By Published On: 8. April 2021Categories: Psychologie

Riesige Einkaufszentren, großflächige Werbeplakate, günstige Online-Shopping-Angebote. In unserer Konsumgesellschaft ist die Verlockung zum Kauf größer denn je. Da kann es schon einmal passieren, dass man nach einem Stadtbummel mit Freunden plötzlich mit ein oder zwei Einkaufstüten nach Hause kommt, selbst wenn man sich fest vorgenommen hat, dieses Mal nichts zu kaufen. Mit dem Gedanken „Man gönnt sich ja sonst nichts“ und der Freude an den neu erworbenen Schätzen wird das schlechte Gewissen gekonnt verdrängt. Doch was, wenn nun bei nächster Gelegenheit der Kaufdrang und die Versuchung wieder überwiegen? Kann Shopping zum Problem werden?

Pathologisches Kaufen – eine Verhaltenssucht?

Zentrales Merkmal einer pathologischen Kaufsucht ist der wiederkehrende und exzessive Kaufdrang, welchem sich Betroffene nicht widersetzen können. Das Interessante dabei ist, dass die gekaufte Ware hier nur eine untergeordnete Rolle spielt, denn viel mehr steht der Kaufakt selbst im Zentrum der Sucht. Das Kauferlebnis  selbst stellt den zentralen Faktor dieser Sucht dar, denn er verschafft den Betroffenen eine kurzzeitige euphorische Stimmung und eine Entlastung von negativen Gefühlen. Die erworbenen Gegenstände – Kleidung, Kosmetika, Elektroartikel und Co. – werden häufig gar nicht gebraucht, da sie zumeist schon im Überfluss vorhanden sind, weshalb es nicht selten vorkommt, dass diese verschenkt oder gar weggeworfen werden. In manchen Fällen wird die gekaufte Ware gar nicht erst ausgepackt, sondern ungeöffnet zu Hause gehortet (Laskowski, N. M. & Müller, A., 2018, S. 36-38 ; Steiger, J. & Müller A., 2010, S. 429). Da ein wesentliches Merkmal einer Kaufsucht die permanente gedankliche Befassung mit dem Kauf materieller Güter darstellt, wird Online-Shopping in diesem Zusammenhang als besonders kritisch erachtet. Diese Art des Kaufens bietet Betroffenen die Möglichkeit, mit einem mobilen Endgerät zu jeder Zeit und an jedem Ort ihrem exzessiven Kaufdrang nachzugeben. Nicht selten verlieren pathologische Käufer dadurch vollkommen die  Kontrolle und Übersicht über ihre Online-Einkäufe (Stark, R. & Müller, A., 2020, S. 95).

Was ist eine Verhaltenssucht?

Zunächst gilt es eine Definitionsabgrenzung zwischen einer Verhaltenssucht und einer allgemein bekannten substanzgebundenen Sucht vorzunehmen: Unter einer stoffgebundenen Abhängigkeitserkrankung wird nach allgemeinem Verständnis eine Abhängigkeit von einer gewissen süchtig machenden Substanz, wie beispielsweise Alkohol, Nikotin oder Kokain, verstanden (Müller, K. W., 2017, S. 5). Bei einer Verhaltenssucht gibt es jedoch keine psychotrope Substanz, welche dem Körper zugeführt wird, denn es ist die Handlung – das Verhalten selbst, welches ein Suchtpotenzial birgt. Im Zentrum einer Verhaltenssucht steht der Kontrollverlust. Die Betroffenen sind nicht in der Lage, einem immer wiederkehrenden Handlungsdrang zu widerstehen, selbst wenn ihnen die negativen Folgen ihres pathologischen Handelns bewusst sind (Stark, R. & Müller, A., 2020, S. 91).

