studie 2020 gibt folgende Handlungsempfehlungen: Die Personalpolitik in Deutschland muss familien- und lebensphasenbewusst umgestaltet werden. Dazu sind Information und Kommunikation, aber vor allem eine Veränderung der gelebten Unternehmenspraxis vonnöten. Zu einer flexiblen Arbeitsorganisation gehören nicht nur kurzfristige Zeitmodelle, sondern auch langfristige Überlegungen zur Flexibilität von Karrierewegen. Zusätzlich entwickeln sich Zeit- und Leistungsdruck zunehmend zu arbeitsgesundheitlichen Problemen unserer Generation. Es ist daher dringend notwendig, anfallende Arbeit besser zu erfassen und deren Bewältigung arbeitsorganisatorisch zu optimieren. Wichtig ist auch, dass Führungskräfte zwar leistungsorientiert arbeiten, jedoch die individuellen Lebensphasen und -entwürfe ihrer Mitarbeiter unterstützen und auf persönliche Belange sensibel eingehen.[14]

Weitere interessante Aspekte bieten die Böckler-Stiftung mit ihren Praxisblättern für Betriebs- und Aufsichtsräte zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, sowie die Stockholmer Universität in ihrem Papier über die Familienpolitik im europäischen Vergleich.[15] [16]

Wir brauchen eine arbeitspolitische Veränderung in Deutschland – wollen wir uns denn nicht einfach mal von unseren Nachbarn inspirieren lassen?

 


 

[1] Vgl. https://yougov.de/landing/regretting-parenthood/ (29.07.2016).

[2] Vgl. https://d25d2506sfb94s.cloudfront.net/r/52/YouGov-Studienbericht_Regretting_Parenthood.pdf?mkt_tok=eyJpIjoiWWpZNFpHWXpNamRpTkRnMSIsInQiOiJpVk53dW43VU4xQlg3dlVYS1wvMjQyVDRQMDVZckl5dTBiN3pQMGRQbWtWUm5ZM25qaUVsNkdcL1FHTnNnR1ZcL2F5OXBCVHRVcVB2WWRcL29VdlViaTdH. (29.07.2016).

[3] Vgl. http://www.zeit.de/2016/32/regretting-motherhood-kinder-kriegen-deutschland (29.07.2016).

[4] Vgl. http://www.zeit.de/zeit-spezial/2016/02/gleichberechtigung-arbeitszeit-strukturen-vielfalt (29.07.2016).

[5] Vgl. http://www.zeit.de/2014/06/vereinbarkeit-vaeter-kinder-karriere-luege/seite-3 (29.07.2016).

[6] Vgl. http://de.statista.com/statistik/daten/studie/20043/umfrage/meinung-zur-vereinbarkeit-von-familie-und-beruf-in-deutschland/ (29.07.2016).

[7] Vgl. http://de.statista.com/statistik/daten/studie/180855/umfrage/meinung-zur-vereinbarkeit-von-familie-und-beruf/ (29.07.2016).

[8] Vgl. http://www.zeit.de/2014/08/vereinbarkeit-familie-beruf-deutschland-skandinavien (29.07.2016).

[9] Vgl. http://europa.eu/epic/countries/sweden/index_de.htm (29.07.2016).

[10] Vgl. http://www.zeit.de/zeit-spezial/2016/02/gleichberechtigung-arbeitszeit-strukturen-vielfalt/seite-2 (29.07.2016).

[11] Vgl. http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung2/Pdf-Anlagen/studie-allensbach-familie-beruf,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf (29.07.2016).

[12] Vgl. http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Service/publikationen,did=163862.html (29.07.2016).

[13] Vgl. http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/Monitor-Familienforschung-Ausgabe-35-sonderausgabe-2015,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf (29.07.2016).

[14] Vgl. http://berufundfamilie.de/images/dokumente/Ergebnisbericht_Studie_Vereinbarkeit_2020.pdf (29.07.2016)

[15] Vgl. http://www.ag-familie.de/media/agfdoc/140617_gerda_neyer.pdf (29.07.2016).

[16] Vgl. http://www.boeckler.de/36820.htm#cont_36822 (29.07.2016).

