Wer durch einen Drogeriemarkt läuft, findet dort meistens zwischen Erkältungsmitteln und niedrigdosierten Vitaminen auch Johanniskraut: ein Mittel zur Förderung der Inneren Balance, zur Verbesserung des Befindens bei inneren Belastung und zur Kräftigung der Nerven (dm-drogerie markt GmbH + Co. KG, 2025). Gleichzeitig findet man in der Apotheke das vermeintlich gleiche Produkt zur Behandlung von leichten bis mittelschweren Depressionen, apotheken- oder sogar rezeptpflichtig und mit Warnhinweisen zu Wechselwirkungen. Wie kann das sein: pflanzlich, frei verkäuflich und gleichzeitig ein Arzneimittel, das man teilweise nur auf Rezept bekommt?
Johanniskraut ist nicht gleich Johanniskraut
Die leuchtend gelben Blüten enthalten ein komplexes Gemisch an unterschiedlichen Inhaltsstoffen, deren Wirkung weit über die Vorstellung eines einfachen Stimmungsaufhellers hinausgeht. Der entscheidende Unterschied zwischen den verschiedenen Präparaten liegt aber nicht in der Pflanze selbst, sondern vor allem in der Dosierung, der Verarbeitung und auch der Regulierung (Daniela Hüttemann, 2020).
In Apotheken wird Johanniskraut als zugelassenes Arzneimittel verkauft, in Drogerien dagegen als Nahrungsergänzungsmittel. Das bedeutet: bei dem Johanniskraut in Apotheken müssen die pharmazeutische Qualität und Unbedenklichkeit nachgewiesen und behördlich geprüft werden. Zudem dürfen die Mengenangaben auf der Verpackung nicht um mehr als 5 % von der tatsächlichen Dosierung der Wirkstoffe abweichen.
Bei den Präparaten aus der Drogerie ist das nicht der Fall: sie unterliegen den Vorschriften für Nahrungsergänzungsmittel. Hier können die Mengenangaben auf der Packung um ganze 50 % von der tatsächlichen Menge im Produkt abweichen (Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, 2025).
Worin unterscheiden sich die Präparate aus Apotheke und Drogerie genau?
Die verschiedenen Präparate können in drei Gruppen eingeteilt werden:
| 1 | Verschreibungspflichtige Präparate aus der Apotheke | Zugelassen für die Behandlung von leichten oder mittelschweren Depressionen Durch Zulassung Garantie für Wirkungsnachweise |
| 2 | Rezeptfreie Präparate aus der Apotheke | Verwendung bei depressiven Verstimmungen oder leichten Depressionen Nicht geeignet zur Behandlung mittelschwerer Depressionen |
| 3 | Produkte aus der Drogerie oder dem Supermarkt | Meist keine Arzneimittel, deshalb keine Belege für die Wirksamkeit und unsichere Dosierung |
Tabelle 1: Johanniskraut-Präparate (eigene Darstellung)
Wirkung – Nebenwirkungen – Wechselwirkungen bei Apothekenpräparaten
Die für die Wirkung relevantesten Wirkstoffe sind Hypericin und Hyperforin, die die Wiederaufnahme von Serotonin, Dopamin und Noradrenalin hemmen. Zusätzlich wirken die enthaltenen ätherischen Öle beruhigend. Standardisierte Johanniskraut-Präparate aus Johanniskrautextrakt wirken signifikant besser als Placebos und ähnlich wie synthetische Antidepressiva. Die Einsatzmöglichkeiten von Johanniskraut reichen dadurch von leichten bis mittelstarken Depressionen über Beschwerden in den Wechseljahren oder Stresserkrankungen (Ganz, 2015, S. 28; Röder, Schaefer & Leucht, 2004, S. 340).