Verlauf und Auswirkungen pathologischen Kaufens

Eine Kaufsucht entsteht nicht von einem Tag auf den anderen, vielmehr ist es eine schleichende Entwicklung, die sich über Jahre hinweg einstellen kann. Und was noch viel wichtiger ist: Jeder von uns kann kaufsüchtig werden. Wie auch bei anderen Süchten ist der Beginn einer Kaufsucht oft nicht klar erkennbar, denn die Freude am Einkaufen scheint ja an sich nicht problematisch. Doch ab wann kann von einem problematischen Kaufverhalten gesprochen werden? Als kritisch wird die Situation dann erachtet, wenn die sogenannte Gewöhnungsphase eintritt, welche gewissermaßen das Vorstadium einer Suchterkrankung darstellt. Die Gewöhnungsphase zeichnet sich durch erste Kontrollverluste aus sowie dadurch, dass erstmals das Kauferlebnis selbst Befriedigung verschafft, und nicht mehr die Freude an den erworbenen Konsumgütern im Mittelpunkt steht. Auch wenn Betroffene während des Kauferlebnisses ein euphorisches Höhegefühl verspüren, so hält dieses bei zunehmender Entwicklung der Kaufsucht immer kürzer an, denn direkt nach dem Kauf folgen Scham- und Schuldgefühle (Musalek, M. & Liebich, H. 2008, S. 14).  Neben diesen unerwünschten Begleiterscheinungen kann pathologisches Kaufverhalten auch erhebliche negative Konsequenzen nach sich ziehen: Massive finanzielle Probleme (Verschuldung, Privatinsolvenz etc.), Konflikte im sozialen Umfeld (Familie, Freundeskreis oder Partnerschaft) und Erschwernisse in Ausbildung oder der Berufswelt können die Folge sein (Stark, R. & Müller, A., 2020, S. 95). Nicht selten resultieren aus diesen Folgen starke psychische Belastungen für die Betroffenen wie Depressionen, Angst- oder Schlafstörungen (Musalek, M. & Liebich, H. 2008, S. 15). 

Diagnose und Behandlung

Die pathologische Kaufsucht wird noch nicht als eigenständige psychische Erkrankung angesehen, weswegen keine einheitlichen Diagnosekriterien zur Bestimmung dieser Suchterkrankung vorliegen. Zur Diagnosestellung dient ein klinisches Gespräch, welches sich an den Kriterien für Impulskontrollstörungen, Zwangsstörungen und Substanzabhängigkeiten orientiert. Zudem muss zwischen sporadischen Frustkäufen und einer tatsächlichen Verhaltenssucht differenziert werden. Zur Behandlung von pathologischem Kaufen empfiehlt sich laut verschiedenen Psychotherapiestudien eine kognitiv-behaviorale Gruppentherapie. Da sich herausgestellt hat, dass die Motivation zur Änderung des problematischen Kaufverhaltens häufig fremdbestimmt ist, könnte das Miteinbeziehen von Angehörigen zielführend sein. Um ein Abwehrverhalten der Patienten zu verhindern, sollten sowohl Therapeut als auch Angehörige eine neutrale Haltung einnehmen und sich bei den Therapiesitzungen keinesfalls verurteilend oder belehrend gegenüber dem Kaufsüchtigen verhalten (Laskowski, N., M. & Müller, A., 2018, S. 39 ; Steiger, J. & Müller A., 2010, S. 431).

Fazit

Die pathologische Kaufsucht ist viel mehr als ein kleiner Kaufrausch bei einem Stadtbummel mit Freunden, bei dem vielleicht das eine oder andere Kleidungsstück zu viel gekauft wurde. Es handelt sich dabei um eine ernstzunehmende Verhaltenssucht, welche ebenso behandlungsbedürftig ist wie allgemein bekannte substanzgebundene Süchte wie etwa die Alkohol-, oder Drogensucht. Der Weg in die Kaufsucht ist schleichend und selten klar erkennbar. Angehörige können helfen, indem sie das problematische Kaufverhalten ansprechen, Verständnis zeigen und die Betroffenen motivieren, sich ihrem Problem zu stellen.

Literatur

Titelbild:https://pixabay.com/de/illustrations/stra%C3%9Fenbahn-transportsystem-reisen-3329586/

Laskowski, N., M. & Müller, A. (2018). Pathologisches Kaufen – eine psychische Erkrankung? InFo Neurologie & Psychiatrie, 20, S. 36-42. https://doi.org/10.1007/s15005-018-2453-9

Musalek, M. & Liebich, H. (2008). Vom Kaufrausch zur Kaufsucht. Psychopraxis, 11, S. 13-19. https://doi.org/10.1007/s00739-008-0063-x

Müller, K., W. (2017). Internetsucht. Wie man sie erkennt und was man dagegen tun kann(1.Aufl.). Wiesbaden: Springer Spektrum. https://doi.org/10.1007/978-3-658-16460-7_2

Stark, R. & Müller, A. (2020). Verhaltenssüchte. Psychotherapeut, 66, S. 91-96. https://doi.org/10.1007/s00278-020-00477-z

Steiger, J. & Müller, A. (2010). Pathologisches Kaufen. Psychotherapeut 55, S. 429-440. https://doi.org/10.1007/s00278-010-0725-z

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