Was ging dir durch den Kopf, als du das Titelbild gesehen hast? Warst du neugierig? Oder wolltest du schnell weiterscrollen? Da Warnhinweise zumindest auf Instagram kein wirksames Mittel sind, Nutzer:innen vom Betrachten negativer Inhalte abzuhalten (Bridgland, Bellet & Takarangi, 2023, S. 290), nehme ich an, dass du noch dabei bist. Ich versichere dir, der Inhalt ist nicht belastend, sondern beschäftigt sich mit der psychologischen Forschung zu Triggerwarnungen (TW).
Ursprünglich wurden TW eingeführt, um Menschen mit Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) vor belastenden Inhalten zu schützen. Denn bei PTBS-Betroffenen können Reize, die ähnliche Merkmale wie ein traumatisches Ereignis aufweisen, das erneute Durchleben des Traumas auslösen (Bridgland & Takarangi, 2021, S. 320). Mittlerweile werden TW immer häufiger verwendet. Ihr Nutzen ist aber umstritten. Während Befürworter:innen argumentieren, dass TW es gefährdeten Personen ermöglichen, sich emotional auf belastende Inhalte vorzubereiten oder diese zu vermeiden, führen Kritiker:innen an, dass TW die Anfälligkeit für psychische Störungen erhöhen und die Stressresistenz senken (Bellet, Jones & McNally, 2018, S. 134).
Wie wirken Triggerwarnungen?
An einer Stichprobe von Menschen mit Traumadiagnose [1] untersuchten Jones, Bellet und McNally (2020) die Auswirkungen von TW auf die emotionalen Reaktionen beim Lesen von Textpassagen mit belastenden Inhalten. Insgesamt ergaben sich zwar nur geringe Unterschiede in der Reaktionsangst, jedoch tendierten die Effekte eher zu einer leichten Zunahme als zur Abnahme der Angst, wenn eine TW dem Text vorausging. Insbesondere bei Menschen mit schweren PTBS-Symptomen verstärkten TW die Ängstlichkeit. Eine TW half auch dann nicht, wenn die Personen angaben, dass die Textpassagen dem Inhalt ihres durchlebten Traumas entsprachen (Jones et al., 2020). Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit Bellet et al. (2018) und Bellet et al. (2020), die zeigten, dass TW nicht den beabsichtigten Zweck erfüllen und die Angst vor belastenden Inhalten nicht senken. Stattdessen war auch bei Menschen ohne Trauma ein geringer Anstieg des Angstniveaus zu beobachten (Bellet et al., 2018, S. 140; Bellet et al., 2020, S. 721).
Dies mag besonders diejenigen überraschen, die davon ausgingen, dass TW eine emotionale Vorbereitung auf den nachfolgenden Inhalt ermöglichen und so das Angstniveau senken. Daher untersuchten Bridgland, Barnard und Takarangi (2022), ob TW dabei helfen, sich die eigenen Coping-Strategien [2] aktiv ins Gedächtnis zu rufen, um sich dadurch emotional vorzubereiten. Auch hier zeigte sich, dass die Vorstellung einer TW zu begegnen ebenso angstauslösend ist wie die Vorstellung, mit traumabezogenen Inhalten konfrontiert zu werden. Eine TW regt nicht dazu an, sich mehr oder andere Arten von Coping-Strategien bewusst zu machen als die gleiche hypothetische Situation ohne Warnhinweis. Dies gilt auch für Personen mit vermuteter PTBS-Diagnose. Zudem besteht die Schwierigkeit darin, dass die gewarnten Menschen überhaupt über geeignete Coping-Strategien verfügen müssen, was oftmals nicht der Fall ist. Da es bereits bei einer Aufgabe mit geringer Belastung (hier: Aufgabe zum Zukunftsdenken) nicht gelang, geeignete Coping-Strategien abzurufen, so ist es unwahrscheinlich, dass dies unter realen Bedingungen zuverlässig gelingen kann (Bridgland et al., 2022). Somit ist festzuhalten, dass TW nicht wie intendiert wirken und das Angstniveau eher steigern. Doch warum ist dies so?
Nocebo-Effekt
Der Nocebo-Effekt besagt, dass die Erwartung von negativen körperlichen Symptomen oder anderen Nebenwirkungen genau diese verstärken oder hervorrufen kann (Bridgland & Takarangi, 2021, S. 320). Oft suggerieren TW, dass Traumaüberlebende besonders gefährdet sind (z. B. „…bei Personen mit einer Traumavorgeschichte…“). Auch TW, die nur den Inhalt erwähnen (z. B. „Im Folgenden geht es um sexuelle Gewalt…“) implizieren eine Gefährdung. Wozu wäre sonst eine Warnung nötig? Dies fördert die Überzeugung, dass ein Trauma immer dauerhafte psychologische Folgen hat und zentral für die eigene Identität ist. Doch die meisten Traumaüberlebenden sind resilient und erfahren nur geringfügige oder keine langfristigen psychologischen Veränderungen nach dem traumatischen Ereignis (Jones et al., 2020). Eine starke Traumazentrierung [3] geht hingegen mit schwereren PTBS-Symptomen einher (Bellet et al., 2018, S. 135); und wer Symptome, die nach einem Trauma auftreten, als Anzeichen einer anhaltenden Einschränkung interpretiert, hat ein höheres Risiko eine PTBS zu entwickeln (Bellet et al., 2020, S. 718). Bridgland und Takarangi (2021) entdeckten zudem, dass die emotionalen Auswirkungen eines Ereignisses bei Personen, die eine TW erhielten, langsamer nachlassen als in der Kontrollgruppe. TW verlängern demnach die negativen Eigenschaften einer Erinnerung und somit auch den Heilungsprozess (Bridgland & Takarangi, 2021, S. 319–327).