Bildnachweis:

Beitragsbild. Quelle: https://pixabay.com/de/gesch%C3%A4ftsfrau-unternehmen-m%C3%A4dchen-1584654/

Abb. 1. Quelle: https://pixabay.com/de/mutter-sohn-mutter-und-kind-1245764/

Abb. 2. Quelle: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/20043/umfrage/meinung-zur-vereinbarkeit-von-familie-und-beruf-in-deutschland/

Abb. 3. Quelle: https://pixabay.com/de/schwedische-flagge-flagge-schweden-1127475/

Quellen:

Familie und Arbeitswelt – die NEUE Vereinbarkeit. URL: http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Broschuerenstelle/Pdf-Anlagen/Monitor-Familienforschung-Ausgabe-35-sonderausgabe-2015,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf (29.07.2016).

Familienbewusste Arbeitszeiten – Leitfaden für die praktische Umsetzung von flexiblen, familienfreundlichen Arbeitszeitmodellen. URL: http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Service/publikationen,did=163862.html (29.07.2016).

Gleichberechtigung Arbeitszeit. URL: http://www.zeit.de/zeit-spezial/2016/02/gleichberechtigung-arbeitszeit-strukturen-vielfalt (29.07.2016).

Gleichberechtigung URL: http://www.zeit.de/zeit-spezial/2016/02/gleichberechtigung-arbeitszeit-strukturen-vielfalt/seite-2 (29.07.2016).

Meinung zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. URL: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/180855/umfrage/meinung-zur-vereinbarkeit-von-familie-und-beruf/ (29.07.2016).

Vereinbarkeit von Familie und Beruf in Deutschland. URL: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/20043/umfrage/meinung-zur-vereinbarkeit-von-familie-und-beruf-in-deutschland/ (29.07.2016).

Regretting Motherhood: Kinder kriegen in Deutschland. URL: http://www.zeit.de/2016/32/regretting-motherhood-kinder-kriegen-deutschland (29.07.2016).

RegrettingParenthood. URL: https://yougov.de/landing/regretting-parenthood/ (29.07.2016).

Schweden: Erfolgreiche Vereinbarung von Beruf und Familienleben. URL: http://europa.eu/epic/countries/sweden/index_de.htm (29.07.2016).

Studie Vereinbarkeit 2020. URL: http://berufundfamilie.de/images/dokumente/Ergebnisbericht_Studie_Vereinbarkeit_2020.pdf (29.07.2016).

Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. URL: http://www.boeckler.de/36820.htm#cont_36822 (29.07.2016).

Vereinbarkeit Familie Beruf Deutschland Skandinavien. URL: http://www.zeit.de/2014/08/vereinbarkeit-familie-beruf-deutschland-skandinavien (29.07.2016).

Vereinbarkeit Väter Kinder Karriere Lüge. URL: http://www.zeit.de/2014/06/vereinbarkeit-vaeter-kinder-karriere-luege/seite-3 (29.07.2016).

Weichenstellungen für die Aufgabenteilungen in Familie und Beruf. URL: http://www.bmfsfj.de/RedaktionBMFSFJ/Abteilung2/Pdf-Anlagen/studie-allensbach-familie-beruf,property=pdf,bereich=bmfsfj,sprache=de,rwb=true.pdf (29.07.2016).

YouGov-Studienbericht: Regretting Parenthood. URL: https://d25d2506sfb94s.cloudfront.net/r/52/YouGov-Studienbericht_Regretting_Parenthood.pdf?mkt_tok=eyJpIjoiWWpZNFpHWXpNamRpTkRnMSIsInQiOiJpVk53dW43VU4xQlg3dlVYS1wvMjQyVDRQMDVZckl5dTBiN3pQMGRQbWtWUm5ZM25qaUVsNkdcL1FHTnNnR1ZcL2F5OXBCVHRVcVB2WWRcL29VdlViaTdH (29.07.2016).

Zeit für Familien? Familienpolitik im europäischen Vergleich. URL: http://www.ag-familie.de/media/agfdoc/140617_gerda_neyer.pdf (29.07.2016).

 

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