By Published On: 25. Juni 2018Categories: Meine Hochschule und mein Studium

Vor einigen Monaten unterhielt ich mich mit einer Freundin über Vornamen. Meine Freundin war zu dem Zeitpunkt schwanger, erwartete Zwillinge und sofern der Gynäkologe richtig lag, sollten es zwei Mädchen werden. Natürlich hatten sich die werdenden Eltern bereits Gedanken über die Namensgebung gemacht, einfach fiel ihnen die Entscheidung dennoch nicht. Es galt jede Menge Kriterien zu beachten: Zunächst sollten die Namen der kleinen Mädchen zusammen, aber auch zum Nachnamen passen. Es sollten, ebenso wie die der Eltern und des großen Bruders, längere Vornamen sein, die sich jedoch auch gut abkürzen lassen. Des Weiteren sollten die Namen der künftigen Erdenbürger nicht zu geläufig aber auch nicht zu außergewöhnlich oder gar negativ assoziiert sein. Und so fielen uns im Gespräch noch zahlreiche weitere Aspekte ein, die es bei dieser weitreichenden Entscheidung zu berücksichtigen gilt.

In Goethes Faust heißt es: „Gefühl ist alles; Name ist Schall und Rauch“[1]. Sind also all die Überlegungen, Kriterien und der Stress, den sich werdenden Eltern oftmals machen, um den perfekten Namen für ihr Kind zu finden überhaupt nötig? Handelt es sich bei der Namensvergabe tatsächlich um eine weitreichende Entscheidung? Inwiefern beeinflusst der Vorname überhaupt das Leben seines Trägers?

Diese Fragen brannten mir unter den Nägeln, als ich nach dem Treffen mit meiner Freundin nach Hause fuhr und ich entschied daher, mich einmal näher mit den Auswirkungen des Vornamens auf das Leben eines Menschen zu beschäftigen.

 

„Kevin ist kein Name, sondern eine Diagnose.“[2]

Besonders in Verruf geraten ist in den letzten Jahren der Vorname Kevin. Er wird als Negativsieger der Unterschicht-Namen betrachtet und ist der Masterarbeit einer Lehramtsstudentin der Universität Oldenburg aus dem Jahr 2009 zufolge mit zahlreichen negativen Attributen verknüpft.[3] Es wird davon ausgegangen, dass Vornamen entsprechend der sozialen Schichtzugehörigkeit vergeben werden. Sozial schwächere Familien würden sich bei der Namenswahl eher massenmedial (durch Schauspieler, Sänger etc.) inspirieren lassen, wohingegen das Bildungsbürgertum Vornamen aus der Familiengeschichte, aus Literatur, Religion und Zeitgeschichte bevorzuge.[4] Bei der erwähnten Masterarbeit wurden 500 Fragebögen von Grundschullehrern und -lehrerinnen ausgewertet, die nahe legen, dass Lehrkräfte gegenüber bestimmten Vornamen Vorurteile hegen und die Namensträger von vornherein negativ wahrgenommen würden. Demnach sei besonders der Name Kevin, aber auch Justin, Maurice, Marvin und Dennis bei den Jungen und Chantal, Jaqueline, Mandy und Angelina bei den Mädchen mit Leistungsschwäche, geringem Bildungsniveau und Verhaltensauffälligkeit assoziiert. Der mittlerweile recht bekannte Satz „Kevin ist kein Name, sondern eine Diagnose.“ stamme aus einem der beantworteten Studien-Fragebögen und zeigt sehr deutlich die negative Besetzung dieses Namens. Kinder mit den Namen Alexander, Maximilian, Simon, Lukas und Jakob oder Charlotte, Marie, Katharina, Nele und Emma würden hingegen von Lehrern als eher freundlich und leistungsstark wahrgenommen. Die Studie richte sich allein auf die Assoziationen, ob positiv oder negativ, die Lehrer mit bestimmten Namen verknüpfen; offen blieb, ob diese Assoziationen auch das Verhalten der Lehrer gegenüber den Kindern beeinflusst zum Beispiel hinsichtlich einer gerechten Notenvergabe. Die Erziehungswissenschaftlerin Prof. Astrid Kaiser, die die Masterarbeit mitbetreute, sieht den Zusammenhang zwischen negativen Vorurteilen aufgrund des Vornamens und einer ungerechten Behandlung aufgrund ihrer eigenen praktischen Erfahrung als Grundschullehrerin als gegeben an.[5] Anhand einer 2010 ebenfalls am Pädagogischen Institut der Universität Oldenburg durchgeführten und ebenfalls von Prof. Astrid Kaiser betreuten Folgestudie konnte ein solcher Zusammenhang festgestellt werden: Die Leistungen in Rechtschreibung, Inhalt von Texten und Sauberkeit von Zeichnungen von Kevin, Justin, Maurice und Co. wurden stets schlechter bewertet als die gleichen Leistungen von Alexander, Jakob oder Maximilian. Allerdings sei der Zusammenhang nur schwach und beziehe sich ausschließlich auf negativ attribuierte Jungennamen. Chantal, Mandy und Jaqueline wurden vor allem im Bereich Rechtschreibung sogar etwas besser bewertet als Katharina, Emma oder Charlotte. Die Ursachen für diesen geschlechterspezifischen Unterschied sind bislang noch unklar.[6]