Ein Vorteil: Im Vergleich zu synthetischen Antidepressiva treten bei Johanniskraut seltener Nebenwirkungen auf. Trotzdem können zum Beispiel leichte Störungen des Magen-Darm-Traktes oder Mundtrockenheit vorkommen. Was auch bedacht werden sollte ist eine mögliche Photosensibilisierung. Obwohl in einigen Studien diskutiert wird, dass die normale Dosierung zu niedrig für einen spürbaren Effekt ist, wird in Beipackzetteln trotzdem darauf hingewiesen (Red, 2012, S. 65).
Noch wichtiger als die Nebenwirkungen sind aber die möglichen Wechselwirkungen: durch eine Enzymindukation in der Leber verursacht Johanniskraut einen schnelleren Abbau einiger Arzneimittel. Die Folgen davon können fatal sein: werden zum Beispiel Gerinnungshemmer eingenommen und dazu Johanniskraut, erhöht sich die Gefahr eines Schlaganfalls. Auch die Wirkung der Antibabypille kann abgeschwächt werden, wodurch ungewollte Schwangerschaften vorkommen können (Daniela Hüttemann, 2020).
Diese Punkte machen deutlich: die Einnahme von Johanniskraut darf nicht unterschätzt werden und eine gründliche Aufklärung und Frage nach anderen eingenommenen Medikamenten sind extrem wichtig. Deshalb sollten entsprechende Präparate im besten Fall unter ärztlicher Begleitung eingenommen werden.
Und wie sieht das bei Drogerie- oder Supermarktpräparaten aus?
Bei Präparaten aus der Drogerie oder aus dem Supermarkt sieht das ganz anders aus: anstelle von konzentriertem Johanniskrautextrakt enthalten sie meist nur Johanniskrautpulver. Dadurch ist die Wirkstoffkonzentration geringer und kann je nach Verarbeitung stark schwanken, die Wirksamkeit ist also weniger verlässlich und nicht für eine medizinische Behandlung geeignet. Das Problem: es existieren keine sicheren Grenzwerte, ab welcher Dosierung die Einnahme bedenklich ist und zum Beispiel Wechselwirkungen entstehen. Das heißt, auch wenn keine wirkliche antidepressive Wirkung zu erwarten ist, können trotzdem Wechselwirkungen entstehen (Daniela Hüttemann, 2020).
Dazu kommt, dass Produkte aus der Drogerie oder dem Supermarkt häufig generell unterschätzt werden, weil sie frei zugänglich und pflanzlich sind. Das vermittelt Sicherheit und führt dazu, dass erst recht keine ärztliche Beratung eingeholt oder Wechselwirkungen bedacht werden (Ballwieser, 2012).
Psychologische Gefahren
Vor allem in der Gesundheitspsychologie spielt die Selbstwirksamkeit eine große Rolle, also das Vertrauen darin, selbst etwas zur Verbesserung des eigenen Wohlbefindens beitragen und Herausforderungen meistern zu können. Dieses Gefühl können viele durch Johanniskraut erreichen: sie können etwas gegen depressive Verstimmungen tun, ohne gleich eine Psychotherapie oder Antidepressiva in Anspruch nehmen zu müssen. Das ist eine Form der Selbstmedikation, die entlastend wirken und bei leichten Symptomen wirklich helfen kann, um sich besser zu fühlen und mehr Kontrolle zu spüren (Moeller & Hammelstein, 2005, S. 128). Zusätzlich ist Johanniskraut stärker sozial akzeptiert als klassisches Antidepressivum. Aber: auch bei leichten Depressionen sollte man sich einer Ärzt:in vorstellen.
Wann es problematisch wird: wenn die Selbstwirksamkeit zu Überforderung wird, zum Beispiel, wenn Personen versuchen, ernsthafte und stärkere depressive Symptome mit Johanniskraut selbst zu behandeln. Das kann dazu führen, dass zu spät professionelle Hilfe in Anspruch genommen wird und das kann wiederum schwerwiegende Folgen haben (AOK Baden-Württemberg, 2023).