Auch die Ergebnisse von Gainsburg und Earl (2018) deuten auf eine Art Nocebo-Effekt hin. Sie testeten verschiedene Bedingungen, darunter: a) nur TW („Dieser Artikel enthält belastende Inhalte“) und b) TW mit Inhalt („…enthält Inhalte zu häuslicher Gewalt“). Beide Bedingungen erhöhten die Erwartung einer negativen emotionalen Reaktion, wobei die TW mit Inhalt diesen Effekt verstärkte. Des Weiteren zeigte sich, dass sowohl die Erwartung negativer Gefühle als auch die Vermeidung von Inhalten durch die Überzeugungen beeinflusst werden, die Menschen bzgl. TW haben. Personen, die glauben, dass TW eine Schutzfunktion erfüllen, rechneten eher damit, sich ängstlich zu fühlen. Jedoch konnte bei Personen, die TW als verweichlichend beurteilen, eine Abnahme des negativen Affekts für den gewarnten Inhalt festgestellt werden (Gainsburg & Earl, 2018, S. 256–262).
Fazit
Die psychologische Datenlage bietet aktuell wenig Grund zur Annahme, dass TW geeignet sind, die emotionalen Reaktionen auf belastende Inhalte zu senken. Insgesamt ist eine überwiegend negative Wirkungstendenz erkennbar und paradoxerweise scheinen TW am ehesten denjenigen zu nützen, die sie am wenigsten schätzen. Obwohl TW es Traumaüberlebenden ermöglichen, potenziell belastende Inhalte zu vermeiden, ist fraglich, ob der Nutzen die Kosten rechtfertigt, da sie adaptive Coping-Strategien nicht fördern und einen Nocebo-Effekt auslösen können. Des Weiteren trägt Vermeidung zwar in frühen Phasen nach einem Trauma zur Angstreduktion bei (Bridgland et al., 2022), dauerhaft verhindert sie aber das Wiedererlangen der psychischen Funktionsfähigkeit (Bellet et al., 2020, S. 717).
Glossar
[1] Kriterium A-Traumadiagnose nach DSM-5 (Diagnostical and Statistical Manual of Mental Disorders)
[2] Coping-Strategien sind psychische Bewältigungsstrategien zum Umgang mit belastenden Situationen, Erinnerungen und ähnlichem.
[3] Traumazentrierung ist die Überzeugung, dass ein Trauma zentral für die eigene Identität ist.
Literaturverzeichnis
Bellet, B. W., Jones, P. J. & McNally, R. J. (2018). Trigger warning: Empirical evidence ahead. Journal of Behavior Therapy and Experimental Psychiatry, 61, 134–141. https://doi.org/10.1016/j.jbtep.2018.07.002
Bellet, B. W., Jones, P. J., Meyersburg, C. A., Brenneman, M. M., Morehead, K. E. & McNally, R. J. (2020). Trigger warnings and resilience in college students: A preregistered replication and extension. Journal of Experimental Psychology: Applied, 26(4), 717–723. https://doi.org/10.1037/xap0000270
Bridgland, V. M. E., Barnard, J. F. & Takarangi, M. K. T. (2022). Unprepared: Thinking of a trigger warning does not promt preparation for trauma-related contend. Journal of Behavior Therapy and Experimental Psychiatry, 75, 101708. https://doi.org/10.1016/j.jbtep.2021.101708
Bridgland, V. M. E., Bellet, B. W. & Takarangi, M. K. T. (2023). Curiosity Disturbed the Cat: Instagram’s Sensitive-Content Screens Do Not Deter Vulnarable Users From Viewing Distressing Content. Clinical Psychological Science, 11(2), 290–307. https://doi.org/10.1177/21677026221097618
Bridgland, V. M. E. & Takarangi, M. K. T. (2021). Danger! Negative memories ahead: The effect of warnings on reactions to and recall of negative memories. Memory, 29(3), 319–329. https://doi.org/10.1080/09658211.2021.1892147
Gainsburg, I. & Earl, A. (2018). Trigger warnings as an interpersonal emotion-regulation tool: Avoidance, attention, and affect depend on beliefs. Journal of Experimental Social Psychology, 79, 252–263. https://doi.org/10.1016/j.jesp.2018.08.006
Jones, P. J., Bellet, B. W. & McNally, P. J. (2020). Helping or Harming) The Effect of Trigger Warnings on Individuals With Trauma Histories. Clinical Psychological Science, 8(5), 905–917. https://doi.org/10.1177/2167702620921341
Bildquelle
Abbildung 1 – Beitragsbild – Quelle: Balzereit, I. (2023). Eigene Grafik „Triggerwarnung“.