Natürlich sind Kevins und Chantals nicht per se ungebildet und/oder verhaltensauffällig; diese Studien zeigen aber eindrücklich, dass bestimmte Namen stark vorurteilsbehaftet sind und die Namensträger mit den negativen Auswirkungen dieser Klischees leben müssen.

Nun sind Lehrer nicht die einzigen, deren Vorurteile bezüglich bestimmter Vornamen zu Stereotypen all jener Personen mit diesen Namen werden. In den Massenmedien werden zahlreiche Witze auf Mandys, Justins, Chantals und insbesondere Kevins Kosten gemacht. Hier sei beispielsweise die Aussage des Comedians Michael Mittermaier in einem seiner Programme „Nur Drogenkinder und Ossis heißen Kevin.“ erwähnt.[7]

 

Hannah und Paul haben bessere Chancen auf ein Date

Nach einer Studie von Jochen Gebauer et al. der Humboldt-Universität Berlin aus dem Jahr 2012 nehmen Vornamen auch einen nicht unerheblichen Einfluss auf zwischenmenschliche Beziehungen. In den sozialen Medien ist der Name zumeist die erste direkte persönliche Information über einen Menschen. Ist dieser mit negativen Assoziationen verbunden, würden Rückschlüsse auf die Persönlichkeit gezogen; die Person erscheint weniger attraktiv. Die Studie untersuchte die Klickraten bei 47.000 Nutzern einer Internet-Partnerbörse.[8] Gebauer fasst die Ergebnisse folgendermaßen sehr aussagekräftig zusammen: „Viele Singles bleiben offensichtlich lieber weiter allein, als sich mit einer Chantal oder einem Kevin zu treffen.“[9] Lena, Felix, Hannah und Paul hätten dagegen deutlich bessere Chancen. Überdies würden Menschen mit einem unbeliebten Vornamen laut den Ergebnissen dieser Untersuchung mehr rauchen und über ein geringeres Selbstbewusstsein verfügen im Vergleich zum Durchschnittssingle. Für den Zusammenhang zwischen einem negativ etikettierten Vornamen und den daraus resultierenden Nachteilen für den Namensträger wurde der Begriff „Kevinismus“ geprägt, der in Deutschland seit 2007 in den Medien kursiert. Es handelt sich dabei allerdings nicht um ein rein deutsches Phänomen; in Frankreich und Österreich ist der Name Kevin ähnlich negativ behaftet.[10]

 

Je kürzer der Name, desto größer der berufliche Erfolg

Auch der berufliche Erfolg eines Menschen wird durch dessen Name mitbestimmt. So konnte die Namensagentur Endmark feststellen, dass Träger kurzer Vornamen deutlich bessere Karrierechancen haben, da diese einprägsamer seien und Personalverantwortlichen besser im Gedächtnis blieben. Karrierefördernde Namen sollten zudem international verständlich sein und Vor- und Nachname klanglich zueinander passen. Mit Bindestrich zusammengesetzte Vornamen seien hingegen weniger förderlich; Kombinationen aus Doppelvor- und Doppelnachnamen sogar echte „Karrierekiller“.[11] Aus Analysen von 50.000 Lebensläufen der Jobsuchmaschine Adzuna geht zudem hervor, dass das Gehalt einer Person umso höher sei, je weniger Silben der Vorname hat. Die Ergebnisse einer US-Studie gehen diesbezüglich sogar noch weiter: Demnach komme es nicht nur auf die Silben, sondern auf jeden einzelnen Buchstaben an. Der Untersuchung zufolge würden Philips mehr verdienen als Phillips und Saras mehr als Sarahs. Berechnungen nach führe jeder zusätzliche Buchstabe durchschnittlich zu einem Verlust von 3600 Dollar Jahresgehalt.