Fazit
Johanniskraut ist alles andere als ein harmloser Stimmungsheber. Mit der richtigen Dosierung und unter ärztlicher Begleitung kann es eine gut verträgliche und wirksame Alternative zu synthetischen Antidepressiva sein (Ganz, 2015, S. 28). Aber wer über eine Einnahme nachdenkt, sollte sich ärztlichen oder pharmazeutischen Rat einholen, und auf keinen Fall ohne das Bedenken der Wechselwirkungen wahllos ein Präparat aus der Drogerie kaufen.
Und aus psychologischer Sicht: es ist wichtig, Selbstfürsorge zu betreiben, das heißt aber nicht, dass man alles allein bewältigen muss. Mittel wie Johanniskraut dürfen nie ein Ersatz für eine benötigte professionelle Hilfe oder Therapie sein – sie können nur unterstützend wirken. Nur durch eine informierte, bewusste und im besten Fall begleitete Anwendung kann das richtige Maß zwischen Selbstverantwortung und Sicherheit ermöglicht und eine riskante Selbstmedikation vermieden werden.
Literaturverzeichnis
AOK Baden-Württemberg (Hrsg.). (2023). Hilft Johanniskraut wirklich gegen Depressionen? Verfügbar unter: https://www.aok.de/pk/magazin/koerper-psyche/psychologie/johanniskraut-so-wirkt-die-heilpflanze-gegen-depressionen/
Ballwieser, D. (2012). Wechselwirkung: Johanniskraut kann Medikamente unwirksam machen. Verfügbar unter: https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/wechselwirkung-johanniskraut-kann-medikamente-unwirksam-machen-a-862945.html
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (Hrsg.). (2025, 6. November). Nahrungsergänzungsmittel vs. Arzneimittel. Verfügbar unter: https://www.bvl.bund.de/DE/Arbeitsbereiche/01_Lebensmittel/03_Verbraucher/04_NEM/01_NEM_Arzneimittel/NEM_Arzneimittel_node.html
Daniela Hüttemann (Pharmazeutische Zeitung, Hrsg.). (2020). Stiftung Warentest: Nur apothekenpflichtige Johanniskraut-Präparate empfehlenswert. Verfügbar unter: https://www.pharmazeutische-zeitung.de/nur-apothekenpflichtige-johanniskraut-praeparate-empfehlenswert-121243/
Dm-drogerie markt GmbH + Co. KG. (2025, 4. November). tetesept Johanniskraut Kapseln. Verfügbar unter: https://www.dm.de/tetesept-johanniskraut-kapseln-p4008491104098.html
Ganz, C. (2015). Arzneipflanze des Jahres 2015: Johanniskraut (Hypericum perforatum). Schweizerische Zeitschrift für Ganzheitsmedizin / Swiss Journal of Integrative Medicine, 27(1), 27–29. https://doi.org/10.1159/000371604
Moeller, A. & Hammelstein, P. (Hrsg.). (2005). Gesundheitspsychologie (Springer-Lehrbuch, 1. Aufl.). Berlin: Springer Bln.
Red. (2012). Zu jeder Jahreszeit eine sichere Therapieoption. MMW – Fortschritte der Medizin, 154(10), 65. https://doi.org/10.1007/s15006-012-0684-0
Röder, C., Schaefer, M. & Leucht, S. (2004). Meta-Analyse zu Wirksamkeit und Verträglichkeit der Behandlung der leichten und mittelschweren Depression mit Johanniskraut. Fortschritte der Neurologie-Psychiatrie [Meta-analysis of effectiveness and tolerability of treatment of mild to moderate depression with St. John’s Wort], 72(6), 330–343. https://doi.org/10.1055/s-2003-812513
Schüle, C. & Wang, E. (2023). Nationale VersorgungsLeitlinie „Unipolare Depression“ aktualisiert. MMW Fortschritte der Medizin [Important innovations of the German „National Health Care Guideline Unipolar Depression“: Significance for clinical practice in the treatment of depressed patients], 165(3), 40–45. https://doi.org/10.1007/s15006-022-2229-5
Bildquellen
Titelbild: https://pixabay.com/photos/large-flowered-st-johns-wort-yellow-5287598/ (manfredrichter, 2020)