Weiterhin seien in Führungspositionen kurze knappe Namen deutlich überrepräsentiert. Neben der Einfachheit, der besseren Einprägsamkeit sowie internationaler Verständlichkeit wird die Ursache hierfür ebenfalls in der Konnotation der Namen gesehen. Kurze Vornamen würden mit Zielstrebigkeit und Effizienz assoziiert, wohingegen hinter einem komplizierten Namen auch eine komplizierte Persönlichkeit vermutet werde.[12] Eine Untersuchung der Marquette-Universität konnte einen signifikanten Einfluss des Vornamens auf die Einstellungschancen einer Person feststellen. Demnach würden sich Arbeitgeber bei der Stellenvergabe eher für Personen mit gewöhnlichen, gebräuchlichen und beliebten Namen entscheiden.[13]

Der Trend bei der Namenswahl gehe allerdings in den letzten Jahren zunehmend in Richtung Einzigartigkeit. Eltern versuchten durch einen besonders ausgefallenen, originellen Namen oder eine außergewöhnliche Namenskombination ihr Kind von der Masse abzuheben.[14] Der Kreativität der Eltern sind dabei kaum Grenzen gesetzt. So kommt es zu folgenden, tatsächlich in Deutschland zugelassenen und eingetragenen Namen:

Don Armani Karl-Heinz, Frieden Mit Gott Allein Durch Jesus Christus, Pumuckl, Sexmus Ronny oder Prinz-Gold für Jungen und Biene, Schneewittchen, Nazi, Schnuckelpupine oder Popo für Mädchen.[15]

Offensichtlich vergessen einige Eltern bei so viel Individualität und Experimentierfreude das Allerwichtigste, ihr Kind. Kaum vorstellbar, wie es Pumuckl Müller oder Schnuckelpupine Zimmermann in der Schule, bei der Partnersuche oder im Berufsleben ergeht.

Kinder wollen akzeptiert werden, dazugehören, ein Teil der Gemeinschaft sein. Vornamen, wie die oben dargelegten, erschweren die Erfüllung dieses Bedürfnisses erheblich und können diese Kinder zu Außenseitern machen.[16] Außergewöhnliche Namen gehen zudem nachweislich mit einer Reihe weiterer Probleme einher. So fallen Menschen mit besonders originellen und einzigartigen Vornamen häufiger bei Prüfungen durch, werden öfter in psychiatrischen Kliniken behandelt und sitzen häufiger in Gefängnissen ein.[17]

 

Betrachtet man sich all diese Studienergebnisse, so muss man wohl letztlich zu dem Schluss kommen, dass der Name für das eigene Kind tatsächlich wohl überlegt sein sollte. Rückschlüsse vom Namen, den man sich bekanntlich ja nicht selbst aussucht, auf die Persönlichkeit eines Menschen zu ziehen, erscheint auf den ersten Blick abstrakt, oberflächlich und ziemlich unfair. Das ist es auch. Die Vorurteile einer Person gegenüber, begründet nur durch ihren Vornamen, können sich äußerst negativ auf das Leben des Menschen auswirken. Ein negativ konnotierter Name schmälert die Chancen des Namensträgers in der Schule, bei der Partnerwahl sowie im Berufsleben – möglicherweise auch noch in anderen Lebensbereichen. Vorurteile schlummern in jedem von uns. Auch wenn sie uns nicht immer bewusst sind, sind sie doch da und beeinflussen unser Denken und Handeln.

Die Wahl des Namens für einen neuen Erdenbürger ist letzten Endes eine Frage des Geschmackes der werdenden Eltern. Es wird auch weiterhin negativ etikettierte Vornamen geben. Das sind dann vielleicht nicht mehr Kevin und Chantal, denn die Konnotationen ändern sich im Zeitverlauf.[18] Es lässt sich jedoch auch nicht jede eventuell zukünftige Assoziation eines Namens vorhersehen, um dies bei der Namensvergabe bereits zu berücksichtigen.

Wohl aber kann zum Beispiel durch anonyme Bewerbungen[19] sowie durch ein Anti-Bias-Training, eine Intervention zur gezielten Auseinandersetzung mit Vorurteilen, Differenzierungen, Diskriminierung und Macht[20], während des Lehramtsstudiums oder der Erzieherausbildung den Vorurteilen aktiv und bewusst begegnet werden, um daraus resultierende negative Auswirkungen zu vermeiden.

Die Zwillinge meiner Freundin, tatsächlich zwei Mädchen, wurden übrigens mit den, wie ich finde, wunderschönen Namen Elisabeth und Magdalena versehen und werden damit hoffentlich glücklich, gesund, erfolgreich und stolz durchs Leben gehen.

 

 

 

 

 

 


Fußnoten

[1] Goethe, J. W. v.: 1808, Faust 1, Marthens Garten

[2] Vgl. Spiegel online (20. März 2018), http://www.spiegel.de.

[3] Vgl. Rodríguez, G.: 2017, S. 27.

[4] Vgl. Psychologie-News (22. März 2018), http://psychologie-news.stangl.eu.

[5] Vgl. Frankfurter Allgemeine (20. März 2018), http://www.faz.net; Spiegel online (20. März 2018), http://www.spiegel.de.

[6] Vgl. Spiegel online (20. März 2018), http://www.spiegel.de.

[7] Vgl. Rodríguez, G.: 2017, S. 26.

[8] Vgl. Zeit online (26. März 2018), http://www.zeit.de.

[9] Vgl. Zeit online (26. März 2018), http://www.zeit.de zitiert nach Jochen Gebauer.

[10] Vgl. Rodríguez, G.: 2017, S. 22ff.

[11] Vgl. Kölnische Rundschau (23. März 2018), https://www.rundschau-online.de.

[12] Vgl. Stern (23. März 2018), https://www.stern.de.

[13] Vgl. Emerald Insight (24. März 2018), https://www.emeraldinsight.com.

[14] Vgl. Rodríguez, G.: 2017, S. 18; Zeit online (26. März 2018), http://www.zeit.de.

[15] Vgl. Rodríguez, G.: 2017, S. 206f.

[16] Vgl. Rodríguez, G.: 2017, S. 18f.

[17] Vgl. Zeit online (26. März 2018), http://www.zeit.de.

[18] Vgl. Rodríguez, G.: 2017, S. 25ff.

[19] Vgl. Karrierebibel (27. März 2018), https://karrierebibel.de.

[20] Vgl. Anti-Bias-Werkstatt (28. März 2018), http://www.anti-bias-werkstatt.de.

 

Literaturverzeichnis

Rodríguez, G.: Namen machen Leute. Wie Vornamen unser Leben beeinflussen. 1. Auflage. Verlag Komplett-Media. München/Grünwald 2017

 

Internetquellenverzeichnis

Bakir, D.: Gute Nachrichten für alle Dirks. Mit diesen Vornamen verdienen sie mehr im Job. 2017. URL: https://www.stern.de/wirtschaft/job/vornamen–mit-diesen-namen-verdienen-sie-mehr-im-job-7457092.html (23. März 2018)

 

Cotton, J. L./ O`Neil, B.S./ Griffin. A.: The „name game“: affective and hiring reactions to first names. 2008. URL: https://www.emeraldinsight.com/doi/abs/10.1108/02683940810849648 (24. März 2018)

 

Hein, T.: Uschi oder Maybee? Vom Namen hängt ab, ob wir eine Person sympathisch, klug und attraktiv finden. Wie sollte man besser nicht heißen?. 2013. URL: https://www.zeit.de/2014/01/namen-sympathie (26. März 2018)

 

Schölgens, G.: Tim, Mia und Simon: Welche Vornamen die Karriere erleichtern. 2013. URL: https://www.rundschau-online.de/ratgeber/finanzen/karriere/-namen-vornamen-karriere-karrierechancen-name-bildungschancen-4552920 (23. März 2018)

 

Stangl, W.: Vornamen und deren Bedeutung für die Einschätzung von Intelligenz und Persönlichkeit. 2018. URL: http://psychologie-news.stangl.eu/1326/vornamen-und-ihre-bedeutung-fur-die-intelligenz (22. März 2018)

 

Trenkamp, O.: Ungerechte Grundschullehrer. „Kevin ist kein Name, sodern eine Diagnose“. 2009. URL: http://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/ungerechte-grundschullehrer-kevin-ist-kein-name-sondern-eine-diagnose-a-649421.html (20. März 2018)

 

Trenkamp, O.: Grundschullehrer-Vorurteile. Kevins bekommen schlechtere Noten. 2010. URL: http://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/grundschullehrer-vorurteile-kevins-bekommen-schlechtere-noten-a-712948.html (20. März 2018)

 

Warkentin, N.: Anonyme Bewerbung: Pro & Contra. 2016. URL: https://karrierebibel.de/anonyme-bewerbung/ (27. März 2018)

 

(oV.): Anti-Bias-Werkstatt. Inhalte. 2017. URL: http://www.anti-bias-werkstatt.de/?q=de/content/inhalte (28. März 2018)

 

(o.V.): Nomen est omen. „Kevin bekommt schlechtere Noten“. 2009. URL: http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/nomen-est-omen-kevin-bekommt-schlechtere-noten-1853398.html (20. März 2018)

 

Abbildungsverzeichnis

Beitragsbild von Stefanie Bodensiek

 

 

 

 

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